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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.06.2017

Erschreckend aktuell

Schöne Neue Welt
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Es gibt keine Kriege, Krankheiten sind fast alle ausgerottet, alles ist geregelt, jeder Mensch hat seinen Platz in der Gesellschaft und niemand muss unglücklich sein – wer würde nicht gerne in solch einer ...

Es gibt keine Kriege, Krankheiten sind fast alle ausgerottet, alles ist geregelt, jeder Mensch hat seinen Platz in der Gesellschaft und niemand muss unglücklich sein – wer würde nicht gerne in solch einer „schönen neuen Welt“ leben? Dass das alles aber auch einen ziemlich hohen Preis hat, zeigt Aldous Huxley in seiner Zukunftsvision. Dabei weiß man nicht sofort, ob einen diese neue Welt abschrecken soll oder ob es eine Welt ist, die man sich wünschen sollte – bis man Huxleys doch recht zynischen Unterton bemerkt. Was das Buch, das vor über 80 Jahren geschrieben worden ist, auch heute noch so aktuell und lesenswert macht, ist wohl die erschreckende Erkenntnis, dass vieles, was Huxley da so beschreibt, heute tatsächlich Realität ist: Klassengesellschaft, die Angst vorm Altern, Konsumdenken. Oder denke man an die Idee von Apple, Mitarbeiterinnen das Einfrieren von Eizellen zu zahlen. Alle sollen irgendwie gleich sein und doch bekommt nicht jeder die Möglichkeit, sich gleich zu entwickeln. Einfach zu lesen ist der Roman sicherlich nicht, Huxley verwendet viele Fremdwörter, Fachbegriffe und auch Wortneuschöpfungen. Zeitweise wird er recht wissenschaftlich und technisch. Auch die Dramaturgie wirkt zum Teil etwas unstrukturiert. Doch gerade das macht den Roman aus und schafft eine gewisse Atmosphäre. Ein wichtiger, zeitloser Roman.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Feinsinnig konstruiert

Der letzte Weynfeldt
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Adrian Weynfeldt ist der letzte seiner Art: der letzte Nachfahre einer extrem reichen, sehr alten Schweizer Industriellenfamilie und auch der letzte einer ganzen Kultur. Er wirkt so ein bisschen wie ein ...

Adrian Weynfeldt ist der letzte seiner Art: der letzte Nachfahre einer extrem reichen, sehr alten Schweizer Industriellenfamilie und auch der letzte einer ganzen Kultur. Er wirkt so ein bisschen wie ein Großbürger, der ein paar Jahrzehnte zu spät auf die Welt gekommen ist: Jemand, der sich vor dem Abendessen umzieht und bei Verabredungen aus Höflichkeit immer zu früh kommt. Leute, die er seine Freunde nennt, unterstützt er gerne mit seinem Geld, um nicht überheblich zu wirken. Und es ist eine ganze Schar – meist erfolglose Künstler – die sich nur zu gern von Adrian durchfüttern lässt. Adrians einzige Leidenschaft, so scheint es, ist die Kunst. Aus Leidenschaft und nicht weil er muss, arbeitet er als Kunstexperte in einem Auktionshaus. Eines Tages lernt Adrian Lorena kennen, ein alterndes Ex-Model mit viel Dreck am Stecken, die sein Leben gewaltig durcheinanderbringt. Und dann gibt es da auch noch ein berühmtes Bild, das Adrian für viele Millionen Franken verkaufen soll. Mit „Der letzte Weynfeldt“ hat Suter wieder einen sehr guten Roman vorgelegt: feinsinnig konstruiert, spannend erzählt, exzellent recherchiert und darüber hinaus auch noch unterhaltsam. Es geht um richtige und falsche Freunde, um die Frage, ob Geld die Welt regiert und ob man Liebe mit Geld kaufen kann. Die verschiedenen Milieus, in denen die Geschichte spielt, schildert Suter sehr präzise und auch die Figuren sind wieder sehr detailliert und feinfühlig gezeichnet. Fazit: Ein lesenswerter Roman, wenn auch einen ganz kleinen Tick schwächer als die anderen Bücher, die ich bisher von Suter gelesen habe.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Starke Kulisse, schwache Geschichte

Sehnsucht nach Sansibar
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An Bord eines Dampfers auf dem Weg nach Deutsch-Ostafrika freunden sich 1888 drei ziemlich unterschiedliche Frauen an: die rebellische Reederstochter Viktoria, die junge Forschungsreisende Antonia und ...

An Bord eines Dampfers auf dem Weg nach Deutsch-Ostafrika freunden sich 1888 drei ziemlich unterschiedliche Frauen an: die rebellische Reederstochter Viktoria, die junge Forschungsreisende Antonia und die verwöhnte, etwas naive Juliane. Jede von ihnen hat einen Lebenstraum und sucht ihr Glück. Auf der Insel Sansibar angekommen, treffen die drei Freundinnen schließlich nicht nur auf eine exotische Landschaft, sondern auch auf fremde Kulturen und müssen mit einigen Rückschlägen fertig werden, bis sie ihren Weg finden. „Sehnsucht nach Sansibar“ ist ein ganz netter historischer Frauen-Liebes-Roman, der vor traumhafter Kulisse spielt. So richtig vom Hocker gerissen hat mich der Roman aber nicht. Positiv ist Jarys Schreibstil. Sie erzählt sehr flüssig, angenehm und feinfühlig. Vor allem wie sie die Landschaften beschreibt, ist großartig. Man sieht Sansibar wirklich bildlich vor sich, spürt die Sonne auf seiner Haut und riecht die exotischen, orientalischen Gewürze und Früchte. Relativ schwach ist allerdings die Geschichte. Die Handlung plätschert die ganze Zeit so vor sich hin und trotz einiger Wendungen passiert eigentlich nicht viel. Im Grunde ist die ganze Geschichte sehr vorhersehbar und zum Teil auch etwas kitschig. Jary schneidet zwar schon auch die blutigen Aufstände der Einheimischen in Ostafrika an sowie den Sklavenhandel und die Probleme mit Cholera, das bleibt aber alles sehr an der Oberfläche. Summa summarum ist „Sehnsucht nach Sansibar“ ganz netter Kitsch für Zwischendurch, der einen für kurze Zeit in eine exotische Welt entführt. Viel erwarten darf man aber nicht. An Jarys jüngsten Roman „Das Haus am Alsterufer“ kommt dieses Buch lange nicht heran.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Die kultige Provinzkrimireihe geht weiter

Grießnockerlaffäre
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„Grießnockerlaffäre“ ist der vierte Teil der urig-bayerischen Krimireihe um den strafversetzten Dorfpolizisten Franz Eberhofer. Wie seine Vorgänger, hat mich auch dieser Teil wieder sehr gut unterhalten. ...

„Grießnockerlaffäre“ ist der vierte Teil der urig-bayerischen Krimireihe um den strafversetzten Dorfpolizisten Franz Eberhofer. Wie seine Vorgänger, hat mich auch dieser Teil wieder sehr gut unterhalten. Gekonnt mischt Rita Falk Humor und eine große Portion Lokalkolorit mit einer Krimihandlung und persifliert ein Stück weit auch die bayerische Provinz. Natürlich sind neben Franz Eberhofer auch wieder die anderen, fast schon kultig gewordenen Charaktere mit von der Partie: Die Oma, der kiffende Vater, der Schnupftabaksüchtige Richter Moratschek und natürlich Eberhofers Ex-Kollege Rudi Birkenberger. Und es ist wirklich toll, wie Falk die Charakterzüge ihrer Figuren in Szene setzt. Wie in den anderen Bänden auch, wird die Geschichte wieder aus der Sicht von Franz Eberhofer erzählt und das zum Teil sehr deftig, trocken und flapsig. Der Kriminalfall ist, wie in solchen Büchern üblich, eher nebensächlich. „Grießnockerlaffäre“ ist eher eine Provinzsatire in der hauptsächlich die Figuren und das Dorfleben im Mittelpunkt stehen. Im Großen und Ganzen kann ich die Reihe allen weiterempfehlen, die auf bösen, schwarzen und bayerisch derben Humor stehen und Geschichten mit unverwechselbaren Charakteren mögen.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Gelungener Erinnerungs-Roman

Die Freibadclique
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Sommer im Jahr 1944, irgendwo im Schwäbischen: Der Freibadclique, das sind fünf 15-jährige Jungs, steht der Sinn so gar nicht nach Krieg und Hitlerjugend. Sie interessieren sich für amerikanische Musik, ...

Sommer im Jahr 1944, irgendwo im Schwäbischen: Der Freibadclique, das sind fünf 15-jährige Jungs, steht der Sinn so gar nicht nach Krieg und Hitlerjugend. Sie interessieren sich für amerikanische Musik, träumen von Freiheit und wollen wissen, wie das so mit den Mädchen ist. Doch bald werden sie zum Volkssturm geholt. In seinem teils autobiographischen Roman erzählt Oliver Storz von einer Jugend im untergehenden Nazi-Deutschland und in der Nachkriegszeit. Was dieses schmale Büchlein vor allem ausmacht, ist die Sprache: irgendwie reduziert, aber trotzdem sehr lebendig, bildhaft und auch poetisch. Die Geschichte ist extrem authentisch und eingängig. Gelungen ist auch die Kombination aus Witz und Wärme auf der einen Seite sowie Melancholie und Schrecken auf der anderen Seite. Ein wirklich sehr gelungener Erinnerungs-Roman, der fesselt und berührt.