Penibel recherchiert und gut erzählt
Mitternacht in Tschernobyl„Es gibt nichts mehr zu kühlen“
Am 26. April 1986 führt eine fatale Kombination aus veralteter Technologie, Größenwahn, schlechtem Baumaterial, ungenügenden Sicherheitssystemen sowie menschlichem Versagen ...
„Es gibt nichts mehr zu kühlen“
Am 26. April 1986 führt eine fatale Kombination aus veralteter Technologie, Größenwahn, schlechtem Baumaterial, ungenügenden Sicherheitssystemen sowie menschlichem Versagen zur Kernschmelze im Reaktorblock IV des ukrainischen Atomkraftwerkes Tschernobyl. Die damalige Sowjetunion versucht mit Geheimniskrämerei, Lügen und falschen Schuldzuweisungen das wahre Ausmaß dieses Super-GAUs zu vertuschen.
Die genauen Details, wieso und warum es zu dieser Katastrophe gekommen ist, ist lange unklar. Autor Adam Higginbotham erhält Jahrzehnte nach dem Reaktorunfall Zugang zu Archiven und durchforstet bislang unveröffentlichte Briefe und geheime Dokumente. Er führt Dutzende Interviews mit Überlebenden der Katastrophe.
Penibel recherchiert er die zahlreichen Versäumnisse, das jedes für sich schon dramatisch genug gewesen wäre, doch in der Gesamtsumme ist die Katastrophe nicht aufzuhalten gewesen.
Das Buch ist sehr gut strukturiert und geht in den zwanzig Kapiteln auch auf die sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekte ein. Sehr gut gelungen ist dem Autor, die physikalischen und technischen Zusammenhänge darzustellen. Man kann diesem Sachbuch auch folgen, ohne Atomphysik studiert zu haben. Naturgemäß kommen die Apparatschiks der damaligen Sowjet-Regierung nicht gut weg. Durch ihre Strategie der Vertuschung, Fehlinformation und Geheimhaltung sowie Propaganda haben sie gehörigen Anteil an der Tragödie.
Obwohl ein Sachbuch, liest sich das Buch flüssig. Der Leser ist mitten drinnen im Geschehen, atmet die radioaktiv verseuchte Luft ein und erleidet die Qualen der verstrahlten Kraftwerkangestellten und der „Liquidatoren“.
Obwohl keine leicht Kost, hat mich das rund 450 Seiten umfassende Buch fasziniert. Es enthält neben zahlreichen schwarz/weiß-Fotos noch auf ca. 150 Seiten genaue Quellenangaben sowie weiterführende Literatur.
Dieses Buch zeigt, dass die Kernkraft nicht so leicht von den Menschen beherrschbar ist. Beispiele wie vor Tschernobyl „Three Miles Island“ in den USA und danach in Fukushima/Japan belegen dies eindeutig. Wenn nun, im Lichte der Erderwärmung und der Klimakrise, wieder über eine mögliche Rückkehr zur Kernenergie nachgedacht wird, habe ich arge Bedenken um die Sicherheit der Menschheit.
Fazit:
Auch wenn man als Leser keine Ahnung von Kernphysik hat, ist dieses Buch dennoch eine Empfehlung wert. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.