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Veröffentlicht am 20.12.2017

Eine Roadstory der ganz besonderen Art

Underground Railroad
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Und zwar einer besonders bedrückenden, steht die "Underground Railroad" doch in Verbindung mit der jahrhundertelangen Unterdrückung der afroamerikanischen Bevölkerung in den Vereinigten Staaten von Amerika, ...

Und zwar einer besonders bedrückenden, steht die "Underground Railroad" doch in Verbindung mit der jahrhundertelangen Unterdrückung der afroamerikanischen Bevölkerung in den Vereinigten Staaten von Amerika, für das Sklaventum also. Und doch steht sie auch für etwas sehr Modernes, nämlich für ein Netzwerk der ganz besonderen Art, das bereits vor fast zweihundert Jahren existierte und von dem manch einer noch heute, im Zeitalter der Digitalisierung, lernen kann und das nicht zu knapp: Es wurde just von denen aufgebaut, die am bedürftigsten waren, die der Unterstützung am meisten bedurften, nämlich von der afroamerikanischen Bevölkerung und ihren nicht gerade zahlreichen Freunden. Es ging darum, geflohene Sklaven möglichst sicher, aber natürlich vor allem unauffällig, in den freien Norden zu schaffen. Der Begriff steht für die nahtlose Verbindung, die dafür geschaffen wurde.

In Colson Whiteheads preisgekröntem Roman "Underground Railroad" verwandelt sich dieses Netzwerk in eine echte Eisenbahnstrecke, eine geheim verlaufende, über die die Flüchtenden abtransportiert werden.

Genau wie in der Realität sind diese wie auch ihre Helfer ständig großen Gefahren ausgesetzt.

Ich bewundere die Tatsache, dass in diesem von einem Mann verfassten Roman eine Frau die Protagonistin ist - Cora, eine Sklavin aus Georgia ist die Hauptfigur dieses grandiosen, aufrüttelnden Werks, das nicht allzu vieler Seiten bedarf: knapp 350 genügen dem Autor, um sowohl ihr Martyrium auf der heimischen Farm, die man nicht als Heimat bezeichnen kann ob des Grauens, das sowohl ihr als auch ihren Leidensgenossen widerfährt, als auch die Stationen ihrer jahrelang währenden Flucht darzustellen. Und zwar so eindringlich, anschaulich und bewegend, wie nur irgend möglich! Und ausgesprochen rund, auch wenn ich gut und gerne noch weitergelesen hätte, um die besondere Atmosphäre, die der Autor geschaffen hat, vollends auszukosten.

Eines wird deutlich: Es gibt immer Neid und Missgunst. Ganz egal, wo man ist und auch dann, wenn man selbst überhaupt nicht drauf kommen würde. Dieses Buch und seine traurige, realistische Geschichte, die jedoch nicht hoffnungslos ist, lehrt seine Leser, die Achtsamkeit wiederzufinden und in Ehren zu halten, ihrer Gewahr zu sein.

Cora lebt dank ihrer Erlebnisse in ewigem Misstrauen und sie tut Recht daran, wie uns immer wieder vor Augen geführt wird. Doch nie verliert sie die Hoffnung und sie wächst an ihren Erfahrungen, sowohl den vielen leid- als auch den eher spärlich gesäten freudvollen. Denn Hoffnung gibt Kraft und diese braucht man, um etwas zu erreichen.

Eine überaus lohnende, wenn auch schmerzvolle Lektüre, wie ich finde, aber definitiv ein Roman, den man gestärkt aus der Hand legt. Ein ganz besonderes Buch, das ich jedem empfehle, der immer bereit ist, zu erfahren, wie die Welt zu dem wurde, was sie ist.

Veröffentlicht am 20.12.2017

Ein ganz besonderer Zeitzeugenbericht

Geisterkinder
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st dies und zwar aus mehreren Gründen - ersten ist es ein junges Mädchen, aus deren Warte geschrieben wird und zweitens ist sie im Nachgang zu den Vorfällen des 20. Juli 1944 inhaftiert worden - als Sippenhäftling. ...

st dies und zwar aus mehreren Gründen - ersten ist es ein junges Mädchen, aus deren Warte geschrieben wird und zweitens ist sie im Nachgang zu den Vorfällen des 20. Juli 1944 inhaftiert worden - als Sippenhäftling. Ihr Vater Cäsar von Hofacker war maßgeblich daran beteiligt und musste seine mutige Tat mit dem Leben bezahlen - seine Familie mit vielen langen Monaten der Haft, der teilweisen Trennung und einer unglaublichen, ja unwirklich erscheinenden Odyssee durch Deutschland, das damals noch sehr, sehr groß war. Und drittens ist nicht sie selbst die Autorin dieses ergreifenden und erschütternden Buches, sondern ihre Tochter Valerie Riedesel, die freilich Zugang zu diversen Dokumenten der Mutter hatte und auch vieles über Gespräche - auch mit weiteren Verwandten erfuhr.

Hofackers wurden getrennt: die Mutter mit den beiden älteren Kindern wurde in Gefängnissen wie auch KZs inhaftiert und kam in Gefangenschaft ganz schön herum - ihre letzte Station war in Südtirol am Pragser Wildsee, wo sie quasi schon als halb Befreite festsaßen - immer noch. Und nicht selten genug waren sie nahe genug am Tod, während die jüngeren Geschwister in einem Kinderheim untergebracht - richtiger gesagt: isoliert wurden.

Unvorstellbares erlebten Luise Hofacker und ihre Kinder, von denen zu dem Zeitpunkt noch keines erwachsen, die jüngste Tochter sogar erst sechs Jahre alt war. Auf ihrer Odyssee trafen sie auf zahlreiche Leidensgenossen: vor allem Verwandte, aber auch andere Sonderhäftlinge des Dritten Reiches, darunter abtrünnige Politiker und Offiziere, ausländische Staatsherren und Kirchenmänner.

Ein sehr persönlicher Bericht gespickt mit Tagebucheinträgen ist es, den Valerie Riedesel und hier präsentiert - und er ist aus meiner Sicht sehr gelungen, ist doch auch stets der größe Rahmen bzw. das Umfeld mit im Fokus. Nur ganz selten - wie bei der unfreiwilligen Übergabe der Häftlinge von der SS an die Wehrmacht - wirkt der Stil ein wenig wirr bzw. verwirrend - aber wirklich überschlagen sich hier die Ereignisse ganz schön.

Außerdem hilft im Anhang ein detailliertes Personenverzeichnis mit ebenso detaillierten Erläuterungen dabei, den Überblick zu behalten. Mir hat dieses Buch wirklich sehr gefallen und ich empfehle es jedem, der den deutschen Widerstand in den letzten Kriegsmonaten aus einer ungewöhnlichen Perspektive erleben will.

Veröffentlicht am 20.12.2017

Wenn das Damals zurückkehrt

Whiteout
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Die Wissenschaftlerin Hanna befindet sich gerade auf einer Expedition in die Antarktis, als die Vergangenheit sie einholt - in Form einer Mail ihres Bruders Jan.

"Scott ist tot" steht drin und es ist ...

Die Wissenschaftlerin Hanna befindet sich gerade auf einer Expedition in die Antarktis, als die Vergangenheit sie einholt - in Form einer Mail ihres Bruders Jan.

"Scott ist tot" steht drin und es ist natürlich nicht derjenige Scott, der Amundsen vor langer Zeit ins Eis folgte, obwohl - andererseits ist er es natürlich doch. Denn Hanna, Jan und die gemeinsame Freundin Fido haben immer die Expedition nachgespielt - und IMMER war Hanna Amundsen, Fido war Scott und Jan war Wilson.

Hanna ist diejenige, die ihren Kindheitstraum wahr gemacht hat, so sehr, dass sie die Rolle von Amundsen lebt. Sie nämlich ist es , die die aktuelle Expedition leitet. Scott und Wilson aus der Kindheit hat sie hinter sich gelassen und auch zu den Teilnehmern ihrer aktuellen Expedition ist das Verhältnis ziemlich distanziert.

Aber jetzt katapultiert sich die Vergangenheit durch einen Knopfdruck wieder in ihr Leben und sie wird von ihrer Kindheit eingeholt.

Die Autorin Anne von Canal lässt so einiges offen, dennoch ist dies ein klares Buch. Nicht, dass keine diffusen Gedanken zugelassen werden, doch es ist klar, um was es geht: um Hanna, um das was sie prägte, um das, was sie wurde und darum, wie es weitergehen wird. Ein Auszug aus der Innensicht eines Menschen, denn das ist es, wie wir die Gedanken und die Gegenwart Hannas sehen. Durch ihren Blick. Die Sichtweisen der anderen, vor allem die von Fido, können wir nur erahnen.

Ein Roman, der sich einschleicht in die Gedanken des Lesers, der Einblicke gewährt, aber auch Raum für Spekulationen lässt und auch für Übertragungen auf die eigene Situation. Ich empfehle das Buch für Leser, die nicht alles wissen wollen, sondern lieber deuten oder auch das ein oder andere einfach so stehen lassen.

Veröffentlicht am 20.12.2017

Das Wandern ist des Vaters Lust

Acht Berge
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und zwar das der ganz sportlichen Art, nämlich das Bergsteigen und deswegen verschlägt es Pietro bereits in jungen Jahren regelmäßig aus dem urbanen Mailand ins ursprüngliche Monte Rosa, wo er mit seinen ...

und zwar das der ganz sportlichen Art, nämlich das Bergsteigen und deswegen verschlägt es Pietro bereits in jungen Jahren regelmäßig aus dem urbanen Mailand ins ursprüngliche Monte Rosa, wo er mit seinen Eltern den ganzen Sommer verbringt. Und bald schon Bruno kennenlernt, der ein ganz anderes Leben führt als er selbst. Nämlich eines, das sich ganz und gar in Grana, einem winzigen Dorf abspielt. Und auch die Familienverhältnisse sind so unterschiedlich, wie sie nur sein können.

Italien wird hier mal ganz anders präsentiert. Gelati? Strand? Gigolos? Liebesschnulzen? Pizza?
Fehlanzeige! Wenn Sie dieses Italien suchen (und auch finden) wollen, dann ist dies definitiv der falsche Roman für Sie. Aber wenn Sie erfahren wollen, wie Italien auch sein kann sowie ganz andere Italiener als die üblicherweise bekannten kennenlernen möchten, dann sind Sie hier richtig.

Ein stiller Roman? Nein, so empfinde ich eigentlich nur, wenn ihn mit den üblichen Italien-Klischees vergleiche. Er ist nicht laut, aber er ist vor allem kraftvoll und eindringlich in seiner Darstellung des Menschen in der Natur und der gegenseitigen Bedeutung füreinander. Eine wunderbare Sprache ist es, die Paolo Cognetti für seine Schilderungen findet und die auch in der Übersetzung meiner Ansicht nach sehr stark und poetische auf eine klare Art wirkt. Dass dieses Buch 2016 des Premio Strega, des italienischen Literaturpreises für würdig befunden wurde, wundert mich nicht!

Auf jeden Fall ein sehr besonderer Roman, in dem die Frage, ob man eine Wahl hat, wiederholt eine Rolle spielt. Auch Freundschaft, Verpflichtungen, die Wirkung, die Herkunft auf das weitere Leben hat, sowie familiäre Beziehungen spielen eine Rolle. Ein Buch für Freunde anspruchsvoller Literatur, die Lust auf etwas Ungewöhnliches aus Italien haben!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Das Recht, gehört zu werden

Der Frauenchor von Chilbury
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haben im englischen Örtchen Chilbury bisher nur Männer. Naja, nicht nur, aber ohne sie läuft nicht viel und als sie allesamt in den Krieg ziehen, soll sogar der lokale Kirchenchor aufgelöst werden, denn ...

haben im englischen Örtchen Chilbury bisher nur Männer. Naja, nicht nur, aber ohne sie läuft nicht viel und als sie allesamt in den Krieg ziehen, soll sogar der lokale Kirchenchor aufgelöst werden, denn nur ihre Stimmen haben dem Ganzen ein Sinn gegeben.

So heißt es jedenfalls von seiten des Pfarrers und was der sagt, das wird akzeptiert. Oder zumindest hingenommen. Bis Musikprofessorin Primrose aus London in dem Örtchen Zuflucht findet. Schließlich schreiben wir das Jahr 1940, es herrscht Krieg und in London ist es viel zu gefährlich.

Primrose gelingt es, die örtliche Damenwelt aufzuwiegeln und mit dem Frauenchor wächst auch das weibliche Selbstbewusstsein.

Es könnte so schön sein, aber irgendwie hat dieses Buch, das sich durch seinen ungewöhnlichen Stil auszeichnet - es wird aus der Perspektive verschiedener Dorfbewohnerinnen berichtet - meinen Nerv nicht so recht treffen. Irgendwie zieht es sich und dieser kurze Auszug - es geht wirklich nur um das Jahr 1940 - ist auch nicht ganz mein Fall.

Klar, originell ist das Buch und sicher für Engländer auch interessanter als für manchen, der von außen auf die Geschichte schaut. Dennoch, mir ist ziemlich schnell langweilig geworden mit dem Buch, auch wenn einige Seitenstränge durchaus Spannung versprechen - aus meiner Sicht aber nicht halten, da das Buch in vielerlei Hinsicht ein wenig überladen ist und ich nach jeder Pause ganz schön Schwierigkeiten hatte, wieder reinzukommen. So empfehle ich das Buch nur Geschichtsinteressierten mit einer Vorliebe für England!