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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Definitiv unkonventionell und spannend!

Ich töte für dich
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Auf dem Buchdeckel wird dieses Buch als unkonventionell bezeichnet und dem würde ich absolut zustimmen – ich habe es fast in „einem Rutsch“ gelesen.

Es ist ein Buch ohne extreme Schilderung von stundenlangen ...

Auf dem Buchdeckel wird dieses Buch als unkonventionell bezeichnet und dem würde ich absolut zustimmen – ich habe es fast in „einem Rutsch“ gelesen.

Es ist ein Buch ohne extreme Schilderung von stundenlangen Folter- oder Gewaltexzessen, was ich als angenehm empfand (falls das jedoch jemand sucht, wäre er hier falsch). Der Clou der Handlung ist, dass Teile aus der Sicht eines Profikillers beschrieben werden – dieser wurde mir, auch aufgrund seines Ehrgefühls, dabei ehrlich gesagt ziemlich sympathisch. Alles in allem eine gelungene Idee mit einem völlig anderen Ansatz als sonst üblich.

Und als Denkaufgabe für diejenigen, die gerne über Hintergründe nachdenken: Die Autorin ist auch mit Sachbüchern zum Thema Mobbing vertreten – wie verhält sich Muriel im Roman, wie typisch ist dieses Verhalten – und dessen Außenwirkung – für jemanden in ihrer Situation? Meine eigene Meinung zu dieser und der aus Google gezogene Hintergrund der Autorin hatten mich nach der Lektüre noch zum Nachdenken gebracht. Was will man mehr von einem fesselnden Nachmittag?

Veröffentlicht am 15.09.2016

Das Rumänien Ceaușescus in den Achtzigern wird nachvollziehbar gemacht in starken Sätzen

Guter Mann im Mittelfeld
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In seinem Debütroman schildert der in Rumänien geborene und bis zur Flucht im Alter von 16 Jahren dort aufgewachsene Autor Andrei Mihailescu, wie ganz normale Durchschnittsbürger, nicht die Mächtigen und ...

In seinem Debütroman schildert der in Rumänien geborene und bis zur Flucht im Alter von 16 Jahren dort aufgewachsene Autor Andrei Mihailescu, wie ganz normale Durchschnittsbürger, nicht die Mächtigen und nicht die Ärmsten, die Diktatur unter Ceaușescu erlebten.

Seine Protagonisten Stefan und Raluca stellen zwei Seiten einer Medaille dar, die – anfänglich gut integriert, er als Journalist, sie als Architektin und Ehefrau eines aufstrebenden Parteimitglieds, mit dem System in Reibung geraten. Mihailescu arbeitet anhand der Handlung überdeutlich heraus, wie leicht es war, aufgrund der großen Willkür plötzlich unter Druck zu geraten – und wie fast unmöglich, diesem standzuhalten. Der Autor lässt seine beiden Figuren aus einer Grenzsituation eine Liebesbeziehung eingehen, von der aus sich die Handlung dann rasant fortentwickelt, spannend, aber kein Krimi. Er schafft es, viel Sachinformation leicht zugänglich als Erzählung zu verarbeiten.

Der Roman präsentiert in den ersten beiden Kapiteln das gleiche Geschehen aus zwei verschiedenen Blickwinkeln – wer sich darauf einlässt, wird mit einem tiefen Einblick in das Wesen der vollständigen Kontrolle des Systems durch eine „fiktive Abmachung“ mit den Mächtigen, eine Art Schere im Kopf. Das Buch liest sich insgesamt flüssig, dieser gerade erwähnte Rücksprung wieder zurück zum Anfang hingegen empfiehlt sich aufgrund seiner Komplexität jedoch durchaus für einen vergleichenden Rückgriff auf das bereits gelesene, eine kleine Schwäche. Wer sich jedoch auf diesen Rückgriff einlässt, wird belohnt.

Das Buch hat seine Stärken vielleicht nicht in den Metaphern, aber ganz sicher entfaltet es große Bildkraft in etlichen Kernsätzen und –absätzen, die beim Lesen zu weiteren Assoziationen geradezu zwingen und dadurch die Mentalität, die Situation überdeutlich greifbar machen. So entlarvt die Einstellung von Ralucas Ehemann, die Arbeit seiner Frau als Architektin sei zu intellektuell für das proletarische Ideal, schließlich solle sie nicht den ganzen Tag auf Baustellen mit Arbeitern verbringen, die Widersprüchlichkeit der üblichen Phrasen – die Arbeiter dürften wahrlich dem zitierten Ideal entsprechen. Und wie bemerkt Stefan zu dem verbreiteten vorauseilenden Gehorsam gegenüber der Partei „Wenn du hingegen denkst, du hättest mit ihnen eine Abmachung, dann sind sie in deinem Kopf" – ja, genau das gelingt dem Autor mit diesem Debüt, er gelangt direkt in den Kopf des Lesers, er macht nachdenklich – und neugierig auf mehr davon, sowohl von ihm, als auch von seinem Land. Den teils erhobenen Zeigefinger kann ich dabei sehr gut verschmerzen, da die Botschaften der Handelnden dem Leser nie moralinsauer oder herablassend übermittelt werden.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ich bin am Ende der Lektüre teils positiv überrascht, teils gespalten

Ein sterbender Mann
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Walser erzählt von einem geplanten Selbstmord. Vorangegangen ist der Verrat der Hauptperson durch den ehemals besten Freund - wobei nicht der Verrat als ursächlich für die Suizidabsicht geschildert wird, ...

Walser erzählt von einem geplanten Selbstmord. Vorangegangen ist der Verrat der Hauptperson durch den ehemals besten Freund - wobei nicht der Verrat als ursächlich für die Suizidabsicht geschildert wird, sondern die Tatsache, dass eine Welt, in der diese Handlung an der Hauptperson Theo Schadt möglich sei, für diesen nicht mehr lebenswert bleibe – und das, obwohl dieser Verrat nicht nur die persönliche, emotionale Ebene betrifft, sondern existentiell eine bedeutende Investition und Geschäftsgründung zum weitreichenden Totalverlust führt.

Jetzt möchte ich nicht Selbstmord an sich verteufeln - ich kann durchaus tödliche Krankheiten nachvollziehen, Depressionen, die Angst vor leidvollem Sterben - hier spielt sich jedoch der Zustand des persönlichen Affronts, des schlichten Beleidigtseins sehr in den Vordergrund. Existenzängste als Grund für einen Selbstmord werden von Theo Schadt selbst bestritten. Jedoch: Auch hier war ich noch bereit, zu folgen: ich hätte noch nachvollzogen, wenn es um ein „Leiden an der Schlechtigkeit der Welt an sich“ ginge; denn wer möchte ertragen wollen, wenn es um ihn herum nur Willkür gäbe, ohne Chance des Entkommens. Dann dachte ich mir, dass es natürlich nur immer um das gehen könne, was hier der einzelne empfindet, wolle man ihm nicht auch noch seine Individualität rauben, ihm nur eine quasi gesellschaftlich konform gehende Existenz zugestehen.


Sprachlich wurde ich in das Buch hineingezogen, zum Thema passend erschienen mir sowohl Briefroman als auch Ich-Erzähler. Walser erweitert das Thema, indem er parallel mehrere Briefromane laufen lässt, und wechselt vom Ich-Erzähler über ein sehr kurzes "Du" zum "Er". Das offen erklärte Ziel ist die Distanz, und auch wenn man sich als Leser über diesen Kunstgriff als aufgeklärt empfindet, wirkte das überraschend deutlich auf mich, ich blieb weiter am Ball. Verwundert nahm ich war, dass mich einzelne Passagen durchaus köstlich amüsierten, so die Preisverleihung an den früheren Freundes als Jahrmarkt der Eitelkeiten im Literaturbetrieb inklusive einer Lesung mit, ja, pseudo-poetischen schönen Worten ohne jeglichen erkennbaren Sinn. Ich mag nicht die einzige sein, die hier an Hape Kerkelings geniales "Hurz" dachte, Sinnfreies bierernst vorgetragen vor einer Zuhörerschaft, die unbedingt einen Sinn erkennen will; oder an Loriots "Krawehl, Krawehl".



Infolge geht das Geschehen dann doch sehr in die Meta-Ebene, wird durch die Tatsache, dass der Ich-/Er-Erzähler in einem " Thread" des Briefromans wohl mit sich selbst oder dem Autor kommuniziert quasi "Meta-Meta" - hinzukommt die ständige, fast zwanghaft wirkende dreifach-Wiederholung, zum Beispiel "ja, ja, jaaaa" sowie das Stilmittel, etwas auszusprechen, wieder zurückzuziehen, ja, eine Nicht-Beachtung durch das briefliche Gegenüber eloquent einzufordern, also "denk' nicht an einen rosa Elefanten"? Das ist sprachlich meisterhaft, als Stilmittel versiert - wirkt aber auf mich gerade im mittleren Teil zunehmend ähnlich selbstverliebt wie das vorhergetragene Leiden des "Sujets". Etwas „zu Meta“.



Und dann, gerade als ich schon fast bereit war zur Kapitulation nach einer seitenlangen Schilderung über einen Traum als Fortsetzungsgeschichte, auch aufgrund der von mir als immer anstrengender empfundenen Windungen der Sprache, deren Ziel ich dabei aus den Augen verlor, wieder Kleinode, „Ums Altsein“ ebenso wie die folgende sprachliche „Entknotung“, ja, teilweise Konkretisierung. Was am Ende der Lektüre bleibt, ist das Gefühl, sprachliche Meisterschaft ebenso erlebt zu haben, wie die Fähigkeit, im gleichen Text sowohl zu amüsieren, betroffen zu machen, den Leser hineinzuziehen – oder ihn mittendrin völlig zu verlieren, zu überfrachten mit stilistischen Mitteln. Bitte, mehr Walser – aber weniger „Walser um seines Walser-Seins willen“. Ein liebender Mann oder Ein fliehendes Pferd?

Veröffentlicht am 15.09.2016

Inspector Jury – Novel 1

Inspector Jury schläft außer Haus
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Rezension bezieht sich auf die Original-Ausgabe
"The Man with a Load of Mischief"

While enjoying his forthieth-birthday present to himself – the lecture of a precious edition of Rimbaud - at the inn “Jack ...

Rezension bezieht sich auf die Original-Ausgabe
"The Man with a Load of Mischief"

While enjoying his forthieth-birthday present to himself – the lecture of a precious edition of Rimbaud - at the inn “Jack and Hammer”, Melrose Plant also gets presented with the body of Rufus Ainsley who had spent the night at the inn until his untimely death. Just the day before, the body of equally non-local William Small had been found at “The [namegiving] Man with a Load of Mischief”.

This brings in Inspector Jury from Scotland Yard to investigate. Were the visitors perfect strangers to Long Piddleton, its inns and inhabitants? Richard Jury is talented in questioning in a way that makes people drop their veils, AND decidedly has managed to have kept his “inner child” alive which helps him along when questioning children; lovers of the more topical-oriented “The Mentalist” – TV series should enjoy him.

The inspector begins his tour around the villagers who had all been dining at the respective inns on the evenings of the murders. He is just busy talking with Melrose Plant and enjoying the latter’s keen wits when he is informed about a third murder at a third inn. Might all of this really just be a case of window-dressing? And if so, for what? When Jury, normally melancholic, falls in love at first sight with Long Pidd’s Vivian Rivington, he not only rather loses his reins as far as she is concerned – the whole case more and more becomes a personal issue. But he still will have to face the killing to continue - and stories from the past to come to light.

Martha Grimes’ writing has something old fashioned about it, some tune quite close to Agatha Christie which indulges in descriptions of a Great Britain that has been gone for some time – I can really relish this setup, cuddled up, feeling like Melrose Plant in his Northamptonshire hometown Long Piddleton’s inn Jack and Hammer with, of course, an Old Peculiar, investigating along in my imagination, but without being challenged by some harsh description of the actual procedure of the killing itself (as the more topical type of writing seems to be needing). The author goes at great lengths to create that style, using outdated vocabulary (such as dip rather than pickpocket, char for a cleaning woman) and populating her novel with the indispensable earl, vicar, village drunkard, elderly lady and so forth, despite of a setup after World War II and a begin of publishing in 1981.

As a general, I love the series as “in between” crime stories – a pleasant read, nothing to be upset upon, they kind of “ring a tune”. I would rather not read a number of them in quick succession as the general storyline would wear off. Implausibilities? I ever wonder why nobody kills “Lady” Agatha – or at least tells her off, once and forever. And how police matters may be openly discussed with a civilian (Plant) remains a secret, but that goes in line with the genre. No offence taken.

You meet up with the villagers who reappear in the sequels – yes, they are somewhat archetypical for the genre, but this IS the specific charm – like walking through a small village and meeting up with the locals. So this particular book is pretty insightful to understand any other sequel, apart from its topical story.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Beim Warten auf die Elektrizität ging ich leider als Leser verloren - trotz guter Sprache

Im Himmel gibt es Coca-Cola
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Im Himmel gibt es Coca-Cola heißt im Original „Waiting for Electricity“ – und das trifft es nach meiner Meinung wesentlich besser: das Warten, darauf, dass es (endlich wieder einmal) Strom ...


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Im Himmel gibt es Coca-Cola heißt im Original „Waiting for Electricity“ – und das trifft es nach meiner Meinung wesentlich besser: das Warten, darauf, dass es (endlich wieder einmal) Strom gibt im georgischen Heimatdorf des Protagonisten Slims zieht sich wie ein (sehr dünner) roter Faden, teils wie ein „running gag“ durch das ganze Buch.

Das Erscheinen des Buches 2014 war an mir vorbeigegangen, ich bin erst durch ein Leseexemplar des Verlages zu der Geschichte gekommen. Slims ist ein Träumer im postkommunistischen Georgien. Die lokalen Machthaber agieren wie Diktatoren, diverse Georgier engagieren sich als „Wege-Zoll“- Räuber, während die Bevölkerung irgendwo den Strom abzweigt zum Umgang mit dem Mangel. Slims träumt von einer vergemeinschafteten Stromversorgung, denn die „Leute bestahlen den Staat, aber niemals einander.“ (S. 79)

„Vor ein paar Jahren kam eine westliche Hilfsorganisation in die Stadt, wie eine Zirkustruppe in einem Roman. Sie nannten sich Al-Anon und eröffneten ein Büro in Batumi, um den Frauen und Schwestern von Alkoholikern zu helfen. Sie sagten immer das Gleiche. ‚Lass los, überlass es Gott.‘ Wir fanden diesen Satz sehr komisch. Al-Anon hielten drei Wochen durch, und dann machten sie wieder zu, weil sie merkten, dass wir ohnehin schon so lebten. Jeder überlässt alles Gott.“ S. 106

Slim ist anders – er handelt nicht passiv, er schreibt Brief an Hillary Clinton, bewirbt sich für ein Aufbau-Programm für ehemalige Sowjetrepubliken – und wird zur Teilnahme in die USA eingeladen, allerdings für ein Projekt, dass er nur vorgeschlagen hat, weil er es für ‚verkaufstauglicher‘ gegenüber den Entscheidern hält. Er ist der moderne Kämpfer gegen Windmühlen.

Die Autorin reiste bereits als Kind mit ihrem Großvater in die Sowjetunion und unterrichtete Englisch in Georgien. In einem Interview mit „The Paris Review“ erklärte sie ihre Erfahrung, dass die jahrelange kommunistische Propaganda, im Kapitalismus müsse man für etwas bezahlen, ohne eine Gegenleistung erhalten zu können, die Einstellung der Bevölkerungen in post-kommunistischen Ländern nachhaltig geprägt habe – man verhielte sich im Kapitalismus exakt wie im Kommunismus gelehrt. Entsprechend ist die Erfahrung der Personen im Buch, dass zu Zeiten der Sowjetunion die Stromversorgung zuverlässig gewesen sei und Recht und Ordnung durchgesetzt wurden.

Das Buch wurde in der Rezeption in den USA teils als „eigenes Genre“ Comic Novel gefeiert aufgrund des sehr besonderen Stils. Ja, der Stil ist besonders – den Anfang des Buches (in Georgien handelnd) empfand ich als geradezu verwirrend sprunghaft, mit einzig den Briefen an Hillary Clinton als rotem Faden und etlichen sehr speziellen Anekdoten und Aphorismen, die die georgische Mentalität beschreiben: Gastfreundlich bis zur Selbstaufgabe, zwischen traditionellem Ehrgefühl bis zur Selbstüberhöhung und einem sich-Aufreiben in der Aktualität bis zur Melancholie.

Die Kapitel in den USA sind schlüssiger, allerdings ist die Beschreibung gängiger Marketing-Plattitüden nicht wirklich originell oder neu. Dass das Scheitern aneinander an unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen und daraus bedingten Handlungsweisen resultiert, wird erzählend geschildert – ich fürchte jedoch, nicht wirklich ausreichend deutlich nachvollziehbar. Ausgerechnet hier hält sich die Autorin kurz! Auch in dem Teil des Buches nach der Rückkehr nach Georgien bleibt dieses Gefühl bestehen, dass Gewichtungen ungleich gesetzt wurden, dass vieles nicht nachvollziehbar ist und bleibt, dass die Sicht doch eine zu amerikanische ist. Aus meiner Sicht beherrscht die Autorin zwar das prägnante Formulieren, die Aphorismen, die Anekdoten, die Darstellung der Charaktere und die Empathie in die Mentalität Georgiens und der USA, es fehlt mir jedoch die stringente Umsetzung in eine Geschichte und die Empathie in den Leser. Sonst fällt mir immer wenigstens jemand ein, dem ich ein bestimmtes Buch schenken könnte, weil es zu ihm besser passen würde als zu mir - ohne die Recherche zur Autorin hätte ich hier sogar noch weniger Zugang zum Buch gefunden.