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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.06.2019

Bewegend und sprachgewaltig

Fluchtstücke
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Inhalt:
Was genau stellt dieses Buch dar? Wie es der Titel vielleicht schon zu umschreiben versucht, handelt es sich bei "Fluchtstücke" um eine Sammlung loser Enden, die zu einer ganzen Geschichte zusammengefügt ...

Inhalt:
Was genau stellt dieses Buch dar? Wie es der Titel vielleicht schon zu umschreiben versucht, handelt es sich bei "Fluchtstücke" um eine Sammlung loser Enden, die zu einer ganzen Geschichte zusammengefügt werden. Flüchtige Gedanken, einzelne Erinnerungsfetzen, Erzählungen, Zitate und Fundstücke. Ob nun Jakob in den ersten, grausam geschilderten Szenen von seinem Überleben und seiner Flucht erzählt, ob er später mit seiner zweiten Ehefrau auf der Suche nach Wurzeln, Antworten und Heimat an die Schauplätze seiner Kindheit zurückkehrt, oder ob Jakobs Freund Ben, dessen Eltern den Holocaust nicht überlebten, sich auf die Suche nach Jakobs Dichtungen macht und sich mit ergreifenden Worten an seinen Freund wendet, dieses Buch bewegt, fesselt, schockiert und umhüllt die Leserschaft mit einer zarten, poetischen, brutalen, kraftvollen Sprache.

Lesegefühl:
Zuerst fiel es mir nicht sehr leicht, die Figuren und ihre Geschichten auseinanderzuhalten, weil die einzelnen Fäden dieses Geflechts so lose zusammengefügt werden, dass immer ein Abschnitt in den anderen übergeht und die Erinnerungen sich sozusagen stetig überlappen und ergänzen. Da werden einerseits äusserst bedrückende und schockierende Szenen mit nüchternen Worten beschrieben und gleichzeitig ist der Rest der Handlung so poetisch und manchmal fast schon schwülstig aufgebaut, dass ich einerseits sehr angetan war von der Schönheit dieses Buches, andererseits aber auch immer wieder aufgerüttelt von der ganzen Brutalität.

Schreibstil und Handlung:
Es lässt sich bei fast jedem Satz (und die meisten davon könnte man sich entweder an den Kühlschrank kleben, in ein Achtsamkeitstagebuch schreiben oder an den Badezimmerspiegel hängen) erkennen, dass die Autorin vor allem Gedichte schreibt. So bildlich und reich an Metaphern und Ausschmückungen der Stil aber auch ist, er wirkt nur ganz selten überladen und meistens einfach nur wunderschön. Dies beisst sich leider ein wenig mit der wirklich tragischen Geschichte, die erzählt wird und hat in mir sehr ambivalente Gefühle für die ganze Handlung, aber auch für die grundsätzliche Notwendigkeit des Erzählens solcher Geschichten geweckt. Was hat sprachliche Schönheit in einer Geschichte über Tod, Schmerz, Verlust, Betrug und rohe Gewalt zu suchen? Und wie kann es überhaupt sein, dass man es liebt, dieses Buch zu lesen, obwohl es zuweilen so grausame Geschichten erzählt? Ich werde keine abschliessenden Antworten auf diese Fragen finden und dies ist wohl auch nicht nötig. Denn wenn das Buch doch auch schwülstig wirken kann, so hat die Schönheit der Sprache zumindest den Zweck erfüllt, dass man mittels all der erzählerischen Bilder noch genauer vor sich hat, was überhaupt beschrieben wird und dass man das Buch vor allem auch unbedingt lesen und trotz allem geniessen und nachher auch darüber sprechen will.

Meine Empfehlung:
Dieses Buch wird mich sicher noch länger beschäftigen und es ist gut, dass ich erst morgen wieder zu einem Buch greifen werde, bis dann hat sich der Sturm in mir sicher sicher ein wenig gelegt. Aber das ist eigentlich ein positiver Sturm, weil er aufwühlt, aufweckt und zum Austausch anregt, weshalb ich euch dieses manchmal zart, manchmal kraftvoll und insgesamt sehr poetisch erzählte Buch sehr gerne ans Herz legen möchte.

Veröffentlicht am 30.06.2019

Fesselnd und nervenaufreibend bis zum Schluss

Die Therapie
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Inhalt:
Schon so viele Ärzte hat Viktor mit mit seiner Tochter zusammen aufgesucht, doch niemand hat herausgefunden, was ihr genau fehlt, welche Krankheit diese immer schlimmer werdenden Symptome hervorruft. ...

Inhalt:
Schon so viele Ärzte hat Viktor mit mit seiner Tochter zusammen aufgesucht, doch niemand hat herausgefunden, was ihr genau fehlt, welche Krankheit diese immer schlimmer werdenden Symptome hervorruft. Viktor ist mit seinem Latein am Ende und nun verschwindet Josy auch noch und niemand wird ihr helfen. Viktor weiss genau, dass er Josy nie wieder sehen wird. Während Viktors Frau viel eher noch Hoffnung bewahrt und erstaunlich ruhig bleibt, zieht er sich in ein Ferienhaus auf einer Insel zurück um dort in aller Ruhe die Interviewfragen einer Zeitung zu beantworten und so vielleicht ein wenig mit seiner Geschichte abschliessen zu können. Doch plötzlich bekommt er Besuch von einer wunderschönen Frau, welche sich von ihm wegen ihrer Schizophrenie behandeln lassen will. Der einstige Experte auf seinem Gebiet praktiziert nicht mehr, was in seiner Situation durchaus verständlich ist. Doch als die Unbekannte immer wieder von einem Mädchen erzählt, welches ihr erscheint, und ausserdem die Empfehlung eines anderen Psychiaters vorweist, bohrt Viktor nach. So findet er immer mehr Paralellen zwischen dem Mädchen, welches die Unbekannte zu verfolgen scheint und seiner eigenen Tochter. Plötzlich beginnt er einige Ereignisse zu verstehen und er beschliesst, die Therapie fortzusetzen und der Sache auf den Grund zu gehen. Was Viktor nicht weiss: manchmal liegen die Dinge ganz anders, als sie scheinen. Doch dies erfährt sowohl er wie auch der Leser erst ganz am Schluss.

Meine Meinung:
Dieser geniale Psychothriller fesselte mich von Anfang an und ich habe ihn in einem Zug gelesen. Ich konnte die Spannung förmlich knistern hören und bin nach wie vor von der durchkomponierten Handlung und ihrer unglaublichen Komplexität begeistert. Die Geschichte ist extrem vielschichtig gebaut und der Leser wird in immer neue Situationen verstrickt. So ist es fast unmöglich, das Verbrechen zu durchschauen und einen Täter zu erkennen. Ausserdem schafft der Erzähler eine sehr düstere und bedrohliche Atmosphäre, welche wunderbar zur Geschichte passt und für Gänsehaut sorgt. Vielleicht sollte man dieses Buch nicht mitten in der Nacht lesen...

Veröffentlicht am 30.06.2019

Ein Klassiker, bei dem sich das Durchhalten definitiv lohnt

Emma
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Meine Meinung:
Was habe ich mich anfangs schwergetan mit diesem Buch. Monatelang las ich immer wieder einmal ein paar Seiten und legte es dann weg, weil die überspitzten Figuren, die langatmigen Beschreibungen ...

Meine Meinung:
Was habe ich mich anfangs schwergetan mit diesem Buch. Monatelang las ich immer wieder einmal ein paar Seiten und legte es dann weg, weil die überspitzten Figuren, die langatmigen Beschreibungen und die überhaupt nicht bescheidene Protagonistin mir den letzten Nerv raubten. Dann aber machte es "klick", ich blieb ein wenig länger konzentriert und las grössere Abschnitte, gewöhnte mich an den Stil, der eigentlich vor (Selbst-)Ironie nur so trieft und ein zart überspitztes aber insgesamt in erster Linie eher beobachtendes als wertendes Bild über die damalige Gesellschaft bietet. Besonders gut gefallen hat mir auch das Nachwort, das "Emma" in Austens Schaffen einordnet und einzelne erklärende Hinweise bietet, vor allem aber eine grosse Lanze für die äusserst genau beobachtende und sehr liebevoll und charakterstark beschreibende Autorin bricht.

Schreibstil und Handlung:
Jane Austen schreibt über ein Leben, das sie kennt. Bürgerinnen und Bürger aus gutem Hause, die eigentlich nicht wirklich arbeiten und ihre fast unbegrenzte Freizeit mit dem Planen, Ausführen und Nachbesprechen von Abendgesellschaften, Bällen und Ausritten verbringen. Da wird über jede und jeden getratscht, jede Verlobung genau analysiert und doch immer aufgeklärter, fast sogar schon vereinzelt emanzipiert gedacht. So ist Emma eine Protagonistin, die ihren eigenen Kopf und einen nicht nur angenehmen Charakter hat, die aber dennoch von fast allen gemocht wird. Sie spricht frei heraus, lehnt die Ehe als Institution ab und will ihr Umfeld unter romantischen Kriterien verkuppeln. Somit ist Austen eine liebevoll ironische, wenn nicht gar vereinzelt ziemlich kritische Gesellschaftsstudie gelungen und nicht nur ist zu Austens Zeit die Rolle der finanziell unabhängigen und aus Liebe heiratenden Protagonistin eher neu, Austen hat wesentlich zur Entwicklung des Genres des Sittenromans/Gesellschaftsromans und der Technik der "erlebten Rede" beigetragen und somit auch formal Meilensteine errichtet und dies in einer Zeit, in der Autorinnen rar waren und Romane als Schundliteratur galten.

Meine Empfehlung:
Das Durchhalten lohnt sich definitiv. Denn auch wenn die einzelnen Geplänkel und die aus heutiger Sicht nicht mehr ernstzunehmenden Dialoge, sowie die ellenlangen Beschreibungen zeitweise ermüdend wirken können, lohnt es sich, diesen Roman einmal versuchsweise aus damaliger Sicht zu betrachten. Erst dann wird klarer, wie kritisch und pointiert Austens Beschreibungen sind, wie emanzipiert ihre Protagonistin eigentlich ist und welche spannenden literarischen Grundsteine die Autorin mitbegründet und geformt hat. Von mir gibt es deshalb eine überzeugte Empfehlung für diesen grossen Roman.

Veröffentlicht am 23.06.2019

Bedrückend, nachdenklich stimmend und packend geschrieben

Die Geschichte der Bienen
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Inhalt:
Dieses Buch ist eine Mischung aus Dystopie, Familiendrama, Gesellschaftsroman und Sachbuch. In einem düsteren Grundton wird die Geschichte dreier Menschen erzählt, die - abgesehen von ihrer Arbeit, ...

Inhalt:
Dieses Buch ist eine Mischung aus Dystopie, Familiendrama, Gesellschaftsroman und Sachbuch. In einem düsteren Grundton wird die Geschichte dreier Menschen erzählt, die - abgesehen von ihrer Arbeit, ihrer Faszination für das Leben der Bienen und auch ihrer Abhängigkeit von bestehenden Systemen - nicht viel gemeinsam haben. Wir sind auf drei Kontinenten und werden in drei Familiengeschichten involviert, die zeitlich weit auseinanderliegen. Mit William erleben wir eine Blütezeit, eine Zeit voller Aufschwung und erfahren einiges über das Leben der Bienen. Mit George sind wir mitten in der Krise angelangt, in einer Gegenwart gefangen, die keine positive Prognosen für die Zukunft bieten kann und mit Tao reisen wir in eine beängstigend realistisch anmutende Zukunftsvision, die für Beklemmung sorgt.

Meine Meinung:
"Die Geschichte der Bienen" hat mich mit der komplexen Idee von drei lose zusammenhängenden Strängen und Zeitebenen, sowie mit den sehr unterschiedlich entworfenen Ausgangslagen der jeweiligen Protagonisten für sich einnehmen können. Die kurzen Kapitel, die abwechslungsweise von Erzählstrang zu Erzählstrang springen und dabei dank klaren Kapitelüberschriften und fortlaufend mit dem Namen des aktuellen Protagonisten beschrifteten Seiten sehr übersichtlich bleiben, haben mich das Buch innerhalb weniger Tage verschlingen lassen. Wenn auch die Sprache zuweilen befremdlich nüchtern wirkt, haben mich die einzelnen Familiengeschichten, die allesamt eher dramatisch verlaufen und die wissenswerten, definitiv aufwendig recherchierten Informationen über die Bienenvölker und ihr Leben für sich einnehmen können.

Schreibstil:
Maja Lundes Sprache ist sehr schlicht, manchmal ein wenig monoton und oft ein wenig kindlich anmutend. Trotzdem schafft sie es, durchs Band eine sehr düstere Grundstimmung zu erzeugen, die nachdenklich stimmt und beklemmend wirkt. Vor allem die in der Zukunft spielende Handlung um die Arbeiterin Tao, deren Sohn um sein Leben bangt und deren eigene Existenz von strengen Regeln, Überwachung und Rationierung geprägt ist, bedrückt und zwingt zum Überdenken unserer eigenen aktuellen Lage. Wie geht es mit unserem Klima weiter? Wie viel Sorge tragen wir zu unserem Planeten und der Pflanzen- und Tierwelt? Welche kleinen Schritte können wir im Alltag tun, um zu verhindern, dass wir uns bald in einem solchen Alptraum wiederfinden?

Meine Empfehlung:
"Die Geschichte der Biene" ist definitiv keine leichte Kost, regt aber zum Nachdenken an, berührt und lässt gegen Ende doch ein wenig Hoffnung aufblitzen. Für die spannenden Familienportraits, die wissenswerten Exkursionen rund um das Leben der Bienen und der Bau von Bienenbeuten, sowie für die bedrückende Grundstimmung und die aussergewöhnliche Handlungsidee gibts von mir trotz der zeitweise ein wenig zu nüchternen und simplen Sprache eine ganz klare Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 18.06.2019

Da wäre mehr möglich gewesen...

Der Stalker (Ein Marina-Esposito-Thriller 2)
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Leseerlebnis:
"Der Stalker" hat mir auf den ersten fünfzig Seiten Gänsehaut und Mühe beim Einschlafen beschert. Die Grundidee und die Figur des Stalkers sind ausgereift und beängstigend. Insgesamt war ...

Leseerlebnis:
"Der Stalker" hat mir auf den ersten fünfzig Seiten Gänsehaut und Mühe beim Einschlafen beschert. Die Grundidee und die Figur des Stalkers sind ausgereift und beängstigend. Insgesamt war mir das Buch dann aber knapp zweihundert Seiten zu lang, weil eigentlich nach zwei Dritteln schon alles erledigt und aufgeklärt ist und nur noch einzelne Details mit wenigen Überraschungen hinzugefügt werden. Ausserdem strotzte das Buch nur so vor mangelhafter Polizeiarbeit und am Ende wurde definitiv zu sehr konstruiert und zu dick aufgetragen. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen, weshalb ich mich dann leider auch nicht mehr gruseln konnte und nicht mehr so gefesselt war von diesem Buch.

Schreibstil:
Trotzdem hat mir die Sprache grundsätzlich sehr gut gefallen, das Buch las sich sehr flüssig, einzelne der Figuren waren wirklich lebensecht dargestellt und die persönliche Geschichte inklusive Beziehungswirren zwischen der Profilerin Marina und ihrem Partner Phil hat mir sehr gut gefallen. Hätte ich den ersten Band lesen sollen? Ja, wenn ich noch ein wenig mehr über Marina hätte erfahren wollen. Der "Thriller" ist aber komplett in sich abgeschlossen und es sind - sofern ich das beurteilen kann - keine Spoiler zum ersten Band zu finden.

Fazit:
Schade, da wäre so viel mehr möglich gewesen, aber trotz einiger Kritikpunkte hat mir der Schreibstil gut gefallen und ich würde gerne mehr über Marina und ihre total spannende und so wichtige Arbeit erfahren. Vielleicht bei einem weiteren Band der Reihe?