Starker Anfang, unzufriedenes Ende
Die stummen Wächter von Lockwood ManorHetty ist studierte Biologin. Eine der ersten Frauen ihrer Zeit und doch hat sie es nur zur einfachen Museumsmitarbeiterin geschafft. Aber der Beginn des zweiten Weltkrieges ändert alles und plötzlich ...
Hetty ist studierte Biologin. Eine der ersten Frauen ihrer Zeit und doch hat sie es nur zur einfachen Museumsmitarbeiterin geschafft. Aber der Beginn des zweiten Weltkrieges ändert alles und plötzlich ist Hetty stellvertretende Museumsleiterin und verantwortlich für die Evakuierung der Säugetierexponate nach Lockwood Manor, einem alten Herrensitz auf dem Land, hoffentlich weit genug weg von London und den Bomben. Auch sie soll sich für die Dauer des Krieges dort aufhalten und die ausgestopften Exemplare pflegen. Doch bereits in der ersten Woche verschwindet ein Tier aus der Ausstellung spurlos und auch in den folgenden Wochen passieren immer mehr merkwürdige Dinge mit den Tieren und Hetty beginnt an ihrem Verstand zu zweifeln. Zum Glück ist da noch die Tochter des Hausherrn, Lucy, die ebenfalls ihre Probleme mit den Vorkommnissen auf Lockwood Manor zu haben scheint und mit der sich Hetty sehr bald anfreundet. Lord Lockwood dagegen, ist ein eher unsympathischer Mensch, der schnell aufbrausend ist und junge unverheiratete Frauen nicht in einer Führungsposition sehen kann und will. Für ihn sind Frauen nur schmückendes und unter Umständen nützliches Beiwerk. Nur seiner Tochter gegenüber scheint er doch noch seine fürsorgliche Seite zu zeigen. Sein gegensätzliches Verhalten und auch das der wenigen, übriggebliebenen Hausangestellten, macht das Verschwinden der Tiere umso mysteriöser. Und was hat es mit der Frau in weiß auf sich, die angeblich durch das Haus spuken soll? Können Hetty und Lucy die Tiere retten?
Das Buch startet mit einem vielversprechenden Einstieg, denn die Geschichte hat so wahnsinnig viel zu bieten. Sie ist liebevoll und Detailreich beschrieben. Die Gefühle der Personen und die Angst, die auf Lockwood Manor umgeht, werden sehr realistisch dargestellt, so dass man nicht umhinkommt, sich ein bisschen zu gruseln. Irgendetwas ist in dem Herrenhaus nicht in Ordnung. Jetzt kann man an Gespenster glauben oder alles dem verwirrten Geist einer psychisch angeschlagenen Person zuschreiben. Aber was ist, wenn die Phänomene eine ganz menschliche Ursache haben? Diese Gedankengänge machen die Handlung sehr spannend und fesseln den Leser an die Geschichte.
Ab der Mitte des Buches flacht die Spannung dann ein wenig ab. Man möchte zwar immer noch unbedingt wissen, was es mit dem Geheimnis auf sich hat, aber es gibt keiner neuen Entwicklungen dazu. Stattdessen rückt die Beziehung zwischen Hetty und Lucy mehr in den Vordergrund. Das ist an sich auch gut, allerdings ähneln sich die Tage für meinen Geschmack zu sehr und es wird immer wieder erwähnt, wie schwer es den Beiden fällt, nachts einen erholsamen Schlaf zu bekommen, auch wenn nichts Besonderes vorgefallen ist. Das macht die Geschichte leider etwas eintönig.
So in die Länge gezogen der Mittelteil auch ist, so schnell überschlagen sich dann die Ereignisse am Ende des Buches. Das Geheimnis wird, finde ich, urplötzlich aufgelöst, ohne große Vorbereitung auf den Höhepunkt. Aber vollends gelöst ist es dann irgendwie auch wieder nicht. Denn es wird teilweise nur angedeutet, wie es gewesen sein könnte. Den Rest darf sich der Leser selbst zusammenreimen. Was mich besonders an dem Ende gestört hat, ist die Gleichgültigkeit, mit der besonders Lucy das Geschehene aufnimmt. Ohne zu viel verraten zu wollen, ist es doch keine harmlose und einfache Sache, die sich in den vergangenen Jahren auf Lockwood Manor abgespielt hat. Lucy aber ist nicht so geschockt darüber, wie ich es erwartet hätte. Ist ihr denn nicht die Tragweite des Ganzen bewusst und dass es vielleicht auch sie persönlich hätte treffen können? Ihr ganzes Leben war bis zu dem Punkt auf Lügen und Täuschung aufgebaut. Diese Dramatik hätte man viel mehr ausarbeiten können.
Der Roman hat gut begonnen und baut auf einer tollen Idee auf, die zu einem spannenden Krimi und Familiengeschichte hätte werden können, doch leider zerplatzt die Spannung unvermittelt und lässt einen etwas in der Luft hängend und unzufrieden zurück.