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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.12.2017

Betreiber einer Felithek

Mr. Widows Katzenverleih
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ist Mr. Widow. Sie kennen und schätzen Bibliotheken, leihen gerne Bücher aus? Nun, dann lernen Sie doch auch eine andere Form des Verleihs kennen, einen Katzenverleih nämlich, betrieben vom alten Mr. Widow, ...

ist Mr. Widow. Sie kennen und schätzen Bibliotheken, leihen gerne Bücher aus? Nun, dann lernen Sie doch auch eine andere Form des Verleihs kennen, einen Katzenverleih nämlich, betrieben vom alten Mr. Widow, einem Engländer par excellence, der seinen Bestand immer wieder erweitert und zwar mit Katzen in Not: solchen, die gestrandet sind, derer man sich erledigen will oder wie auch immer. Doch es ist keineswegs ein trauriges Häuflein, das sich in seinem nicht gerade kleinen Haus zusammengefunden hat, nein, den Katzen geht es gut, zumal sie ihren Job kreativ ausüben dürfen.

Im Klartext heißt das, dass sie sich aussuchen dürfen, von wem sie ausgeliehen werden wollen und mit wenigen Ausnahmen klappt das ganz wunderbar.

Beim Einsammeln von Katzen in einem Müllcontainer stößt Mr. Widow auf Nancy, die ebenfalls gestrandet ist und derer er sich annimmt. Aus ihrer Perspektive wird die Geschichte erzählt und bald deutet sich an, dass Nancys bisheriges Leben nicht gerade ehrenhaft ablief, nein, sie ist noch nicht einmal die, für die sich ausgibt. Oder doch?

Die Figuren, die wir hier kennenlernen, sind einfach köstlich, sowohl die menschlichen als auch die felinen. Die Autorin versteht es, ihnen einen ganz eigenen Charme zu verleihen, auch den negativen, an denen es nicht mangelt! Denn es ist ein Märchen, in dem es vor bösen Schwiegermüttern und Wölfen im Schafspelz nur so wimmelt - auch wenn man sie nicht direkt als solche erkennt.

Ein sehr schöne und ungewöhnliche Geschichte ist hier erschaffen worden: eine mit ordentlich Biss und Schmackes. Antonia Michaelis bleibt dem von ihr wenn nicht geschaffenen, dann doch sehr einfallsreich mitgestalteten Genre der Spannungsposie, die diesmal einen starken Einschlag ins Märchenhafte zeigt, treu und begeistert mich wieder einmal mit ihrer ebenso zauberhaften wie frechen Sprache und dem mehr als originellen Stil.

Vor allem aber war ich nach der Lektüre - und bin es noch - eigentümlich beschwingt, auf eine besondere, ausgelassene Art und Weise. Antonia Michaelis hat mir gezeigt, dass man seinem Leben eine neue Richtung geben kann, auch wenn man glaubt, es geht nicht mehr weiter. Ein Buch, das mir viel Kraft gegeben hat, Kraft, Lebensmut und auch gute Laune. Das ist wahre Dichtkunst: ein Märchen für Erwachsene vom Allerfeinsten, aber mit einem gehörigen Schuss Humor darin!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Ein Kleid, das Generationen verbindet

Die Frau im hellblauen Kleid
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Es wird nämlich in den 1920ern genäht - und zwar für die angehende österreichische Schauspielerin Käthe Schlögel, die darin vorspricht. Der Beginn einer großen, aber dennoch steinigen Karriere, die von ...

Es wird nämlich in den 1920ern genäht - und zwar für die angehende österreichische Schauspielerin Käthe Schlögel, die darin vorspricht. Der Beginn einer großen, aber dennoch steinigen Karriere, die von viel Missgunst und Gemeinheiten in schwierigen Zeiten geprägt ist.

In den 10er Jahren des 21. Jahrhunderts gibt es das Kleid immer noch, es hängt im Schrank von Käthes Tochter Marianne, die nun selbst eine alte Frau ist.

Marianne wohnt zusammen mit Tochter Vera und Enkelin Sophie und in aller Leben spielen Theater und Film eine große Rolle. Und eine Menge Geheimnisse - Vera weiß nämlich längst nicht alles über ihren Großvater und hat ihrerseits wieder der Tochter verschwiegen, wer deren Vater ist. Und außerdem gibt es eine jahrzehntelange Feinschaft zu Familie Bleck, die als Produzenten einen großen Einfluss sowohl auf die österreichische als auch auf die deutsche Filmlandschaft hatten. Und nun will Vera einen Film über ihre Mutter drehen, die ihr in diesem Zusammenhang jeglichen Kontakt zu den Blecks untersagt... bis sie ihre Meinung ändert. Veras Film soll nicht nur von ihr, sondern auch von ihrer Mutter Käthe handeln.

In Rückblenden bis in die 1920er Jahre erfährt der Leser Käthes und später auch Mariannes Werdegang. Ich liebe solche Romane, die auf mehreren Zeitebenen spielen und Vergangenes mit Gegenwärtigem zusammenbringen. Ebenfalls liebe ich die Bücher von Beate Maxian, die mir bereits als Krimiautorin der Reihe um die abergläubische Journalistin Sarah Pauli ein Begriff ist - keinen einzigen dieser Bände habe ich versäumt und jeden einzelnen über alle Maßen genossen, spielt in ihnen nicht nur die Spannung, sondern auch der spezielle Charme Österreichs, vor allem die Wiener Schmäh eine nicht geringe Rolle.

Sollte das hier auch so sein? Ich nehme es gleich vorweg, ja, Beate Maxians Begabung im Atmosphärischen und in der Figurenbeschreibung kommt auch im "Hellblauen Kleid" heraus.

Nur leider schlägt die Autorin ein bisschen über die Stränge, nämlich über die Erzählstränge und verheddert sich gelegentlich in einem Zusammenhang bzw. bleibt irgendwo in der Mitte hängen und führt so manchen Gedankengang nicht zu Ende. Fand ich leider unbefriedigend, auch wenn ich das Buch insgesamt wirklich sehr genossen habe. Übrigens hat auch in diesem Roman der Aberglaube eine kleine Rolle gespielt - vielleicht eine thematische Visitenkarte von Beate Maxian? Es würde passen, denn auch hier wird dieser Punkt sehr stimmig und charmant präsentiert.

Ich hoffe jetzt, dass Beate Maxian weitere historischen Romane "zaubern" wird, denn trotz kleiner Minuspunkte habe ich das Buch sehr genossen. Für alle, die gerne kluge und stimmige Familiengeschichten bspw. aus der Feder von Heidi Rehn oder Katja Maybach genießen, sicher ein Volltreffer!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Der letzte "normale" Freitag

Sieh mich an
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in Katharinas Leben? Vielleicht, denn sie hat irgendwas Störendes in ihrer Brust entdeckt, etwas richtig Fieses, was ihr zu denken gibt, zumal sie genetisch vorbelastet ist.

Also, eigentlich ist sie ...

in Katharinas Leben? Vielleicht, denn sie hat irgendwas Störendes in ihrer Brust entdeckt, etwas richtig Fieses, was ihr zu denken gibt, zumal sie genetisch vorbelastet ist.

Also, eigentlich ist sie sich fast sicher, dass sie nicht mehr lange leben wird, so jedenfalls kommt es bei mir rüber. Aber sie klammert es aus, da es ja viel Wichtiges gibt in ihrem Leben, über das sie nachzudenken fast keine Zeit hat. Zwischen Familie, Job, aber auch ihrem Innenleben - Reflexionen, Erinnerungen - zerrissen bricht er doch immer wieder hervor, dieser böse kleine Gedanke, bis - ja, bis es gewissermaßen kracht.

An diesem Freitag spitzt sich nämlich alles auf eine Explosion zu. Auch wenn es nicht so scheint, aber dieser Knall findet statt und ich muss sagen, in meinen Augen hat er eine Menge vom Charme des Buches geraubt. Ohne wäre besser gewesen, denn Katharinas spitzzüngige Wahrnehmung ihrer Umgebung, vor allem der sie umgebenden Personen ist einfach herrlich geschrieben, trotz oder auch gerade wegen der Tragik ein wahrer Lesegenuss.

Denn Autorin Mareike Krügel versteht es hervorragend, Situationen in Worte zu fassen, Emotionen rüberzubringen, ihrer Protagonistin Katharina Gestalt zu verleihen - nämlich die einer nicht gerade unkomplizierten Mittvierzigerin, die schon so einiges mitgemacht hat. Was sie quasi so nebenher rüberbringt. Sehr gelungen. Außer dem Knall halt, der wirkt unglaubwürdig, finde ich. Aber sonst ein wirklich eindrucksvoller und eindringlicher Roman.

Veröffentlicht am 20.12.2017

Weng in den Augen von Thomas Bernhard und von seinem Nachfolger

Tau
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Oder Verfolger?

Nun, wie auch immer "Weng", das klingt chinesisch, gemeint ist aber ein kleines Dorf in Österreich, dasjenige nämlich, das in Thomas Bernhards Debütroman "Frost" eine Rolle spielte. Der ...

Oder Verfolger?

Nun, wie auch immer "Weng", das klingt chinesisch, gemeint ist aber ein kleines Dorf in Österreich, dasjenige nämlich, das in Thomas Bernhards Debütroman "Frost" eine Rolle spielte. Der Autor hat nämlich den Einwohnern einen Spiegel vorgehalten und zwar nicht zu knapp: selbstgerecht, voller Vorurteile, ja bösartig, so waren sie.

Für seinen Nachfolger, den namenlosen Ich-Erzähler des Romans, ist es eine Rückkehr zu seinen Wurzeln, allerdings eine mit Bezug zu Bernhard. Er kehrt in den (inzwischen ehemaligen) Gasthof seiner Großeltern ein bzw. zurück, in dem das Buch entstand. Und zwar, inzwischen Assistent an der Uni, tatsächlich auf den Spuren von Bernhard zu Forschungszwecken.

Ein Buch, das es seinen Lesern nicht unbedingt leicht macht, denn Mulitzer schreibt scharfzüngig, provokant und bewusst polarisierend. Will er den Einwohnern von Weng (das es wirklich gibt, Bernhard hatte dort zwei Jahre in einer Lungenheilanstalt zugebracht) tatsächlich die Meinung geigen? Nun, es ist wohl mehr eine Auseinandersetzung mit Thomas Bernhard und dessen Figuren, vor allem aber mit sich selbst und seinen Erinnerungen.

Für Bernhard-Leser und Fans (bin ich beides nicht) sicher um einiges erfüllender als für mich, die die Entwicklungen wieder und wieder als verwirrend empfand. Und zu viel Sex, viel zu viel Sex für meinen Geschmack - hier wäre weniger wesentlich mehr gewesen, gerade auch im Hinblick auf die eigentlichen Schwerpunkte.

Dennoch, der Autor beeindruckt mit glasklaren Formulierungen, schwarzem Humor, scharfsinnigen Schlussfolgerungen - sprachlich ein wahrer Genuss. Wer sich also auf was Neues in jeder Hinsicht einlassen möchte - für den könnte dieses Buch was sein!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Was bleibt

Menschenwerk
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Ungeheuer schmerzhaft ist die Lektüre dieses Buches, das muss gleich vorweg gesagt werden: es geht um LEIDEN (ja genau, es muss groß geschrieben werden, so stark ist die Wirkung dieses Begriffs), um Trauer ...

Ungeheuer schmerzhaft ist die Lektüre dieses Buches, das muss gleich vorweg gesagt werden: es geht um LEIDEN (ja genau, es muss groß geschrieben werden, so stark ist die Wirkung dieses Begriffs), um Trauer und um Schmerzen, um Verlust - und auch um Unrecht.

Man könnte dieses Buch als historischen Roman bezeichnen: Die Autorin Han Kang, in Deutschland durch ihren 2016 erschienenen (jedoch bereits 2007 verfassten) Roman "Die Vegetarierin" bekannt geworden, hat hier einen mutigen, kraftvollen und schmerzhaften Roman über ihre Heimatstadt Gwangju verfasst, in der 1980 ein furchtbares Ereignis stattfand: der Aufstand der Bevölkerung gegen die neue Militärregierung wurde blutig niedergeschlagen, es gab haufenweise Opfer (was leider wörtlich zu nehmen ist, wie während der Lektüre von "Menschenwerk" klar wird). Diesen Aufstand, vor allem jedoch seine Folgen, hat Han Kang in ihrem Roman verarbeitet, wobei sie sich an der realen Biographie eines Jungen orientiert.

Verschiedene Charaktere, tote und lebendige, kommen zu Wort, zu unterschiedlichen Zeiten. Doch immer geht es um dieses Ereignis, das auch Jahre später nichts von seiner Tragik verloren hat - verständlicherweise. Denn: Was bleibt, ist der Schmerz. Und die Trauer.

Ein ganz anderes Buch als "Die Vegetarierin", in dem es um die Entwicklung einer Person ging - hier hingegen geht es um Zerstörung und zwar nicht nur eines Menschen.

Dieses Wissen machte es mir fast unerträglich, weiterzulesen, wobei ich meine Lektüre jedoch keine Sekunde bereut habe. Wie "Die Vegetarierin" ist auch dies ein eher stilles Buch, das jedoch voller Kraft und auch Mut steckt. Denn es erfordert sehr viel Mut, sich einem solchen Thema zu stellen und zwar so vollständig, wie es Han Kang getan hat. Ein kleines großes Buch von einer großen Autorin.