Eine gelungene Fortsetzung
Aurelia und die Melodie des TodesBeate Maly entführt uns Leser wieder in das Wien des 19. Jahrhunderts, genauer gesagt in den Herbst des Jahres 1871. Ganz Wien versinkt unter einer dicken Nebeldecke, Smog würde man heute sagen, als auf ...
Beate Maly entführt uns Leser wieder in das Wien des 19. Jahrhunderts, genauer gesagt in den Herbst des Jahres 1871. Ganz Wien versinkt unter einer dicken Nebeldecke, Smog würde man heute sagen, als auf der Wieden der Ziegelbaron Meinrad Auerbach aus dem Fenster seiner Wohnung stürzt. Ein bedauerlicher Unfall oder mehr? Von Seiten der Polizei nimmt man Auerbachs Fenstersturz als Selbstmord zu den Akten, ist doch der Industrielle bei der Auftragsvergabe zu den Baumaßnahmen für die Weltausstellung, die 1873 stattfinden soll, leer ausgegangen.
Wenig später wird in unmittelbaren Nähe von Auerbachs Wohnung ein Werkelmann erschlagen aufgefunden, die Tatwaffe: ein Wiener Würfel, also jene Granitwürfel, die neuerdings zur Pflasterung von Wiens Straßen verwendet werden. Das Gesicht des Opfer ist kaum wieder zu erkennen. Hat der Täter hier ein persönliches Motiv? Hängen die beiden Todesfälle zusammen? Und wenn ja, wie?
Und was hat die Warnung an Auerbachs Schwester bei einer Séance, zu der auch Aurelia von Kolowitz und ihr treuer Begleiter Nepomuk Hofmeister eingeladen sind, zu bedeuten? Beiden kommt das verschleierte Medium mit der tiefen Stimme, das vor allem die Gastgeberin in Angst und Schrecken versetzt, suspekt vor. Aurelia und Nepomuk beginnen zu recherchieren und entdecken einige Ungereimtheiten, die den Polizeiagenten Janek Pokorny auf den Plan rufen.
Meine Meinung:
Wie schon im ersten Band („Aurelia und die letzte Fahrt“) spielt Aurelia von Kolowitz, die Tochter eines Grafen, eine zentrale Rolle bei der Aufklärung der beiden Todesfälle. Aurelia setzt sich immer wieder, zum Leidwesen ihres Vaters, über die herrschenden Konventionen hinweg. So lässt sie sich von Frieda, der einzigen Fiakerin, durch Wien kutschieren, steckt ihre neugierige Nase in Dinge, die sie nichts angehen, zeichnet unter Pseudonym mit spitzer Feder Karikaturen für eine Zeitung und weigert sich beharrlich zu heiraten. Um den Schein zu wahren, lässt sie sich, wenn es unumgänglich ist, von Nepomuk Hofmeister begleiten, der ein Geheimnis mit sich herumträgt, das bei ihr sehr gut aufgehoben ist.
Wieder einmal wird zu dritt, also Aurelia, Nepomuk und Janek, ermittelt, wovon Letzterer gar nicht so erbaut ist. Zum einem ist er in Aurelia verliebt (was auf Grund des Klassenunterschieds wenig Hoffnung auf Erfüllung macht) und zum anderen ist Janek einst mit Nepomuk im Internat gewesen und wegen dessen Aussage bei einem Vorfall von der Schule geflogen, was ihn nach wie vor wurmt.
Wie wir es von Beate Maly gewöhnt sind, hat sie wieder zahlreiche Details jener Epoche, in der der historische Krimi spielt, ausgegraben. So erfahren wir, dass der Pflasterstein mit dem der Werkelmann erschlagen worden ist, Wiener Würfel heißt und eine Kantenlänge von 18,5 cm hat. Erst am 23. Juni 1871 ist die neue, metrische Maßeinheit als gesetzliches Längenmaß eingeführt worden und löst die bis dahin gültigen unterschiedlichen Längenmaße Elle, Fuß und Klafter ab. Als historisch interessierte Wienerin und Vermesserin erfreuen mich solche Details besonders.
Geschickt sind auch die Standesunterschiede in die Geschichte eingewoben. Diese ehernen und ungeschriebenen Gesetze machen Janek doch sehr zu schaffen. Einerseits weil er kaum Hoffnung hat, sich Aurelia zu erklären und dabei Nepomuk als Konkurrenten sieht, und andererseits weil auch innerhalb der Hierarchie als k. und k. Polizeiagent nur wenig Aufstiegschancen für ihn offenstehen. Sein Vorgesetzter erinnert ihn immer wieder an seine Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen, seine Eltern waren sogenannte „Ziegelbehm“ also aus Böhmen stammende Ziegelarbeiter, die Industriebarone wie den toten Meinrad Auerbach reich gemacht haben. Dabei ist sich Janek dessen selbst bewusst, muss er doch manchmal auf den einen oder anderen Hinweis seines Bruders Carl, der ein Ganove ist, zurückgreifen, um bei seinen Ermittlungen Erfolg zu haben. Ein Vabanque-Spiel, das nicht ganz ungefährlich ist.
Genau diese Beschreibung der extrem unterschiedlichen Gesellschaftsschichten des 19. Jahrhunderts sind von Beate Maly wieder sehr gut recherchiert und dargestellt. Wie in allen ihren historischen Romanen braucht die Autorin viel „Personal“, das bis hin zu den kleinsten Nebencharakteren detailliert ausgearbeitet ist.
Neben der Tuberkulose, jener Lungenkrankheit, die als „Wiener Krankheit“ nicht nur die arme Bevölkerung in ihren feuchten Wohnverhältnissen dahinrafft sondern auch die Reichen, kommt auch die Syphilis zur Sprache. Fremd gehende Männer, die nicht nur sich selbst mit der Geschlechtskrankheit anstecken, sondern auch ihre Ehefrauen sind diesmal ein Teil der Geschichte sowie der Umgang mit Kindern, die als Ungeborene mit der Krankheit infiziert worden sind. Ein durchaus sozialkritisches Thema.
Beate Maly legt zahlreiche Spuren, von denen einige in eine Sackgasse und andere das Trio mit der Eisenbahn bis nach Gloggnitz führen.
Fazit:
Gerne gebe ich diesem komplexen historischen Kriminalroman, bei dem Beate Maly wieder aller Register gezogen hat, 5 Sterne und eine Leseempfehlung.