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Veröffentlicht am 30.12.2017

Einen Ausflug nach Norwegen

Im Land der weiten Fjorde
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macht der Leser dieses opulenten Familiendramas - und noch viel mehr! Wie das? Nun, es geht nicht nur weit in den Nordwesten Europas, sondern auch nach Masuren und auch in verschiedene historische Epochen ...

macht der Leser dieses opulenten Familiendramas - und noch viel mehr! Wie das? Nun, es geht nicht nur weit in den Nordwesten Europas, sondern auch nach Masuren und auch in verschiedene historische Epochen - der Roman spielt nämlich sowohl während des 2. Weltkriegs als auch in der Gegenwart.
Thema: Lisa erfährt nach dem plötzlichen Unfalltod ihrer Eltern, dass sie Wurzeln in Norwegen hat und beginnt, diesen nachzuspüren: dies erfordert mehrere Arten von Reisen: eine ganz normale nach Norwegen, eine in die Herzen der Menschen dort und eine ganz, ganz tief und weit in die Vergangenheit, nicht nur die in Norwegen...
Lisa erlebt dabei einen Gefühlscocktail sondergleichen, stößt sie doch auf Schritt und Tritt auf Neues, nie Erwartetes - und gerät dadurch in ein Durcheinander, das ihr ganzes Leben tangiert.
Der Leser wird pausenlos mit Sprüngen zwischen Gegenwart und Vergangenheit konfrontiert - die Kapitel beleuchten abwechselnd die Situation von Lisa in den 2010ern und die der Norwegerin Mari in den 1940er Jahren.
Für mich war gerade die ausführliche Beleuchtung der Situation Norwegens im 2. Weltkrieg auch gerade durch die deutsche Besatzung ein besonderes Highlight des Romans und sie hat mich dann auch alles andere als enttäuscht

Leider wimmelt es spätestens ab dem 2. Viertel des Romans von plötzlichen Wendungen und jähen, nicht ausreichend dargelegten Entwicklungen der Geschichte, aus denen sich für mich einige Irritationen ergeben haben. Was die Landschaft und die norwegischen Gegebenheiten anbelangt, kommt die Erzählerin gelegentlich vom Hölzchen aufs Stöckchen und schweift ab. Das war für mich ein leider nicht ganz harmonisches Zusammenspiel der Erzählweise in einem insgesamt durchaus gelungenen Roman. Wer sich damit abfindet, dass - zumindest aus meiner Sicht - das letzte Viertel das absolute Meisterstück ist, was vor allem der beeindruckenden Schilderung des Alltagslebens in Masuren im 2. Weltkrieg zu verdanken ist, wird diesen Roman entsprechend goutieren können. Auch der Kontrast der damaligen Strukturen und Lebensformen in Deutschland zur vergleichsweisen Freiheit in Norwegen ist wirklich sehr gut, bildhaft und einfühlsam dargestellt.


Der Roman hätte aus meiner Sicht gut ein paar Figuren weniger haben können, auch sonst fand ich,dass die Prioritäten teilweise ungünstig gesetzt waren. Mich hätte beispielsweise das Schicksal einiger Figuren des 2. Weltkriegs brennend interessiert, das wurde ein wenig unter den Tisch gekehrt. Insgesamt aber ein packender und mitreißender Roman - leider nicht ohne Längen - der Freunden und vor allem Freundinnen langer Schmökerabende herzlich zu empfehlen ist!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Aller Anfang ist Köln

Max
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Naja, fast, denn Max Ernst, der große Künstler des 20. Jahrhunderts, kommt eigentlich aus Brühl, das aber nur einen Katzensprung von der Domstadt entfernt ist. Und dorthin zieht es ihn auch mit seiner ...

Naja, fast, denn Max Ernst, der große Künstler des 20. Jahrhunderts, kommt eigentlich aus Brühl, das aber nur einen Katzensprung von der Domstadt entfernt ist. Und dorthin zieht es ihn auch mit seiner ersten Frau, Mit seiner ersten Ehefrau (von insgesamt vier!) der Kunsthistorikerin Louise Straus-Ernst, lebt er dort und wird zu einer der Gallionsfiguren der Kölner Dadaismus-Bewegung, bis es ihn fortzieht - fort von der Familie, hin zur nächsten Frau.

Markus Orths kleidet das Leben des Künstlers in einen Roman und hangelt sich dabei an den Frauen im Leben Max Ernsts entlang - an sechs ausgewählten, denn es waren einige mehr, die sich für eine Zeit zu Max gesellten. Auf diese oder jene Art und Weise.

Die dichterische Freiheit gepaart mit historischen Fakten zu präsentieren ist nicht leicht - Markus Orths meistert diese Herausforderung mit Bravour, spannend schreibt er und mitreißend, vermag die Charaktere, die ja "in Echt" existiert haben, in wenigen Sätzen darzustellen. Und neben den sechs Frauen Lou, Gala, Marie-Berthe, Leonora, Peggy und Dorothea sind dies noch eine Menge anderer Gestalten, Weggefährten Ernsts in der ein oder anderen Phase seines Lebens oder auch - wie Paul Elouard, Hans Arp oder Marcel Duchamp - mehr oder weniger lebenslang.

Der Roman liest sich fast wie ein Umschlag der Geschehnisse in Westeuropa in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert - danach wird es um Max Ernst merklich stiller - es ist tollkühn, was Markus Orths hier wagt. Und mit Bravour meistert.

Ein Meisterwerk also, eines, das ich in vollen Zügen genossen habe, nicht nur, weil ich Max Ernst als Sohn (naja, fast - siehe oben) meiner Heimatstadt Köln schon lange kenne und schätze, das Max-Ernst-Museum in Brühl oft besucht, seine Bilder im Kölner Museum Ludwig oft gesehen habe, teilweise von Kindesbeinen an.

Ein Meisterwerk also, das einem (Maler-)Meister gewidmet ist und dem ich viele, viele Leser gönne! So sollte eine literarische Biographie geschrieben sein, aber ich kann mir vorstellen, dass das nur die Wenigsten schaffen. Das ist auch gut so - wenn es zu viele Meisterwerke auf der Welt gibt, relativieren sie sich!

Aber so: Ein Hoch auf den großartigen Maler Max Ernst und ein weiteres auf den Autor Markus Orths, der ihm mit diesem Roman ein einzigartiges Denkmal geschaffen hat!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Eine heile Welt

Und dann kam Paulette
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im ländlichen Frankreich wünschen sich die Protagonisten dieses warmherzigen Wohlfühlromans, der ganz in der Tradition des Romans "Zusammen ist man weniger allein" und des Films "Die fabelhafte Welt der ...

im ländlichen Frankreich wünschen sich die Protagonisten dieses warmherzigen Wohlfühlromans, der ganz in der Tradition des Romans "Zusammen ist man weniger allein" und des Films "Die fabelhafte Welt der Amélie" steht.
Mehr Achtsamkeit für sein Umfeld, für die Mitmenschen: ein hehres Ziel, dem sich kaum jemand entziehen kann. So auch nicht Ferdinand, einem älteren Herrn, der nicht mehr allein auf seinem Bauernhof leben will und beinahe zufällig in eine für ihn völlig neue Wohnform, die der Wohngemeinschaft, schlittert.
Heile Wohngemeinschaft versus zerbrechliche Familie: ein weiteres Thema, das hier angesprochen wird, doch leider nur zu kurz, zu oberflächlich - zu wichtig ist der Autorin Barbara Constantine offenbar der Wohlfühlfaktor, der vor allem durch das gelungene Zusammenleben der frisch zusammengewürfelten WG-Neulinge transportiert wird. Diese werden im Übrigen durchaus vielschichtig dargestellt - einer der großen Vorzüge des Romans. Kaum jemand ist weiß oder schwarz, das Grau in unterschiedlichen Schattierungen durchzieht die Figuren des Romans - sie sind alle ein Mix aus positiven und negativen Eigenschaften und Zügen. Wer Unerwartetes und Überraschendes liebt, wird sich in diesem Roman gleich zu Hause fühlen - auch wenn die Überraschungen für meinen Geschmack doch ein wenig zu absehbar daher kommen.

Ein rundes Ding also? Für mich nicht ganz: zu viel Märchenhaftes ist drin, zu viel für mich Relevantes wird nicht oder nur am Rande angesprochen, alles ist ein bisschen zu glatt und zu gefällig: wie es im Übrigen auch schon bei den beiden oben genannten Werken, dem Gavalda-Roman und dem Film, der Fall war, wobei ich beide, wie auch das Buch durchaus mit Gefallen rezipiert habe. Aber diejenigen, die die genannten Werke und ähnliches uneingeschränkt genießen konnten, die werden auch "Paulette" in ihr weites Herz schließen.
Autor:

Veröffentlicht am 30.12.2017

Eine Ode an verpasste Gelegenheiten und falsche Zeitpunkte

Die Ordnung der Sterne über Como
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..mit musikalischer Begleitung und was daraus werden kann - so könnte man in wenigen Worten Monika Zeiners wundervolles literarisches Debut "Die Ordnung der Sterne über Como" zusammenfassen.

Es geht eigentlich ...

..mit musikalischer Begleitung und was daraus werden kann - so könnte man in wenigen Worten Monika Zeiners wundervolles literarisches Debut "Die Ordnung der Sterne über Como" zusammenfassen.

Es geht eigentlich um ein Allerweltsthema: Tom und Betty steht nach zig Jahren ein Wiedersehen bevor - nach Jahren ohne Kontakt, wobei sie sich früher einmal sehr nahe standen. Doch die gemeinsame Vergangenheit ist alles andere als einfach - sie wird belastet durch die Erinnerung an den gemeinsamen Freund Marc, der durch einen Unfall ums Leben kam. Tom und Betty haben weitergelebt, jeder auf ihre Weise: Betty als Ärztin in Italien, Tom als Musiker in Berlin - ein Leben ähnlich dem, das er bereits vor Marcs Tod hatte... aber dann auch wieder nicht.
In Rückblenden vor allem aus Toms, aber auch aus Bettys Perspektive erfährt der Leser die ganze Geschichte - es geht um die Bedeutung von Marc im Leben der beiden ÜBERlebenden. Mit Tom verband ihn eine ungewöhnliche, wegweisende, lebensbestimmende Freundschaft, mit Betty eine Liebesbeziehung. Doch auch zwischen Tom und Betty gab es eine Liebesbeziehung.
Wie dies alles zusammenfloss, welche Tragik dem allen innewohnte, dies erzählt Monika Zeiner virtuos, nein, sie singt es bzw. sie malt mit Worten. Aus Verlust wird zwar nicht Gewinn, so aber doch Erkenntnis, aus Schwermut wird Leichtigkeit - und aus dem so bekannten Thema wird eine unvergessliche Geschichte.

Dieser Roman ist auch ein Geschenk an die deutsche Sprache, ein Zeichen an ihre Liebhaber und Verfechter ihrer Reinheit, ihres Klanges und ihrer Möglichkeiten, denn in ihrem Werk zeigt die Autorin in mannigfaltigen Facetten ihren Reichtum, ihre schillernde Präsenz auf. Für mich ist Monika Zeiner die Königin, ach was: die Kaiserin der bedeutungsvollen, der bis ins Mark treffenden Worte.

Ich hatte bei diesem Buch den Eindruck "in den weiten Joggingklamotten meiner eigentlichen Seele unterwegs sein zu dürfen", um wenigstens eine von Zeiners literarischen Delikatessen zu zitieren (S. 110) - so wohl habe ich mich damit gefühlt - und tue es weiterhin. Für mich ist dies nämlich ein absolut unkorrumpierbares Buch, eines dem ich hundertprozentig vertraue und das ich immer in meiner Nähe wissen will, um mich an der Essenz zu laben, um die kleinen Juwelen der Wortkunst bei Bedarf immer wieder zu genießen, um mich von ihm einfangen zu lassen, wann immer ich es als notwendig erachte.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Mit Herz und unkonventioneller Auffassung

Ein ganzes halbes Jahr
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geht hier Lou ans Eingemachte und versucht, den Tetraleptiker Will von seiner Entscheidung, aufgrund seiner ausweglosen Situation Selbstmord zu begehen, abzubringen.
Lou und Will: ein ungleiches Paar. ...

geht hier Lou ans Eingemachte und versucht, den Tetraleptiker Will von seiner Entscheidung, aufgrund seiner ausweglosen Situation Selbstmord zu begehen, abzubringen.
Lou und Will: ein ungleiches Paar. Hat Lou ihr Leben lang in der kleinen englischen Touristenstadt und im Schoße ihrer liebenswerten und auf ganz besondere Art und Weise einnehmenden Familie verbracht, so war Will bis zu seinem Unfall ein reicher, begehrenswerter, nicht unbedingt aber liebenswerter Typ, der viel gearbeitet hat, durch die Welt gereist ist und sich das vom Leben genommen hat, was er wollte. Um ihre ständig abgebrannte Familie ernähren zu können, nimmt Lou den gutbezahlten Job als seine Gesellschafterin an ... und findet sich in vielerlei Hinsicht in einer vollkommen neuen und anderen Welt wieder.

So anrührend und originell das Buch ist, hier jagt ein Klischee das andere: die beiden müssen sich erstmal zusammenraufen, Lou begeht in der "reichen" Welt ein Fettnäpfchen nach dem anderen. Besonders unglaubwürdig war für mich Lous Umfeld: wer kann von einer 27jährigen - die Handlung spielt fast in der Jetzt-Zeit, im Jahre 2009 - erwarten, dass sie als Hauptverdienerin einer ganzen Familie bestehend aus Eltern, Großvater und nicht zuletzt jüngerer, schlauerer, studierwilliger Schwester mit unehelichem Sohn agiert. Genau das tut aber Lous Familie und scheint es als ganz selbstverständlich aufzufassen.

Trotz dieser kleinen, von mir so empfundenen Störungen habe ich das Buch mit großem Genuss gelesen und habe mit Lou mitgelitten und gelacht. Ein wenig ist die Handlung wie ein modernes Märchen aufgebaut - ein Aschenputtel der Arbeiterklasse betritt ein neues Umfeld, verändert dieses komplett, wobei aber auch sie selbst sich in diesem ändert. Das kann man mögen, oder auch nicht, fest steht, dass die britische Autorin Jojo Moyes nicht nur in ihrem Heimatland Großbritannien, sondern europaweit einen Nerv berührt hat. Zu empfehlen für Leser, die Emotionen lieben, aber ernste und auch kontroverse Themen nicht scheuen und bereit sind, sich auf solche einzulassen.