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Veröffentlicht am 20.01.2023

Super recherchiert und geschrieben, sehr empfehlenswert

Die letzten Männer des Westens
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Tobias Ginsburg hat sich in die Höhle des Löwen gewagt und berichtet in seiner Reportage eingehend darüber. Nun ist vieles für Interessierte bekannt und trotzdem ist dieses Buch sehr empfehlenswert, denn ...

Tobias Ginsburg hat sich in die Höhle des Löwen gewagt und berichtet in seiner Reportage eingehend darüber. Nun ist vieles für Interessierte bekannt und trotzdem ist dieses Buch sehr empfehlenswert, denn es ist nicht nur sorgfältig recherchiert, sondern auch nachvollziehbar geschrieben.

Schön herausgearbeitet ist der Weg, den Ginsburg genommen hat. Angefangen bei deutschen Burschenschaften über die so genannte Neue Rechte rein in die "Mitte der Gesellschaft". Frauenhass bildet eine Basis, die eben - leider - nicht nur Rechtsextreme vereint, sondern eine Brücke bildet, durch die sich der Diskurs nach rechts verschiebt.

Ginsburg hat sich direkt zu den Akteuren gewagt, hat sich mit ihnen verbrüdert, um an Informationen zu gelangen, hat versucht, die Ursachen des (Frauen-) Hasses herauszufinden, ist verzweifelt, hat sich vor sich selbst geekelt, hat immer wieder auch die Menschen hinter dem Hass gesehen und sich gefragt, wie der damit umgehen soll. Das sind ganz menschliche Regungen und ich bin froh, dass er sie auch in seinem Buch beschreibt, denn dadurch wird es erlebbar.

Allerdings stehen die Fakten im Vordergrund und die sind erschreckend. Wird von Politikern und Sicherheitsbehörden gern immer wieder auf "Einzelfälle" verwiesen, findet Ginsburg ein (teilweise lose verbundenes) Netzwerk vor, dessen Ziel es ist, nicht nur den Diskurs nach rechts zu verschieben, sondern auch viele gesellschaftliche Errungenschaften rückgängig zu machen. Das fängt bei Abtreibungsrechten an, hört da aber noch lange nicht auf.

Interessant ist diesbezüglich auch, wie willig sich insbesondere Konservative vor diesen reaktionären und hasserfüllten Karren spannen lassen. Und hasserfüllt, das wird klar herausgearbeitet von Tobias Ginsburg, sind die Menschen, die von der insbesondere konservativ-christlichen Politik gerne mal als "besorgte Bürger" bezeichnet werden.

Wie dem auch sei: Was das Buch auch sehr gut herausarbeitet, ist der Kampf, der sich aus dem Frauenhass ergibt: Einerseits der Angriff auf die bereits errungenen Fortschritte (Frauenrechte, queere Rechte, Rechte der Menschen mit Behinderungen und so weiter), andererseits die Verteidigung seitens derer, denen die errungenen Rechte wieder genommen werden sollen.

Tobias Ginsburgs Buch ist auch dann erschreckend, wenn man sich bereits mit der Thematik beschäftigt hat. Und auch wenn es keine leichte Lektüre ist, empfehle ich das Buch dringend weiter, denn es ist nicht nur gut recherchiert und gut geschrieben, sondern arbeitet wie gesagt heraus, wie scheinbar grundverschiedene Strömungen ineinanderfließen.

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Veröffentlicht am 30.11.2022

Emotional mitreißende Dystopie

Unsre verschwundenen Herzen
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Der Roman, der mich dieses Jahr am meisten mitgenommen hat, stammt von Celeste Ng. Ihr Werk "Kleine Feuer überall" stand schon lange auf meiner Wunschliste, gelesen habe ich nun aber ihren aktuellen Roman ...

Der Roman, der mich dieses Jahr am meisten mitgenommen hat, stammt von Celeste Ng. Ihr Werk "Kleine Feuer überall" stand schon lange auf meiner Wunschliste, gelesen habe ich nun aber ihren aktuellen Roman "Unsre verschwundenen Herzen".

Es gibt einiges, was man an dem Roman - der als Dystopie eingestuft wird - kritisieren kann. "Warum handelt Margaret so und nicht anders, warum nimmt sie dieses und nicht jenes?" "Mir ist das zu konstruiert." Und so weiter. Klar, kann man machen. Und ich würde den jeweils genannten Punkten sogar zustimmen. Nur ist das für mich nicht der Kern des Romans. Oder anders gesagt: Wenn man den Roman nicht an sich ranlässt, wird man diese Punkte derart kritisieren, dass man am Ende nichts mit ihm anfangen können.

Wer sich emotional auf Bird und Margaret einlässt - und mich haben beide schon auf den ersten Seiten in ihren Bann gezogen -, der wird auf eine emotionale Achterbahnfahrt geschickt.

Dabei ist die Dystopie, in der Bird und Margaret leben, gar nicht so weit weg. Rassismus (in diesem Roman gegen Chinesen im besonderen und asiatisch-stämmige Personen im allgemeinen) ist nicht nur in den USA seit Jahrzehnten ein ernstzunehmendes Problem.

Ng präsentiert die USA als eine Nation, die im Zuge einer mehrjährigen Krise Chinesen als das Problem herbeigeredet bzw. -geschrieben hat und mit PACT eine Art "Patriotismus-Gesetz" zum Kampf gegen unpatriotische Umtriebe erlassen hat. Gar nicht so weit weg von der Realität, nicht wahr? Auch nicht weit von der Realität entfernt: Wie der Rassismus gegen asiatisch gelesene Menschen immer offener und brutaler ausgelebt wird, wie die Berechtigungen der Behörden im Kampf gegen "unpatriotische Umtriebe" immer mehr ausgeweitet werden, wie irgendwann selbst subtile Kritik an PACT hart bestraft wird.

Vieles von dem, was Ng in dem Roman ersonnen hat, fußt auf der Realität. Das macht gute Romane und Dystopien aus. Sie lassen uns mitfiebern, lassen uns hoffen, der Roman möge ein gutes Ende nehmen, lassen uns nachvollziehbar werden, was da überhaupt vor sich geht.
Im Zentrum steht bei "Unsre verschwundenen Herzen" aber das emotionale Band zwischen Bird und Margaret - und all der Eltern zu ihren verlorenen Kindern und umgekehrt - und deshalb halte ich den Begriff Dystopie für irreführend, was diesen Roman betrifft.

Mich hat "Unsre verschwundenen Herzen" wie bereits erwähnt schon mit den ersten Seiten mitgenommen. Ich fühlte mich mit Margaret und Bird - mit ihrer Liebe zueinander - von Anfang an verbunden. Und wie Ng immer wieder PACT und dessen Auswirkungen bis in die engsten Winkel des Privaten beschreibt und wir so nach und nach das Puzzle und vor allem das Ausmaß des Ganzen begreifen, hat mir sehr gefallen. Der Blick Celeste Ngs ist auf Amerika gerichtet, aber ihre Geschichte ist universell und angesichts der weltweiten Entwicklungen sollte der Roman auch für uns in Europa eine Warnung sein.

Und dann ist da der Kern des Roman - zumindest meiner Meinung nach: den Menschen zu gedenken, die Opfer geworden sind sowie denjenigen, die sich gewehrt haben, im Kleinen wie im Großen. Das ist das, was ich mitgenommen habe: dass die Opfer und Wehrhaften unsere Stimmen und unsere Erinnerungen brauchen, dass sie nicht vergessen werden dürfen.

Für mich ist "Unsre verschwundenen Herzen" ein sehr intensives Erlebnis gewesen, das auch jetzt noch nachhallt und auch noch einige Zeit nachhallen wird.

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Veröffentlicht am 15.11.2022

Macht Lust auf mehr!

In 80 Büchern um die Welt
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"In 80 Büchern um die Welt" erschien ursprünglich in England, war also vor allem an ein englisches Publikum gewandt. Das macht sich bei der Wahl der gewählten Bücher durchaus bemerkbar. Da wären wir auch ...

"In 80 Büchern um die Welt" erschien ursprünglich in England, war also vor allem an ein englisches Publikum gewandt. Das macht sich bei der Wahl der gewählten Bücher durchaus bemerkbar. Da wären wir auch schon beim ersten Kritikpunkt: Ich hätte mir alles in allem mehr Diversität bei den ausgewählten Autor*innen gewünscht. Zwar fanden auch die Bücher asiatischer, südamerikanischer und afrikanischer AutorInnen Einzug, im Verhältnis sind sie aber - gerade bei den Klassikern - unterrepräsentiert.

Grundsätzlich ist die Auswahl aber gelungen. "In 80 Büchern um die Welt" behandelt Bücher, die sich ums Reisen drehen. Viele kennt man schon, hat einige sicherlich bereits schon gelesen - und doch ist dieses Buch definitiv eine Empfehlung wert.

Warum empfehle ich es? Zum einen ist natürlich der Ansatz schön, nur Bücher zu besprechen und vorzustellen, die in irgendeiner Form das Thema "Reise" behandeln. Zum anderen haben es die Texte zu den jeweiligen Büchern - so sachlich-trocken sie auch teilweise sein mögen - in mir immer wieder die Lust geweckt, sie (noch einmal) zu lesen. Wenn ein Sachbuch das schafft, dann ist es definitiv eine Empfehlung wert.

Zum anderen ist das Buch toll bebildert. Klassische Ausgaben werden genauso gezeigt wie historische Bilder (Fotos, Gemälde etc.), die zum besprochenen Roman passen. Mir haben somit nicht nur die Texte sehr gefallen, sondern auch die dazu sehr passende Bebilderung.

Der Preis ist mit 29 Euro verhältnismäßig hoch angesetzt, lohnt sich aber meiner Meinung nach, weil man ein fundiertes und interessantes Sachbuch erhält, das sich außerdem super als Geschenk eignet.

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Veröffentlicht am 02.11.2022

Herrlich abgefahrenes Roman-Debüt

Der Boulevard des Schreckens
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Moritz Hürtgens "Boulevard des Schreckens" lässt sich gar nicht so leicht kategorisieren. Der Roman beginnt wie eine ganz normale Satire und entwickelt sich dann langsam, aber stetig zu einem der abgefahrenen ...

Moritz Hürtgens "Boulevard des Schreckens" lässt sich gar nicht so leicht kategorisieren. Der Roman beginnt wie eine ganz normale Satire und entwickelt sich dann langsam, aber stetig zu einem der abgefahrenen Romane, die ich je gelesen habe - eine wilde Mixtur aus Satire, Gesellschaftskritik, Krimi, Fantasy und Horror. Und obwohl diese Mischung total wild ist, funktioniert sie wundersamer- und wunderbarerweise.

Moritz Hürtgen kenn ich vor allem durch Twitter. Dort bin ich ihm einige Zeit gefolgt, bis ich Twitter verließ. Er ist aber vor allem Chefredakteur der Satirezeitschrift "Titanic". Zumindest war er das bisher. Er scheint seinen Job bei der Titanic (zumindest laut Klappentext des Romans) abzugeben, um sich auf seine Schriftsteller-Karriere zu konzentrieren.

Tatsächlich war für mich Hürtgens Roman-Debüt nicht wegen seines Bekanntheitsgrades interessant, sondern deshalb, weil es beim Kunstmann-Verlag, den ich sehr schätze, erschienen ist. Dadurch, dass er bei Kunstmann erschienen ist, war mir klar, dass der Roman definitiv lesenswert ist.

Wie gesagt beginnt der Roman in ziemlich normalen Bahnen: Martin Kreutzer ist Volontär bei einer großen Tageszeitung. Die Einladung zu einer Redaktionskonferenz nutzt er, ein Interview mit dem bekannten Künstler Lukas Moretti zu versprechen. Es kommt, wie es kommen muss: Moretti will Martin Kreutzer natürlich kein Interview geben, so dass dieser sich gezwungen sieht, ein gefälschtes Interview abzuliefern. Dummerweise stirbt Moretti, während Kreutzer, das Interview ersinnt und abschickt. Was danach folgt, ist die oben bereits erwähnte wilde Mischung.

Mir hat Moritz Hürtgens Roman sehr gefallen. Man kann da natürlich viel reininterpretieren. Das dürfte Hürtgen auch ziemlich bewusst so gestaltet haben. Mich hat der Roman aber vor allem - auch ganz ohne ständige Interpretation - unterhalten. Vor allem hat mich bis zum Ende beschäftigt, was genau da eigentlich passiert. Träumt Kreutzer? Ist es eine Fieberphantasie? Steht er unter dem Einfluss von Drogen? Was zum Teufel geht da ab? Das alles ist auf ungewöhnliche Weise unterhaltsam und spannend.

Tatsächlich ist "Boulevard des Schreckens" aber auch eine ziemlich bissige Gesellschaftskritik, dabei wenig subtil in ihren Verweisen auf bekannte Zeitungen und Zeitschriften bzw. die dazu gehörigen Medienhäuser, Querdenker und "besorgte Bürger" tauchen ebenso auf wie koksende Chefredakteure, korrupte (bayrische) Politiker und fliegende verbrannte Forellen.

Ich habe nicht die leiseste Ahnung, ob Hürtgen sich eine Verfilmung des Romans erhofft, anbieten würde sich "Boulevard des Schreckens" definitiv. Einige von Hürtgen beschriebene Szenen sind so prägnant, dass ich sie gerne auf der großen Leinwand sehen würde.

Wie dem auch sei, "Boulevard des Schreckens" ist bissig, unterhaltsam und von meiner Seite empfehlenswert für all jene, für die Gesellschafts- und Medienkritik spaßig-irr sein darf.

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Veröffentlicht am 20.10.2022

Teilweise sehr witzig, sehr gute Unterhaltung

Dog Donator
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"Dog Donator - Kein Fux im Kaninchenkittel" von Fritz Schneider hat mich prächtig unterhalten.

Auch wenn ich der Einordnung in die Kategorie "Thriller" (ein bisschen versteckt auf dem Cover des Buches) ...

"Dog Donator - Kein Fux im Kaninchenkittel" von Fritz Schneider hat mich prächtig unterhalten.

Auch wenn ich der Einordnung in die Kategorie "Thriller" (ein bisschen versteckt auf dem Cover des Buches) nicht zustimme - ich stufe das Werk eher als Kriminalkomödie ein -, hatte ich von Anfang an meinen Spaß.

Schon das Cover stimmt super auf den Inhalt des Buches ein: Wer nach Betrachtung des Bildes auf Vorder- und Rückseite des Buches noch an einen bierernsten Thriller glaubt, der wird dann wahrscheinlich enttäuscht werden. Alle anderen bekommen aber das, was das Bild schon andeutet: Eine unterhaltsame, teilweise skurrile Kriminalkomödie, die zwar nicht besonders subtil ist, aber eine Menge Spaß bereitet.

Dabei ist die Thematik eigentlich bierernst: Der so genannte Dog Donator entführt Hunde von vermögenden Sylt-Besucher/innen und erpresst diese. Allerdings will er das Geld nicht für sich, sondern fordert die Erpressten auf, das Lösegeld für die Hunde an NGOs zu spenden, die er selbst ausgesucht hat. Die jeweils Erpressten haben reichlich (Umwelt-) Dreck am Stecken, was durch die bezahlten Summen wenigstens ein bisschen kompensiert werden soll, wenn es nach dem Dog Donator geht. Allerdings ufert alles aus, als ein Pärchen sich quer stellt und das Lösegeld nicht zahlt.

So ernst die Thematik ist, so unterhaltsam und oft witzig wird sie präsentiert. Die Sympathien sind eindeutig verteilt. Die Charaktere sind teilweise stark klischeehaft, wobei mich das nicht im Geringsten gestört hat, weil der Roman an sich so überzogen ist, dass mich differenziert ausgearbeitete Charaktere wahrscheinlich eher gestört hätten. Es hätte nicht gepasst.

Für einen Thriller hat mir letztlich die Spannung gefehlt, das Mitfiebern, obwohl Schneider es geschafft hat, ziemlich lange offen zu lassen, wer denn nun der Dog Donator ist. Das ist eine Leistung, die nicht viele schaffen.

Obgleich Fritz Schneider von Anfang an ein gutes Erzähltempo an den Tag legt, schafft er es im Finale tatsächlich, das Tempo noch einmal anzuziehen. Auch das hat mir gefallen.

Wichtig ist mir auch, dass mich "Dog Donator" sprachlich überzeugt hat. Es macht Spaß, das Buch zu lesen, weil Fritz Schneider nicht versucht, sprachlich zu imponieren. Dafür hat das Buch eine Häufung von Wortspielen und popkulturellen Verweisen, die ihresgleichen sucht. Und wie der Rest des Buches sind auch die nicht unbedingt subtil, machen aber Laune.

Warum reicht es nicht für die volle Punktzahl? Zum einen schreibt Fritz Schneider zwar super, es gab aber einzelne Stellen, die doch etwas holprig wirkten. Zum anderen war es das Ende des Romans, das mich zwar nicht runtergezogen hat, das mir aber zu unrealistisch war. Da sind die Sympathien mit Fritz Schneider durchgegangen. Es sei ihm gegönnt, denn es ist sein Buch, es ist seine Geschichte und er kann darin tun und lassen, was und wie es ihm gefällt. Mich persönlich hat das Ende nicht überzeugt.

Der Epilog dagegen hat mich gepackt. Er ist wunderbar herzlich geschrieben; eine kurze Bitte an die Leser/innen und ein knackiges Statement, wenn man so will.

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