Konnte mich nicht überzeugen
Der VertrauteSchreibstil:
Ich habe schon Bücher der Autorin gelesen und doch war es hier nochmal eine ganz andere Erfahrung. Zwar ließ sich alles flüssig lesen und ich mochte den düsteren Charakter, den die Erzählung ...
Schreibstil:
Ich habe schon Bücher der Autorin gelesen und doch war es hier nochmal eine ganz andere Erfahrung. Zwar ließ sich alles flüssig lesen und ich mochte den düsteren Charakter, den die Erzählung hatte, aber im Vergleich zu den anderen Büchern konnte ich hier vieles nicht richtig greifen. Der eher sachliche, ruhige Schreibstil hat dies nicht positiv beeinflusst, sondern mich über lange Strecken im Nichts gehalten. Das fand ich sehr schade. Dazu kam, dass die Mundart nicht zu dem Zeitalter passte. Das hätte ich für so ein historisches Setting authentischer gefunden.
Zur Geschichte allgemein:
Ich muss ehrlich gestehen, dass ich ohne Erwartungen an die Story gegangen bin und dann überrascht war, wie schwer es mir gefallen ist, in die Geschichte einzusteigen. Es sind erst einmal unheimlich viele Namen, die sich teilweise auch noch sehr ähnlich klingen, eine Protagonistin, die sich durch nichts besonders auszeichnet und ein Setting, dass zwar historisch interessant ist, aber nicht besonders ausgeschmückt wird. So habe ich sage und schreibe 200 Seiten gebraucht, um das erste Mal den „Sog der Geschichte“ zu spüren. Davor war es ein dahinplätschern.
Aber von Anfang an: Lucia ist eine Bedienstete in einem Herrenhaus in Spanien im 15. Jahrhundert. Sie wird als hässlich, dumm und einfältig dargestellt und es wird zudem noch herausgestellt, dass sie Jüdin ist. Da wir vornehmlich aus ihrer Perspektive lesen, konnte man aber nichts davon so richtig fassen. Sie wirkte nie dumm, dafür aber sehr verschwiegen den Leser:innen gegenüber. Ich konnte sie überhaupt nicht einschätzen und war auch nicht wirklich neugierig darauf, etwas zu erfahren, weil keine Andeutungen auf ein „Mehr“ gegeben waren.
Neben Lucia treten dann noch viel mehr Figuren auf, die alle mehr oder minder wichtig für die Geschichte sind. Es ist anfangs wirklich schwer, alle richtig einzuordnen, weil einige auch erwähnt werden und dann erst dreihundert Seiten später das nächste Mal auftauchen. Es war also eigentlich ein großes Durcheinander, in dem niemand so richtig interessant und fassbar war. Dazu kommt, dass es viele Perspektivwechsel gibt, die genau die Stimmen, dieser scheinbar unwichtigen Personen aufnehmen und uns ihre Seite der Geschichte erleben lassen.
Zum Glück wird dieses Wirrwarr mit der Zeit immer besser verständlich. Wie gesagt, nach ungefähr zweihundert Seiten steigt man langsam durch die Bedeutung all dessen und kann sich erstmals auf den Handlungsverlauf konzentrieren. Mir persönlich war diese „Einführungszeit“ so aber zu lang.
Besonders stechen ab dann Lucia als Hauptprotagonistin und Santangel, der Vertraute, hervor. Lucia selbst entwickelt sich rasant, nimmt uns aber nicht unbedingt mit in diesem Prozess. Sie wirkt Magie, bekommt auf einmal eine Schlüsselposition in der Geschichte, in der alle um sie herumschwirren, und deutet mehr und mehr an, dass sie mit viel Berechnung handelt. Diese Entwicklung an sich fand ich gut. Man hat endlich etwas gespürt: ihren unbedingten Willen, Freiheit zu erlangen. An diesem Ziel arbeitet sie konkret und beweist mehr und mehr, was sie dafür zu opfern bereit ist. Was ich nur schade fand war, dass man trotz allem keinen richtigen Zugang zu ihr bekam und vieles nur über sie las, ohne es ungesagt zu erkennen. Lucia wirkt, als stünde sie über der Handlung und hätte kein Interesse daran, uns Leser:innen daran teilhaben zu lassen. Das sorgt nicht unbedingt dafür, dass man sie sympathisch findet. Was dagegen ein wenig mein Herz erwärmt hat, war ihre Liebe für Santangel, die erst mit der Zeit entsteht, aber so ziemlich die einzige Konstante in der Geschichte ist, die einen mitfiebern lässt.
Santangel an sich ist wohl das Spannendste an der Geschichte. Er ist ein Vertrauter, vielleicht englisch ein familiar, jemand, der Magie kanalisiert und unterstützend zur Seite steht. Wem er zur Seite steht, ist der große Knackpunkt der Geschichte. Er verbirgt aber noch viel mehr Geheimisse und Sehnsüchte, die in der Beziehung zu Lucia ganz langsam und teilweise auch auf metaphorischer Ebene ans Licht kommen. Das fand ich tatsächlich ganz gut gemacht. Ein Slow Burn, wie man ihn sich passend für diese Zeit vorstellt und der sehr gut zur Szenerie und der allgemeinen Stimmung passte. So war die Beziehung der beiden für mich als einziges gut fassbar und hat mich gut unterhalten. Schade war in diesem ganze Konstrukt nur, dass der Begriff des Vertrauten nicht richtig erklärt wurde und nur auf vorausgesetztem Wissen fußte.
Das ist wohl auch das Grundproblem des ganzen Settings. Statt dass uns der historische Kontext erklärt wird und vielleicht auch eine Rolle spielt, bleibt es komplett im Hintergrund und nimmt quasi gar keinen Einfluss auf die Handlung. Auch fehlen sämtliche Beschreibungen zum Setting. So spielt alles vorrangig in den dunklen Häusern der Herrenhäuser und wenig an irgendeinem erkennbar historischen Ort. Das fand ich wirklich schade, weil man schon das Gefühl hatte, man würde den historischen Hintergrund komplett außer Acht lassen und befände sich in einem Fantasiekonstrukt abseits der wirklichen (intradiegetischen) Welt.
Einzig Lucias Zugehörigkeit zur jüdischen Konfession schien in Bezug auf den historischen Kontext nehmen zu wollen. Das hat aber nicht wirklich funktioniert, da auch hier sämtliche Erklärungen fehlten. Zudem hatte man nur begrenzt das Gefühl, dass Lucia sich überhaupt mit der Religion identifiziert. Es ist so wie mit allem, was Lucia betrifft: es wird über sie gesagt, aber man bekommt es nicht durch sie selbst zu spüren.
Und dann sind wir auch schon beim Thema Fantasy. Auch in dieses Genre wird das Buch eingeordnet und ja, es gibt definitiv Fantasieelemente. Das trickige an der Geschichte ist aber wohl, dass man die Grenzen und Möglichkeiten der Welt nicht definiert bekommt. Man hat keine verlässlichen Quellen darüber, wer Magie wirken kann und wer nicht und bis wohin Magie möglich ist. Stattdessen hat man Lucia, die definitiv irgendeine Art von Magie wirken kann sowie Santangel, der einem Fluch zum Opfer gefallen ist. An keiner Stelle im Buch konnte ich jedoch sagen: das müsste doch möglich sein oder das kann doch nicht möglich sein! Denn letztlich hatte ich keine Ahnung davon, was möglich ist und ob überhaupt noch irgendwer außer den beiden magisch ist. Meine Freundinnen fühlten sich von diesem Aspekt nicht so gestört, denn ja, die Grenzen der magischen Welt müssen nie komplett ausdefiniert sein. Immerhin will man sich ja auch überraschen lassen und Weiteres entdecken. Dadurch aber, dass man vielen „Magiewirkenden“ in dieser Geschichte nicht trauen kann und die Magie ohne Erklärung auf nur wenige beschränkt ist, hat man keinerlei Konstante, mit der man sich die Welt erklären kann. Dadurch rauschte auch dieser Aspekt wieder nur sehr unberührt an mir vorbei.
Ein eher typisches Fantasyelement dagegen ist das Turnier, an dem Lucia teilnehmen muss. Genau hier geht es um Magie und es wird schnell deutlich, dass Magie in diesem Rahmen stets Gott zugeschrieben und damit gedeckt wird. Was ich an sich ganz gut und sehr passend für die Zeit fand. Das Turnier selbst zeigte aber wieder wenig Raffinesse. Es wurde nicht richtig erklärt, Lucia stolperte eher zufällig dort hinein und mir fehlte bei so einem klischeehaften Element die neue Idee, die es spannend gemacht hätte.
So war es auch geradezu verrückt, wie das Turnier und damit fast die ganze Geschichte endete. Denn plötzlich wurden Figuren wichtig, die man noch gar nicht richtig kennengelernt hatte und war verstrickt in einen Komplott, der Motive abseits der Handlung um Santangel und Lucia enthielt. Mir war das alles recht weit hergeholt und durch die fehlende Anknüpfung an die Kerngeschichte auch nicht sehr überzeugend. Auch hier war ich wieder nur reine Beobachterin und habe mich letztlich gefragt, was mir das nun alles gebracht hat.
Das Ende passt dazu, denn letztlich hätte das Ergebnis auch jederzeit vorher entstehen können. Zudem hätte ich mir auch hier mehr Raffinesse gewünscht, denn alles, was die Geschichte besonders eindrücklich oder interessant hätte machen können, wurde hier einfach ignoriert. Stattdessen ist es ein Ende, mit dem man zufrieden sein kann, dass aber für mich nicht zur sonstigen Qualität der Autorin passte.
Nur eins kann man festhalten: Die „schlechten“ Figuren in diesem Buch bekommen ihr verdientes Ende, während die „guten“ Figuren eine positive Entwicklung durchmachen. Ein schwarz weiß Denken, dass zwar befriedigend ist, aber wohl sinnbildlich für die fehlenden Graufacetten dieser Geschichte steht.
Fazit:
„Der Vertraute“ und ich konnten nicht so richtig miteinander wahr werden. Erstens passten meine durch das Genre evozierten Erwartungen nicht zu dem tatsächlichen Inhalt der Geschichte und dann fehlte mir auch großteilig die Spannung und Detailverliebtheit. An vielen Stellen war es hinsichtlich der Charaktergestaltung, der Art und Weise des Erzählens und der Komplexität der Handlung meiner Meinung nach nicht ganz zu Ende gedacht, weshalb ich das Buch persönlich nicht unbedingt empfehlen kann.
3 von 5 Sterne von mir.