"Im Gehen spricht es sich so gut, weil man sich nicht anschauen muss".
Die Ausreißer – Sehnsucht nach MeerDas Jugendbuch "Die Ausreißer - Sehnsucht nach Meer" von Melissa C. Feurer war innerhalb weniger Wochen das 2. außergewöhnliche Buch aus dem fontis Verlag, das ich gelesen habe. Ganz sicher werde ich die ...
Das Jugendbuch "Die Ausreißer - Sehnsucht nach Meer" von Melissa C. Feurer war innerhalb weniger Wochen das 2. außergewöhnliche Buch aus dem fontis Verlag, das ich gelesen habe. Ganz sicher werde ich die Neuerscheinungen dieses Verlages von nun an im Blick behalten.
Doch zurück zu diesem Buch.
Was treibt junge Menschen dazu, von zu Hause wegzulaufen? Wie schlimm muss es sich für einen Jugendlichen anfühlen, wenn dieser glaubt, dem Alltag in der Schule oder seiner Familie entfliehen zu müssen? Das Gefühl Unerträgliches auszuhalten, ist in diesem Jugendbuch das Thema.
Für Nele ist die Scheidung ihrer Eltern, das Verlassenwerden von ihrem Vater, mehr als sie ertragen kann. Nichts ist nach seinem Weggang mehr so, wie es einmal war. Als ob das nicht schon genug wäre, wird sie von ihren Mitschülerinnen in der Schule auch noch ihrer überflüssigen Pfunde wegen gemobbed. Ihre Schwachpunkte sind von Mitschülerinnen schnell ausgemacht und um sich selbst gut und mächtig zu fühlen, wird Nele täglich von bestimmten Mädchen verbal attackiert. Sie selbst ist zu schwach, als dass sie sich dagegen wehren könnte. Niemand scheint zu sehen, wie sie leidet. Bis es eines Tages zuviel wird und Lars, ein bisher unsichtbarer Mitschüler, diesem Treiben ein Ende bereitet.
Dabei hat Lars selbst Probleme genug. Sein Vater, der den frühen Tod seiner Frau nie verkraften konnte ertränkt seinen Schmerz seit Jahren in immer mehr Alkohol. War er früher mal ein liebevoller Vater? Lars Erinnerung kennt nur dessen Alkoholexzesse, in denen sich sein Vater bis zur Bewusstlosigkeit betrinkt. Doch damit nicht genug. Er beschimpft seinen Sohn aufs Übelste, schlägt auf ihn ein und wenn Lars zu Boden geht, versetzt er ihm auch noch schmerzhafte Tritte mit seinen Schuhen. Doch die Scham über dieses schäbige Zuhause und die Erniedrigungen durch seinen Vater, lässt nicht zu, dass Lars jemandem Einblick in seinen Alltäg gewährt. Aushalten. Er sorgt dafür, dass niemand die blauen Flecken der ewigen Schläge zu sehen bekommt und womöglich Verdacht schöpft.
Und da ist Joshua, der mit seiner getreuen Hündin auf einem Weg ohne Ziel ist. Laufen - egal wohin. Nur weg. Doch die Hündin wird von einem Auto erfasst und verletzt. Was nun? Wohin?
Genau an diesem Punkt kreuzen sich die Wege von Joshua und Lars, der Mitleid mit dem blutenden Hund hat und ohne groß zu überlegen Joshua zu sich nach Hause mitnimmt um die Wunde des Hundes zu verbinden. Als Joshua nach einigen Tagen weiter zieht fragt er Lars, ob er nicht mitkommen will. Und Lars steht mit einem Rucksack auf dem Rücken vor Neles Tür, fragt ob sie mit ihm und Joshua weglaufen möchte. Sie will, hat die Hoffnung ihren Vater überreden zu können, wieder zu seiner Familie zurück zu kommen.
So machen sie sich zu dritt auf die Reise. Meist zu Fuß, aber auch per Anhalter. "Im Gehen spricht es sich gut, weil man sich nicht anschauen muss", heißt es an einer Stelle. Mit jedem Schritt wächst das Vertrauen untereinander und die Jugendlichen können loslassen, endlich aussprechen was bisher unaussprechlich war.
Die Autorin schafft es, dem Leser die Sorgen und Nöte der jungen Menschen nahe zu bringen. Die üblichen Floskeln, "das wird schon wieder", helfen da nicht. Automatisch fragt man sich, sind Erwachsene tatsächlich so sehr mit sich selbst beschäftigt und dadurch blind ihren Kindern gegenüber? Ja, das gibt es.
Später lernen wir noch Angel kennen, die zu der Gruppe stößt, sich so gar nicht arrangieren will und mit ihrer Schnodderigkeit nur die Unordnung in ihrem Inneren verbirgt. Sie ritzt sich bis das Blut über die Arme läuft, um den anderen Schmerz, tief innen, zu überdecken.
Vier verlorene Seelen unterwegs Richtung Meer.
Dies ist ein Jugendbuch der besonderen Art. Fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite. Ich würde es nicht nur Heranwachsenden sonder auch Eltern empfehlen zu lesen. Automatisch überdenkt man als Elternteil sein Verhalten und fragt sich, "höre ich wirklich immer richtig hin"?