Träume zerbröckeln
Richard Yates' Bücher zeichnen sich stets durch sorgfältige unaufgeregte Charakterstudien aus. Es gibt keine dramatischen Geschehnisse, eigentlich findet nur das ganz normale Leben statt, und trotzdem ...
Richard Yates' Bücher zeichnen sich stets durch sorgfältige unaufgeregte Charakterstudien aus. Es gibt keine dramatischen Geschehnisse, eigentlich findet nur das ganz normale Leben statt, und trotzdem ist es stets spannend zu lesen, weil Yates einen so hervorragende Blick für Menschen hatte.
Wie fast immer bei Yates geht es auch in Cold Spring Harbor um unerfüllte Träume, um alltägliches Scheitern, um dysfunktionale Beziehungen aller Art. Wir begleiten hier zwei Familien, die Shepards und die Drakes, beide auf ihre Weise tragisch. Einige Blicke in die wohlhabende alte Familie Talmage deuten an, daß auch hier vieles nicht zum Besten steht.
Das Leben aller hier entwickelt sich anders, als sie gehofft haben. Charles Shepard kann aufgrund einer Augenerkrankung und einer depressiv-alkoholischen Ehefrau seine Armeekarriere nicht fortsetzen und ergibt sich friedlich seine Schicksal. Die kurz aufflackernden Ambitionen seines Sohnes Evan werden immer wieder verschoben. Er und seine Frau Rachel heiraten, weil es irgendwie gerade so paßt und weil sie hoffen, daß die Sicherheit der Ehe das etwas verkrampfte Liebesleben in harmonischere Bahnen lenkt. Rachels Mutter Gloria träumt von einem sozialen Status, den sie nie erreichen wird und merkt nicht, daß ihre Wirkung auf andere wesentlich unangenehmer ist, als sie es sich träumen lassen könnte.
All diese Menschen werden nun also zusammengewürfelt, oft enger, als sie es gewünscht hätten. Sie versuchen, sich zu arrangieren und für den Großteil des Buches begleiten wir sie einen Sommer lang und sehen, wie fragil die Beziehungen zwischen ihnen sind, wie unzufrieden letztlich alle mit ihrem Los sind. Nach und nach zerbröckeln Träume, Pläne, Hoffnungen und eben jene Beziehungen. Manche verharren ergeben, andere brechen zu etwas Neuem auf. Das Ende ist vage, aber man hat eine gute Ahnung, wie es weitergehen wird. Ich hätte die Shepards und Drakes gerne noch ein ganzes Stück länger begleitet. Der unaufgeregte, lakonische Schreibstil zusammen mit den entlarvenden Dialogen und Gedanken der Charaktere machen die kurze Geschichte zu einem wahren Leservergnügen. Ohne große Beschreibungen erweckt Yates die Personen zum Leben, stellt sie deutlich dar. Das Beziehungsgeflecht zwischen ihnen ist vielfältig und kompliziert. Es hat Spaß gemacht, sich auf diese Reise in das dysfunktionale Familienleben zu begeben.