Profilbild von Tamagotchi

Tamagotchi

Lesejury Star
offline

Tamagotchi ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Tamagotchi über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.09.2023

Ein Buch mit emotionalem Tiefgang

Kein guter Mann
0

Walter ist ein Postbote, der seinen Beruf akribisch genau nimmt und seine Pflichten erfüllt. Allerdings hat er die Angewohnheit, ehrlich zu sein und weder sich noch seiner Umwelt etwas vorzumachen. Deshalb ...

Walter ist ein Postbote, der seinen Beruf akribisch genau nimmt und seine Pflichten erfüllt. Allerdings hat er die Angewohnheit, ehrlich zu sein und weder sich noch seiner Umwelt etwas vorzumachen. Deshalb eckt er öfters an, sei es in seinem privaten Umfeld oder auch im Beruf. Seine Vorgesetzte sähe ihn am liebsten im Vorruhestand, aber Walter lässt sich nicht aufs Abstellgleis schieben. So wird er versetzt in die Christkindl Abteilung der Post in Engelskirchen. Hier wird er mit Briefen von Kindern konfrontiert, die hochgradig materielle Wünsche äußern, was Walter überhaupt nicht gefällt. Doch ein Brief fällt aus der Reihe. Er kommt von Ben, der sich einen Freund wünscht, weil er zu Hause total überfordert ist und dort in eine Rolle gedrängt wird, die sein Kindsein einengt.
Walter möchte diesem Jungen helfen und setzt alles daran, den Kontakt aufrechtzuerhalten und Ben zu helfen. Dabei gerät er in so manche schwierige Situation, denn er muss erstmal mehr über das Kind erfahren, um ihm wirklich eine Stütze zu sein.
Zwischendurch gibt es immer wieder Rückblicke auf Walters Leben. Nach und nach wird immer mehr aufgedeckt, so dass der Leser allmählich versteht, wie Walter zu diesem einsamen Menschen geworden ist, der Gerechtigkeit und Ehrlichkeit liebt und dafür so manches in Kauf nimmt. Nach und nach ergibt sich ein Gesamtbild, das Walter in einem ganz anderen Licht dastehen lässt, vom anfänglichen Nörgler zu einem grundsätzlich guten und hilfsbereiten Menschen.
Das Buch berührt mich als Leser sehr und beschäftigte mich auch über die Lektüre hinaus, denn immer wieder wichen meine Gedanken zu Walter ab, wobei ich teilweise auch Parallelen zu meinem eigenen Leben entdeckt habe und darüber reflektieren konnte. Ich muss gestehen, dass ich bisweilen ein Tränchen wegwischen musste.
Der Schreibstil des Autors ist flüssig und humorvoll, einfach und angenehm zu lesen, da fliegen die Seiten im Buch nur so dahin und man fühlt sich in eine andere Welt abtauchen. Das kenne ich bereits aus seiner Wege-der-Zeit Reihe, ich habe die drei dicken Bände genossen.
Die beiden Hauptprotagonisten werden mit Tiefgang und sehr einfühlsam beschrieben, so dass man schon bald den Wunsch hat, sie persönlich zu kennen.
Irgendwie passt das Buch sehr gut in die nun bald anstehende Vorweihnachtszeit, in der heutzutage Konsum über allem steht und Gefühle oft zu kurz kommen. Es weist den Weg zu einer anderen Lebenseinstellung und bringt den ein oder anderen vielleicht dazu, sein Leben zu überdenken.
Ich habe die Stunden mit diesem Buch genossen und spreche eine eindeutige Leseempfehlung aus.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.08.2023

Ergreifend und mit historischem Bezug

Sekunden der Gnade
0

Es ist die Zeit der bewegten 70er Jahre, in den USA wird der vorherrschende Rassismus bekämpft, zunächst aber nur mit schwachen Ergebnissen. Auch in Boston brodelt es, denn ab dem neuen Schuljahr soll ...

Es ist die Zeit der bewegten 70er Jahre, in den USA wird der vorherrschende Rassismus bekämpft, zunächst aber nur mit schwachen Ergebnissen. Auch in Boston brodelt es, denn ab dem neuen Schuljahr soll die Rassentrennung in den Schulen aufgehoben werden. Mit dem Projekt des 'busing' sollen weiße und schwarze Schüler per Bus an andere Schulen transportiert und somit vermischt werden, um damit die fortwährende Segregation zu bekämpfen.
Mary Pat Fennessy lebt in einem irisch geprägten weißen Vorort Bostons und bereitet mit anderen zusammen Protestaktionen vor, denn auch ihre 17jährige Tochter Jules soll in Kürze per Bus in eine Schule der Innenstadt gebracht werden, was für eine gereizte Atmosphäre unter den Bewohnern sorgt. Für Mary Pat bedeutet ihre Tochter alles, denn ihr Sohn ist bereits durch Drogen gestorben, und ihr zweiter Ehemann hat sie verlassen. In einem Milieu, das von Armut und sozialen Missständen geprägt ist, möchte sie ihre Tochter vor allem Bösen beschützen.
Eines Nachts jedoch kehrt Jules nicht nach Hause zurück. Nach anfänglichen Erklärungsversuchen und verbreiteten Suchaktionen muss Mary Pat schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass ihre Tochter nie mehr zurückkommt.
Sie stößt auf ein korruptes und verständnisloses Umfeld, in dem die polizeilichen Ermittlungen kaum eine Chance haben. Denn auf der korrupten Seite häuft sich auch das Geld, und damit kann man bekanntlich viel bewegen und vertuschen.
Dennis Lehane schildert gewohnt eindrucksvoll die Atmosphäre der Armut und Perspektivlosigkeit in Southie, im Süden Bostons. Und ebenso atmosphärisch ist auch die Beschreibung der Angst und Beklemmung, die sich in Mary Pat immer mehr ausbreiten, als ihr klar wird, dass sie Jules niemals wiedersieht. Nach ein paar Tagen verzweifelter Trauer und Einsamkeit beschließt sie, Rache zu nehmen für den großen Verlust. Da sie nichts mehr zu verlieren hat, ist ihre Vergeltung brutal und jegliche Empathie ist aus Mary Pat verschwunden. So gibt es einige Szenen, die mich sehr ergriffen machten und schlucken ließen. Andererseits habe ich immer wieder versucht, mich in die trostlose Situation der verzweifelten Mutter hinein zu versetzen, um sie zu verstehen. Auf diese Weise hat mich das Buch auch über das Lesen hinaus beschäftigt, denn der Inhalt ist abgrundtief erschütternd.
Was mich sehr überrascht hat, ist meine Sympathie für die Hauptprotagonistin, die alles andere als rücksichtsvoll und vertrauenswürdig ist. Vielleicht liegt es an ihrer Entschlossenheit, mit der sie ihre Aktionen durchzieht und so ihrer geliebten Tochter einen letzten Dienst erweist.
Dies ist ein Buch, das ich sicher noch lange in Erinnerung haben werde, ein Meisterstück der atmosphärisch dichten Beschreibung und eine Darstellung, zu was der Mensch in ausweglosen Situationen fähig ist. Meine uneingeschränkte Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.08.2023

Spannung leider Mangelware

Refugium
0

Olof Helander hat zu einer Mittsommerparty in sein Luxusanwesen auf einer Schäreninsel eingeladen. Lustig und ausgelassen feiern seine Gäste mit ihm in Wassernähe, als sich plötzlich ein Boot nähert und ...

Olof Helander hat zu einer Mittsommerparty in sein Luxusanwesen auf einer Schäreninsel eingeladen. Lustig und ausgelassen feiern seine Gäste mit ihm in Wassernähe, als sich plötzlich ein Boot nähert und zwei Killer alle Gäste brutal ermorden. Nur Helanders Tochter überlebt, schwer traumatisiert.
Dies alles passiert bereits im Prolog, so dass dieser unsagbar spannend war, ein gut herausgearbeiteter Kontrast zwischen der Ausgelassenheit der Feiernden und dem brutalen Attentat.
Dann passiert erstmal nichts, was mit dem Fall zu tun hat, aber es wird jedoch keineswegs langatmig, im Großen und Ganzen habe ich zunächst immer gern weiter gelesen. Das lag sicher auch an den kurzen Abschnitten, die stets zum Weiterlesen reizten, aber auch an den Hauptfiguren, die dort vorgestellt werden, wobei ich Kim Ribbing interessanter als Julia Malmros finde. Die eingestreuten Passagen über seine Kindheit und Jugend, geprägt vom sadistisch veranlagten Großvater, sind horrormäßig. Allerdings entwickelt sich Kim im Laufe des Buches immer mehr zum Superman, was dann sehr unrealistisch erscheint
Julia ist mir dagegen nicht sehr sympathisch. Sie ist selbstverliebt, erfolgsverwöhnt und kann Frustrationen nur mit viel Alkohol ertragen. Für eine 50-jährige intelligente Frau handelt sie sehr unbesonnen.
Mit der Zeit ließ die Spannung sehr nach, es gab viele langatmige Passagen, in denen wirtschaftliche oder politische Zusammenhänge geschildert wurden, die zwar den Hintergrund beleuchteten, aber die Krimihandlung nicht weiter brachten. Die Krimihandlung bzw. die Ermittlungen wurden weitgehend Kommissar Zufall überlassen, wirkten sehr konstruiert und sorgten nicht für die erwarteten Thrill-Momente.
Der Schreibstil des Autors gefällt mir, er ist locker und detailgetreu, allerdings verfällt die Geschichte bisweilen in uninteressante Nebensächlichkeiten, was dann recht zäh wirkt.
Dies erlebt man dann am Ende nochmal im besonders langatmigen und seitenlangen Epilog, der wohl neugierig machen soll auf die Folgebände, bei mir aber eher das Gegenteil auslöst. Schade, ich hatte mir mehr versprochen nach der Leseprobe und den großartigen Ankündigungen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.07.2023

Frei - stark - unbesiegbar

Das Pensionat am Holstentor: Frühlingstöchter
0

Das sind die Attribute, die die Hauptpersonen in diesem Buch sich für ihr Leben wünschen, darum wollen sie kämpfen und sich gegenseitig darin unterstützen. Darauf inszenieren sie einen Schwur, den sie ...

Das sind die Attribute, die die Hauptpersonen in diesem Buch sich für ihr Leben wünschen, darum wollen sie kämpfen und sich gegenseitig darin unterstützen. Darauf inszenieren sie einen Schwur, den sie eines Nachts im Garten des Pensionats am Holstentor leisten. Damit beginnt der kurzweilige Prolog dieses Buches.
Hauptperson ist Nora von Jagow, 16 Jahre alt, die ihrem Bruder Henry unterstellt ist, da ihre Mutter krank und ihr Vater berufsmäßig ständig unterwegs ist. Sie lebt ein herrlich ungezwungenes Leben auf dem elterlichen Gutshof, bis ihr Bruder beschließt, dass nun eine Lady aus ihr werden sollte und sie ins Pensionat nach Lübeck schickt. Nora sträubt sich dagegen, fügt sich aber schließlich, da ihre heimliche große Liebe Karl, ein Stallbursche, auch nach Lübeck geht.
Auf weitere Einzelheiten möchte ich hier nicht eingehen, aber das Buch präsentiert uns ein veritables Abbild der damaligen Zeit, der Wende zum 20. Jahrhundert. Besonders die damals übliche Bestimmung für die Frau wird realistisch dargestellt.
Dieses Buch präsentiert leichte Unterhaltung, die man sich auch am Strand vornehmen kann. Der Schreibstil der Autorin ist einfach, schnörkellos und gut verständlich. Man liest das Buch ohne Unterbrechung, um z.B. über irgendetwas nachdenken zu müssen. Schnell fühlt man sich in einer Atmosphäre der Vertrautheit, gerade so als würde man ein stiller Beobachter im Pensionat sein.
Und nicht nur die Umgebung wird einem vertraut, sondern auch die Personen. Allen voran Eleonore, genannt Nora, die so voller Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben ist, fernab von Maßregelung durch andere. Aber auch Gesche Petersen gefällt mir, denn für die damalige Zeit zeigt sie sehr emanzipatorische Züge und bringt alle Voraussetzungen mit, um eine starke Frau zu sein. Nicht vertraut wurde ich mit Frau Eggers, der Leiterin des Pensionats, die ihr starres Regelsystem für unumgänglich hält. Auch Küppers missfällt mir sehr, er steht als Symbolfigur für damaliges Kolonialdenken und sammelt Tiertrophäen, einfach nur abstoßend. Und seine Tochter kann mir nur leid tun.
Mir war nicht klar, dass es sich bei diesem Buch um den Auftakt zu einer Serie handelt, aber gegen Ende wird es dem Leser spätestens bewusst. Denn viele Handlungsstränge bleiben offen, die man gerne für sich geklärt hätte. Also bleibt die Vorfreude auf eine Fortsetzung.
Alles in allem kann ich das Buch als einfache Lektüre sehr empfehlen. Ich habe mich gut unterhalten gefühlt und das Lesen gestaltete sich kurzweilig.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.07.2023

Außergewöhnlicher Ermittlungsbereich

Die Spur der Aale
0

Dieser Kriminalroman spielt im Schmugglermilieu, was mich gereizt hat, denn bislang fand ich Schmuggeldelikte immer nur im Nebenschauplatz meiner gelesenen Bücher. Hier steht ein Schmuggelnetzwerk im Zentrum ...

Dieser Kriminalroman spielt im Schmugglermilieu, was mich gereizt hat, denn bislang fand ich Schmuggeldelikte immer nur im Nebenschauplatz meiner gelesenen Bücher. Hier steht ein Schmuggelnetzwerk im Zentrum der Ermittlungen, was meinen Erfahrungshorizont erweitert hat.
Hauptperson ist Greta Vogelsang, eine Staatsanwältin im Dezernat für Umweltverbrechen und Artenschutzdelikte. Sie wird eines Nachts zum Mainufer gerufen, wo die Leiche des Zollfahnders Mathissen gefunden wurde, der offensichtlich einem Schmugglerring auf die Spur gekommen war, aber von seinen Kollegen nicht ernst genommen wurde. Auch Vogelsang hat seine Emails ignoriert. Nun plagt sie ihr Gewissen, und sie muss erstmal beweisen, dass es sich wirklich um ein Verbrechen handelt und nicht um einen unglücklichen Unfall. Es geht um das Schmuggeln von seltenen Glasaalen. Dieser Themenbereich war auch neu für mich und deshalb sehr informativ.
Was ich an diesem Krimi vermisst habe, war ganz einfach Spannung. Ich liebe es mitzurätseln, was hier nicht möglich war, da von Anfang an die Täter feststanden. Es ging nur darum, sie zu erwischen und aus dem Verkehr zu ziehen. Z.B. hätte ich mehr Spannung erwartet, als Vogelsang auch privat von den Tätern bedroht wird und eindeutige Warnungen bekommt. Aber dies verläuft dann irgendwie im Sande. Es gibt keine großen Überraschungen, und in die Irre geführt wird man auch nicht. Besonders die letzten Seiten fand ich sehr langatmig. Der Fall ist abgeschlossen, die Kollegen treffen sich und stoßen darauf an, aber es passiert nichts Spektakuläres mehr. Diese Seiten hätte der Autor zumindest kürzen sollen. Ich fand sie einfach uninteressant.
Greta Vogelsang ist mir nicht sehr nahe gekommen, sie ist mir weder sympathisch noch unsympathisch. Am besten gefallen mir ihre beiden Katzen und ihre skurrilen Namen. Ihr Privatleben spielt manchmal eine zu große Rolle, etwas mehr Spannung in ihrem Berufsleben hätte mir besser gefallen.
Der Schreibstil des Autors liest sich gut, es gibt keine Missverständnisse oder Unklarheiten. Manchmal fand ich das Vokabular etwas merkwürdig (z.B. 'es roch nach Männerfurz'), was ich irgendwie unpassend fand. Man hatte das Gefühl, dass der Autor durch diese legere Ausdrucksweise den Text auffrischen wollte.
Es wird wohl weitere Bände geben, und man kann nur hoffen, dass diese spannender gestaltet werden. Denn das Ermittlungsumfeld ist wirklich interessant, man könnte mehr daraus machen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere