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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 31.05.2024

Lest dieses Buch!

Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne
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Inhalt:
In diesem Erzählband finden sich Kurzgeschichten, in denen hingebungsvoll Doppelkopf gespielt und zukunftgeträumt, fatasiert, geliebt und vermisst wird und in denen ganz kleine Ziegen eine grosse ...

Inhalt:
In diesem Erzählband finden sich Kurzgeschichten, in denen hingebungsvoll Doppelkopf gespielt und zukunftgeträumt, fatasiert, geliebt und vermisst wird und in denen ganz kleine Ziegen eine grosse Rolle spielen. Wir begleiten viele charakterstarke Figuren in unterschiedlichen (manchmal mehr als einer) Phasen ihres Lebens und schliessen sie mit jeder Szene, jedem Satz mehr und mehr ins Herz. Das Was-wäre-wenn ihres Lebens stimmt nachdenklich und zuversichtlich und lässt uns das Buch am Ende mit einem Lächeln im Gesicht schliessen.

Meine Meinung:
Es ist kein Geheimnis, dass sich Stanišić schon vor Jahren in mein Herz geschrieben hat und dass ich seiner zugleich zart und leidenschaftlich beschreibenden Sprache, seinen Wortbildern sowie seinen liebevoll und mit einem Augenzwinkern beschriebenen Figuren einfach nicht widerstehen kann.
Vor allem die titelgebende Geschichte, die von einer Witwe handelt, welche der Liebe vielleicht doch noch einmal eine Chance geben möchte, hat mich tief berührt.

"Es ist wichtig zu wissen, warum man geliebt hat"
(S. 192)

Aber auch die Gedanken eines nach Deutschland geflüchteten ich-Erzählers namens Saša (Parallelen zum Autor sind natürlich vorgesehen) haben mich einige Male zum Schmunzeln und Träumen gebracht. Sein persönliches Was-wäre-wenn ist von einer Flucht aus einem Krieg, von neuen Freundschaften und der Liebe zum Erzählen geprägt.

"Ich mochte nicht, dass wir die Anwesenheit unserer Körper in diesem Land permanent erklären mussten. Ich mochte nicht, dass ich wegen einer Sprache, die ich unvollständig sprach, behandelt wurde, als wäre ich unvollständig."
(S. 206)

Jede dieser Geschichten habe ich aufgesogen, sie sind so tröstlich und humorvoll, sie zeigen die verschiedensten Schattierungen von Beziehungen und Freundschaften auf. Ausserdem wecken sie die Sehnsucht nach Helgoland, nach dem Reisen, dem sich Verlieben und dem Ankommen.

Meine Empfehlung:
Ich kann es kaum erwarten, weitere Texte des Autors zu entdecken und bin einmal mehr begeistert von seiner Erzählkunst. Lest dieses herzerwärmende, sehnsüchtig und zugleich positiv stimmende Buch!

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Veröffentlicht am 28.05.2024

Ein wenig träge aber gut erzählt

Florence Butterfield und die Nachtschwalbe
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Inhalt:
Florence Butterfield - Florrie - blickt zurück auf ein bewegtes Leben, auf die Geschichte ihrer Familie, ihrer Freundschaften und ihrer Beziehungen. Dies tut sie mit siebenundachtzig Jahren in ...

Inhalt:
Florence Butterfield - Florrie - blickt zurück auf ein bewegtes Leben, auf die Geschichte ihrer Familie, ihrer Freundschaften und ihrer Beziehungen. Dies tut sie mit siebenundachtzig Jahren in einer wunderschönen Altersresidenz. Ein tragischer Unfall, der Fenstersturz ihrer geschätzen Heimleiterin in einer Gewitternacht, erschüttert die Bewohnenden und lässt Florrie und ihren guten Freund Stanhope nicht mehr los. War es doch kein Unfall? Und wer hatte seine Hände im Spiel?

Meine Meinung:
Dieses Buch habe ich von der lieben Irene vom Blog Igelabooks erhalten. Danke Irene!!
Vor allem der Anfang dieses Buches hat mich begeistert, die spannende Lebensgeschichte von Florrie hat mich unterhalten und beeindruckt und obwohl diese Geschichte fiktiv ist, schwingt beim Lesen immer auch der Gedanke mit, dass Menschen, die auf das Ende ihres Lebens zugehen, ja so viel zu erzählen hätten, wenn man ihnen nur zuhören würde.
Ein paar Längen haben mich gelangweilt, aber die Auflösung hat mich dann wieder mit dem Buch versöhnt und ich werde die Autorin auf jeden Fall im Auge behalten.

Schreibstil und Aufbau:
Einige Ereignisse in Florries Alltag lassen sie in die Vergangenheit schweifen und sie an ihre grosse Liebe, Schwärmereien, Träume, ihre beste Freundin und ihre Familie denken und so erfahren wir, welche düsteren Geheimnisse unsere Protagonistin mit sich herumträgt, welche Tragödien sie überlebt hat und welchen Menschen sie begegnet ist.
Dieser Vergangenheitsstrang hat mir persönlich sehr viel besser gefallen, als der ein wenig träge dahinfliessende Gegenwartsstrang. Auch wenn Fletcher die Figuren in der Residenz mit viel Charme, Humor und Wohlwollen beschreibt.

Meine Empfehlung:
Obwohl sich die Handlung eher gemächlich entwickelt und einem Durchhänger in der Mitte, habe ich die bewegte Lebensgeschichte von Florrie sehr gerne gelesen und war gespannt auf die intelligent verpackte Auflösung der Geschichte. Trotzdem hätte ich mir den Gegenwartsstrang ein wenig spannender und ereignisreicher gewünscht, der Vergangenheitsstrang hatte es nämlich durchaus in sich. Wer in Florries Welt eintauchen will und ein wenig Geduld hat, ist mit dieser Geschichte aber sehr gut beraten.

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Veröffentlicht am 27.05.2024

Voller Liebe und Zartheit aber auch bitterböse und humorvoll erzählt, ein Lesevergnügen

Der Zopf meiner Großmutter
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Inhalt:
Der kleine Max kommt mit seinen Großeltern von Russland nach Deutschland. Er wird von seiner Großmutter als krank und unterentwickelt angesehen und dargestellt und deshalb stets von ihr umsorgt, ...

Inhalt:
Der kleine Max kommt mit seinen Großeltern von Russland nach Deutschland. Er wird von seiner Großmutter als krank und unterentwickelt angesehen und dargestellt und deshalb stets von ihr umsorgt, behütet, gepflegt und gefüttert. Er ist ihre einzige Aufgabe und während sie sich mit dieser intensiven (aber eigentlich komplett unnötigen) Pflege ihres Enkels vor dem Frust über die neue Lebenssituation drückt, wird der Großvater still und stiller und verliebt sich neu, was die Situation aller verändert. Als alles aus den Fugen gerät, ist es ausgerechnet Max, der die Familie mit Sanftheit und Verständnis zusammenhält.

Meine Meinung:
"Baba Dunjas letzte Liebe" von Alina Bronsky hat mich vor ein wenig mehr als zwei Jahren bestens unterhalten und tief berührt und deshalb war ich ganz glücklich, ein weiteres Buch der Autorin lesen zu dürfen. Ich habe es im offenen Bücherschrank gefunden und jetzt innerhalb von wenigen Tagen verschlungen.
Besonders gut gefallen hat mir der leichte, unterhaltsame Stil, der aber immer wieder bitterböse beschreibt und spüren lässt, weshalb es Max in seiner Familie so schwer hat. Die Großmutter definiert sich nämlich ausschliesslich über ihn und seine scheinbare Schwäche, sie macht ihn zu ihrem Projekt, sie stellt sich als seine einzige Rettung dar und schränkt ihn ein, wo sie nur kann. Und trotzdem hat sie mein Mitleid geweckt, weil sich zwischen den Zeilen noch ganz eine andere Geschichte entwickelt. Eine Geschichte von einem grossen Verlust, vom Verlassen der Heimat, vom Vermissen und der Einsamkeit.
Max, der in seiner unschuldigen Sprache erzählt, wie sein Alltag aussieht und wie die Dinge sich um ihn herum entwickeln, hat es mir angetan und seine pragmatische Art passt einfach so gut in diese Geschichte. Obwohl er nicht immer versteht, was um ihn herum geschieht und was die Erwachsenen alles mit sich herumtragen, so ist er in den wichtigen Momenten für sie da und geht doch auch mehr und mehr seinen eigenen Weg.

Meine Empfehlung:
Bronsky versteht es auch in diesem Roman meisterhaft, ihre Charaktere ganz einzigartig, schrullig und anstrengend aber dennoch auch liebenswert zu skizzieren. Sie übertreibt masslos, schreibt mit Witz und Charme und lässt zugleich viel Verständnis für die kleinen und grossen Dramen im Leben ihrer Figuren aufkommen. Das kleine Büchlein empfehle ich euch sehr herzlich weiter und freue mich schon sehr auf weitere Texte der Autorin.

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Veröffentlicht am 18.05.2024

Mitten aus dem Leben gegriffen, eindringlich und sanft erzählt

Welches Königreich
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Inhalt:
Ein drückend heisser Sommer, von der Hitze und von Medikamenten aufgedunsene Körper, träge Routinen, langsam verstreichende Tage und sechs in einer Psychiatrie lebende junge Menschen. Für sie ist ...

Inhalt:
Ein drückend heisser Sommer, von der Hitze und von Medikamenten aufgedunsene Körper, träge Routinen, langsam verstreichende Tage und sechs in einer Psychiatrie lebende junge Menschen. Für sie ist jeder Tag ein Neuanfang, eine neue Chance, ein neuer Versuch. Der Schwere ihres Alltags werden zuweilen äusserst humorvolle Unterhaltungen und Gedankengänge gegenübergestellt, mitten aus dem Leben gegriffen und äusserst sensibel erzählt.

Meine Meinung:
Eigentlich wollte ich mich mit Rezensionsexemplaren zurückhalten, aber die Beschreibung sowie die äusserst kluge und ansprechende Gestaltung haben mein Interesse geweckt. Auf wenigen Seiten lässt Gråbøl ihre namenlose Erzählerin zu Wort kommen, ganz tief in die Gedanken einer Gruppe von in einer Psychiatrie lebenden Menschen blicken. Probleme beim Einschlafen aber auch die Schwierigkeit, an jedem Morgen wieder aufzustehen und neu zu beginnen, sich selber am Leben zu halten und in einen geordneten Alltag und eine Gruppe einzufügen werden eindringlich erzählt. Gråbøl springt mitten in die Szene, es gibt keine Vorgeschichte.

Aufbau und Sprache:
Gråbøls Sätze wirken wie feine, schnell dahinskizzierte Pinselstriche, die langsam ein buntes Bild erahnen lassen. Ihr Buch ist wie eine Momentaufnahme, nur wenige Tage aus einem ganzen Leben und doch stecken so viel Leben, Liebe, Schmerz, so viele Schichten und Gefühle in diesem kurzen Text. Ich bin begeistert und möchte mehr von diesem Stil, dieser Sanftheit und diesem grossen erzählerischen Geschick.

Meine Empfehlung:
"Welches Königreich" ist nicht nur äusserst klug und eindringlich erzählt, die Autorin hat auch eine feinfühlige Sprache gefunden, welche ihre Figuren begleitet, statt sie zur Schau zu stellen. Sie springt in die Szene hinein und verlässt sie ganz lautlos wieder, lässt uns nachdenklich und berührt zurück und weckt Lust auf mehr.

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Veröffentlicht am 08.05.2024

Wichtiger Roman, der gerne drastischer hätte sein dürfen

Und alle so still
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Inhalt:
Es ist scheinbar ein Tag wie jeder andere, aber einzelne Frauen legen sich in einem stillen Protest auf den Boden. Wir sehen Ruth im Zwiespalt zwischen ihrer Verantwortung als Krankenpflegerin ...

Inhalt:
Es ist scheinbar ein Tag wie jeder andere, aber einzelne Frauen legen sich in einem stillen Protest auf den Boden. Wir sehen Ruth im Zwiespalt zwischen ihrer Verantwortung als Krankenpflegerin und ihrer persönlichen Erschöpfung, Elin, die sehr wohlhabend aufgewachsen ist und als Influencerin arbeitet und Nuri, dessen Eltern nach Österreich gekommen sind, in der Hoffnung, sich ein neues Leben aufzubauen und der sich von schlecht bezahltem Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob rettet.
Wir lesen, wie die Menschen sich einander annähern, wie unsere Hauptfiguren sich kennenlernen, wie sie zusehen, wie alles zu entgleiten droht und welche Lösungen sich vielleicht daraus ergeben könnten.

Meine Meinung:
Natürlich wusste ich, worauf ich mich in etwa beim Lesen einlassen würde, an diesem Buch kommt man ja seit Wochen nicht mehr vorbei, aber ich hatte Rezensionen und Beschreibungen bewusst bloss überflogen, um mich ganz auf das Buch einlassen zu können. Ich bin sehr gut in die Geschichte gekommen und habe vor allem Ruth sofort ins Herz geschlossen. Fallwickl hat sich ausführlich mit der Arbeit im Gesundheitssystem auseinandergesetzt und dies wunderbar in die Figur und die Beschreibungen einfliessen lassen. Ruth war es auch, die mich wirklich zu Tränen gerührt hat und deren Umgang mit der Situation mich am stärksten beeindruckt hat. Mir hat aber auch sehr gut gefallen, dass Fallwickl mit Nuri einen ebenfalls vom System benachteiligten Mann, einen Menschen mit Migrationshintergrund, der weit unter dem Existenzminimum (über-)lebt und seine Ausbildung abgebrochen hat, um Geld verdienen zu können, portraitiert. Der Roman zeigt auf, dass eben nicht nur Frauen von vorherrschenden Strukturen benachteiligt werden, sondern dass gesamthafte Lösungen uns allen helfen würden.

Sprache und Aufbau:
In gewohnt sehr detailliert und poetisch beschreibender Sprache entwickelt Fallwickl diese Geschichte und springt einfach mitten in die Szene hinein. Dies hat mir persönlich sehr gut gefallen. Wir alle wissen, was Sache ist, ein überlastetes System bricht zusammen, die Menschen, die es mit letzter Kraft zusammenhalten, brechen zusammen und eine Lösung dafür gibt es nicht oder zumindest nicht über Nacht. Nach und nach wurde die Geschichte zäh und zäher und die Dialoge wirkten für mich immer theatralischer. Hier hätte ich mir mehr Schlichtheit aber auch mehr Schlagkraft gewünscht. Ich bin aber sehr froh, dass Fallwickl dem Grundsatz treu geblieben ist, positive, von Liebe geprägte und unterstützende Beziehungen zwischen Frauen darzustellen.
Das Ende des Romans habe ich mit eher gemischten Gefühlen erwartet, wusste ich doch, dass es aus der im Roman mit den sich hinlegenden Frauen überspitzt dargestellten Situation nicht wirklich einen Ausweg geben würde. Fallwickl hat aber einen guten, sehr passenden und eher offenen Schluss für diese Geschichte gefunden und insgesamt haben mich natürlich vor allem der Inhalt, aber auch der Aufbau und die Sprache sehr überzeugt.

Meine Empfehlung:
Lest ihn, den feministischen Roman der Stunde. Lasst euch ein auf dieses was-wäre-wenn-Gefühl, fühlt euch getragen von weiblicher Solidarität und Liebe, von der Hoffnung auf eine Gesellschaft, die zusammenspannt. Diskutiert dieses Buch, kritisiert es, wenn ihr mögt, zieht eure Lehren daraus und transportiert dann positive, unterstützende Gefühle aber auch viel Aktivismus in euer Umfeld, eure Freund*innenschaften und eure Familien.

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