Eine Geschichte voller Sprachkunst, psychologischer Raffinesse und Verstörendem
Nada"Tief in der Nacht krochen dunkle Gewitterwolken wie endlos lange Finger über den Himmel. Schließlich erdrosselten sie den Mond."
Das oben wiedergegebene Zitat zeigt nicht nur die herrliche Sprachgewalt ...
"Tief in der Nacht krochen dunkle Gewitterwolken wie endlos lange Finger über den Himmel. Schließlich erdrosselten sie den Mond."
Das oben wiedergegebene Zitat zeigt nicht nur die herrliche Sprachgewalt dieses Buches, sondern faßt auch die herrschende Atmosphäre der Geschichte gut zusammen. Es ist ein ausgesprochen düsteres Buch, eine Welt voller Gewalt, Frustration, gestohlener Chancen, Grausamkeit und Depression. Wir begleiten die 18jährige Andrea, die voller Hoffnung auf neue Unabhängigkeit und ein interessantes Leben zu ihrem Studium nach Barcelona kommt, wo sie bei ihrer Familie leben wird. Es ist 1944, der Spanische Bürgerkrieg ist noch frisch in der Erinnerung und den Nachwirkungen, Francos brutale Diktatur in ihrer unnachgiebigsten Phase, Hunger und Mangel herrschen allenthalben (etwa 200.000 Spanier verhungerten in den 1940er Jahren aufgrund schlechter Rationen).
Carmen Laforet schrieb dieses Buch 1945, laut einiger Quellen ist es semibiographisch, auch wenn die Autorin dies abstritt. In jedem Fall kennt sie diese düstere Zeit aus eigener Erfahrung, studierte zudem ebenfalls in Barcelona und kennt auch die Stadt und ihre Situation in den 1940ern. Sie schrieb in einem Regine mit strenger Zensur, was erklärt, daß vieles im Buch ungesagt bleibt oder symbolisch verbrämt wird. Daß das Buch überhaupt veröffentlicht wurde, liegt daran, daß die Zensoren davon ausgingen, daß es kaum jemand kaufen würde und somit seine Wirkung unterschätzten. Wer es also mag, daß die Fäden der Geschichte am Ende verknüpft, die offenen Fragen geklärt sind, für den ist dieses Buch nicht das Richtige.
Andreas Optimismus schwindet schnell dem, was sie "Alptraum" nennt - ihrer zutiefst psychologisch auffälligen Familie, die in einer heruntergekommenen, vor Dreck starrenden Wohnung haust und sich beständig verbal und körperlich attackiert. Die Schilderungen von Wohnung und Familie sind ausgesprochen verstörend - und zugleich faszinierend. Kurze Rückblicke, Momentaufnahmen aus besseren Zeiten, zeigen uns, daß zumindest der soziale Status der Familie einmal ein ganz anderer war und es dort gepflegter und kulturell reicher zuging. So sind Wohnung und Familie symptomatisch für das, was auch Spanien in dieser Zeit erlebte - der Verlust der alten Werte, der Hoffnung, der Schönheit. Stattdessen das Leben als Überlebenskampf, der Einzug von Gewalt in den Alltag. Nach und nach erfahren wir mehr über die einzelnen Familienmitglieder und ich konnte das Buch kaum niederlegen, so gespannt war ich darauf, was sich als nächstes offenbaren würde, was wir über die Familie und ihr Trauma erfahren würden.
Kontrastierend dazu sind Andreas Erfahrungen an der Universität, mit der hübschen Ena aus gutem Hause, einer Gruppe Bohemiens, einigen jungen Männern, die an ihr bzw Ena interessiert sind. Sie sucht eine Welt außerhalb ihrer ver- und gestörten Familie und merkt, daß sie so richtig nirgendwo dazupaßt. Hier gab es im Buch einige Längen, im Mittelteil wurde mir zu viel von diesen Kontakten Andreas mit den diversen Gruppen geschildert. Mir fehlte das, was dieses Buch so außerordentlich machte - diese grenzenlose Abscheulichkeit der Familie und ihrer Wohnung. Auch sind manche Szenen des Buches zu überzeichnet und surreal für meinen Geschmack.
Zuletzt finden sich aber Verbindungen, manches zuvor belanglos Erscheinende ergibt Sinn (anderes nicht) und die letzten Kapitel sind fulminant, mit schockierenden Ereignissen und Entwicklungen. Es bleiben Rätsel, unbeantwortete Fragen, Unklarheiten, und das ist frustrierend, aber wie oben geschrieben muß man den Kontext beachten, in dem dieser Roman geschrieben wurde.
Das, was dieses Buch aber ganz besonders hervorhebt, was auch bei den weniger interessanten Passagen wie ein Geschenk war, ist der Schreibstil. Hier auch ein Kompliment an die Übersetzerin, die diese Sprachgewalt aus dem Spanischen so gut ins Deutsche gebracht hat. Selten habe ich so viele traumhaft schöne Sätze gelesen, so ein gelungenes Malen mit Worten erlebt, solche Sprachkunst genossen. Alleine dafür lohnt es sich, das Buch zu lesen.