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Veröffentlicht am 17.09.2021

Liebe auf den zweiten Blick

Die Eismacher
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Liebe auf den zweiten Blick: Das ist es , was ich für diesen Roman empfunden habe - sie ist zwar nicht frei von Einschränkungen, dafür aber mit Sicherheit beständig!

Der Einstieg in die Geschichte - der ...

Liebe auf den zweiten Blick: Das ist es , was ich für diesen Roman empfunden habe - sie ist zwar nicht frei von Einschränkungen, dafür aber mit Sicherheit beständig!

Der Einstieg in die Geschichte - der Protagonist beschreibt die späte Liebe seines Vaters zu der (ost)deutschen Hammerwerferin Betty Heider (einer real existierenden Sportlerin und Olympiasiegerin), die sich nur über den Fernseher manifestiert hat und jahrelang nachhallte - ist einer der witzigsten im Bereich der Gegenwartsliteratur überhaupt, die mir je begegnet sind. Doch dann wird die Geschichte langatmig - das habe zumindest ich empfunden, die ich mir die weitere Handlung ein wenig aufzwingen musste, hatte ich mich doch bereit erklärt, dieses Buch umfänglich zu rezensieren. Ein Glück, muss ich im Nachhinein sagen: Andernfalls hätte ich es im Leben nicht beendet und mir wären viele wunderbare kleine Episoden - damit brilliert Autor Ernest van der Kwast - vorenthalten geblieben, die ich mein Lebtag nicht vergessen werde. Und nicht wenige davon sind wahr, hat der Autor seine Geschichte doch in ein Setting zwischen zwei Berufsstände, die unterschiedlicher nicht sein können, angesiedelt. Einerseits die Herstellung und der Verkauf von Speiseeis, andererseits die professionelle Beschäftigung mit Lyrik, die Giovanni, der älteste Sohn der Familie Talamini, gegen den Willen seiner Eltern, zum Beruf erwählt, anstatt das elterliche Eiscafé in Rotterdam zu übernehmen. Das macht dann der jüngere Bruder - nur ein Meilenstein in der Dynamik, ja lebenslangen Konkurrenz der geschwisterlichen Beziehung.

Ganz klar: Ernest van der Kwast kann schreiben. Ganz wunderbar sogar, ist doch sein kleiner Roman "Fünf Viertelstunden bis zum Meer" einer meiner All-Time-Favourites und definitiv alles andere als ein Romänchen. Nein, er hat Kraft, Eleganz, Eloquenz, Ideen und ist von einer Klugheit beseelt, die ihresgleichen sucht. Aber: er kann besser kurz. Viel besser, finde ich. Bei "lang" verliert er sich teilweise in Längen, quält sich durch Episoden, die die Welt nicht braucht. Ich bilde mir ein, zu merken, welche Passsagen für den Autor Pflicht und welche Kür waren.

Dennoch ein wunderbarer, unbedingt empfehlenswerter Roman, Aber: Eine Geschichte, mir der man Geduld haben muss, eine, die sich langsam entwickelt - dann jedoch bereichert sie mit vielen kleinen, dabei klugen und oft auch witzigen Episoden und Essenzen. Wenn man dann irgendwann den Überblick über die gesamte Handlung hat, quasi ihren Sinn begreift und damit versteht, worauf genau der Autor eigentlich hinauswill, dann, ja, dann ist es eine sehr wichtige und grundlegende Botschaft, die man erhält.

Ich jedenfalls freue mich schon sehr auf den nächsten - hoffentlich kurzen - Roman von Ernest van der Kwast und wage es, ihm, der originell wie selten ein anderer ist, eine international glorreiche Zukunft zu prophezeien!

Veröffentlicht am 17.09.2021

Einsamkeit hat viele Facetten

Vom Ende der Einsamkeit
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Das lernt Jules früh, als er, erst zehnjährig, seine Eltern durch einen Unfall verliert und zusammen mit seinen um einiges älteren Geschwistern Marty und Liz in ein Internat kommt - eines, das weder Schicki-Micki ...

Das lernt Jules früh, als er, erst zehnjährig, seine Eltern durch einen Unfall verliert und zusammen mit seinen um einiges älteren Geschwistern Marty und Liz in ein Internat kommt - eines, das weder Schicki-Micki ist noch Hanni-und-Nanni-Gruppenstimmung aufkommen lässt. Nein, es ist eines, in das Kinder und Jugendliche mehr oder weniger abgeschoben werden und da sind sie nun, die drei Unglücklichen und leben mehr oder minder nebeneinander her. Marty stürzt sich auf Wissenschaftliches, Liz mag Männer und Fluchten und Jules bleibt allein zurück, bis sich eines Tages Alva, auch sie eine Zurückgelassene, neben ihn setzt. Seitdem gibt es Jules und Alva - aber auch Alva mag andere Männer und sie mag es, davonzulaufen. Wie vertraut das Jules scheint.

Das Erwachsenenleben lässt die drei Geschwister zwar nicht unbedingt zusammenrücken, doch durchaus mehr aufeinander zukommen. Vor allem Marty hat seinen Weg gefunden, beruflich und privat herrschen bei ihm stabile Verhältnisse. Liz ist immer noch unstet, kehrt aber immer wieder zu ihren Brüdern zurück - zumindest das. Und Jules, er hat einen tollen Job, der ihm Spass macht, aber Alva - Alva ist ihm schon vor vielen Jahren - noch zu Schulzeiten - durch die Lappen gegangen. Dabei wollten sie Kinder zusammen haben, wenn sie es - einzeln jeweils - noch nicht geschafft haben, Eltern zu werden, bevor sie 30 sind.

Jules findet Alva - kinderlos, aber verheiratet mit einem sehr viel älteren Mann - und es beginnt ein seltsames Leben für ihn. Wir begleiten Jules und seine Leute noch einige Jahre und erobern gemeinsam mit ihm seine Festung der Einsamkeit, verlassen diese aber auch wieder mit ihm.

Ein Buch über Freundschaft und Familie, vor allem aber über Vertrauen und über verschiedene Arten von Beziehungen. Das Leben geht seltsame Wege, doch aufhören tut es erst durch den Tod, vorher ist man nicht am Ende, auch wenn man es oftmals denkt und sich verlassen fühlt.

Ein schön geschriebenes Buch, das ich gern gelesen habe, das mir in seiner Botschaft ingesamt aber einen Hauch zu einfach war. Ein Buch für zwischendurch, eines, mit dem man sein Bedürfnis nach schönen Worten und Sätzen befriedigen kann. Es ist weit davon entfernt, bedeutungslos oder oberflächlich zu sein - aber so inhaltsreich, dass es noch lange in mir nachhallen wird, ist es dann auch wieder nicht - obwohl mich Wells' Worte immer mal wieder ergriffen haben und ich viele Parallelen zu meinem eigenen Leben fand.

Veröffentlicht am 17.09.2021

Totenhaus

Totenhaus
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Ein Krimi der anderen Art. Eher der ruhigen, der introvertierten - doch wer glaubt, es ginge hier gemächlich zu, der befindet sich auf dem Holzweg!

Worum es geht: Bestatterin Blum - eingeführt bereits ...

Ein Krimi der anderen Art. Eher der ruhigen, der introvertierten - doch wer glaubt, es ginge hier gemächlich zu, der befindet sich auf dem Holzweg!

Worum es geht: Bestatterin Blum - eingeführt bereits im Vorgängerband "Totenfrau"- hat richtiggehend Schwierigkeiten: jede Menge Leichen haften ihr an. Und sie begibt sich auf eine Flucht - zunächst jedoch auf eine Suche, denn sie hat etwas für sie Ungeheuerliches entdeckt: eine Frau auf einem Zebra - beides ausgestopft und somit schon generell sehr speziell - die genauso aussieht wie sie. Recht schnell stellt sie fest, dass es für sie eine zweite Familie gibt, denn es gibt durchaus einen direkten Zusammenhang mit Björk, wie ihr Alter Ego heisst.

Schneller, als sie sich umschauen kann, pflastern Leichen ihren Weg bzw. haften ihr an - und sie muss sich aus dem Staub machen - ohne ihre Kinder und ohne die Zuverlässigen Bezugspersonen Karl - den ehemaligen Schwiegervater und Reza - den zeitweiligen Geliebten.

Weitere Figuren tauchen auf - sie alle als schräg zu bezeichnen, ist - gelinde gesagt - eine Untertreibung sondergleichen! Und die Handlung wird blutig und hart - auch wenn es viel um innere Entwicklungen geht, sind es große Themen, die hier angesprochen werden: es stellt sich die Frage, wem man vertrauen kann und wer man selber ist - vom gesamten Umfeld gar nicht zu Reden. Blum jedenfalls bereitet sowohl sich als auch anderen jede Menge Schwierigkeiten - wobei nur der kleinere - durchaus nicht geringe Teil - hausgemacht ist .

Ein ruhiger, aber heftiger Thriller, an dessen Ende man noch lange nicht weiß, wohin die Reise geht - man kann es nur erahnen. Trotz der Härte, der Unbarmherzigkeit ist dies ein Buch der langsamen Entwicklungen - manchmal zu langsam für mich. Das bezieht sich aber ausschließlich auf den Schreibstil, wenn man sich vergegenwärtigt, was da so los ist, geht es eindeutig Knall auf Fall.

Ein Buch für anspruchsvolle Thrillerfreunde, die wollen, dass es kracht und die nicht zu empfindlich sind. Meinen Geschmack hat es allerdings nur teilweise getroffen!

Veröffentlicht am 17.09.2021

Sowjet-Märchen

Der wahrhaftige Volkskontrolleur
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Der getreue Bürger und Bewohner eines abgelegenen Dorfes Pawel Dobrynin wird quasi aus dem Nichts zum Volkskontrolleur ernannt - auf Neudeutsch wäre das der Controller des gesamten Sowjetvolkes bzw. einer ...


Der getreue Bürger und Bewohner eines abgelegenen Dorfes Pawel Dobrynin wird quasi aus dem Nichts zum Volkskontrolleur ernannt - auf Neudeutsch wäre das der Controller des gesamten Sowjetvolkes bzw. einer davon, der für einen Teilbereich zuständig ist: bei Pawel ist das eine sehr, sehr abgelegene, eisbedeckte Region. Wir befinden uns in den frühen Jahren der Sowjetunion - es dreht sich alles um den Genossen Lenin, der leider vor einigen Jahren verstorben ist - oder doch nicht?

Zudem taucht ein Engel auf, der durch einen Kleiderwechsel mit dem Deserteur Sergunkow zu einem Flüchtigen wird und mit seinesgleichen ein neues Leben im "gelobten Land" beginnt, eine ganz eigene Form des sowjetischen Gemeinschaftslebens.

Weitere Handlungsstränge drehen sich um den liebenswerten Schuldirektor Banow, der das Gute im Menschen sieht und um den Künstler Mark Iwanow, der mit seinem Gedichte rezitierenden Papagei durch die Lande zieht.

Ein Haufen verschrobener Menschen also, der da im frühen Sowjetreich sein Leben fristet, das trotz etlicher Brutalitäten seltsam harmlos scheint - märchenhaft eben. Eine herrliche Satire in bewährter kurkowscher Manier?

Nun, ich bin ein großer Fan der frühen Kurkow-Werke: der Doppelroman um den Pinguin Mischa und Viktor, einen Verfasser von Nekrologen, die zunächst einträchtig in einer WG in Kiew leben, sich dann jedoch aus den Augen verlieren und auf einer Odysee wiederfinden müssen, hat mich sowohl amüsiert als auch bewegt. Auch "Ein Freund des Verblichenen", in dem der lebensmüde Tolja einen Killer für sich selbst engagiert und dann verzweifelt versucht, diesen wieder abzubestellen, hat mir gut gefallen. Daher habe ich mich sehr auf das vorliegende Werk gefreut!

Doch ohje: Bei dem "Wahrhaftigen Volkskontrolleur" Pawel, der für Gerechtigkeit steht : der mal naiv, dann wieder fast philosophisch wirkt - Eigenschaften, die auch die parallel agierenden Akteure Engel, Banow und Ivanov aufzuweisen haben, wurde ich bezüglich des Lesegenusses sehr enttäuscht. Der von mir so geschätzte Osthumor blitzt zwar durchaus von Zeit zu Zeit auf, größtenteils wird der Bogen aber ganz schön überspannt. Dadurch ist es leider nicht die erhoffte geniale Satire auf den Kommunismus, sondern ein schwer zu lesender Mix von Absurditäten. Für mich sehr schade, reiht sich der Volkskontrolleur nicht in die von mir so sehr geschätzten oben genannten kurkowschen Juwelen ein! Dazu trägt auch bei, dass die einzelnen Erzählstränge vor sich hinplätschern und nicht zu einer Handlung zusammenfließen - dadurch ist es kein richtiger Roman, sondern eine Aneinanderreihung einzelner Geschichten.

Mir fiel es sehr schwer, mich auf die Handlung zu konzentrieren und am Ball zu bleiben, ich hoffe sehr auf den nächsten Kurkow - denn nach meinem grandiosen Start mit diesem Autor mag ich ihn noch nicht ganz aufgeben!

Veröffentlicht am 17.09.2021

Emotionale Familiengeschichte auf hohem Niveau?

Und wieder Februar
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Helen ist eine Frau, die in recht jungen Jahren einen riesigen Verlust erlebt hat: als junge Mutter von drei Kindern und - damals noch unwissentlich - schwanger mit dem vierten, steht sie alleine da, nachdem ...

Helen ist eine Frau, die in recht jungen Jahren einen riesigen Verlust erlebt hat: als junge Mutter von drei Kindern und - damals noch unwissentlich - schwanger mit dem vierten, steht sie alleine da, nachdem ihr Mann Cal in den frühen 1980er Jahren auf einer Ölbohrinsel tödlich verunglückt.

Wir lernen Helen als ältere, umsichtige Frau, Mutter von erwachsenen Kindern und Großmutter kennen: ihre traurige Geschichte wird uns in Form von Rückblenden vermittelt. Der Einblick in Helens Lebens, das stark von der Sorge um die nun erwachsenen Kinder geprägt ist, zeigt ein Leben, das von Trauer und Einsamkeit, doch auch von positiven Momenten: enge familiäre Einbindung, Kinder, die sich nach einer schwierigen Jugend berappeln. Und nach fast 30 Jahren findet auch eine neue Liebe Einzug in ihr Leben.

Zudem lernen wir Helens Sohn John und seine Lebenssituation kennen - er wird bald Vater eines von ihm ungewollten Kindes. Gespannt darf der Leser die Reaktion von Mutter Helen und die Bewältigung der Situation im Familienverband verfolgen.

Etwas wortreich und umständlich ist der Erzählstil von Lisa Moore, doch trotzdem einfühlsam und packend. Da sich zwar nicht die gesamte Erzählperspektive, aber doch die Rolle der Figuren und ihre Position innerhalb der Geschichte häufig ändern, wirkt der Roman gelegentlich etwas konfus. Ein Ansatz, der Aufmerksamkeit erregen wird: dieser Familienroman hat mit dem Kitsch einer Rosamunde Pilcher, der teilweisen Oberflächlichkeit einer Anna Gavalda nichts gemein - diese Autorin versteht ihr Handwerk! Auf der anderen Seite hapert es am "gewissen Etwas": aus meiner Sicht fehlt die Kraft und Intensität der großen Meeresromane der letzten Jahren wie "Rubinrotes Herz, eisblaue See" von Morgan Callan Rogers oder auch "Brandungswelle", einem Roman der Französin Claudie Galley.

Fazit: ein netter Familienroman, dem von Zeit zu Zeit ein wenig die Puste ausgeht. Es ist eine emotionale Familiengeschichte mit Höhen und Tiefen, insgesamt jedoch auf eher mittelmäßigem Niveau.