Profilbild von Wedma

Wedma

Lesejury Star
offline

Wedma ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Wedma über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.10.2017

Hochsensibilität positiv gelebt. Persönliche Einsichten.

Meine Hochsensibilität positiv gelebt
0

„Meine Hochsensibilität positiv gelebt. Persönliche Einsichten aus einem langen, bewegten Leben“ von Silvia Christine Strauch ist ein nett geschriebener Erfahrungsbericht einer Frau, die sich als Hochsensible ...

„Meine Hochsensibilität positiv gelebt. Persönliche Einsichten aus einem langen, bewegten Leben“ von Silvia Christine Strauch ist ein nett geschriebener Erfahrungsbericht einer Frau, die sich als Hochsensible versteht. Sie gibt Hilfestellungen, wie man Hochsensibilität erkennt und damit umgeht.
Das Buch hat drei Kapitel: „Persönliche Lebenserfahrungen“, „Die Eigene Entwicklung voranbringen“, „Im Alltag Ruhe finden“, die in mehrere Unterkapitel unterteilt sind, plus Vorwort und Schlusswort auf rund 177 Seiten.
Vor jedem Unterkapitel gibt es 4-6 Fragen, die vermutlich helfen sollen zu verstehen, ob man hochsensibel ist, z.B. „Halten Sie sich ungern unter vielen Menschen auf? Fühlen Sie sich in einer Gruppe schnell überfordert?“ Oder: „Können Sie Gefühle anderer leicht nachempfinden? Fällt es Ihnen schwer, Grenzen zu ziehen?“ Oder: „Brauchen Sie lange, um intensive Erlebnisse zu verarbeiten? Bevorzugen Sie eine ruhige, wenig chaotische Umgebung?“, usw. Nach den Ausführungen, die auf den Lebenserfahrungen der Autorin basieren, in eher kurzen Kapiteln, gibt es Resümee mit Ratschlägen, wie man sich als hochsensible Person in verschiedenen Situationen verhalten, seine Zeit besser organisieren, das Leben insg. meistern kann.
Das Buch kann man in einem Rutsch durchlesen, es liest sich sehr leicht. Man kann aber auch an jedem Kapitel verweilen und nachdenken, ganz wie es einem passt. Man fühlt sich durchwegs wohl: Man hört gern von einer Frau, die ihr Leben gut zu organisieren wusste, wie sie ihre Hochsensibilität gemeistert hat. Ihre Ratschläge mögen sich vllt manchmal nicht so spektakulär anhören, man hat so etwas ggf. in anderen Ratgebern zu ganz anderen Themen gelesen, aber es schadet gewiss nicht, dies sich vor Augen nochmals zu führen, insb. wenn man Optimierungspotential im eigenen Leben sieht oder sich gerade als hochsensible Person identifiziert hat. Vllt kann man das eine oder andere übernehmen und es kann sich durchaus als hilfreich erweisen.

Fazit: Für die erste Auseinandersetzung mit dem Thema „Hochsensibilität“ ist das Buch eine gute Adresse, denn die Fragen helfen einem zu verstehen, ob man zu Hochsensiblen zählt. Man bekommt auch die Ratschläge, wie man damit umgehen kann. Natürlich sind die Fragen und die Ausführungen nicht ausschöpfend und passen nicht auf alle Hochsensible, denn von einer Person kann man nicht auf alle schließen, aber eine gute Richtung kann man mit Hilfe dieses Buches doch schon einschlagen. Man bräuchte aber dann weiterführende Literatur und der Verlag dielus edition bietet einige Titel auf diesem Gebiet auch an.

Veröffentlicht am 30.10.2017

„Macht gute Kunst. Auch an guten Tagen.“

Beobachtungen aus der letzten Reihe
0

Beobachtungen aus der letzten Reihe von Neil Gaiman ist ein größeres Werk: 576 Seiten der gebundenen Ausgabe auf zehn Kapitel mit etlichen Unterkapiteln verteilt.
Der Autor stellt sich vor, spricht über ...

Beobachtungen aus der letzten Reihe von Neil Gaiman ist ein größeres Werk: 576 Seiten der gebundenen Ausgabe auf zehn Kapitel mit etlichen Unterkapiteln verteilt.
Der Autor stellt sich vor, spricht über seine Ansichten zu diversen Bereichen des kulturellen Lebens wie Kino, Filme, Comics, Fantasy, SciFi und natürlich über die Bücher insg. und ihre Rolle. Insb. im ersten Kapitel erzählt Gaiman, wie wichtig die Bücher für ihn als Kind waren, wie und wie sehr sie ihn geprägt haben, und warum es notwendig ist, dass es auch heute Büchereien und Bibliotheken gibt, wo die Kinder unmittelbare Begegnungen mit Büchern machen könnten.
Mal sind es seine Reden, in denen er sich als ein geschickter Redner präsentiert, der sein Publikum zu unterhalten und zu fesseln weiß und der die Spannung bis zum letzten Satz gekonnt aufrechterhält. Mal sind es Essays oder Erinnerungen, z.B. an Treffen mit Freunden beim Filmfestival 2010 oder an eine Buchtournee mit seinem alten Freund Terry Pratchett zum Buch, das sie zusammen geschrieben haben. Mal spricht er über die Werke anderer Autoren und die Autoren selbst, so charmant, dass man sie auch gern kennenlernen möchte.
Drei Kapitel: 1, 8 und 9 werden mir länger in Erinnerung bleiben. Im ersten Kapitel liest man hpts. seine Reden, manches wiederholt sich, aber unter einem anderen Aspekt, insg. sind es so tolle Texte, die ich nicht mehr missen möchte, insb. Credo ganz am Anfang. Aber auch weitere Beiträge wie „Warum unsere Zukunft von Büchereien, Lesen und Tagträumen abhängt“ hat mir viel Freude bereitet: „Wir müssen unseren Kindern auf die Leseleiter helfen: Alles, was ihnen Spaß macht, führt sie Sprosse für Sprosse hinauf zu Bildung.“ Oder: „Empathie ist ein Werkzeug, um aus Menschen Gruppen zu formen. Empathie erlaubt uns, mehr zu sein als ichbesessene Einzelgänger.“ Oder: Büchereien stehen für Freiheit: für die Freiheit zu lesen, die Freiheit der Ideen und die Freiheit der Kommunikation.“ Oder auch: „Bücher sind echte Orte. Vergessen Sie das nicht.“
Im achten Kapitel erzählt er über sein Märchen Sternwanderer, das später verfilmt wurde. Sehr interessant, was er über die Märchen insg. und über sein Märchen und warum er es geschrieben hat sagt! Ich habe die Verfilmung vor etlichen Jahren gesehen, war so begeistert, u.a. von Robert de Niro und vielem anderen: spannende Figuren, tolle Handlung voller Überraschungen, eine Fülle von toll umgesetzten Ideen und guten Sprüchen, uvm., dass ich den Film insg. drei oder vier Mal sehen musste. Damals war mir der Name des Autors nicht wirklich geläufig, aber hier, beim Titel Sternenwanderer, denn der Film hieß auch so, musste ich aufhorchen.
Das neunte Kapitel besteht aus nur einer Rede, aber einer ganz großartigen, mit dem Titel „Macht gute Kunst“ an der Uni of Arts in Philadelphia 2012. Wie auch in anderen Reden erzählt Gaiman über seinen Werdegang als Schriftsteller, über die Schwierigkeiten, die er hatte. Er macht auch viel Mut und gibt den angehenden Künstlern Rat, wie auch sie die Hürden ihres Berufes meistern könnten. Sagt aber auch ganz einfache Dinge: „Macht nur das, was ihr am besten könnt. Macht gute Kunst. Auch an guten Tagen.“ Oder auch das hier: „Der Moment, in dem ihr – vielleicht – das Gefühl habt, nackt die Straße entlangzugehen, zu viel von eurem herzen preiszugeben, von euren Gedanken und eurem Innenleben, das Gefühl, zu viel von euch zu offenbaren, das ist der Moment, in dem ihr vermutlich auf dem richtigen Weg angekommen seid.“
Da sind noch einige tolle Gedanken und Sätze, mit denen man die Zitatenhefte füllen und einfach Spaß am Lesen haben kann.

Fazit: Manche Themen sprechen einen mehr, manche weniger an, aber insg. ist es ein lesenswertes, aufschlussreiches Werk voller toller Zitate über das Lesen, Bücher, Literatur uvm. geworden, recht locker erzählt, leicht humorig, mal selbstironisch. Oft hat man den Eindruck, als unterhalte man sich mit Gaiman, in einem gemütlichen Sessel sitzend vor einem Kamin bei einem guten Getränk. Ziemlich viel Selbstdarstellung und Selbstbeweihräucherung haben zum einen Stern Abzug geführt, aber sonst ist es ein ganz gutes, lesenswertes Buch geworden.

Veröffentlicht am 20.10.2017

Zukunftssatire par Excellence. Ein ganz tolles Hörbuch!

QualityLand (QualityLand 1)
0

Eine Zukunftssatire par Excellence, voller Witz, Ironie, Gesellschaftskritik und tollen Gedanken, nach allen Regeln der Kunst gemacht, so authentisch und in sich stimmig! Unbedingt hören!
Zugegeben: Dystopien ...

Eine Zukunftssatire par Excellence, voller Witz, Ironie, Gesellschaftskritik und tollen Gedanken, nach allen Regeln der Kunst gemacht, so authentisch und in sich stimmig! Unbedingt hören!
Zugegeben: Dystopien sind nicht gerade das, was ich normalerweise lese/höre, aber über den Tellerrand zu schauen hat sich absolut gelohnt! Qualityland möchte ich nicht mehr missen. Großartig! Eine wahre Bereicherung in jeder Hinsicht. Es hält nicht nur der heutigen Gesellschaft Spiegel vors Gesicht, es regt zum Nachdenken an, das aber auf eine sehr unterhaltsame, hochprofessionelle Art. Bitte mehr davon!
Peter Arbeitsloser präsentiert sich zunächst als ein antriebsloser, wenig gebildeter junger Mann, der nicht mal seine Gedanken und Gefühle adäquat zum Ausdruck bringen kann, ganz der Produkt des Systems, in etwa im unteren Segment der Mittelschicht angesiedelt, dem es nicht mehr viel fehlt und er würde im Rating zu einem Nutzlosen absteigen. Im Laufe der Geschichte legt er eine spannende Entwicklung hin und mausert sich zu einem Helden. Nach und nach wird sichtbar: Peter hat das Herz auf dem richtigen Fleck und das ist schon mal sehr viel wert.
Auch andere Figuren, insb. seine Gefährten, oft Androiden, KIs und Roboter, die man in diesem bemerkenswerten Roman kennenlernt, erfahren eine Entwicklung und zusammen erreichen sie etwas. Einige menschliche Figuren, die kraft der starken Anpassung ans System immer mehr den Zombies gleichen, sind enspr. „interessant“. Es gibt aber auch paar sehr spannende Ausnahmen wie der Alte oder die Kiki.
Die gefährlichen Tendenzen des heutigen Lebens, insb. was Aktivitäten im Netz angeht, wurden hier weitergesponnen und dem Leser vor Augen geführt, wie sie sich auf das Arbeitsleben, Beziehungen, Familie, Kinderkriegen, usw. in paar Jahrzehnten ausgewirkt haben werden. Ein Bild der zukünftigen Gesellschaft wurde geschaffen, die sich im Wesentlichen nicht so sehr von der heutigen auch unterscheidet, in der nicht der Mensch mit seinen Ecken und Kanten, seinen Widersprüchen und Eigenheiten von Belang ist, das interessiert niemanden, den finanziell nicht verwertbar. Sein digitales Profil, das im Netz vorhandenes Image mit all den Präferenzen ist das, was das System interessiert, denn das ist ein Teil des Systems und damit wird Geld z.B. durch personifizierte Werbung, durch personifizierte Nachrichten, usw. verdient. Wenn das Profil aber falsch ist, hat man wirklich ein Problem. Peter versucht es zu lösen, das gestaltet sich aber schwierig.
„Sie nehmen mir die Möglichkeit, mich zu verändern, weil meine Vergangenheit festschreibt, was in Zukunft zur Verfügung steht.“, sagt er im Kap.38. Das lässt an mittelalterliche Verhältnisse denken, die nun wieder das Leben der Menschen bestimmen: Der Sohn eines Bauern wurde i.d.R. Bauer, der des Müllers ein Müller usw. Sie hatten kaum Chancen auf eine Veränderung im Sinne vom gesellschaftlichen Aufstieg, denn die Zukunft wurde durch die Herkunft vorgeschrieben, und so ist es auch im Qualityland, dort sorgt das System für solche Verhältnisse. Und den Teufelskreis zu durchbrechen ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Das gesamte Kap. 38 ist voll von richtig guten Gedanken, die man sich, wie den Roman insg., nicht entgehen lassen sollte.
Gierige Machtstreber, Politik, Lobbyismus insg. sind in dieser Geschichte ebenso gut präsent wie die Wirtschaft oder das, was man in der Zukunft davon erwarten darf, mit direkten Auswirkungen auf die Gesellschaft und ihre ethischen Werte. Alles sehr gekonnt, hochprofessionell und unterhaltsam präsentiert.
„‘Folgende Frage solltest du dir stellen‘, sagt der Alte. ‚Leben wir in einer Diktatur, deren Methoden so sublim sind, dass keiner merkt, dass wir in einer Diktatur leben? Und gleich daran anschließend musst du dir die nächste Frage stellen: Ist es überhaupt eine Diktatur, wenn keiner merkt, dass es eine Diktatur ist? Wenn sich keiner seiner Freiheit beraubt fühlt, und Freiheit ist ja keinesfalls verboten im Qualityland, sie ist höchstens zurzeit nicht lieferbar... Weiß du eigentlich, warum man es das Netz nennt?‘ ‘Weil wir darin gefangen sind‘, sagt Peter.“ Kap. 26. DA kann man schauen, wie viel Diktatur und wie viel Freiheit im heutigen Leben vorhanden sind.
Marc-Uwe Kling trägt sein Werk hervorragend vor. Bestimmt wäre ich nicht so begeistert gewesen, wenn ich es selbst gelesen hätte, denn seine Art vorzulesen macht das Buch zu einem Hörvergnügen: Situationskomik, Gedankentiefe uvm. kommen so besser zur Geltung. Da es die Aufnahme einer Live Lesung ist, hört man auch das Lachen im Saal, was dem Ganzen auch eine schöne Note verleiht.
Ich habe mich für die dunkle Version entschieden und bin sehr zufrieden. Schwarzer Humor kann gut sein und hier ist er schon richtig gut, immer schön auf den Punkt, von toller Qualität, auf hohem Unterhaltungsniveau, so wie ich ihn mir wünsche. Gleich zu Anfang, bei den leckeren Fisazus, bestehend aus Salz, Zucker und Fett in allen beliebten Geschmacksrichtungen, musste ich auflachen und hörte im weiteren Verlauf schmunzelnd zu, v.a. mochte ich gar nicht aufhören, selbst eine Pause zu machen war schon eine Überwindung. Es war so gut! Im gesamten Verlauf nur beste Laune.

Fazit: Ein tolles Hörbuch, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Wenn es möglich wäre, hätte ich zehn Sterne vergeben. So gibt es 5 wohl verdiente Sterne und eine klare HÖRempfehlung!

Veröffentlicht am 18.10.2017

Große Klasse! Ein must read in diesem polit. Leseherbst.

Eiszeit
0

„Eiszeit“ von Gabriele Krone Schmalz (GKS) habe ich sehr gern gelesen und empfehle weiter, insb. an diejenigen, die sich mit der Thematik noch nicht so intensiv auseinandergesetzt haben und ihre Meinung ...

„Eiszeit“ von Gabriele Krone Schmalz (GKS) habe ich sehr gern gelesen und empfehle weiter, insb. an diejenigen, die sich mit der Thematik noch nicht so intensiv auseinandergesetzt haben und ihre Meinung über Russland und damit verbundenen Konflikte aus Leitmedien erfahren. Für solche Leser kann das Buch zum Augenöffner werden, denn GKS füllt in ihrem Buch die Lücken aus, die die Meinungsmacher in den letzten Jahren durch ihre einseitige und fragmentierte Berichterstattung hinterlassen haben. Das Buch liefert viel mehr als man vermutet: Daten, Fakten, Hintergründe, Ursachen der Konflikte, Zusammenhänge, messerschafte Analysen uvm. Großes Kino.

Die Art der Stoffdarbietung ist optimal: GKS schildert nicht nur die fehlenden Puzzleteilchen der Konflikte in Syrien, Ukraine, Georgien (Blitzkrieg 2008) usw., sie ergänzt das Erzählte durch Vorgeschichten, um die Lage verstehen zu können, durch Nennung von Russlands geopolitischen Interessen und damit verbunden Unsicherheiten und Risiken. GKS stützt zudem ihre Ausführungen auf zuverlässige Quellen, u.a. den Dokumenten der Wikileaks, die mal als secret eingestuft waren. So ergibt sich Gesamtbild der komplexen Situationen, die ihre Wurzeln in der Geschichte und der Politik haben.

Im Kap. „Wer bedroht wen“ geht GKS auch auf die heutige angespannte Situation ein und führt bildhaft vor Augen, anhand konkreter Beispiele, die gefährliche Vorgehensweise des Westens, die seit geraumer Zeit praktiziert wird, z.B.: Russland wird in Sachen NATO-Osterweiterung oft vor beschlossene Tatsachen gestellt und so getan, als ob russische geopolitische Interesen nicht von Belang wären und nicht berücksichtigt werden müssten. So entsteht tiefes Misstrauen auf beiden Seiten, das bereits zu Konflikten und Auseinandersetzungen geführt hat und noch sehr gefährlich werden kann.

GKS messerscharfen polit. Analysen, die Probleme aufs Korn nehmen und wie nebenbei vieles richtig stellen, haben mir viel Respekt abverlangt.

GKS beschränkt sich aber nicht darauf, das Vorgehen des Westens zu kritisieren und die Dreistigkeit mancher Politiker vor Augen zu führen: Die mehr als fragwürdigen Machenschaften von McCain und H. Clinton sorgen dabei für manche brisante Informationen, u.a. wie viel USD an Steuergeldern in die Finanzierung des ukrainischen Konflikts und anderen „Demokratisierungsprozessen“ geflossen sind, uvm.
GKS schlägt Lösungen, Auswege aus der heutigen Situation vor. Die Studie des Harvard Professors Stephen M. Walt stellt hier eine gute Grundlage dar. Sehr interessante Ausführungen, die vom Westen genau das Gegenteil der gegenwärtigen Handhabe der Beziehung zu Russland fordern.

Nach jeder Ausführung eines Sachverhalts stellt GKS Fragen, um dem Leser die Chance zu geben, selbst die Schlüsse zu ziehen und zu eigenem, tieferen Verständnis der Lage zu kommen. Diese Fragen habe ich genossen! Stets auf den Punkt, manchmal mit einer Prise feiner Ironie. Großartig!

Die dt Leitmedien kommen bei GKS nicht so gut weg: Sie schildert anhand von vielen konkreten Beispielen, wie diese durch ihre fetzigen Schlagzeilen und lückenhafte Schilderungen die ohnehin gefährliche heutige Situation anheizen und insg. die Hetze gegen Russland aktiv vorantreiben.

Kostproben: „Bei uns besteht derzeit die Neigung, einen Teil der Geschichte zu erzählen und die Elemente wegzulassen, die nicht in das Bild vom Friedlichen Westen und vom aggressiven Russland passen. Wer aber die eigenen Handlungen unerwähnt lässt und nur die Reaktionen Russlands benennt, der verwischt Ursache und Wirkung und verfehlt den bereits erwähnten Erfahrungshintergrund, vor dem die russische Politik handelt. Wenn daher in diesem Buch die Aktionen des Westens im Vordergrund stehen, dann nicht deswegen, weil Russland lediglich das wehrlose Opfer westlicher Aktionen wäre…, sondern weil der andere Erzählstrang bei und viel zu oft überhaupt keine Berücksichtigung findet.“ S. 28.

„Auch heute befinden sich die NATO und Russland wieder in einer Eskalationsspirale. Gegenseitige fehlerhafte Annahmen über die Absichten des jeweils anderen spielt dabei eine große Rolle. Wohin soll das führen? Ist es wirklich unvermeidlich, dass sich Spannungen immer weiter hochschaukeln? Mit allein damit verbundenen Risiken, bis hin zur versehentlichen Vernichtung der Welt durch einen Atomkrieg, den zwar keine Seite wirklich will, der aber durch eine Verkettung unglücklicher Umstände eben doch möglich ist.“ S. 228.

„Wollen wir wirklich darauf vertrauen, dass auch diesmal wieder irgendwie alles gut geht? Nehmen wir an, Putin würde entsprechende erste Schritte auf den Westen unternehmen – wären wir überhaupt noch in der Lage, sie als solche zu erkennen? Und gibt nicht normalerweise der Klügere nach? Wir halten uns doch eindeutig für die Klügeren, die moralisch Überlegenen, oder nicht? Dann müssten die Schritte zur Entspannung eigentlich vom Westen ausgehen. Zumal er in den letzten Jahren agiert hat, während Russland reagierte.“ S. 229.

GKS beschönigt nichts, die nennt die Dinge beim Namen, und was noch wichtiger, sie lässt nichts Relevantes aus: Ihre Schilderungen sind adäquat, differenziert, die Sachverhalte sind klar, logisch und leicht verständlich dargestellt, in einer aussagestärken, griffigen, knappen Sprache. Der Ton ist ruhig, besonnen, sachlich, auch bei all der Brisanz. Feine Ironie blitzt hier und dort durch. Herrlich.

Zu dem in den Leitmedien zu einem Helden aufgebauten Nawalny gibt es auch Pikantes, was man sonst von den Meinungsmachern nicht erfährt. Da drängt sich die Frage auf: Unter der Berücksichtigung seiner stark nationalistischen Gesinnung, und vielen anderen weniger heldenhaften Dingen, ob das so gut wäre, wenn er nach vorn käme.

Das letzte Kapitel ist auch toll:

„Wenn Denken in Zusammenhängen als Verschwörungstheorie denunziert wird, wer will dann noch abseits vom politisch akzeptierten Mainstream selber denken und das dann auch noch sagen? Aber selber denken gehört zur Demokratie, sonst ist diese Etikettenschwindel.“ S. 258.

„Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich zudem das journalistische Selbstverständnis gewandelt hat. Es geht nicht mehr in erster Linie darum zu informieren, sondern darum, die Menschen auf den „richtigen“ Weg zu bringen. Eine solche Haltung … scheint mir grenzwertig. Auf welches Recht könnten sich Journalisten in pluralistischen demokratischen - und nicht diktatorisch geführten – Gesellschaften dabei berufen? … Demokratie ist auf ein breites Meinungsspektrum angewiesen und darauf, dass angstfreie Debatten möglich sind. Es ist ein Jammer, dass dieser Luxus einer Demokratie von zwei Seiten in die Zange genommen wird. Auf der einen wettern rechte Demagogen und hasserfüllte Wutbürger, auf der anderen intolerante Mainstream-Journalisten und überhebliche Expertokraten, die alles zu wissen meinen, in den letzte Jahren immer wieder spektakulär danebenlagen.“ S. 259.

„Warum finden Bürger, die von den Sanktionen gegen Russland nichts halten und diese gerne abschaffen möchten, in den sogenannten etablierten Parteien keinen Resonanzboden, obwohl Einzelne dort die Sanktionen längst für eine fehlgeleitete Politik halten, sich aber nicht trauen, damit offensiv an die Öffentlichkeit zu gehen, weil sie sonst politisch kein Bein mehr auf die Erde bekämen?“ S. 261.

Ein gutes Buch ist gut auf jedes Seite. Gut wäre hier aber eine glatte Untertreibung: Es ist ganz große Klasse. Ein klares must read in diesem polit. Leseherbst.

Man muss kein Studium der Politikwissenschaften abgeschlossen haben, um diese Inhalte zu begreifen, jeder wird klarkommen, wer wissen will „Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist.“

Fünf wohl verdiente Sterne und eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 15.10.2017

Ein must read!

Homo Deus
0

Homo Deus von Harari sticht deutlich aus der Reihe von Sachbüchern hervor, die man zum Thema Zukunft der Menschheit heute lesen kann. Auf jeden Fall ist es ein Buch, das man gelesen/gehört haben muss. ...

Homo Deus von Harari sticht deutlich aus der Reihe von Sachbüchern hervor, die man zum Thema Zukunft der Menschheit heute lesen kann. Auf jeden Fall ist es ein Buch, das man gelesen/gehört haben muss.
Zweifelsohne ist es kein Wohlfühlbuch. Ganz im Gegenteil. Harari hat gezielt darauf angelegt, die Leser zu provozieren, sie aus der Komfortzone zu locken, über den Tellerrand eigener Überzeugungen und Vorstellungen von Gut und Böse zu schauen, uvm. Bei vielen seiner Ausführungen lässt er bewusst einige wichtige Aspekte des Menschseins aus und hebt ganz andere hervor. So dargestellt stehen Menschen eher wie ferngesteuerte Zombies da und man fragt sich, ob das nur Hirngespinste eines „verrückten“ Professors sind oder ist da mehr dran, bzw. ob das insg. angehen kann.
Harari serviert seine Sicht der Dinge durchaus so, dass einem, je nach Gemüt und seelischer Verfassung, die Haare zu Berge stehen, man ggf. einen dicken Hals kriegt und evtl. gute Lust bekommt, das Ganze in die hinterste Ecke zu pfeffern. Aber das ist Teil seiner Show, da liegt u.a. das Geheimnis seines Erfolges. Durch gezielt provozierende Äußerungen bekommt er seine Leser aus der (antizipierten) Egal-Haltung heraus und, was noch wichtiger ist, überhaupt dazu, über solche Themen nachzudenken und sich solche Fragen zu stellen, die man sich nicht unbedingt jeden Tag stellt, wie: Was heißt es eigentlich, Mensch zu sein? Was gehört dazu? Und was nicht? Und warum? Wo geht das alles hin? Warum unbedingt so und nicht anders? Wollen wir es überhaupt? Und was ist mit ethischen Aspekten solcher Entwicklungen? Können wir uns nicht einen anderen Ausweg überlegen, andere Zukunftsvisionen entwickeln, die vllt nicht so brutal ausfallen, und uns daran machen, diese auch umsetzen? uvm. In der Hinsicht liest sich Hararis Werk wie eine düstere Dystopie.
Von der Infoseite her liefert er nicht wirklich viel Neues, vielmehr größtenteils gutes altes, bloß unter etwas anderem Blickwinkel betrachtet und recht reißerisch dargeboten. Infotainmenteinlagen gibt es reichlich, man kennt den Stoff aber auch schon von woanders, wenn man paar Sachbücher zu dem oder auch verwandten Themen gelesen hat. Das Spannendste war für mich das Wie des Erzählten.
Seine Art zu argumentieren erschien mir reichlich fragwürdig, so gar nicht professorlike. Steile Thesen wurden in den Raum geworfen und wenig bis nicht begründet dagelassen, aber immerhin eindrucksvoll zur Sprache gebracht. Zudem wiederholte er sich recht oft, er wiedersprach sich selbst auch oft genug. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist er eher ein passionierter Entertainer, ein Showman, dem die Stringenz seiner Logik, die Unerschütterlichkeit seiner Beweise nicht so wichtig erscheinen, dafür aber der Eindruck, den er mit seinem Auftritt hinterlässt, der Grad der Aufrüttelung, der Anteilnahme seiner Leser/Zuhörer und dergleichen. Polemisieren war wohl eher sein Ziel, was er auch erreicht hat.
Die Frage, die oft auftauchte, war: Was will Harari mit seinen Ausführungen insg. erreichen? Dass sich seine Intentionen auf pures Infotainment beschränkten, fiel mir gewissermaßen schwer zu glauben. In der Hinsicht drängte sich: Ist es schon alles, weshalb er die ganze Arbeit geleistet hat? Oder sieht er vielmehr die Menschheit am Rand des Abgrunds, es ist in etwa fünf vor zwölf, und er will aufwecken und zum Umdenken, zu grundsätzlich anderem Handeln anregen? Fragen über Fragen.
So oder so: Harari schafft es, seinen Lesern genug Stoff zum Nachdenken und Diskutieren zu bieten. Darin sehe ich seinen Verdienst.
Bei Homo Deus muss man nicht zu allem Ja und Amen sagen, um das Buch gut zu finden, bzw. es in vollem Umfang zu schätzen wissen, aber gelesen und darüber nachgedacht haben, sollte man es.

Das Buch habe ich auch gehört. Jürgen Holdorf hat sehr gut gelesen. Gut geübte, wohlklingende Profi-Stimme, die er effektvoll einzusetzen weiß und die zu der Geschichte insg. ganz gut passt. Ich hatte keine Probleme, stundenlang zuzuhören. Seine Art vorzutragen hat die Wirkung des Harari Werkes gut verstärkt, sodass die Zukunftsvisionen &Co. so bestimmt klangen, als ob sie im Stein gemeißelt wären. Vllt war es auch eine gezielte Wirkung, die dann auch sehr gut gelungen ist.

Hörbuch, Spieldauer 17 Stunden und 13 Minuten, ungekürzte Ausgabe.