Whiteout
Früher waren sie unzertrennlich. Sie bildeten eine Einheit, waren Seelenverwandte und verstanden sich ohne auch nur ein Wort zu sagen. Früher, vor etlichen Jahren, in ihrer Kindheit und Jugend, da hatte ...
Früher waren sie unzertrennlich. Sie bildeten eine Einheit, waren Seelenverwandte und verstanden sich ohne auch nur ein Wort zu sagen. Früher, vor etlichen Jahren, in ihrer Kindheit und Jugend, da hatte Hanna ihren Bruder Jan und ihre Freundin Fido um sich und war nicht allein.
Jetzt, als erwachsene Frau und gebildete Forscherin, ist Hanna im ewigen Eis unterwegs, um Eisblöcke aus vielen Metern Tiefe an die Oberfläche zu befördern und die im Eis eingespeisten Luftlöcher zu untersuchen. Ihr kleines Forscherteam ist in unmittelbarer Nähe, aber sie ist doch allein. Allein mit ihren Gedanken, mit ihrer organisierten Art und strengen Denkweise. Erst als ihr Bruder ihr eine Email, die nur einen einzigen Satz beinhaltet, schickt und sie diese liest, ändert sich alles um sie herum und vor allem in ihr. Dieser einzige Satz versetzt Hanna in die Vergangenheit, erinnert sie an die glücklichen Tage mit Jan und Fido und all die Dinge, die sie zusammen erlebt und geplant hatten. Fast jeden Tag haben sie sich gesehen, von Abenteuern geträumt, diese nachgespielt und Zukunftspläne geschmiedet. Sie wollten zusammen die Weiten der eisigen Welt erkunden und so ihrer gemeinsamen Leidenschaft folgen und diese intensivieren.
Doch eines Tages ist Fido fort. Sie ist einfach weg und meldet sich nie wieder bei Jan oder Hanna. Sie verschwindet lautlos aus Hannas Leben, hinterlässt eine enorme Lücke, Zeiten des Schmerzes, Zeiten der Verzweiflung und Wut. Hanna versucht mit dem Kapitel abzuschließen und ihren Weg im Leben zu finden und alles alleine zu meistern, doch am Ende der Welt reißt die Wunde von damals wieder auf und das nur in Folge eines einzigen Satzes. Hanna macht sich erneut Gedanken über ihre damalige Freundschaft und Fidos Verschwinden, hat aber gleichzeitig mit Problemen in ihrem Forscherteam und den schlechten Wetterbedingungen in der Antarktis zu kämpfen. Beides zerrt an ihren Nerven, an ihrem Seelenleben und lässt die sonst so toughe Frau ein wenig weicher und verletzlicher werden.
Die Antarktis als Schauplatz dieser Story ist meines Erachtens perfekt ausgewählt. Die Kälte, die allgemeinen Wetterbedingungen, die endlose Weite und die Abgeschiedenheit vermitteln nicht nur die passende Atmosphäre, um sich in den Zustand der Hauptprotagonistin hineinzuversetzen, sondern spiegeln auch über das ganze Buch hinweg ihre Gedanken und ihr Inneres wieder. Zunächst ist alles ruhig, bis ein leichter Wind geht und sich leichte Spannungen aufbauen, bis die Email des Bruders gelesen wird und sich draußen und gleichzeitig in Hannas Seele ein Sturm entlädt und alles durcheinander bringt und ein Kontrollverlust in allen Bereichen droht.
Wieder einmal wurde im Mare Verlag ein höchst interessantes, anspruchsvolles und originelles Buch veröffentlicht, welches durch einen guten Schreibstil, eine einzigartige Story und ein wundervolles Layout besticht.