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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.06.2017

Buch mit Gänsehautfaktor

Der Verehrer
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Nachdem ihr Mann sie für eine andere verlassen hat, flüchtet sich Leona in eine Liebesaffäre mit einer Zufallsbekannschaft: Robert scheint perfekt zu sein – fürsorglich, charmant, aufmerksam, intelligent. ...

Nachdem ihr Mann sie für eine andere verlassen hat, flüchtet sich Leona in eine Liebesaffäre mit einer Zufallsbekannschaft: Robert scheint perfekt zu sein – fürsorglich, charmant, aufmerksam, intelligent. Doch schon bald entpuppt er sich als Psychopath. „Der Verehrer“ ist ein weiteres Buch von Charlotte Link, das mich wieder sehr gut unterhalten hat. Links Schreibstil ist sehr vereinahmend und ich war von der ersten Seite an in der Geschichte drin. Die Figuren sind facettenreich und extrem gut ausgearbeitet, so dass man als Leser einen recht guten Einblick in deren Seelenleben bekommt. Auch wenn man schon recht früh im Buch weiß, dass mit Robert etwas nicht stimmt, ist die Geschichte zu keiner Sekunde langweilig. Im Gegenteil: Es herrscht die ganze Zeit eine gewisse Grundspannung und man wird von den Geschehnissen regelrecht mitgerissen, weil man unbedingt wissen will, warum die Figuren so handeln, wie sie handeln. Und natürlich möchte man auch wissen, ob und wie Leona es schafft, Robert zu entkommen. Ein sehr unterhaltsames, spannendes, kurzweiligs Buch mit Gänsehautfaktor über das Thema Stalking.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Zeiten des Umbruchs

Als wir unsterblich waren
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Eine Stadt, zwei Frauen, zwei mal Zeiten des Umbruchs: Charlotte Roths Roman „Als wir unsterblich waren“ beginnt am 9. November 1989 in Ostberlin. Die Mauer zwischen Ost- und Westberlin fällt. Studentin ...

Eine Stadt, zwei Frauen, zwei mal Zeiten des Umbruchs: Charlotte Roths Roman „Als wir unsterblich waren“ beginnt am 9. November 1989 in Ostberlin. Die Mauer zwischen Ost- und Westberlin fällt. Studentin Alexandra wird von den feiernden Menschen mitgerissen und stolpert direkt in die Arme des Westberliners Oliver. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch als Alexandra Oliver ihrer Großmutter vorstellt, reagiert diese nahezu hysterisch. Ein Sprung ins Jahr 1912: Paula ist 16 Jahre alt und verbringt unbeschwerte Sommertage mit ihrer Clique am Berliner Wannsee. Sie himmelt den charismatischen Clemens an, der zwar aus gutem Hause kommt, sich aber unerbittlich für die Arbeiterbewegung einsetzt. Auch Paula wird schon bald politisch aktiv und tritt den Sozialdemokraten bei. Doch düstere Zeiten stehen bevor, denn Deutschland schreitet auf den 1. Weltkrieg zu.

Auf den ersten Blick ist „Als wir unsterblich waren“ ein sehr gut recherchierter historischer Roman, in dem vor allem die Ereignisse in Deutschland zwischen den Jahren 1912 und 1933 beleuchtet werden. Dabei konzentriert sich Roth vor allem auf die Geschichte der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokraten zum Ende des Kaiserreichs und in der Weimarer Republik. Detailliert und präzise erzählt Roth vom Elend der Arbeiter in Berlin, von den Klassenkämpfen und Protestbewegungen. Sie zeigt auf, wie sich die Ereignisse nach dem verheerenden 1. Weltkrieg zuspitzen und es schließlich zu der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kommen konnte. Auch erzählerisch fand ich den Roman in gewisser Weise gelungen: Roth erzählt leicht, intensiv und sehr anschaulich. Dennoch konnte mich der Roman nicht richtig mitreißen und überzeugen. Das hat sowohl sprachliche als auch inhaltliche Gründe. So fand ich gerade die Dialoge der Figuren zum Teil sehr affektiert und gedrechselt. Regelrecht genervt haben mich auch die vielen Kosenamen, mit denen einige der Protagonisten ständig betitelt wurden. Eine kleine Auswahl: Funkelstern, Paula Klein, Schwämmchen, Süppchen, Zwerg... Auch das wirkte einfach nur aufgesetzt.

Zu den inhaltlichen Kritikpunkten: Während die Geschichte von Paula zwischen den Jahren 1912 und 1933 recht interessant und gut ausgearbeitet ist, hätte man sich die Rahmenhandlung rund um Alexandra echt sparen können. Alexandra bleibt die ganze Zeit ein sehr unscheinbarer Charakter. Generell ist der komplette Erzählstrang extrem konstruiert und unrealistisch: Klar, Liebe auf den ersten Blick und dann gibt es auch gleich noch eine Verbindung zwischen den beiden Familien. Der Mauerfall und die Wende bleiben auch nur eine blasse Randnotiz. Umso ärgerlicher, dass der Klappentext hierbei eine ganz andere Erwartungshaltung aufbaut: Man erwartet tatsächlich einen Roman über das Leben zweier Frauen in unterschiedlichen historischen Zeiten. Wer sich allerdings eine Geschichte über die Wende erhofft, wird bitterlich enttäuscht. Der Versuch zwei Generationen in einem Buch miteinander zu verbinden ist Roth meiner Meinung nach misslungen. Generell hätte dem Roman auch etwas mehr Spannung gut getan.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Wenn Liebe zum Albtraum wird

Ewig Dein
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Zunächst sieht alles nach einer klassischen Liebegeschichte aus: Im Supermarktgedränge tritt ein Mann einer Frau auf die Fersen. Judith, Mitte 30, betreibt ein kleines Lampengeschäft in Wien und ist eigentlich ...

Zunächst sieht alles nach einer klassischen Liebegeschichte aus: Im Supermarktgedränge tritt ein Mann einer Frau auf die Fersen. Judith, Mitte 30, betreibt ein kleines Lampengeschäft in Wien und ist eigentlich glücklicher Single. Hannes ist Architekt, in den besten Jahren und äußerst charmant. Wie durch Zufall begegnen sich beide wieder und Hannes beginnt Judith nach allen Regeln der Kunst den Hof zu machen. Obwohl Judith eine selbstbewusste, eigenständige Frau ist, genießt sie es, von diesem zielstrebigen, aparten Mann begehrt und auf Händen getragen zu werden. Doch dann werden seine ständigen Liebesbeweise belastend, seine Zuwendungen penetrant. Judith beschließt, einen Schlussstrich zu ziehen und plötzlich wird aus der anfänglichen Liebesgeschichte ein Albtraum, an dessen Ende die Psychiatrie wartet. Hannes möchte einfach nicht loslassen und Judith steuert immer mehr auf eine persönliche Krise zu. Wer an dieser Stelle glaubt, es nun mit einer typischen Stalker-Geschichte zu tun zu haben, der irrt aber. So einfach macht es Glattauer dem Leser nicht. Das raffinierte an diesem Roman ist nämlich, dass der Leser bald nicht mehr weiß, wer hier nun verrückt ist: Ist Hannes wirklich ein Stalker oder steigert sich Judith hier in etwas hinein? Glattauer behält sogar seinen Erzählton bei: lakonisch, hart an der Grenze zur Mündlichkeit, ironisch und mit viel Situationskomik. Und so nimmt die Geschichte Wendungen, mit denen man nicht unbedingt rechnet. Sehr gut gelungen sind Glattauer auch seine Charaktere, vor allem Judiths Innenleben wird extrem gut beschrieben. Ein wirklich außergewöhnlicher Roman mit vielen Elementen, fesselnd geschrieben und sprachlich ambitioniert.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Aus dem Leben gegriffen

Das Jahr des Rehs
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Zwei Frauen, ein Jahr und viele E-Mails: 17 Jahre lang haben die ehemals besten Freundinnen Bella und Bine nichts voneinander gehört. Bella lebt als freie Journalistin mit ihrem Sohn in Berlin, Bine ist ...

Zwei Frauen, ein Jahr und viele E-Mails: 17 Jahre lang haben die ehemals besten Freundinnen Bella und Bine nichts voneinander gehört. Bella lebt als freie Journalistin mit ihrem Sohn in Berlin, Bine ist Architektin und samt Mann und Kindern in der hessischen Heimat geblieben. Kurz vor Bines 40. Geburtstag nimmt sich Bella ein Herz und sendet eine Mail an ihre Jugendfreundin. Und Bine antwortet. Sofort ist die alte Vertrautheit wieder da. Über ein Jahr begleitet der Leser nun den E-Mail-Verkehr zwischen den beiden Frauen. Sie berichten sich von ihrem Alltag, ihren Problemen und Ängsten, aber auch von schönen Erlebnissen. Sie durchstehen gemeinsam Höhen und Tiefen, lachen und weinen zusammen.

Mir hat dieser E-Mail-Roman ziemlich gut gefallen. Obwohl es in den Mails doch recht viel um alltägliches geht und hauptsächlich typische Probleme von Frauen in der Midlife-Crisis angesprochen werden, konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen. Zu sehr haben mich die beiden sympathischen und charismatischen Protagonistinnen gefangen genommen. Und auch der wirklich ansprechende, poetische und warmherzige Schreibstil haben dazu beigetragen, dass ich mich kaum von dem Buch lösen konnte.

Die Handlung war an sich ganz gut, allerdings hat mir da aber ein bisschen der letzte Funke gefehlt. Etwas mehr Abwechslung im Geschehen wäre vielleicht gut gewesen, gerade zum Schluss tritt die Geschichte dann doch ein bisschen auf der Stelle.

Richtig toll fand ich dann aber wieder die Entstehungsgeschichte des Romans, die man im Anhang erfährt: So sind die beiden Autorinnen Stephanie Jana und Ursula Kollritsch tatsächlich ein Jahr lang in die Rollen der Freundinnen Bine und Bella geschlüpft und haben sich aus deren Perspektive E-Mails geschrieben. Und zwar ohne dass sie die Erlebnisse vorher abgesprochen haben. So entstand die Handlung sozusagen improvisiert. Ein Experiment, das meiner Meinung nach in der Summe auf jeden Fall geglückt ist. Herausgekommen ist ein gefühlvoller Briefroman – ehrlich, traurig, lustig, aus dem Leben gegriffen.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Misslungene Darstellung einer Epoche

Tanz des Vergessens
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Bohéme, Zwanzigerjahre und Zeit zwischen den Weltkriegen: Das waren die Schlagworte, die mein Interesse für diesen Roman geweckt haben. Leider hat sich die Lektüre für mich aber nicht gelohnt. Völlig uninspiriert ...

Bohéme, Zwanzigerjahre und Zeit zwischen den Weltkriegen: Das waren die Schlagworte, die mein Interesse für diesen Roman geweckt haben. Leider hat sich die Lektüre für mich aber nicht gelohnt. Völlig uninspiriert versucht Heidi Rehn in ihrem Roman das Porträt einer jungen Generation zu zeichnen, die einerseits noch traumatisiert vom 1. Weltkrieg ist, sich nun aber trotz der schwierigen Situation in Deutschland nach dem Krieg wieder frei fühlen und das Leben genießen will. Bestimmt waren die Zwanzigerjahre eine spannende Zeit, vor allem auch was das gesellschaftliche Leben betrifft: Einerseits ist die wirtschaftliche Situation in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg schlecht, auch die politische Situation im Land ist instabil. Trotzdem ist da aber auch der Hunger nach Leben. Diese Epoche darzustellen beziehungsweise das Gefühl, das zu jener Zeit geherrscht haben muss, zu transportieren, schafft Rehn meiner Meinung nach nicht richtig. Das liegt am Aufbau der Geschichte, der stark etwas von einer Soap Opera hat. Aber vor allem an der Protagonistin. Lou ist in ihrer ganzen Art ungeeignet, um für die Generation zwischen den Weltkriegen zu stehen. Gleich am Anfang der Geschichte stirbt ihr Verlobter – das ist tragisch. Von da an hängt sie mit halbseidenen Personen herum, stolpert durchs schlüpfrige Münchner Nachtleben, lässt sich von einem älteren Herrn aushalten und stößt ihre Freunde vor den Kopf. Man fragt sich am Ende: Was soll das? Was will diese Lou? Obwohl es im Roman recht wild zugeht, fehlt es zudem an Emotionen. Ziemlich kurz kommt auch der historische Hintergrund. Einen kleinen Pluspunkt gibt es für Rehns leichten Schreibstil: So lässt sich die Geschichte wenigstens recht flüssig weg lesen. Nein, dieser Roman war leider nicht mein Fall.