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Veröffentlicht am 18.08.2019

Ein absolutes Highlight

Was man von hier aus sehen kann
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Selmas Traum aber schuf Tatsachen. War ihr im Traum ein Okapi erschienen, erschien im Leben der Tod; und alle taten, als würde er wirklich erst jetzt erscheinen, als käme er überraschend angeschlackert, ...

Selmas Traum aber schuf Tatsachen. War ihr im Traum ein Okapi erschienen, erschien im Leben der Tod; und alle taten, als würde er wirklich erst jetzt erscheinen, als käme er überraschend angeschlackert, als sei er nicht schon von Anfang an mit von der Partie, immer in der erweiterten Nähe, wie eine Tauftante, die das Leben lang kleine und grosse Aufmerksamkeiten vorbeischickt.

Was man von hier aus sehen kann, S. 21

Meine Meinung:
Dieses Buch habe ich zu meinem Geburtstag Ende November bekommen und es wurde begleitet von einer Karte mit einer so deutlichen Leseempfehlung, dass ich "Was man von hier aus sehen kann" sofort lesen musste. Vor einigen Tagen schon war ich damit durch und habe seitdem um Worte gerungen. Was ich aber definitiv sagen kann: ich bin unendlich froh, so schnell zu diesem Buch gegriffen zu haben. Ich habe darin nämlich alles gefunden, was für mich ein wahrer Klassiker der Gegenwartsliteratur haben muss: Intensität, Spannung, Poesie, Schmerz, Witz, Liebe, Freundschaft und ganz viele wundervolle Figuren, berührende Beschreibungen und überraschende Wendungen.
Noch immer fällt es mir schwer, in Worte zu fassen, wie sehr mir dieses Buch gefallen hat. Vor allem die Figuren haben es mir dabei angetan (abgesehen davon, dass Handlung und Schreibstil einfach brillant sind, klar). Ich habe beim Lesen eine Achterbahn der Gefühle erlebt, einige spannende und wissenswerte Dinge über die (Tier-)Welt, das Leben, den Buddhismus, den Tod, die Freundschaft und die Liebe gelernt und ich durfte immer wieder innehalten, weil mich ein Satz oder auch nur ein Wort hat nachdenklich werden lassen.

Wir konnten alles Mögliche mit der Liebe. Wir konnten sie mehr oder weniger gut verstecken, wir konnten sie hinter uns herziehen, wir konnten sie hochheben, durch alle Länder der Welt tragen oder in Blumengebinden verstauen, wir konnten sie in die Erde legen und in den Himmel schicken. All das machte die Liebe mit, langmütig und biegsam, wie sie war, aber verwandeln konnten wir sie nicht.

Was man von hier aus sehen kann, S.235


Schreibstil und Handlung:
Die Geschichte von Luise und ihrer Grossmutter Selma, sowie den herrlich skurrilen und genau deswegen so liebenswerten Dorfbewohnern, beginnt an einem Tag wie jedem anderen. Nur hat Selma in dieser Nacht von einem Okapi geträumt, was bedeutet, dass innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden jemand aus dem Dorf sterben wird. Aus Angst, selber bald nicht mehr zu leben, versuchen alle, ihre letzten Dinge zu regeln, Geständnisse zu machen, Ordnung zu schaffen und sich zu schützen vor diesem drohenden Unheil. Dabei kommen Sehnsüchte und lange gehütete Geheimnisse zu Tage, die nie hätten entdeckt werden sollen, oder die schon lange überfällig waren. Vor allem der Optiker mit seiner Ledertasche voller Briefanfänge und die wunderliche Elsbeth habe ich neben Luise und Selma ins Herz geschlossen. Aber diese Geschichte wird noch viel weiter gesponnen: plötzlich öffnen und schliessen sich Türen, alkoholhaltige Schokolade wird zuerst von zwei, dann nur noch von einer Hand aus dem Papier gewickelt, ein Mann will die Welt sehen, ein Hund namens Alaska, der eigentlich nur eine Metapher ist und dann doch immer mehr wird, taucht auf und Luise entdeckt mitten im Wald drei buddhistische Mönche.
Aus Luises Sicht wird die Geschichte eines Dorfes, die Geschichte von grossen Träumen und dem Leben und der Welt, die man entweder hineinlassen kann oder nicht, erzählt. Wie der Optiker, der es schafft, selbst die entlegensten Begriffe und Themen in Einklang zu bringen, schafft Mariana Leky es, dass so viele Ereignisse, Worte, geheime Wünsche und Figuren mit ihren unterschiedlichsten Ansichten, Werten, Träumen und Vergangenheiten zu einer Einheit werden. Sie setzt Japan mir dem Westerwald an einen Tisch, der so gross sein muss, dass er wohl eher eine Tafel ist und sie lässt die Liebe mit dem Tod, den Schmerz mit dem Neuanfang pokern.
Und dies gelingt ihr scheinbar mühelos, mit einer leichten, poetischen und trotzdem eindringlichen, ja überwältigenden Sprache, mit Gefühlen, welche die Buchseiten fast sprengen, welche mich beim Lesen lachen, weinen, fluchen und träumen liessen, welche mich das Buch entsetzt haben sinken, die Seiten voller Spannung und Rührung umblättern lassen und mit geschriebenen Bildern, die mich in den Westerwald und in die Welt der Figuren entführt haben und die ich nicht mehr vergessen werde.

Ich dachte an die Bahnhofsuhr, unter der der Optiker uns die Zeit und ihre Verschiebungen beigebracht hatte. Ich dachte an alle Zeit der Welt, alle Zeitzonen, mit der ich es zu tun bekommen hatte, an die beiden Uhren am Handgelenk meines Vaters. Das ist das wirkliche Leben, dachte ich, das ganze grossflächige Leben, und nach Punkt siebzehn zerknüllte ich die Aufbauanleitung und baute ohne weiter, und am Schluss stand da ein Regal, das relativ gerade war.

Was man von hier aus sehen kann, S. 261

Meine Empfehlung:
Mariana Leky ist mit "Was man von hier aus sehen kann" ein überragendes Werk gelungen, das heraussticht und sich komplett von der Masse abhebt. Dies gelingt ihm nicht mit schrillen Farben und lauten Worten, sondern mit einer berührenden und mitreissenden Stille und Intensität, einem Schmerz, der so überraschend und überwältigend vom Leser Besitz ergreift, dass man sich weder darauf vorbereiten, noch davon befreien kann, aber auch so vielen zum Weinen schönen, tröstenden Worten und Gesten, dass man sich nach dem Straucheln wieder fängt und das Buch nach dem Lesen der letzten Seite schliesst und von da an immer in seinem Herzen mitträgt.

Wenn es keinen Hof zu übernehmen gab, das wusste Selma, sollte man seine Kinder ermuntern, in die Welt hinauszuziehen. Selma hatte keinen Hof, sie hatte nur sich und ein schiefes Haus, das womöglich zusammenfallen würde, bevor man es übernehmen könnte, und sie wusste, dass ein Hinausziehen in die Welt besonders für meinen Vater richtig gewsen wäre.

Was man von hier aus sehen kann, S. 308

Veröffentlicht am 15.08.2019

Eine sehr berührende Geschichte

Das Gewicht eines Pianos
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Inhalt:
Clara liebt ein Blüthner-Piano, schleppt es bei jedem Umzug mit, behütet es und umsorgt es wie ein Kind. Ihre Liebe ist nicht rational, denn sie selber schafft es nicht, dem Instrument wohlklingende ...

Inhalt:
Clara liebt ein Blüthner-Piano, schleppt es bei jedem Umzug mit, behütet es und umsorgt es wie ein Kind. Ihre Liebe ist nicht rational, denn sie selber schafft es nicht, dem Instrument wohlklingende Töne zu entlocken. Es ist aber die einzige fassbare Erinnerung, die ihr von ihrem Vater und von ihrem Elternhaus, das komplett abgebrannt ist, geblieben ist.
Genau so krampfhaft hat sich Jahrzehnte zuvor Katya an das Blüthner geklammert. Im Russland der Sowjetzeit steht das Instrument für eine Erinnerung an ihre Karriere als Musikerin, ihre Liebe zur Musik, an ihre Jugend und Selbstständigkeit. Diese wurde ihr nämlich nicht nur vom System, sondern auch von ihrem dominanten Ehemann genommen. Durch Mutterschaft und fehlende Auftrittsmöglichkeiten an ein tristes Zuhause gefesselt, ist das Blüthner ihre einzige Flucht in eine bunte, hoffnungsvolle Welt voller Musik.


Meine Meinung:
Endlich wieder einmal habe ich ein Buch gelesen, das sich intensiv mit einem Instrument, dem Leben als Musikerin und der Musik beschäftigt und das grandios recherchiert war. Ihr glaubt nicht, wie viel Schund sich in diesem Bereich von namhaften Autoren findet. Aber scheinbar haben viele Autorinnen und Autoren das Gefühl, es sei einfach, über Musik zu schreiben und es sei nicht nötig, sich zu Recherchezwecken mit einer Fachperson zusammenzusetzen, umgibt Musik uns doch irgendwie ständig, also glaubt ja auch jeder, sich irgendwie auszukennen...
Chris Cander aber hat dies getan, gründlich recherchiert und eng mit Musikern und Klavierbauern zusammengearbeitet und herausgekommen ist ein authentisches und stimmiges Werk, das es mit Worten schafft, Bilder und Melodien im Kopf des Lesers zu wecken, die sich tief einzubrennen vermögen. "Das Gewicht eines Pianos" ist eine Mischung aus Familienchronik, Liebesroman, Roadtrip und Selbstfindungsroman. Die Musik zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung und auch wenn Clara als Protagonistin zuweilen ein wenig anstrengend wirkt - was man ihr aber nicht übel nehmen kann, da sie durch einen Armbruch eingeschränkt und durch ihre tragische Familiengeschichte ziemlich bindungsgestört ist - habe ich diese berührende und auch fesselnde Geschichte sehr, sehr gerne gelesen.

Schreibstil:
Dieses Buch beinhaltet viele schriftstellerische Sternstunden. Sätze voller Magie, welche zart und poetisch durch die Geschichte führen. Cander hat eine Leichtigkeit in der Sprache entwickelt, mit der sie mühelos von ziemlich skurrilen Situationen auf der beschwerlichen Reise bis hin zu grausamen Erinnerungen an die Vergangenheit springt und es dabei schafft, jede Situation mit der gebührenden Eindringlichkeit zu schildern.
Und dann, als Clara ihrem Blüthner, das sie einem Fotografen für ein intensives Fotoprojekt vermietet hat, durch Feld und Wiesen folgt, weil sie die Trennung von diesem grossen Fixpunkt in ihrem Leben kaum zu ertragen vermag, zeigt Chris Cander auch ihr humoristisches Geschick, weil sich durch die zuerst unauffällige und dann immer offensichtlichere Verfolgung des Transporters mit dem Klavier einige ziemlich unangenehme und amüsante Situationen ergeben. Es wächst eine Schicksalsgemeinschaft zusammen, die ohne dieses nicht nur physisch, sondern auch vor lauter emotionalem Balast schwere Instrument, gar nicht existieren würde, was der Geschichte einen ganz eigenen Charme verleiht.

Meine Empfehlung:
Dieses Buch ist ganz aussergewöhnlich. Es lässt sich weder eindeutig in ein Genre verordnen, noch beinhaltet es ein Thema, das man schon zu Genüge aus anderen Geschichten kennt. Mit einer ganz eigenen Idee und in einer wundervoll zarten und zugleich eindringlichen Sprache erzählt, hat es mein Herz für sich gewonnen und ich empfehle es euch sehr gerne weiter.

Veröffentlicht am 12.08.2019

Leider eine grosse Enttäuschung

Als wir im Regen tanzten
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Inhalt:
Recha und Willi, das einstige Traumpaar der Stummfilmgeschichte, gerät in eine berufliche und persönliche Krise. Willis Schwester Felice hingegen steht als Vorzeigemutter und Karrierefrau mit ihrer ...

Inhalt:
Recha und Willi, das einstige Traumpaar der Stummfilmgeschichte, gerät in eine berufliche und persönliche Krise. Willis Schwester Felice hingegen steht als Vorzeigemutter und Karrierefrau mit ihrer glücklichen Ehe als Gegenpol da, aber auch in ihrem Leben kommen Steine ins Rollen, die sie vor einige schwere Entscheidungen stellen.
Vor allem die Entwicklung vom Stummfilm zum Tonfilm aber auch die persönlichen Hadereien der Figuren mit ihrem Leben rücken dabei unschön und eindimensional ins Zentrum, während die Verankerung in der Zeit leider absolut zu kurz kommt. Ausserdem ist dieses Buch zwar als Einzelband zu lesen, die Vorgeschichte gibt es aber auch schon als Buch und ist im Erstling der Autorin, der anscheinend viel besser angekommen ist, zu lesen. Weshalb ich es schon bei "Inhalt" erwähne? Weil der Klappentext diesbezüglich leider sehr irreführend ist.

Meine Meinung:
In diesem Buch hat mir die Figur der emanzipierten, starken, mutigen und sympathischen Felice sehr gut gefallen. Es war wohl die einzige Figur, die einigermassen ausgearbeitet war und vor allem glaubwürdig wirkte. Auch wenn sie gegen Ende des Buches in eine total schräge "Rettungsaktion" verwickelt war, so hat sie, die gar nicht erst im Klappentext auftaucht und als Nebenfigur gehandelt wird, am meisten Platz im Buch eingenommen und hat im Vergleich zu Recha und Willi ausserdem sehr fassbar gewirkt.
Nach dem grandiosen Einstieg, der mich auch dazu bewogen hat, mich überhaupt für das Buch zu bewerben, wirkte plötzlich alles um hundertachtzig Grad gedreht. Die Entwicklung der Filmindustrie, die im Buch viel Raum einnimmt, kam mir sehr abgehandelt und leider nicht kreativ vor und die vielfach angepreiste Verankerung im Zeitgeschehen, die ja wirklich spannend gewesen wäre und natürlich auch einiges an Zündstoff beinhalten hätte können, fehlt fast komplett. Fast immer ziehen sich lahme Dialoge und sehr sinnlose Diskussionen über viele Seiten hinweg, persönliche Dramen werden aufgebauscht und in die Länge gezogen und wenn denn wirklich einmal etwas passiert, das der Geschichte eine Wendung gibt, wird es in wenigen Sätzen behandelt. Das Buch hat mir schon nach den ersten siebzig Seiten gar keinen Spass mehr gemacht und wäre es kein Leserundenbuch gewesen, hätte ich es sofort abgebrochen. Leider wurden aus diesem eigentlich so spannenden Stoff und der sicher auch guten Grundidee ein unglaubwürdiges, langweiliges Konstrukt geschaffen, das so definitiv keine Lesefreude aufkommen lässt.

Schreibstil:
Auch der Schreibstil ist definitiv ein Kapitel für sich. Anfänglich fesselnd, vielversprechend und für sich sprechend, wird da alles immer verschwommener. Mehrere Seiten lang fehlen die Personalpronomen, die Figuren werden zu einem Einheitsbrei verquirlt, der gar keine Identifikation mehr zulässt und sehr viele Handlungsstränge werden angedeutet, verschwinden dann ein wenig aus dem Fokus und werden plötzlich wieder weitergeführt, als hätte die Autorin die Figuren in der Zwischenzeit vergessen und als wären sie ihr dann aus dem Nichts wieder in den Sinn gekommen. Auch wirkt es manchmal so, als hätten ganz verschiedene Personen dieses Buch geschrieben. Die Sprache ist überhaupt nicht wie ein roter Faden, stört den Handlungsaufbau sogar und zieht sich durch nicht zielführendes Geplänkel manchmal wie Kaugummi, obwohl ganz andere Dinge vielleicht hätten vertieft oder besser eingebettet werden sollen. Also auch hier wurde ich leider enttäuscht.

Mein Fazit:
Die ersten Kapitel, die ich schon von der Leseprobe kannte (und aufgrund derer ich mich überhaupt für die Leserunde beworben habe), waren grandios. Dann aber konnten die vielen Schwächen, wie die fehlende Verankerung in der Zeit, die unglaubwürdigen Figuren, die lose gestreiften aber nie verarbeiteten Themen sowie der sprunghafte, scheinbar nicht ausgereifte und alles andere als stringente Schreibstil, mich gar nicht mehr überzeugen. Von mir gibt es definitiv keine Leseempfehlung für dieses Buch. Schade.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Geschichte
  • Figuren
Veröffentlicht am 11.08.2019

Mir hat sich ein neues Universum aufgetan...grandios!!!

Der Dunkle Turm – Schwarz
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Meine Meinung:
"Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste und der Revolvermann folgte ihm."
Schwarz, Der Dunkle Turm (S. 1)

Dieser Satz hat mein Leben verändert. Nichts ist mehr, wie zuvor, denn ich ...

Meine Meinung:
"Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste und der Revolvermann folgte ihm."
Schwarz, Der Dunkle Turm (S. 1)

Dieser Satz hat mein Leben verändert. Nichts ist mehr, wie zuvor, denn ich habe den letzten Revolvermann kennengelernt und werde mit ihm den dunklen Turm finden, der die Fäden des Seins zusammenhält und der nach und nach zerfällt und so Chaos in die Welten bringt. Ich habe ein Buch entdeckt, das mir den Auftakt zu einem ganz eigenen Buchiversum geöffnet hat, das mich konfrontiert hat mit den Abgründen der Menschheit, der Endlichkeit des Lebens, dem Unvorstellbaren, dem ewig Dunklen, den Dämonen in und um uns.
Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, habe mich immer wieder in seiner Welt verloren, nachgedacht, zurückgeblättert, weitergelesen und war wie im Fieber. Besonders gut gefallen hat mir bei dieser von Stephen King überarbeiteten Ausgabe das Vorwort des Autors, in dem er schreibt, wie er dieses Epos im Alter von neunzehn Jahren begonnen hat und wie er nach seinem schweren Unfall immer wieder angefleht wurde, die Geschichte des Revolermanns zu beenden, oder zumindest das Ende zu verraten. Er schreibt auch, wie er schliesslich - nach dreissig Jahren - zu diesem Ende gefunden hat und dann irgendwann noch einmal ziemlich vorne beginnen musste, damit dieser erste Band auch wieder zum Schluss passen und so der rote Faden durchgehend erkennbar sein kann.

Wie "Der Dunkle Turm" zu mir gefunden hat:
Wie "Schwarz" und alle weiteren Teile der Reihe zu mir gefunden haben, ist eine ganz spezielle Geschichte und bereits seit Februar 2017 besitze ich die ganze Reihe um den Turm (mit Ausnahme von "Wind", das nicht zur eigentlichen Reihe gehört, respektive sich zwischen dem vierten und fünften Band der Reihe einordnen lässt, wenn überhaupt).
"Der Turm", der siebte Band dieser Reihe, habe ich vor etwa zehn Jahren, vielleicht sind es auch schon mehr, von meinem Bruder zu Weihnachten bekommen. Er hat beim Kauf des Buches wohl nicht bemerkt, dass es sich um einen Reihenabschluss handelt. Nach und nach habe ich mir die weiteren Teile als Mängelexemplare zusammengekauft ("Tot" im September 2012, "Wolfsmond" im Oktober 2013, ausgerechnet von "Schwarz" weiss ich es leider nicht mehr, es liegt also schon länger hier), weil ich gar nicht sicher war, ob ich die Bücher überhaupt lesen würde, aber die Aufmachung einfach so toll fand. Irgendwann las ich diesen Post bei Ines und konnte nicht mehr an mich halten. Die drei Bücher, die mir noch fehlten, habe ich sofort gebraucht bestellt. Zwei davon waren bereits nur noch als Hardcover zu bekommen.
Was also mit einem kleinen Irrtum begann, hat mich nun endlich für sich begeistern können und ich bereue es fast ein wenig, nicht schon früher zum ersten Band der Reihe gegriffen zu haben...

Schreibstil und Handlung:
Es ist heiss, die Luft flimmert, das menschliche Leben auf der Erde scheint fast ganz ausgelöscht zu sein. Dämonen, Mutanten und andere Wesen, die man kaum benennen mag, haben sich nach der Endzeit, die Zugleich ein Nachfolger unserer aktuellen Zeit, als auch eine ganz eigene Welt ist, in den dunkelsten Winkeln und Höhlen dieser Welt breit gemacht. Und mitten im Geschehen ist Roland, der letzte Revolvermann. Er ist zäh, er hat Ausdauer, einen starken Willen und schreitet stoisch voran. Er verfolgt den schwarzen Mann, er sucht den dunklen Turm. Er ist einsam, bis er Jake trifft, einen Jungen, der ihm ein treuer Gefährte und Zuhörer wird und dem er darum seine Lebensgeschichte, die von seiner Ausbildung zum Revolvermann, von Freundschaft, Verrat und einer ganz grossen Liebe handelt, erzählt.
Stephen King hat eine Sprache geschaffen, die ihresgleichen sucht. Eine Sprache, die schockiert in ihrer detaillierten Brutalität, die derb ist, wie bei Bukowski, die aber Weisheiten aufzeigt, die eines kleinen Prinzen würdig wären und von der Fantasie Tolkiens beflügelt sind. Eine Sprache, die allen grossen Dichtern ein Denkmal setzt und doch so einzigartig und fesselnd ist, wie die Geschichten, die sie erzählt, die Fäden des Netzes, das sie spinnt zwischen den Welten, den Menschen, den Wesen.

Meine Empfehlung:
Ich empfehle euch, dieses anspruchsvolle, fesselnde, berührende und überwältigende Buch zu lesen. Die Welten und Geschichten, die es birgt, sind zu schön, grausam und lebensecht, als dass sie noch länger zwischen den Buchdeckeln in euren Regalen verborgen sein sollten.

Veröffentlicht am 11.08.2019

Dieses Buch hat mich wütend gemacht und enttäuscht

Ein wenig Leben
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Wie tippt man eine Rezension zu diesem Buch?
"Ein wenig Leben" habe ich gemeinsam mit Daniela vom Blog Livricieux in einer Blogleserunde gelesen und diskutiert. Nachem sie das Buch vor einigen Tagen beendet ...

Wie tippt man eine Rezension zu diesem Buch?
"Ein wenig Leben" habe ich gemeinsam mit Daniela vom Blog Livricieux in einer Blogleserunde gelesen und diskutiert. Nachem sie das Buch vor einigen Tagen beendet und auch bereits die Rezension getippt hat, habe ich nun auch endlich die letzte Seite umgeblättert, obwohl ich mich wirklich durch dieses Buch gequält habe...
Und ich habe mir sooo viele verschiedene Anfänge für diese Rezension überlegt und immer wieder verworfen. Beispielsweise "Dieses Buch ist eine Verschwendung von schriftstellerischem Potenzial, von sprachlicher Finesse und einer fantastischen Plotidee..." oder "Mit mindestens 400 Seiten zu viel kommt 'Ein wenig Leben' daher und durch die vielen Längen wird fast alles an Inhalt und Spannung verwässert..." oder "Hanya Yanagihara schreibt über Freundschaft, Liebe, Schmerz, Verlust und Sex. Und vor allem Letzteres tut sie mit einer Prüderie und Fantasielosigkeit, die ihresgleichen sucht. Insbesondere der Sex zwischen zwei Männern besteht für Hanya Yanagihara scheinbar ausschliesslich aus der Penetration des einen durch den andern. Findet diese nicht statt, ist es keine gelebte Sexualität..." oder auch einfach "Dieses Buch hat mich fast 940 Seiten lang wütend gemacht und auf den letzten knapp zwanzig Seiten - zumindest teilweise - mit sich versöhnt."

Aber ganz von vorne:
Vier Freunde, Jude, JB, Willem und Malcolm, Freundschaft, Vertrauen und eine starke Gemeinschaft. Jeder von ihnen hat sein Päckchen zu tragen und immer wieder geben sie sich gegenseitig Halt. Während Willem, JB und Malcolm eine eher künstlerische Laufbahn anstreben, beschäftigt sich Jude mit einer Karriere als Anwalt. Und schnell wird klar, dass Jude von der Autorin ins Zentrum gestellt wird, sich selber sogar - aber eher unbewusst - immer wieder als Mittelpunkt der Gruppe zeigt. Er ist es nämlich, der krampfhaft ein Geheimnis um seine Kindheit und Jugend macht, er ist es, der nach einem rätselhaften "Unfall" hinkt, der manchmal vor Schmerzen nicht mehr gehen kann, der immer wieder auf Hilfe angewiesen ist und diese eigentlich gar nicht in Anspruch nehmen will und durch die Ignoranz gegenüber seiner eigenen gesundheitlichen Situation und den daraus resultierenden Problemen erst recht auffällt.
So weit, so gut. Bis hier macht das Sinn, bis hier ist das stimmig, bis hier ist für eine vielversprechende Ausgangslage gesorgt.

Und dann....:
... entwickelt sich alles anders. Was mit wundervoll recherchierten Berichten über die verschiedenen Berufsfelder und Kunstrichtungen der vier Freunde, mit eindringlichen Beschreibungen, spannenden Andeutungen und intensiven Emotionen zwischen dem Kleeblatt beginnt, entwickelt sich zu einer Farce.
Wie ihr sicher bereits erfahren habt, geht es in diesem Buch um viele menschliche Abgründe, um Missbrauch, Gewalt, um selbstverletzendes Verhalten und um Menschen, die andere Menschen wissentlich und voller Vergnügen quälen, physisch und psychisch. Und ebenfalls wisst ihr, dass es ausgerechnet Jude ist, der in seiner Vergangenheit unendliche Schmerzen erlitten hat und die Folgen davon immer noch täglich zu tragen hat.
Was er erleben musste, wird nach und nach detailliert geschildert und wo vorher so viele Emotionen waren und ein einfacher Zugang zu den Figuren, wird nun dieser Vergangenheitsstrang plötzlich mit einer kalten Nüchternheit abgehakt, als ginge es einfach nur darum, so viel Grauen wie möglich auf so wenige Seiten wie nötig zu verpacken. Warum? Wenn man sich als Autorin nicht wirklich mit diesen doch potenziell belastenden Inhalten auseinandersetzen will, dann soll man es lassen. Yanagihara hat sich aber eher für eine halbpatzige Verarbeitung der Themen entschieden. Nicht nur haben Judes Peiniger nämlich keine Konsequenzen für ihr Handeln zu erwarten, sondern es werden auch jegliche Instanzen, die eigentlich in einem Rechtsstaat zuständig sein müssten, wie Gerichte, Polizei, Behörden und vor allem auch Jugendpsychologen, ausgeblendet und somit gehen der Realitätsbezug und auch die Logik gänzlich verloren. Die Geschichte muss aber tragischerweise so unlogisch sein, weil die Autorin ihr Fantasiegeflecht sonst gar nicht erst hätte weiterspinnen können.
Ausserdem werden - und das hat mich besonders gestört - andere Menschen, die ebenfalls Leid, Schmerz und Verlust erfahren haben, zusätzlich verhöhnt, indem immer wieder angedeutet wird, dass nur jemand, der ALLES erlebt und die Hölle gesehen hat (wie Jude) auch wirklich leiden darf und soll.

Das Abdriften in eine Scheinwelt:
Und leider ist es damit noch nicht genug. Hanya Yanagihara baut mit jeder weiteren Entwicklung eine unrealistische und immer unrealistischere Scheinwelt auf, die dazu geführt hat, dass ich ihr gar nichts mehr glauben konnte. Alle vier Freunde machen grandiose Karrieren, werden unendlich reich und nur JB erlebt kleinere Rückschläge, die er aber problemlos überwindet und dann noch gestärkt daraus hervorgeht. Keiner von ihnen aber scheitert, keiner hadert, keiner macht - abgesehen vom Anfang - magere Zeiten durch. Wie kann das sein? Wie passt das zusammen?
Ausserdem wird Malcolm während ca. 500 Seiten komplett ignoriert, er kommt nicht einmal in der Nebenhandlung vor, und JB wird zum Idioten gestempelt, der immer wieder ins Fettnäpfchen tritt, Jude verärgert und scheinbar - abgesehen von seiner Karriere - gar nichts auf die Reihe kriegt. Aber auch er darf nicht wirklich mitspielen in diesem Drama.
Lediglich Willem schafft es, neben Jude erwähnt zu werden und obwohl die Protagonisten immer älter werden und Jude auch noch andere liebevolle Menschen, wie seinen Mentor Harold und dessen zauberhafte Frau Julia, kennenlernt, scheint Jude keinerlei persönliche Entwicklung mitzumachen. Wie kann ein Staranwalt, der für seine gnadenlose Konsequenz bekannt ist, seinem eigenen Schicksal gegenüber so blind sein und sich selber die Schuld am erlittenen Leid geben? Wie kann vor allem ein eigentlich herzlicher und einfühlsamer Mensch auf den Gefühlen seiner Mitmenschen herumtrampeln und die Menschen, die ihn am meisten lieben, verletzen, indem er sich permanent selber abwertet und quält? Ausserdem fehlt von Judes Seite her jegliche Selbstreflektion, was zusätzlich wütend macht.

Es wird lang und länger:
Wenn man eine Geschichte nicht glauben, nicht mehr mitfühlen, nicht mehr mitfiebern kann, dann sind 960 Seiten wirklich sehr, sehr viel. Tatsächlich passiert auf vielen Seiten nichts. Also wirklich nichts, keine Handlung, keine Dialoge, nur endlose Beschreibungen und trotzdem fällt auf: nach all diesen Seiten weiss ich immer noch nicht, wie die Figuren aussehen. Ich sehe sie nicht vor mir, kann sie mir nicht vorstellen. Sie bleiben flach und sie bleiben von einigen Lichtblicken abgesehen auch pubertär (vor allem Jude).
Dennoch wollte ich wissen, wie es weitergeht. Ich wollte erkennen, ob da nicht doch eine Botschaft, ein Sinn dahinterstecken. Ob ich fündig geworden bin? Das weiss ich selber noch nicht.

Harold:
Harold, Mentor, ein Sinnbild für Gerechtigkeit und Liebe, Familiensinn und Fürsorge, bekommt in "Ein wenig Leben" ein paar eigene Kapitel. Diese Kapitel sind mit das Schönste, was ich je in einem Buch gefunden habe. Sie brechen die Strukturen auf, sorgen für eine andere Erzählperspektive (direkte Rede), verarbeiten in einem Monolog einzelne Situationen und Gedanken und sind von einer magischen, zerbrechlichen Zärtlichkeit und Liebe geprägt. Diese Kapitel sind es, die mich gerettet haben, die mich mit der Geschichte und vielleicht auch ein wenig mit Jude versöhnt haben und die mich nach wirklich viel Wut und Ungläubigkeit über so viel verschwendetes Potenzial wieder beruhigt haben.

Warum man dieses Buch NICHT lesen sollte:
Ihr Lieben, dieses Buch hat mich (abgesehen von Harolds Kapiteln) nicht berührt. Dieses Buch hat mich nicht geschockt und keine Bauchschmerzen hervorgerufen. Eine Ausnahme gab es aber: das Auftauchen und vor allem einige Handlungen von Caleb (ich sage nicht mehr dazu), haben mich wirklich traurig gemacht.
Aber weil ich diesem Buch fast nichts geglaubt, der Autorin ihre Geschichte nicht abgenommen habe, bin ich kein Massstab, was Schock und Schmerz anbelangt. Ich bin mir sicher, dass jemand, der selber Missbrauchserfahrungen gemacht hat, psychisch labil ist und sehr schnell den Boden unter den Füssen verliert, dieses Buch wirklich NICHT lesen sollte.

Warum man dieses Buch DOCH lesen sollte:
Bitte lest dieses Buch, wenn ihr euch selber ein Bild machen und mitdiskutieren wollt. Lest dieses Buch, wenn ihr wissen wollt, wie Jude sich entwickelt (oder eben nicht entwickelt hat) und lest dieses Buch, wenn ihr mit vielen Längen im Erzählstrang umgehen könnt (aber ich habe euch gewarnt), ihr werdet mit einigen wundervollen Momenten belohnt, wenn ihr Geduld habt.

Und zum Schluss:
Leider hat Hanya Yanagihara mit "Ein wenig Leben" ein Buch geschrieben, das meiner Meinung nach aus den falschen Gründen bewegt. Viele Leserinnen und Leser empfinden die Schilderungen von Missbrauch und Gewalt, Judes persönliche Abgründe und sein selbstverletzendes Verhalten als bewegend, schockierend und fast unerträglich qualvoll. Dies liegt aber nicht am Erzählstil und dem gelungenen Handlungsaufbau, sondern lediglich am Inhalt. Gewalt und vor allem auch sexuelle Gewalt gehen halt immer, egal wie schlecht, nüchtern, billig und austauschbar diese "Effekte" erzählt werden (und das war leider in diesem Buch genau so der Fall). Ein Mensch, der sich selber die Schuld für sein Schicksal gibt und seine Mitmenschen damit egoistisch quält und verängstigt, das zieht beim Publikum. Es ist dabei wohl für viele ganz egal, dass der Handlungsaufbau komplett unlogisch ist, ganz egal, wie sehr sich die anderen - anfangs so beleuchteten - Figuren zu blossen Statisten entwickeln und ganz egal, dass die grandiose Recherchearbeit der Autorin durch blosse Längen und Wiederholungen überdeckt und zunichte gemacht wird.
Das hat mich unendlich wütend gemacht. Ich habe nämlich sehr viel Potenzial gesehen, die Plotidee hat mich überzeugt, manchmal gab es sprachlich magische Momente, ab und an wollte ich Willem und sogar Jude einfach nur umarmen und mit ihnen ein Glas Wein trinken und Harolds Worte, die haben mich tatsächlich bewegt. Das alles hätte meiner Meinung nach viel eher für Aufschreie, Diskussionen, Lob und auch Kritik sorgen sollen.