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Veröffentlicht am 16.02.2019

Spannend, düster, einfallsreich - ein durchaus lesenswertes Urban-Fantasy-Abenteuer!

Die zwei Monde
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"Geh mit mir, Veronica von den Wölfen. Geh mit mir durch die Schleier der Welt."

Kennt ihr diese Bücher, die ihr vor Jahren mal irgendwo spontan gekauft habt, die seither Staub im Regal angesammelt haben ...

"Geh mit mir, Veronica von den Wölfen. Geh mit mir durch die Schleier der Welt."

Kennt ihr diese Bücher, die ihr vor Jahren mal irgendwo spontan gekauft habt, die seither Staub im Regal angesammelt haben und über die ihr beim Sortieren plötzlich stolpert ohne euch zu erinnern, sie jemals gekauft zu haben? Dies ist so ein Buch! Ich habe vor ein paar Tagen mein Regal umsortiert und bin dabei auf diese interessante Geschichte gestoßen, die ich schon so lange schmählich ignoriert habe. "Zutritt zur verborgenen Welt der Feen, Unsterblichen und antiken Gottheiten" steht auf dem Buchrücken - das klingt doch ganz gut, dachte ich bei mir und habe mit Lesen angefangen. Leider ist das definitiv ein Fehler im Klapptext und es erwarten uns hier keine fantastischen Parallelwelten. Stattdessen haben wir es hier mit einem mystischen Urban-Fantasy-Roman zu tun, der in die düstere Sagenwelt von Mailand entführt. Nicht unbedingt etwas total Neues aber definitiv mal anders verpackt und definitiv lesenswert!

Das Cover ist zwar nicht unbedingt außergewöhnlich originell, dennoch aber hübsch anzusehen und mit den vielen kleine Details durchaus stimmig. Durch die dunkel-violette Färbung des Hintergrunds kommt der strahlend-weiße Titel mit dem Leuchteffekt sehr gut zur Geltung und zusammen mit den schwarz-glänzenden, toten Ästen ergibt sich ein düsterer erster Eindruck. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man an den Ästen zwei schwarze Mondsicheln, die gut mit dem Titel korrespondieren. Durch die weißen Blumen werden weitere Kontrastakzente gesetzt und relativ bald wird klar, dass auch sie für die Geschichte eine Bedeutung haben. Komplettiert wird das Design durch die großen Monde, die jeden Kapitelanfang zieren und die jeweilige Mondphase zeigen. Auch wenn ich den Titel weder für besonders einprägsam, originell oder schön halte, passt er gut, da die Geschichte in zwei Mondphasen eingeteilt ist und diese für die Handlung eine große Rolle spielen. Alles in allem bin ich mit der Gestaltung also recht zufrieden.

Erster Satz: "Mein Name ist Veronica Meis und als mein düsteres Märchen seinen Anfang nahm, fehlten weniger als fünf Wochen bis zu meinem achtzehnten Geburtstag"


Wir lernen die junge Veronica kennen, die nach einer Partynacht mit furchtbaren Kopfschmerzen, übersteigerten Sinneswahrnehmungen und einer Bisswunde am Bein aufwacht und sich an den vorangegangenen Abend nicht mehr erinnern kann. Sie schiebt es zuerst auf einen miesen Kater und setzt ihr normales Leben fort, ohne zu wissen, dass sich bald alles ändern wird. Doch während sie sich mit ihren Eltern streitet, um die Anerkennung ihrer Klassenkameraden kämpft, heimlich für den coolsten Typen der Schule schwärmt und versucht, sich in Mailand endlich einzuleben, verändert sie sich immer mehr, bis sie es einfach nicht mehr ignorieren kann. Sie hört und sieht plötzlich Dinge, die andere Menschen nicht sehen können und als dann der geheimnisvolle Graf Gorani auftaucht und ihr offenbart, dass sie mitten in ein Geflecht aus uralten und gefährlichen Mächten geraten ist, will sie einfach nur noch normal sein. Doch ein Teil von ihr genießt es auch, Macht über ihre Mitmenschen zu haben und Teil der dunklen, verborgenen Welt zu sein. Wie gefährlich das Spiel ist, dass sie spielt, wie leicht man sich darin verlieren kann und wie schwer es ist, jemanden zu finden, dem man vertrauen kann, erfährt sie erst, als sie den attraktive Ivan kennenlernt. Kann sie aus dem Teufelskreislauf noch ausbrechen oder wird sie für immer die Sklavin dunkler Mächte werden?


"Ich stand auf, ging ins Bad und machte das Licht über dem Spiegel an: die ganz normale Veronica. Schmales Kinn, volle Lippen, rot gegen die sehr helle Haut. Braune Augen und kurze, zerzauste Haare. Sag es, Veronica, sprich es laut aus. Ich sah meinem Spiegelbild fest in die Augen. "Ich bin ein Werwolf"


Wir werden sehr ausführlich in das Leben von Veronica eingeführt, die mit ganz normalen Teenager-Problemen zu kämpfen hat, seit sie von Ravenna ins anonyme Mailand gezogen ist. Als Außenseiterin mit einem exzentrischen Modegeschmack, trockenem Humor und angeknackstem Selbstbewusstsein wächst sie dem Leser sehr schnell ans Herz man fiebert mit ihr, wenn sie der Horror-Clique Elena - Susanna - Angela - entgegentritt und sich gegen die Yoga-Reiki-Anwandlungen ihrer Guru-Mutter verteidigen muss. Doch diese Probleme rücken sehr schnell in den Hintergrund. Denn seit sich nach der Partynacht schlagartige viele Dinge in ihrem Leben geändert haben und sie auf verborgene Geheimnisse stößt, die sie niemals erwartet hätte, traut sie ihren eigenen Augen nicht mehr und weiß nicht, was sie glauben und tun soll. Erst durch den Conte Giuseppe Gorani, der ihr die Mythen und Sagen Mailands erzählt, beginnt sie, die Stadt mit anderen Augen zu sehen. Zuerst langsam und dann immer mehr werden wir mit Veronica in eine düstere, magische Sagenwelt gezogen, über die wir kaum etwas wissen und deren Gefährlichkeit wir noch nicht abschätzen können. Ein Mädchen mit Blumenhaaren, ein Bettler mit Schlangenaugen, dunkle Männer in schwarzen Kutten, sprechende Totenschädel, geflügelte Hexenwesen, uralte Sekten und … ein mächtiger Wolfsgott, der davon träumt, menschlich zu sein. All diese Dinge werden plötzlich Teil ihrer Welt und bevor sie wirklich Zeit hat, die Kuriositäten zu bestaunen, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn beim nächsten Vollmond wird sie für immer auf schreckliche Art und Weise Teil dieser neuen Welt sein und um das zu verhindern, muss sie eine schreckliche Entscheidung treffen...


"Im Grunde war das alles ein Maskenspiel, eine Art Bühnenspektakel, in dem zu viele Rollen zu besetzen und zu wenige Schauspieler vorhanden waren. (…) Aber wer stand hinter all diesen Figuren? Wann waren es Masken und wann wahre Gesichter? Und wer war Veronica, eine Kämpferin oder eine Heulsuse?"


Mit der vielseitigen Stadt Mailand bekommen wir ein wundervolles Setting vorgesetzt. Denn auch wenn der Autor nur weniger Stellen der Stadt wirklich explizit beim Namen nennt und beschreibt, bekommen wir einen Einblick in den einzigartigen Flair der Stadt abseits der luxuriösen Einkaufshallen und Modetempeln. Wir werden in die geheimnisvolle, düstere, sagenumwobene, gefährliche Sagenwelt dieser uralten Stadt hineingezogen und werden mir unglaublichen Legenden, uralten Riten und übernatürliche Wesen konfrontiert, die alle ausgehend von antiken Überlieferungen oder historischen Gestalten oder Ereignissen entwickelt wurden. So gab es die historische Figur des Conte Giuseppe Gorani wirklich, das dargestellte Blutbad in Mailand des 18 Jahrhunderts hat wirklich stattgefunden und die Riten der Lupercalien entspringen historischen Überlieferungen. Das gibt der Geschichte natürlich eine besondere Authentizität und sorgt dafür, dass das typische Werwolf-Thema komplett neu gedacht daherkommt. Luca Tarenzis Schreibstil ist dabei sehr nüchtern aber angenehm beschreibend. An manchen Stellen habe ich mich aber an der etwas holprigen Übersetzung gestört. Etwas befremdlich ist dabei vor allem auch, dass Veronica obgleich sie aus der Ich-Perspektive erzählt, sehr oft von sich in der dritten Person denkt.


"Sie hatten damit gespielt, den Wolf zu befreien? Jetzt würde der Wolf ihnen nachstellen. Veronica, die leichte Beute, hatten sie gedacht: das schüchtere und einsame Mädchen, das keine Freunde hat, das die Toughe spielt, um stärker zu erscheinen auch wenn es ihr keiner abnimmt. Aber Veronica hat aufgehört, eine leichte Beute zu sein. Rotkäppchen ist in den Walt gegangen, und der Wolf hat es gefressen. Ich sah mir in die Augen: Veronica, der Werwolf. Es ist Zeit für die Jagd."



Da wir neue Informationen nur sehr knapp, kryptisch und häppchenweise präsentiert bekommen, bleibt die magische Welt bis zum Ende ein großes Fragezeichen. Da auch die sich anbahnende Liebesgeschichte, Veronicas Beziehung zu ihrer Familie und ihren Freunden recht blass bleiben, hätte ich mir von dieser Seite ein wenig mehr Informationen gewünscht. Stattdessen fokussiert sich Luca Tanrenzi während der 512 Seiten sehr auf die Entwicklung unserer starken Protagonistin und legt wer darauf, ihren inneren Kampf gegen den Wolf in sich und dessen dunkle Versuchung detailreich zu schildern und uns ihre Entwicklung vom unsicheren Teenager zu einer verantwortungsvollen, starken, jungen Frau nahezubringen. Das gelingt ihm auch sehr gut, sodass man trotz sparsamer Handlung und raren neuen Informationen immer mitfiebert und Veronica sehr gerne auf ihrem Abenteuer begleitet.


"Warum sehnst du dich so sehr nach dem Leben der Menschen?" "Wegen des Wunders, Veronica. Wegen des Fleisches, wegen des Blutes, wegen des Herzens, wegen der Farben, wegen der Musik, wegen der Verrücktheit. Weil eure Welt ein unvorstellbarer Traum ist und ich ihn für immer träumen will."


Gerade am Ende wird das fehlende Informationsgerüst der Geschichte aber deutlich als sich etwas plötzlich alle Probleme ohne wirkliche Klärung in Luft auflösen und einige Personen höchst fragwürdig reagieren. Damit ist das Ende in sich eigentlich schon abgeschlossen, es ist aber dennoch viel Potential für eine Fortsetzung vorhanden.



Fazit:


Spannend, düster, einfallsreich - ein durchaus lesenswertes Urban-Fantasy-Abenteuer mit einer starken Protagonistin und authentischem Sagenhintergrund. Leider bleiben sowohl die Liebesgeschichte als auch die Sagenwelt etwas blass, da sich der Autor sehr auf seine Protagonistin und deren Entwicklung konzentriert. So wird eine Menge Potential verschenkt und die Geschichte bleibt im soliden aber nicht unbedingt umwerfenden Bereich.

Veröffentlicht am 31.12.2018

Ein interessanter Klassiker aber kein Must-Read!

Der Steppenwolf
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Wie bin ich mit der Sprache zurecht gekommen?

Vorangestellt muss ich wohl sagen, dass dieser Klassiker eine meiner Deutsch-Abi-Lektüren ist, ich mich also im schulischen Rahmen damit beschäftigt habe. ...

Wie bin ich mit der Sprache zurecht gekommen?

Vorangestellt muss ich wohl sagen, dass dieser Klassiker eine meiner Deutsch-Abi-Lektüren ist, ich mich also im schulischen Rahmen damit beschäftigt habe. Im Gegensatz zu vielen anderen Werken, die ich in der Schule schon lesen musste, ist die Sprache Hesses sehr gut verständlich und mit seiner sehr treffenden und umschreibenden Art sich auszudrücken, konnte er sehr viele Gedanken und Gefühle an mich herantragen. Der Stil ist sehr expressionistisch, was eine unkonventionelle, anspielungsreiche Ausdrucksweise mit vielen Neologismen und einen komplizierten Satzbau beinhaltet. Letzteres schließt leider auch viele Schachtelsätze ein, die sich teilweise über fast eine Seite ziehen und die man bis zu drei Male lesen muss um ihren Inhalt gänzlich verstehen zu können.
Innerhalb des Romans ändert sich die Sprache mit der jeweiligen Erzählperspektive ständig und ist auch situations- und stimmungsbedingten Veränderungen unterworfen.

Was trägt die gewählte Perspektive zur Geschichte bei?

Die verwendete Ich-Perspektive hinterlässt den Eindruck von Intimität und Nähe zu Protagonist Harry Haller und dass seine Aufzeichnungen eher wie ein Tagebucheintrag anmuten, ermöglicht ein hohes Maß an Identifikation mit dem Erzähler. Es wirkt, als würden die Ereignisse in der Jetzt-Zeit von dem Erzähler unreflektiert Revue-passieren gelassen werden und demnach gibt es wenig szenische Handlung. Stattdessen wird auf die innere Handlung viel Wert gelegt und der Leser bekommt einen Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt des „Steppenwolfes“. Haller schildert präzise seine subjektiven Erfahrungen, seinen persönlichen Konflikt und seine generellen Weltsichten. Durch den wehleidigen Ton und die selbstkritischen Darstellungen ist die Atmosphäre gerade am Anfang sehr gedrückt, wenn nicht gar deprimiert. Am Ende, sobald sich Haller zu wandeln beginnt und neue Erfahrungen macht, wird das viel besser aber gerade am Anfang ist es schon ein wenig anstrengend.

Wie finde ich die Konstruktion der Handlung (Spannung, Charaktere, Twists...)?

Bevor die Haupthandlung beginnt startet Hesse mit einem „Vorwort des Herausgebers“, das Haller aus bürgerlicher Perspektive eines ehemaligen Vermieters als zerrissene Persönlichkeit vorstellt und seine Probleme auf eine ganze Generation überträgt. Durch diese erste Perspektive wird eine Mischung aus Faszination und Distanz für die fremde Existenz des „Steppenwolfes“ impliziert und außerdem der Schluss vorweggenommen. Nach dieser Schilderung taucht der Leser in die Lebensbeschreibung Hallers aus der Ich-Perspektive ein, in der er von seinen seelischen Qualen und seiner inneren Zerrissenheit erzählt, seine Abneigung und gleichzeitig seine Sehnsucht nach allem Bürgerlichen bekundet und schließlich ein „Magisches Theater“ entdeckt, wobei er ein mysteriöses Büchlein erhält – „Das Traktat vom Steppenwolf“. Dieses stellt eine pseudowissenschaftliche Erklärung Hallers Persönlichkeit aus neutraler Perspektive dar und wird durch die Fortsetzung Hallers Aufzeichnungen abgelöst. So ergibt sich ein vielseitiger Blick auf Haller vor Beginn der Haupthandlung. Nachdem doch etwas sperrigen und chaotisch wirkenden Anfang bewegt sich die Geschichte dann sehr bald in eine ganz andere Richtung, als man es von dem vergeistigten Steppenwolf in seiner Isolation und Krise erwartet hätte. Als er die junge Prostituierte Hermine trifft und sie ihn mit dem Tanzen in die Welt des Vergnügens und der leichten Unterhaltung einführt, entdeckt er schnell eine ganz andere Seite in sich und wird dann im Höhepunkt der Geschichte ins "Magische Theater" geführt, wo er sich endlich selbst erkennen soll. Nach einem sehr verkopften und deprimierten Anfang wird es am Ende also nochmal herrlich skurril und ausschweifend. Ein wenig ironisch ist nur, dass sein "Steppenwolf", obwohl Hesse die Bedeutung des Humors hier so groß schreibt, sehr trocken, eher tragisch und überhaupt nicht humorvoll zu lesen ist.

Ist das Thema des Romans noch zeitgemäß? Inwiefern lässt es sich auf die heutige Zeit beziehen?

Den Grundkonflikt, also die Zerrissenheit Harry Hallers, durch die er keinen Frieden finden kann, lässt sich gut mit der Zwei-Seelen-Problematik vergleichen, die Faust aus Goethes gleichnamigem Werk in sich trägt. Auch dieser kann durch die Zerrissenheit zwischen geistiger Erfüllung und sinnlicher Begierde keinen Frieden finden. Den Konflikt der zwei Welterscheinungen und der fragwürdigen Zugehörigkeit zum Bürgertum kann man auch im „Goldenen Topf“ von E.T.A. Hoffman wiederfinden. Damit drehen sich alle drei Schwerpunktlektüren um den Lebenskonflikt eines mittelalten Mannes, womit ich als junge Frau natürlich nur begrenzt etwas anfangen kann. Dennoch sind hier sehr viele interessante Gedanken versteckt, die es sich lohnt, genauer zu vertiefen und auch mal auf das eigene Leben zu beziehen. Auch wenn diese oft etwas sperrig vermittelt werden und keine wirklich neuen Erkenntnisse vorliegen sondern stattdessen vieles aus der Gedankenwelt von Freund, und C. G. Jung auftaucht, ist das Thema Selbstwerdung, Lebenskrise und die Frage nach der eigenen Stellung in der Gesellschaft auf jeden Fall zeitgemäß. Viele Fragen, die sich der Steppenwolf stellt, sind heute aktueller denn je.

__________________________


Gesamteindruck: Ein Klassiker und must-read?

Auch wenn der "Steppenwolf" ein wenig chaotisch aufgebaut ist, am Anfang ein wenig zäh und deprimierend startet und am Ende ein wenig die Bodenhaftung verliert und auch der Schreibstil Hesses manchmal ein wenig zu sehr ausufert, kommt man sehr gut durch den Roman durch. Die Geschichte von Harry Haller hat schon sehr früh eine unwahrscheinliche Anziehungskraft auf mich ausgeübt und die vielen interessanten Gedanken sind verständlich genug erklärt, dass man völlig ohne Lektürenhilfe durch das Werk kommt und am Ende trotzdem etwas mitnehmen kann. Ich würde diesen doch etwas speziellen Roman nicht unbedingt als Must-Read bezeichnen aber wenn man sich dafür Zeit nimmt, lohnt es sich!

Veröffentlicht am 31.12.2018

Ein interessanter Klassiker aber kein Must-Read!

Der Steppenwolf
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Wie bin ich mit der Sprache zurecht gekommen?

Vorangestellt muss ich wohl sagen, dass dieser Klassiker eine meiner Deutsch-Abi-Lektüren ist, ich mich also im schulischen Rahmen damit beschäftigt habe. ...

Wie bin ich mit der Sprache zurecht gekommen?

Vorangestellt muss ich wohl sagen, dass dieser Klassiker eine meiner Deutsch-Abi-Lektüren ist, ich mich also im schulischen Rahmen damit beschäftigt habe. Im Gegensatz zu vielen anderen Werken, die ich in der Schule schon lesen musste, ist die Sprache Hesses sehr gut verständlich und mit seiner sehr treffenden und umschreibenden Art sich auszudrücken, konnte er sehr viele Gedanken und Gefühle an mich herantragen. Der Stil ist sehr expressionistisch, was eine unkonventionelle, anspielungsreiche Ausdrucksweise mit vielen Neologismen und einen komplizierten Satzbau beinhaltet. Letzteres schließt leider auch viele Schachtelsätze ein, die sich teilweise über fast eine Seite ziehen und die man bis zu drei Male lesen muss um ihren Inhalt gänzlich verstehen zu können.
Innerhalb des Romans ändert sich die Sprache mit der jeweiligen Erzählperspektive ständig und ist auch situations- und stimmungsbedingten Veränderungen unterworfen.

Was trägt die gewählte Perspektive zur Geschichte bei?

Die verwendete Ich-Perspektive hinterlässt den Eindruck von Intimität und Nähe zu Protagonist Harry Haller und dass seine Aufzeichnungen eher wie ein Tagebucheintrag anmuten, ermöglicht ein hohes Maß an Identifikation mit dem Erzähler. Es wirkt, als würden die Ereignisse in der Jetzt-Zeit von dem Erzähler unreflektiert Revue-passieren gelassen werden und demnach gibt es wenig szenische Handlung. Stattdessen wird auf die innere Handlung viel Wert gelegt und der Leser bekommt einen Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt des „Steppenwolfes“. Haller schildert präzise seine subjektiven Erfahrungen, seinen persönlichen Konflikt und seine generellen Weltsichten. Durch den wehleidigen Ton und die selbstkritischen Darstellungen ist die Atmosphäre gerade am Anfang sehr gedrückt, wenn nicht gar deprimiert. Am Ende, sobald sich Haller zu wandeln beginnt und neue Erfahrungen macht, wird das viel besser aber gerade am Anfang ist es schon ein wenig anstrengend.

Wie finde ich die Konstruktion der Handlung (Spannung, Charaktere, Twists...)?

Bevor die Haupthandlung beginnt startet Hesse mit einem „Vorwort des Herausgebers“, das Haller aus bürgerlicher Perspektive eines ehemaligen Vermieters als zerrissene Persönlichkeit vorstellt und seine Probleme auf eine ganze Generation überträgt. Durch diese erste Perspektive wird eine Mischung aus Faszination und Distanz für die fremde Existenz des „Steppenwolfes“ impliziert und außerdem der Schluss vorweggenommen. Nach dieser Schilderung taucht der Leser in die Lebensbeschreibung Hallers aus der Ich-Perspektive ein, in der er von seinen seelischen Qualen und seiner inneren Zerrissenheit erzählt, seine Abneigung und gleichzeitig seine Sehnsucht nach allem Bürgerlichen bekundet und schließlich ein „Magisches Theater“ entdeckt, wobei er ein mysteriöses Büchlein erhält – „Das Traktat vom Steppenwolf“. Dieses stellt eine pseudowissenschaftliche Erklärung Hallers Persönlichkeit aus neutraler Perspektive dar und wird durch die Fortsetzung Hallers Aufzeichnungen abgelöst. So ergibt sich ein vielseitiger Blick auf Haller vor Beginn der Haupthandlung. Nachdem doch etwas sperrigen und chaotisch wirkenden Anfang bewegt sich die Geschichte dann sehr bald in eine ganz andere Richtung, als man es von dem vergeistigten Steppenwolf in seiner Isolation und Krise erwartet hätte. Als er die junge Prostituierte Hermine trifft und sie ihn mit dem Tanzen in die Welt des Vergnügens und der leichten Unterhaltung einführt, entdeckt er schnell eine ganz andere Seite in sich und wird dann im Höhepunkt der Geschichte ins "Magische Theater" geführt, wo er sich endlich selbst erkennen soll. Nach einem sehr verkopften und deprimierten Anfang wird es am Ende also nochmal herrlich skurril und ausschweifend. Ein wenig ironisch ist nur, dass sein "Steppenwolf", obwohl Hesse die Bedeutung des Humors hier so groß schreibt, sehr trocken, eher tragisch und überhaupt nicht humorvoll zu lesen ist.

Ist das Thema des Romans noch zeitgemäß? Inwiefern lässt es sich auf die heutige Zeit beziehen?

Den Grundkonflikt, also die Zerrissenheit Harry Hallers, durch die er keinen Frieden finden kann, lässt sich gut mit der Zwei-Seelen-Problematik vergleichen, die Faust aus Goethes gleichnamigem Werk in sich trägt. Auch dieser kann durch die Zerrissenheit zwischen geistiger Erfüllung und sinnlicher Begierde keinen Frieden finden. Den Konflikt der zwei Welterscheinungen und der fragwürdigen Zugehörigkeit zum Bürgertum kann man auch im „Goldenen Topf“ von E.T.A. Hoffman wiederfinden. Damit drehen sich alle drei Schwerpunktlektüren um den Lebenskonflikt eines mittelalten Mannes, womit ich als junge Frau natürlich nur begrenzt etwas anfangen kann. Dennoch sind hier sehr viele interessante Gedanken versteckt, die es sich lohnt, genauer zu vertiefen und auch mal auf das eigene Leben zu beziehen. Auch wenn diese oft etwas sperrig vermittelt werden und keine wirklich neuen Erkenntnisse vorliegen sondern stattdessen vieles aus der Gedankenwelt von Freund, und C. G. Jung auftaucht, ist das Thema Selbstwerdung, Lebenskrise und die Frage nach der eigenen Stellung in der Gesellschaft auf jeden Fall zeitgemäß. Viele Fragen, die sich der Steppenwolf stellt, sind heute aktueller denn je.

__________________________


Gesamteindruck: Ein Klassiker und must-read?

Auch wenn der "Steppenwolf" ein wenig chaotisch aufgebaut ist, am Anfang ein wenig zäh und deprimierend startet und am Ende ein wenig die Bodenhaftung verliert und auch der Schreibstil Hesses manchmal ein wenig zu sehr ausufert, kommt man sehr gut durch den Roman durch. Die Geschichte von Harry Haller hat schon sehr früh eine unwahrscheinliche Anziehungskraft auf mich ausgeübt und die vielen interessanten Gedanken sind verständlich genug erklärt, dass man völlig ohne Lektürenhilfe durch das Werk kommt und am Ende trotzdem etwas mitnehmen kann. Ich würde diesen doch etwas speziellen Roman nicht unbedingt als Must-Read bezeichnen aber wenn man sich dafür Zeit nimmt, lohnt es sich!

Veröffentlicht am 24.03.2018

"Irgendwas ist da unten. Und es will raus."

Das dunkle Herz
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Allgemeines:

Titel: Das dunkle Herz
Autor: Lukas Hainer
Verlag: ivi (1. März 2018)
Genre: Fantasy
ISBN-10: 3492704727
ISBN-13: 978-3492704724
ASIN: B077BVCJ9C
Preis: 12,99€ (Kindle-Edition)
16€ (Gebundene ...

Allgemeines:

Titel: Das dunkle Herz
Autor: Lukas Hainer
Verlag: ivi (1. März 2018)
Genre: Fantasy
ISBN-10: 3492704727
ISBN-13: 978-3492704724
ASIN: B077BVCJ9C
Preis: 12,99€ (Kindle-Edition)
16€ (Gebundene Ausgabe)
Seitenzahl: 384 Seiten



Inhalt:

Während einer Gedenkfeier für ihren verschwundenen Bruder wird Anna schwarz vor Augen, und sie erwacht am Rande einer verlassenen Wüstenstadt. Als alle Versuche scheitern, Kontakt zu ihren Eltern aufzunehmen, sucht sie in der Stadt nach Antworten und stößt auf weitere Ankömmlinge, unter ihnen der junge Nick. Bald entbrennt ein Kampf ums Überleben, sowohl mit ihrer unwirtlichen Umgebung als auch unter den Gestrandeten selbst. Während die Spannungen eskalieren und es sogar zu Toten kommt, findet Anna plötzlich Hinweise auf ihren Bruder – ist es möglich, dass er noch lebt? Als sie der Spur folgen, stoßen Nick und sie auf ein furchtbares Geheimnis, das dieser Ort und seine Bewohner hüten: das dunkle Herz. Und plötzlich geht es um weit mehr als nur um ihr eigenes Schicksal.


Bewertung:

Als ich diese Geschichte in der Verlagsvorschau des Piper Verlages gefunden und vom dunklen Herz gelesen habe, hatte ich mich sofort auf ein spannendes Mystery-Abenteuer gefreut. Nach etwa 30 Seiten musste ich jedoch feststellen, dass sich diese Geschichte in eine ganz andere Geschichte entwickelt und mehr zu einem Abenteuer über einen Haufen Kinder in einer verlassenen Wüstenstadt wird, die um Zusammenhalt und Vertrauen ringen.

Das Cover ist sehr ansprechend gestaltet. Das verwaschene Grau gibt einen unruhigen, düsteren Hintergrund, welcher in Kombination mit dem schwarzen, dynamischen Fleck im Zentrum des Bildes und den ebenfalls schwarzen Naturmotiven, den Bäumen und Vögel, ein geheimnisvolles und stimmiges Gesamtbild ergibt. Der Titel ist in einem blassen Bronzeton gehalten, welcher auch das Lesebändchen schmückt und gleichzeitig das einzige Fleckchen Farbe in dem sonstigen Grau-Schwarzen Bild darstellt. Besonders schön sind die verwaschenen Cover - Motive, die die Innenseiten der Buchdeckel zieren und die schwarzen Flecken, die den Hintergrund für die jeweilige Kapitelüberschrift bilden. Auch wenn die gesamte Gestaltung auf eine viel düsterere und magischere Geschichte hindeutet, passt das Gesamtbild sehr gut und sieht darüber hinaus wunderschön aus. Einzig das helle Orange auf der Innenseite der Klapplaschen des Covers passt meines Erachtens nicht so ganz.

Erster Satz: "Der alte Mann schritt durch die staubigen Straßen der Stadt."

Aus der Sicht des alten Mannes beginnt die Geschichte mit einem vielversprechenden, mysteriösen Prolog. Während diese geheimnisvolle Person über alte Zeiten und die Zukunft nachsinnt, entstehen schon Bilder im Kopf des Lesers und es klingt an, wie sich die Geschichte entwickeln könnte. Dass die Erzählung dann gleich weiter nach Deutschland in eine Kirche während einer Trauerfeier zur 14jährigen Anna springt, ist ein starker Kontrast. Mit Ausnahme ihres seit 10 Jahren vermissten Bruders Ben ist bei der Familie Engel alles gewöhnlich und zuerst kann man keine Parallele zur staubigen Wüstenstadt aus dem Prolog erkennen. Als dann jedoch wie jedes Jahr die Trauerglocken für den verschwundenen Sohn läuten, wird Anna schwarz vor den Augen und sie erwacht in glühender Hitze unter einem orangenen Horizont wieder. Zusammen mit einigen anderen Menschen aller Altersgruppen und Nationalitäten ist sie an einem Ort gestrandet, der außerhalb jeglicher Realität zu liegen scheint. Ganz fremd und irgendwie falsch kommt er ihr vor, was auch an den Resten der Zivilisation liegt, die überall zu sehen sind. Als sie auf eine andere Gruppe und schließlich auf eine organisierte Gesellschaft aus Ankömmlingen trifft, scheint ihr Schicksal erstmal weniger aussichtslos zu sein. Doch was verbirgt der gnadenlose Anführer Álvaro? Wohin sind all die Menschen verschwunden, die an diesem Ort gelebt haben? Was hat es mit der grauenvollen Kälte auf sich, die die Kinder manchmal spüren? Und wie können sie wieder nachhause gelangen? Als Anna zusammen mit ihren neuen Freunden den Fragen nachgeht, trifft sie auf ein tief verborgenes, gut gehütetes, dunkles Geheimnis...


"Hast du das auch gespürt?", fragte sie in, als er bei ihr angekommen war und legte sich die Hand auf die Brust, wo die Beklemmung am Schlimmsten gewesen war. Er nickte. "Irgendwas ist da unten. Und es will raus."


Während die Charaktere in der sengenden Hitze umher irren baut die meiste Spannung eigentlich auf den Fragen rund um den geheimnisvollen Ort auf. Da aber kaum Lösungen der Fragen und weitere Entwicklungen rund um die Grundidee in Aussicht gestellt werden, legt sich im Laufe der Geschichte diese erzeugte Spannung immer weiter und die eigentliche Handlung muss die ganze Last der Story tragen. Während unsere Protagonisten also durch die Wüste irren, nach Wasser, Essen und nicht zuletzt ihrer Freiheit suchen, rückt das Geheimnis um das dunkle Herz immer weiter in den Hintergrund, bis es nur eine schemenhafte Bedrohung wird, in die Ecke gedrängt und absolut nebensächlich. Leider schafft dieses es auch nicht im Laufe der Seiten aus dieser Ecke herauszukommen und eine zentrale Rolle einzunehmen.

So bleibt die Handlung leider sehr eindimensional und stellt in erster Linie den Überlebenskampf und die Machtstrukturen innerhalb der Gruppen dar. Dazu wäre jedoch auch jedes andere Setting genügend gewesen, hier leidet die Story eher darunter, dass das Setting nicht wirklich lebendig wird. Über den Großteil der Handlung sind die Protagonisten viel zu sehr mit sich selbst und ihren Streitigkeiten beschäftigt, um den Ort, an dem sie gestrandet sind und die Gefahren, vor denen sie stehen wirklich erkunden zu können, weshalb diese auch für den Leser sehr unspektakulär bleiben. Natürlich werden immer wieder neue Dinge aufgeführt, einzelne Entdeckungen werden jedoch immer nur am Rande behandelt und schnell als selbstverständlich abgetan. Das ging so weit, dass einige Details der Handlung plötzlich fehl am Platz wirkten. Annas wieder auferstehender Bruder oder die wild bewachsenen Hallen mit einer Horde an unabhängig lebenden Kindern sind ebensolche Faktoren, bei denen ich nicht genau weiß, wie ich ihnen gegenüberstehen soll. Keiner der Protagonisten scheint an irgendetwas zu zweifeln, das fantastische Setting bringt alle dazu, seltsame Dinge zu akzeptieren, was ich leider nicht konnte. Durch die fehlenden Informationen und Entwicklungen rund um die Grundidee der fantastischen Wüstenstadt, ist mein Interesse an dieser Idee langsam zurückgegangen, woran auch der angenehme Schreibstil nicht mehr viel ändern konnte. Auch wenn relativ plastisch beschrieben wird, wird das Potential des Geheimnisses rund um das dunkle Herz nicht genutzt.


"Etwas tat sich unter der Erde, der Alte hatte es gespürt. Etwas war dort in Aufruhr geraten und das war neu. Er glaubte nicht, dass es das dunkle Herz war. Das schwarze Böse schlummerte dort unten, denn noch waren die Fesselnd strak, die es seit so langer Zeit an diesem Ort hielten. Nein, was sich dort regte, fühlte sich anders an und der Alte konnte nur Vermutungen anstellen, was geschehen war."


Dass die Fantasy-Komponente dieser Geschichte geradezu armselig ist hat mich natürlich enttäuscht. Sehr spannend wiederum ist aber, dass diese Lücke platz lässt für Gruppendynamik und genauen Studien von Machtstrukturen. Während der alte Mann und die dunkle Macht unter der Stadt eher am Rande bleiben zeigt sich, dass der Mensch sich wieder einmal selbst der größte Feind ist. Habgier, Machtzwang und Unterdrückung drohen die Gestrandeten zu entzweien und fordern viele unnötige Opfer. Bald findet Anna heraus, dass die einzige Möglichkeit zur Flucht in einem Bündnis liegt. Zusammen mit ihren Freunden muss sie es schaffen, alle Streitigkeiten beizulegen und die gesamte Gruppe vereint vors dunkle Herz zu führen. Eine nahezu unmögliche Aufgabe angesichts des angestauten Hasses... doch die einzige Chance um dem Albtraum zu entfliehen.


"Der Alte spürte den Wind und hörte auf die Geräusche der neuen Bewohner, die er brachte. Da war das Zirpen und Rascheln von Insekten, en flatternder Flügelschlag, irgendwo ein erschöpftes Grunzen. In der Ferne konnte er zwei Schemen auf der Mauer erkennen, Wachen, die sie aufgestellt hatten. Bald würde die Dunkelheit sie verschlucken..."


Genau wie die Geschichte bleiben auch die Charaktere leider sehr eindimensional. Der große Fehler hier ist die schiere Masse an Protagonisten, die alle kurz angerissen werden, die aber keinerlei Tiefe besitzen. Selbst von Anna, die aus der personalen Erzählperspektive erzählt und bei der die Innensicht uns auch in Gefühle und Gedanken einweiht, konnte ich mir im Laufe der Handlung nur ein grobes Bild machen und keine wirkliche Beziehung zu ihr aufbauen. Interessant ist einzig und allein ihre Beziehung zu ihrem großen Bruder, von dem sie sich nie wirklich verabschieden konnte, da er einfach verschwunden ist und in dessen Verschwinden einen dunklen Schatten über ihre Familie geworfen hat, in dem sie 10 Jahre leben musste, ohne sich wirklich an ihn erinnern zu können. Durch ihren Aufenthalt in der Stadt bekommt sie endlich die Möglichkeit mit den Gefühlen in sich aufzuräumen und ihn richtig loszulassen.

Die anderen Charaktere wie Nick, Jelena, Lev, Álvaro, Eric, Peter, Sinan, Kyle oder Poppin - um nur mal einen Bruchteil aller Namen zu nennen, mit deren Auseinanderhaltung wir konfrontiert werden - werden einfach grob nach ihrer Stellung in der Gruppe und ein oder zwei vagen Charakterzügen charakterisiert. Auch wenn natürlich klar ist, dass auf 380 Seiten kein vollständiges Bild von 10 Personen entstehen kann, fand ich die Charakterzeichnung gerade für ein Jugendbuch, das von so etwas immer besonders stark lebt, etwas flach. Der unnötigste Punkt ist jedoch wieder wie so oft die hastig dazu gedichtete Liebesgeschichte zwischen Anna und Nick, die die Geschichte absolut nicht gebraucht hätte.


"Álvaro knetete wieder seine Handschuhe, wie bei den Reden vor der Versammlung. "Wir sind nicht die ersten Bewohner hier, bei Weitem nicht, und wir müssen zusehen, dass von uns mehr übrig bleibt als von all den anderen! Was immer mit uns geschehen ist, wie müssen überleben. Egal, was es kostet!"


Trotz der ganzen Kritik will ich dem Buch gar nicht seine Originalität und die Spannung absprechen, die gerade gegen Ende nochmals aufleben darf. Am Ende ist jedoch die Umsetzung der Grundidee leider ein wenig unrund und die Lösung des Problems wird auf einen eventuell nächsten Band vertröstet.



Fazit:

Ein interessantes Abenteuer über eine Ansammlung an Menschen verschiedener Nationalitäten und Gesinnungen, die in einer verlassenen Wüstenstadt um Zusammenhalt und Vertrauen ringen. Leider wird das Potential der Grundidee und des Settings nicht ausgeschöpft und auch die Charaktere bleiben ein wenig blass.

Veröffentlicht am 24.03.2018

"Irgendwas ist da unten. Und es will raus."

Das dunkle Herz
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Allgemeines:

Titel: Das dunkle Herz
Autor: Lukas Hainer
Verlag: ivi (1. März 2018)
Genre: Fantasy
ISBN-10: 3492704727
ISBN-13: 978-3492704724
ASIN: B077BVCJ9C
Preis: 12,99€ (Kindle-Edition)
16€ (Gebundene ...

Allgemeines:

Titel: Das dunkle Herz
Autor: Lukas Hainer
Verlag: ivi (1. März 2018)
Genre: Fantasy
ISBN-10: 3492704727
ISBN-13: 978-3492704724
ASIN: B077BVCJ9C
Preis: 12,99€ (Kindle-Edition)
16€ (Gebundene Ausgabe)
Seitenzahl: 384 Seiten



Inhalt:

Während einer Gedenkfeier für ihren verschwundenen Bruder wird Anna schwarz vor Augen, und sie erwacht am Rande einer verlassenen Wüstenstadt. Als alle Versuche scheitern, Kontakt zu ihren Eltern aufzunehmen, sucht sie in der Stadt nach Antworten und stößt auf weitere Ankömmlinge, unter ihnen der junge Nick. Bald entbrennt ein Kampf ums Überleben, sowohl mit ihrer unwirtlichen Umgebung als auch unter den Gestrandeten selbst. Während die Spannungen eskalieren und es sogar zu Toten kommt, findet Anna plötzlich Hinweise auf ihren Bruder – ist es möglich, dass er noch lebt? Als sie der Spur folgen, stoßen Nick und sie auf ein furchtbares Geheimnis, das dieser Ort und seine Bewohner hüten: das dunkle Herz. Und plötzlich geht es um weit mehr als nur um ihr eigenes Schicksal.


Bewertung:

Als ich diese Geschichte in der Verlagsvorschau des Piper Verlages gefunden und vom dunklen Herz gelesen habe, hatte ich mich sofort auf ein spannendes Mystery-Abenteuer gefreut. Nach etwa 30 Seiten musste ich jedoch feststellen, dass sich diese Geschichte in eine ganz andere Geschichte entwickelt und mehr zu einem Abenteuer über einen Haufen Kinder in einer verlassenen Wüstenstadt wird, die um Zusammenhalt und Vertrauen ringen.

Das Cover ist sehr ansprechend gestaltet. Das verwaschene Grau gibt einen unruhigen, düsteren Hintergrund, welcher in Kombination mit dem schwarzen, dynamischen Fleck im Zentrum des Bildes und den ebenfalls schwarzen Naturmotiven, den Bäumen und Vögel, ein geheimnisvolles und stimmiges Gesamtbild ergibt. Der Titel ist in einem blassen Bronzeton gehalten, welcher auch das Lesebändchen schmückt und gleichzeitig das einzige Fleckchen Farbe in dem sonstigen Grau-Schwarzen Bild darstellt. Besonders schön sind die verwaschenen Cover - Motive, die die Innenseiten der Buchdeckel zieren und die schwarzen Flecken, die den Hintergrund für die jeweilige Kapitelüberschrift bilden. Auch wenn die gesamte Gestaltung auf eine viel düsterere und magischere Geschichte hindeutet, passt das Gesamtbild sehr gut und sieht darüber hinaus wunderschön aus. Einzig das helle Orange auf der Innenseite der Klapplaschen des Covers passt meines Erachtens nicht so ganz.

Erster Satz: "Der alte Mann schritt durch die staubigen Straßen der Stadt."

Aus der Sicht des alten Mannes beginnt die Geschichte mit einem vielversprechenden, mysteriösen Prolog. Während diese geheimnisvolle Person über alte Zeiten und die Zukunft nachsinnt, entstehen schon Bilder im Kopf des Lesers und es klingt an, wie sich die Geschichte entwickeln könnte. Dass die Erzählung dann gleich weiter nach Deutschland in eine Kirche während einer Trauerfeier zur 14jährigen Anna springt, ist ein starker Kontrast. Mit Ausnahme ihres seit 10 Jahren vermissten Bruders Ben ist bei der Familie Engel alles gewöhnlich und zuerst kann man keine Parallele zur staubigen Wüstenstadt aus dem Prolog erkennen. Als dann jedoch wie jedes Jahr die Trauerglocken für den verschwundenen Sohn läuten, wird Anna schwarz vor den Augen und sie erwacht in glühender Hitze unter einem orangenen Horizont wieder. Zusammen mit einigen anderen Menschen aller Altersgruppen und Nationalitäten ist sie an einem Ort gestrandet, der außerhalb jeglicher Realität zu liegen scheint. Ganz fremd und irgendwie falsch kommt er ihr vor, was auch an den Resten der Zivilisation liegt, die überall zu sehen sind. Als sie auf eine andere Gruppe und schließlich auf eine organisierte Gesellschaft aus Ankömmlingen trifft, scheint ihr Schicksal erstmal weniger aussichtslos zu sein. Doch was verbirgt der gnadenlose Anführer Álvaro? Wohin sind all die Menschen verschwunden, die an diesem Ort gelebt haben? Was hat es mit der grauenvollen Kälte auf sich, die die Kinder manchmal spüren? Und wie können sie wieder nachhause gelangen? Als Anna zusammen mit ihren neuen Freunden den Fragen nachgeht, trifft sie auf ein tief verborgenes, gut gehütetes, dunkles Geheimnis...


"Hast du das auch gespürt?", fragte sie in, als er bei ihr angekommen war und legte sich die Hand auf die Brust, wo die Beklemmung am Schlimmsten gewesen war. Er nickte. "Irgendwas ist da unten. Und es will raus."


Während die Charaktere in der sengenden Hitze umher irren baut die meiste Spannung eigentlich auf den Fragen rund um den geheimnisvollen Ort auf. Da aber kaum Lösungen der Fragen und weitere Entwicklungen rund um die Grundidee in Aussicht gestellt werden, legt sich im Laufe der Geschichte diese erzeugte Spannung immer weiter und die eigentliche Handlung muss die ganze Last der Story tragen. Während unsere Protagonisten also durch die Wüste irren, nach Wasser, Essen und nicht zuletzt ihrer Freiheit suchen, rückt das Geheimnis um das dunkle Herz immer weiter in den Hintergrund, bis es nur eine schemenhafte Bedrohung wird, in die Ecke gedrängt und absolut nebensächlich. Leider schafft dieses es auch nicht im Laufe der Seiten aus dieser Ecke herauszukommen und eine zentrale Rolle einzunehmen.

So bleibt die Handlung leider sehr eindimensional und stellt in erster Linie den Überlebenskampf und die Machtstrukturen innerhalb der Gruppen dar. Dazu wäre jedoch auch jedes andere Setting genügend gewesen, hier leidet die Story eher darunter, dass das Setting nicht wirklich lebendig wird. Über den Großteil der Handlung sind die Protagonisten viel zu sehr mit sich selbst und ihren Streitigkeiten beschäftigt, um den Ort, an dem sie gestrandet sind und die Gefahren, vor denen sie stehen wirklich erkunden zu können, weshalb diese auch für den Leser sehr unspektakulär bleiben. Natürlich werden immer wieder neue Dinge aufgeführt, einzelne Entdeckungen werden jedoch immer nur am Rande behandelt und schnell als selbstverständlich abgetan. Das ging so weit, dass einige Details der Handlung plötzlich fehl am Platz wirkten. Annas wieder auferstehender Bruder oder die wild bewachsenen Hallen mit einer Horde an unabhängig lebenden Kindern sind ebensolche Faktoren, bei denen ich nicht genau weiß, wie ich ihnen gegenüberstehen soll. Keiner der Protagonisten scheint an irgendetwas zu zweifeln, das fantastische Setting bringt alle dazu, seltsame Dinge zu akzeptieren, was ich leider nicht konnte. Durch die fehlenden Informationen und Entwicklungen rund um die Grundidee der fantastischen Wüstenstadt, ist mein Interesse an dieser Idee langsam zurückgegangen, woran auch der angenehme Schreibstil nicht mehr viel ändern konnte. Auch wenn relativ plastisch beschrieben wird, wird das Potential des Geheimnisses rund um das dunkle Herz nicht genutzt.


"Etwas tat sich unter der Erde, der Alte hatte es gespürt. Etwas war dort in Aufruhr geraten und das war neu. Er glaubte nicht, dass es das dunkle Herz war. Das schwarze Böse schlummerte dort unten, denn noch waren die Fesselnd strak, die es seit so langer Zeit an diesem Ort hielten. Nein, was sich dort regte, fühlte sich anders an und der Alte konnte nur Vermutungen anstellen, was geschehen war."


Dass die Fantasy-Komponente dieser Geschichte geradezu armselig ist hat mich natürlich enttäuscht. Sehr spannend wiederum ist aber, dass diese Lücke platz lässt für Gruppendynamik und genauen Studien von Machtstrukturen. Während der alte Mann und die dunkle Macht unter der Stadt eher am Rande bleiben zeigt sich, dass der Mensch sich wieder einmal selbst der größte Feind ist. Habgier, Machtzwang und Unterdrückung drohen die Gestrandeten zu entzweien und fordern viele unnötige Opfer. Bald findet Anna heraus, dass die einzige Möglichkeit zur Flucht in einem Bündnis liegt. Zusammen mit ihren Freunden muss sie es schaffen, alle Streitigkeiten beizulegen und die gesamte Gruppe vereint vors dunkle Herz zu führen. Eine nahezu unmögliche Aufgabe angesichts des angestauten Hasses... doch die einzige Chance um dem Albtraum zu entfliehen.


"Der Alte spürte den Wind und hörte auf die Geräusche der neuen Bewohner, die er brachte. Da war das Zirpen und Rascheln von Insekten, en flatternder Flügelschlag, irgendwo ein erschöpftes Grunzen. In der Ferne konnte er zwei Schemen auf der Mauer erkennen, Wachen, die sie aufgestellt hatten. Bald würde die Dunkelheit sie verschlucken..."


Genau wie die Geschichte bleiben auch die Charaktere leider sehr eindimensional. Der große Fehler hier ist die schiere Masse an Protagonisten, die alle kurz angerissen werden, die aber keinerlei Tiefe besitzen. Selbst von Anna, die aus der personalen Erzählperspektive erzählt und bei der die Innensicht uns auch in Gefühle und Gedanken einweiht, konnte ich mir im Laufe der Handlung nur ein grobes Bild machen und keine wirkliche Beziehung zu ihr aufbauen. Interessant ist einzig und allein ihre Beziehung zu ihrem großen Bruder, von dem sie sich nie wirklich verabschieden konnte, da er einfach verschwunden ist und in dessen Verschwinden einen dunklen Schatten über ihre Familie geworfen hat, in dem sie 10 Jahre leben musste, ohne sich wirklich an ihn erinnern zu können. Durch ihren Aufenthalt in der Stadt bekommt sie endlich die Möglichkeit mit den Gefühlen in sich aufzuräumen und ihn richtig loszulassen.

Die anderen Charaktere wie Nick, Jelena, Lev, Álvaro, Eric, Peter, Sinan, Kyle oder Poppin - um nur mal einen Bruchteil aller Namen zu nennen, mit deren Auseinanderhaltung wir konfrontiert werden - werden einfach grob nach ihrer Stellung in der Gruppe und ein oder zwei vagen Charakterzügen charakterisiert. Auch wenn natürlich klar ist, dass auf 380 Seiten kein vollständiges Bild von 10 Personen entstehen kann, fand ich die Charakterzeichnung gerade für ein Jugendbuch, das von so etwas immer besonders stark lebt, etwas flach. Der unnötigste Punkt ist jedoch wieder wie so oft die hastig dazu gedichtete Liebesgeschichte zwischen Anna und Nick, die die Geschichte absolut nicht gebraucht hätte.


"Álvaro knetete wieder seine Handschuhe, wie bei den Reden vor der Versammlung. "Wir sind nicht die ersten Bewohner hier, bei Weitem nicht, und wir müssen zusehen, dass von uns mehr übrig bleibt als von all den anderen! Was immer mit uns geschehen ist, wie müssen überleben. Egal, was es kostet!"


Trotz der ganzen Kritik will ich dem Buch gar nicht seine Originalität und die Spannung absprechen, die gerade gegen Ende nochmals aufleben darf. Am Ende ist jedoch die Umsetzung der Grundidee leider ein wenig unrund und die Lösung des Problems wird auf einen eventuell nächsten Band vertröstet.



Fazit:

Ein interessantes Abenteuer über eine Ansammlung an Menschen verschiedener Nationalitäten und Gesinnungen, die in einer verlassenen Wüstenstadt um Zusammenhalt und Vertrauen ringen. Leider wird das Potential der Grundidee und des Settings nicht ausgeschöpft und auch die Charaktere bleiben ein wenig blass.