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Veröffentlicht am 09.11.2024

Ein offenes, faszinierendes Panorama der weiblichen Sexualität

WANT
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In "Want" versammelt die Aktivistin und Schauspielerin Gillian Anderson (zum Beispiel bekannt für ihre Rolle der Jean Milburn aus der Serie "Sex Education") anonyme Sexfantasien von Frauen aus der ganzen ...

In "Want" versammelt die Aktivistin und Schauspielerin Gillian Anderson (zum Beispiel bekannt für ihre Rolle der Jean Milburn aus der Serie "Sex Education") anonyme Sexfantasien von Frauen aus der ganzen Welt und knüpft damit an Nancy Fridays "My Secret Garden" (1973) an, um zu beleuchten, was sich seit diesem epochalen Werk in der weiblichen Sexualität verändert hat – und was nicht.

Die eingesendeten Berichte stammen von Frauen verschiedenen Alters mit den unterschiedlichsten ethnischen, sozioökonomischen, kulturellen und religiösen Hintergründen, aus verschiedenen Lebensphasen und -formen, in unterschiedlichsten Partnerschaften mit und ohne Kinder. Man erkennt sofort, dass sich große Mühe gegeben wurde, die gesamte Bandbreite an weiblich gelesenen Personen abzudecken und kann nicht umhin, den Mut der Frauen zu bewundern, die auf Andersons Aufruf reagiert haben. Die Briefe selbst bieten intime Einblicke in das Innenleben der Frauen, insbesondere dort, wo reflektiert wird, warum bestimmte Fantasien bestehen und wie die Autorinnen selbst dazu stehen. Besonders spannend waren zum Beispiel auch die zahlreichen Perspektiven von queeren Menschen in homophoben Ländern oder behinderten Frauen, die im Alltag oft infantilisiert werden.

Naturgemäß sind die einzelnen Berichte in unterschiedlichem Stil, Umfang und literarischer Qualität verfasst. Während manche Frauen seitenweise in die Tiefe gehen, ausführliche Szenarien bildhaft beschreiben, konzentrieren sich manche Beiträge auf die Gefühlsebene und wieder andere Autorinnen beschränken sich auf wenige Sätze. Doch das spielt im Endeffekt keine Rolle, denn statt um literarische Qualität geht es hier vielmehr um die authentische und unzensierte Darstellung weiblicher Sehnsüchte, die sowohl Fantasie als auch Realität beleuchten und in ihrer Direktheit erfrischend enttabuisierend wirken.

Um die Lesbarkeit der einzelnen Einsendungen zu verbessern, hat die Editorin die Briefe in grobe Kategorien eingeteilt, die sie jeweils mit mal persönlichen, mal allgemeinen hinführenden Bemerkungen und nicht selten mit Triggerwarnungen einleitet. Obwohl die Intros bewusst kurz gehalten sind, um die Beiträge für sich sprechen zu lassen, hätte ich es an dieser Stelle interessant gefunden, weitere Informationen zur Psychologie der Fantasien mit einzubinden und das Buch somit von einer reinen Sammlung zu einem richtigen Sachbuch zu erheben. Denn so setzt trotz der Vielfalt der Beiträge irgendwann auf den 400 Seiten eine gewisse Sättigung ein. Ich verstehe, dass die Autorin möglichst viele Briefe aufgreifen wollte und sich damit schwer tat, auszuwählen welche Fantasien nun einen Mehrwert für die LeserInnen haben und welche nicht (denn kann man das überhaupt pauschal entscheiden??). Fest steht allerdings, dass 100 Seiten weniger mit einer gezielteren Auswahl der Beiträge auch ausgereicht hätten.

Dennoch bietet "Want" eine umfangreiche und lesenswerte Sammlung, die neben den Fantasien Themen wie Intimität, Lust, Ängste, Verwundbarkeit, Unsicherheit, Liebe und Selbstermächtigung erforscht. In ihrem Vorwort betont Anderson das Ziel, Scham rund um Sexualität abzubauen und Frauen eine Stimme zu geben. Das ist ihr in "Want" ganz wunderbar gelungen – das Lesen hat etwas sehr Befreiendes und schafft ein offenes, faszinierendes Panorama der weiblichen Sexualität. Zum Abschluss der Rezension allerdings noch der kurze Tipp, dieses Buch (und besonders nicht das Hörbuch) in der Öffentlichkeit zu lesen, wenn man kein besonders gutes Poker-Face hat! 😂

"In unserer Gesellschaft werden Frauen oft in Schubladen gesteckt und auf bestimmte Identitäten und Rollen reduziert - die verführerische Sexpartnerin, die liebevolle Mutter, die smarte Karrierefrau -, aber die hier versammelten Fantasien belegen, dass keine Frau nur eine einzige Identität besitzt."


Fazit


"Want" ist eine erfrischend enttabuisierende Lektüre, die durch ihre Authentizität fesselt und eine befreiende Offenheit über weibliche Sexualität vermittelt.

Veröffentlicht am 09.11.2024

Ein offenes, faszinierendes Panorama der weiblichen Sexualität

WANT
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In "Want" versammelt die Aktivistin und Schauspielerin Gillian Anderson (zum Beispiel bekannt für ihre Rolle der Jean Milburn aus der Serie "Sex Education") anonyme Sexfantasien von Frauen aus der ganzen ...

In "Want" versammelt die Aktivistin und Schauspielerin Gillian Anderson (zum Beispiel bekannt für ihre Rolle der Jean Milburn aus der Serie "Sex Education") anonyme Sexfantasien von Frauen aus der ganzen Welt und knüpft damit an Nancy Fridays "My Secret Garden" (1973) an, um zu beleuchten, was sich seit diesem epochalen Werk in der weiblichen Sexualität verändert hat – und was nicht.

Die eingesendeten Berichte stammen von Frauen verschiedenen Alters mit den unterschiedlichsten ethnischen, sozioökonomischen, kulturellen und religiösen Hintergründen, aus verschiedenen Lebensphasen und -formen, in unterschiedlichsten Partnerschaften mit und ohne Kinder. Man erkennt sofort, dass sich große Mühe gegeben wurde, die gesamte Bandbreite an weiblich gelesenen Personen abzudecken und kann nicht umhin, den Mut der Frauen zu bewundern, die auf Andersons Aufruf reagiert haben. Die Briefe selbst bieten intime Einblicke in das Innenleben der Frauen, insbesondere dort, wo reflektiert wird, warum bestimmte Fantasien bestehen und wie die Autorinnen selbst dazu stehen. Besonders spannend waren zum Beispiel auch die zahlreichen Perspektiven von queeren Menschen in homophoben Ländern oder behinderten Frauen, die im Alltag oft infantilisiert werden.

Naturgemäß sind die einzelnen Berichte in unterschiedlichem Stil, Umfang und literarischer Qualität verfasst. Während manche Frauen seitenweise in die Tiefe gehen, ausführliche Szenarien bildhaft beschreiben, konzentrieren sich manche Beiträge auf die Gefühlsebene und wieder andere Autorinnen beschränken sich auf wenige Sätze. Doch das spielt im Endeffekt keine Rolle, denn statt um literarische Qualität geht es hier vielmehr um die authentische und unzensierte Darstellung weiblicher Sehnsüchte, die sowohl Fantasie als auch Realität beleuchten und in ihrer Direktheit erfrischend enttabuisierend wirken.

Um die Lesbarkeit der einzelnen Einsendungen zu verbessern, hat die Editorin die Briefe in grobe Kategorien eingeteilt, die sie jeweils mit mal persönlichen, mal allgemeinen hinführenden Bemerkungen und nicht selten mit Triggerwarnungen einleitet. Obwohl die Intros bewusst kurz gehalten sind, um die Beiträge für sich sprechen zu lassen, hätte ich es an dieser Stelle interessant gefunden, weitere Informationen zur Psychologie der Fantasien mit einzubinden und das Buch somit von einer reinen Sammlung zu einem richtigen Sachbuch zu erheben. Denn so setzt trotz der Vielfalt der Beiträge irgendwann auf den 400 Seiten eine gewisse Sättigung ein. Ich verstehe, dass die Autorin möglichst viele Briefe aufgreifen wollte und sich damit schwer tat, auszuwählen welche Fantasien nun einen Mehrwert für die LeserInnen haben und welche nicht (denn kann man das überhaupt pauschal entscheiden??). Fest steht allerdings, dass 100 Seiten weniger mit einer gezielteren Auswahl der Beiträge auch ausgereicht hätten.

Dennoch bietet "Want" eine umfangreiche und lesenswerte Sammlung, die neben den Fantasien Themen wie Intimität, Lust, Ängste, Verwundbarkeit, Unsicherheit, Liebe und Selbstermächtigung erforscht. In ihrem Vorwort betont Anderson das Ziel, Scham rund um Sexualität abzubauen und Frauen eine Stimme zu geben. Das ist ihr in "Want" ganz wunderbar gelungen – das Lesen hat etwas sehr Befreiendes und schafft ein offenes, faszinierendes Panorama der weiblichen Sexualität. Zum Abschluss der Rezension allerdings noch der kurze Tipp, dieses Buch (und besonders nicht das Hörbuch) in der Öffentlichkeit zu lesen, wenn man kein besonders gutes Poker-Face hat! 😂

"In unserer Gesellschaft werden Frauen oft in Schubladen gesteckt und auf bestimmte Identitäten und Rollen reduziert - die verführerische Sexpartnerin, die liebevolle Mutter, die smarte Karrierefrau -, aber die hier versammelten Fantasien belegen, dass keine Frau nur eine einzige Identität besitzt."


Fazit


"Want" ist eine erfrischend enttabuisierende Lektüre, die durch ihre Authentizität fesselt und eine befreiende Offenheit über weibliche Sexualität vermittelt.

Veröffentlicht am 09.11.2024

Ein kurzweiliges, humorvoll-groteskes Abenteuer!

Der Bücherdrache
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Um meinen ausgedehnten Streifzug durch das Zamonien-Universum fortsetzen, habe ich mich als achtes Buch von Walter Moers seiner Novelle "Der Bücherdrache" gewidmet. Seitdem ich im Frühjahr 2024 mit "Prinzessin ...

Um meinen ausgedehnten Streifzug durch das Zamonien-Universum fortsetzen, habe ich mich als achtes Buch von Walter Moers seiner Novelle "Der Bücherdrache" gewidmet. Seitdem ich im Frühjahr 2024 mit "Prinzessin Insomnia und der albtraumfarbene Nachtmahr" ins Zamonien-Universum eingestiegen bin, habe ich großen Spaß mit all seinen großen und kleinen Werken, wie man meiner wachsenden Sammlung an (begeisterten) Rezensionen entnehmen kann. Auch wenn "Der Bücherdrache" mit knappen 200 Seiten eher ein Appetithappen ist, der es an Komplexität nicht mit seinen ausgewachsenen Romanen aufnehmen kann, hatte auch diese Geschichte wieder den gewohnten Moers´schen Charme, grotesken Humor und darüber hinaus originelle Spannungsmomente zu bieten!

"Ohne die Bücher wäre es gar nicht auszuhalten. Lektüre: das einzig wahre Schmerzmittel, um das Leben zu ertragen, nicht wahr?"

Bevor ich schildere, was sich der Autor für dieses Büchlein ausgedacht hat, wie immer ein paar kurze Worte des Lobes zur Gestaltung. Das Cover von "Der Bücherdrache" zeigt im Großformat ein ein schuppiger Kopf, der bei genauem Hinsehen aus gemusterten braunen Büchern besteht und aus dem zwei geschlitzte Augen hervorblitzen. Davor ist ein kleiner grüner Buchling zu sehen, der etwas verloren auf einem Bücherberg steht. Mit dem großflächig gemusterten Hintergrund und dem großen gelben Titel ist es mal wieder ein typisches Zamonien-Cover, das wunderbar zu den Gestaltungen der anderen Romane passt. Hervorheben möchte ich auch wieder die Gestaltung Inneren des Buches, die wieder zahlreiche Illustrationen der Umgebung, der Flora und Fauna sowie der handelnden Figuren beinhaltet. Besonders toll sind die illustrierten Initialen der einzelnen Kapitel, sowie die Illustration des Bücherdrachens, die sich über gleich mehrere Seiten erstreckt.

"In bösen, dunklen, kalten Tümpeln
Wo alte Bücher Orm gebären
Die tief in toten Sümpfen dümpeln
Wo Bücherwürmer sich vermehren
Wo alle Fragen Antwort finden
Doch niemand seine Frage kennt
Dort soll sich jener Dämon winden
Den man den Bücherdrachen nennt“
— Ojahnn Golgo van Fontheweg

Soweit so bekannt. Was hier neu ist, sind die in die Handlung integrierten Comic-Seiten, die als erzählerisches Mittel genutzt werden, um in ein Traumgespräch zwischen unserem bekannten Zamonien-Autor Hildegunst von Mythemetz und einem Buchling Hildegunst Zwei hinein und hinaus zu leiten (Letzterer ist deswegen nach dem Lindwurm benannt, da Hildegunst Zwei sämtliche Werke von Mythenmetz auswendig aufsagen kann). Denn anders als seine anderen Geschichten spielt sich die Handlung ausschließlich auf einer Metaebene im Traum ab und es bleibt bis zum Ende offen, ob es sich um ein Produkt von Hildegunsts Fantasie oder eine tatsächliche Erzählung handelt. Doch diese Unsicherheit wird eigentlich schon im Comic durch Hildegunst für nichtig erklärt:

"Alles was wir seh´n und schau´n,
ist nur ein Traum in einem Traum.
Das schreibt Perla La Gadeon in einem seiner Gedichte.
Tja. Was ist der Unterschied zwischen einer Geschichte und einem Traum?
Beides sind nur Hirngespinste, oder?"


Egal ob Traum oder nicht - wir besuchen hier auf 192 Seiten zusammen mit dem Buchling Hildegunst Zwei die Katakomben von Buchhain und erleben ein kompakt erzähltes wie originelles Abenteuer. Zwar lebt das Buch vor allem von Dialogen zwischen den beiden Hildegunsts sowie dem Buchling und dem Bücherdrachen, dennoch passiert auf den wenigen Seiten wirklich einiges. Ausgehend von der Ledernen Grotte wandern wir durch den Kristallgarten an Insekten vorbei bis zum Ormsumpf voller Treibsandbücher, Bücherwürmer und lebender Bücher, in dem auch der Bücherdrache Nathaviel - oder je nach Legende auch Elivathan, Levanthia, Thanaviel oder Ilathevan, haust. Was als Mutprobe des jungen Buchlings beginnt, wird schnell zu einem spannenden Abenteuer, bei dem es um Leben oder Tod geht. Denn der Bücherdrache mag zwar allwissend sein, aber er ist auch riesig, gelangweilt und ziemlich hungrig...

"Wer einmal gelernt hat, in der Melancholie zu Hause zu sein, der kann es selbst in der schlechtesten aller Welten aushalten. Gute Lektüre, schwarzen Humor und gesunde, gut abgehangene Melancholie, mehr braucht man eigentlich nicht. (...) Humor ist wichtig! Es gibt eine feine Grenzlinie zwischen Schwermut und Verzweiflung. Diese Grenze, dieser hauchdünne Schutzwall, der ins vor dem Sturz ins Bodenlose, ins schreckliche Nichts bewahrt: Das ist der Humor. Und je schwärzer dieser Humor ist, desto besser funktioniert er."


Da es sich nicht um einen vollwertigen Roman, sondern eher um den Umfang einer Novelle handelt, schreitet die Handlung dabei eher geradlinig und simpel voran und gerade als es beginnt, besonders spannend zu werden, ist sie schon wieder vorbei. Als anregender Appetithappen, der die Katakomben von Buchhain zum Leben erweckt und Lust auf mehr macht, ist das Büchlein aber sehr empfehlenswert. Generell wird die faszinierende unterirdische Welt von Buchhain hier nur grob angeschnitten, sodass ich nun sehr gespannt bin auf die anderen Buchhain-Bücher allen voran "Die Stadt der träumenden Bücher". Besonders die Buchlinge haben es mir angetan, denn neben Hildegunst Zwei bringen auch der Club der "Ormlinge" bestehend aus Estrakos, Arkaneon, Eliastrotes, Eideprius, Steraphasion und Klosophes (viel Spaß beim Enträtseln der in den Namen versteckten Philosophen...) viel frischen Wind in die Geschichte.

"Wer will das schon? Nur Schriftsteller. Nur Dichter. Außer denen unterhalten sich nur Kinder und Geisteskranke in Gedanken mit Figuren, die sie sich selber ausgedacht haben. Genau das ist es, was Dichter eigentlich tun: Sie drehen durch, ganz langsam und systematisch. Satz für Satz, Seite für Seite, Kapitel für Kapitel, Buch für Buch, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Bis sie endlich aus Papier und Buchstaben ihre ganz eigene Irrenanstalt gebaut haben, in der sie alleine hausen dürfen. Wer will denn so was? Nur Bekloppte! Ich jedenfalls nicht!"

Apropos enträtseln... Fans von Wortspielen (Stichwort: "Ojahnn Golgo van Fontheweg" oder "Perla La Gadeon"), Anspielungen auf Klassikern der Literaturgeschichte und intertextuellen Köstlichkeiten, die Moers´ klassischen Humor ausmachen, werden hier wieder voll auf ihre Kosten kommen. Denn was würde sich besser eignen, um sich über Bücher, Schriftstellerei, Dichtkunst und Inspiration auszulassen als eine Geschichte über einen aus Bücher bestehenden Drachen...?


Fazit


"Der Bücherdrache" ist ein kurzweiliges, humorvoll-groteskes Abenteuer, das mit gewohntem Moers'schen Witz und viel Liebe zum Detail die Katakomben von Buchhain lebendig werden lässt und Lust auf weitere Zamonien-Abenteuer macht.

Veröffentlicht am 09.11.2024

Ein kurzweiliges, humorvoll-groteskes Abenteuer

Der Bücherdrache
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Um meinen ausgedehnten Streifzug durch das Zamonien-Universum fortsetzen, habe ich mich als achtes Buch von Walter Moers seiner Novelle "Der Bücherdrache" gewidmet. Seitdem ich im Frühjahr 2024 mit "Prinzessin ...

Um meinen ausgedehnten Streifzug durch das Zamonien-Universum fortsetzen, habe ich mich als achtes Buch von Walter Moers seiner Novelle "Der Bücherdrache" gewidmet. Seitdem ich im Frühjahr 2024 mit "Prinzessin Insomnia und der albtraumfarbene Nachtmahr" ins Zamonien-Universum eingestiegen bin, habe ich großen Spaß mit all seinen großen und kleinen Werken, wie man meiner wachsenden Sammlung an (begeisterten) Rezensionen entnehmen kann. Auch wenn "Der Bücherdrache" mit knappen 200 Seiten eher ein Appetithappen ist, der es an Komplexität nicht mit seinen ausgewachsenen Romanen aufnehmen kann, hatte auch diese Geschichte wieder den gewohnten Moers´schen Charme, grotesken Humor und darüber hinaus originelle Spannungsmomente zu bieten!

"Ohne die Bücher wäre es gar nicht auszuhalten. Lektüre: das einzig wahre Schmerzmittel, um das Leben zu ertragen, nicht wahr?"

Bevor ich schildere, was sich der Autor für dieses Büchlein ausgedacht hat, wie immer ein paar kurze Worte des Lobes zur Gestaltung. Das Cover von "Der Bücherdrache" zeigt im Großformat ein ein schuppiger Kopf, der bei genauem Hinsehen aus gemusterten braunen Büchern besteht und aus dem zwei geschlitzte Augen hervorblitzen. Davor ist ein kleiner grüner Buchling zu sehen, der etwas verloren auf einem Bücherberg steht. Mit dem großflächig gemusterten Hintergrund und dem großen gelben Titel ist es mal wieder ein typisches Zamonien-Cover, das wunderbar zu den Gestaltungen der anderen Romane passt. Hervorheben möchte ich auch wieder die Gestaltung Inneren des Buches, die wieder zahlreiche Illustrationen der Umgebung, der Flora und Fauna sowie der handelnden Figuren beinhaltet. Besonders toll sind die illustrierten Initialen der einzelnen Kapitel, sowie die Illustration des Bücherdrachens, die sich über gleich mehrere Seiten erstreckt.

"In bösen, dunklen, kalten Tümpeln
Wo alte Bücher Orm gebären
Die tief in toten Sümpfen dümpeln
Wo Bücherwürmer sich vermehren
Wo alle Fragen Antwort finden
Doch niemand seine Frage kennt
Dort soll sich jener Dämon winden
Den man den Bücherdrachen nennt“
— Ojahnn Golgo van Fontheweg

Soweit so bekannt. Was hier neu ist, sind die in die Handlung integrierten Comic-Seiten, die als erzählerisches Mittel genutzt werden, um in ein Traumgespräch zwischen unserem bekannten Zamonien-Autor Hildegunst von Mythemetz und einem Buchling Hildegunst Zwei hinein und hinaus zu leiten (Letzterer ist deswegen nach dem Lindwurm benannt, da Hildegunst Zwei sämtliche Werke von Mythenmetz auswendig aufsagen kann). Denn anders als seine anderen Geschichten spielt sich die Handlung ausschließlich auf einer Metaebene im Traum ab und es bleibt bis zum Ende offen, ob es sich um ein Produkt von Hildegunsts Fantasie oder eine tatsächliche Erzählung handelt. Doch diese Unsicherheit wird eigentlich schon im Comic durch Hildegunst für nichtig erklärt:

"Alles was wir seh´n und schau´n,
ist nur ein Traum in einem Traum.
Das schreibt Perla La Gadeon in einem seiner Gedichte.
Tja. Was ist der Unterschied zwischen einer Geschichte und einem Traum?
Beides sind nur Hirngespinste, oder?"


Egal ob Traum oder nicht - wir besuchen hier auf 192 Seiten zusammen mit dem Buchling Hildegunst Zwei die Katakomben von Buchhain und erleben ein kompakt erzähltes wie originelles Abenteuer. Zwar lebt das Buch vor allem von Dialogen zwischen den beiden Hildegunsts sowie dem Buchling und dem Bücherdrachen, dennoch passiert auf den wenigen Seiten wirklich einiges. Ausgehend von der Ledernen Grotte wandern wir durch den Kristallgarten an Insekten vorbei bis zum Ormsumpf voller Treibsandbücher, Bücherwürmer und lebender Bücher, in dem auch der Bücherdrache Nathaviel - oder je nach Legende auch Elivathan, Levanthia, Thanaviel oder Ilathevan, haust. Was als Mutprobe des jungen Buchlings beginnt, wird schnell zu einem spannenden Abenteuer, bei dem es um Leben oder Tod geht. Denn der Bücherdrache mag zwar allwissend sein, aber er ist auch riesig, gelangweilt und ziemlich hungrig...

"Wer einmal gelernt hat, in der Melancholie zu Hause zu sein, der kann es selbst in der schlechtesten aller Welten aushalten. Gute Lektüre, schwarzen Humor und gesunde, gut abgehangene Melancholie, mehr braucht man eigentlich nicht. (...) Humor ist wichtig! Es gibt eine feine Grenzlinie zwischen Schwermut und Verzweiflung. Diese Grenze, dieser hauchdünne Schutzwall, der ins vor dem Sturz ins Bodenlose, ins schreckliche Nichts bewahrt: Das ist der Humor. Und je schwärzer dieser Humor ist, desto besser funktioniert er."


Da es sich nicht um einen vollwertigen Roman, sondern eher um den Umfang einer Novelle handelt, schreitet die Handlung dabei eher geradlinig und simpel voran und gerade als es beginnt, besonders spannend zu werden, ist sie schon wieder vorbei. Als anregender Appetithappen, der die Katakomben von Buchhain zum Leben erweckt und Lust auf mehr macht, ist das Büchlein aber sehr empfehlenswert. Generell wird die faszinierende unterirdische Welt von Buchhain hier nur grob angeschnitten, sodass ich nun sehr gespannt bin auf die anderen Buchhain-Bücher allen voran "Die Stadt der träumenden Bücher". Besonders die Buchlinge haben es mir angetan, denn neben Hildegunst Zwei bringen auch der Club der "Ormlinge" bestehend aus Estrakos, Arkaneon, Eliastrotes, Eideprius, Steraphasion und Klosophes (viel Spaß beim Enträtseln der in den Namen versteckten Philosophen...) viel frischen Wind in die Geschichte.

"Wer will das schon? Nur Schriftsteller. Nur Dichter. Außer denen unterhalten sich nur Kinder und Geisteskranke in Gedanken mit Figuren, die sie sich selber ausgedacht haben. Genau das ist es, was Dichter eigentlich tun: Sie drehen durch, ganz langsam und systematisch. Satz für Satz, Seite für Seite, Kapitel für Kapitel, Buch für Buch, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Bis sie endlich aus Papier und Buchstaben ihre ganz eigene Irrenanstalt gebaut haben, in der sie alleine hausen dürfen. Wer will denn so was? Nur Bekloppte! Ich jedenfalls nicht!"

Apropos enträtseln... Fans von Wortspielen (Stichwort: "Ojahnn Golgo van Fontheweg" oder "Perla La Gadeon"), Anspielungen auf Klassikern der Literaturgeschichte und intertextuellen Köstlichkeiten, die Moers´ klassischen Humor ausmachen, werden hier wieder voll auf ihre Kosten kommen. Denn was würde sich besser eignen, um sich über Bücher, Schriftstellerei, Dichtkunst und Inspiration auszulassen als eine Geschichte über einen aus Bücher bestehenden Drachen...?


Fazit


"Der Bücherdrache" ist ein kurzweiliges, humorvoll-groteskes Abenteuer, das mit gewohntem Moers'schen Witz und viel Liebe zum Detail die Katakomben von Buchhain lebendig werden lässt und Lust auf weitere Zamonien-Abenteuer macht.

  • Einzelne Kategorien
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  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.11.2024

Ein kurzweiliges, humorvoll-groteskes Abenteuer

Der Bücherdrache
0

Um meinen ausgedehnten Streifzug durch das Zamonien-Universum fortsetzen, habe ich mich als achtes Buch von Walter Moers seiner Novelle "Der Bücherdrache" gewidmet. Seitdem ich im Frühjahr 2024 mit "Prinzessin ...

Um meinen ausgedehnten Streifzug durch das Zamonien-Universum fortsetzen, habe ich mich als achtes Buch von Walter Moers seiner Novelle "Der Bücherdrache" gewidmet. Seitdem ich im Frühjahr 2024 mit "Prinzessin Insomnia und der albtraumfarbene Nachtmahr" ins Zamonien-Universum eingestiegen bin, habe ich großen Spaß mit all seinen großen und kleinen Werken, wie man meiner wachsenden Sammlung an (begeisterten) Rezensionen entnehmen kann. Auch wenn "Der Bücherdrache" mit knappen 200 Seiten eher ein Appetithappen ist, der es an Komplexität nicht mit seinen ausgewachsenen Romanen aufnehmen kann, hatte auch diese Geschichte wieder den gewohnten Moers´schen Charme, grotesken Humor und darüber hinaus originelle Spannungsmomente zu bieten!

"Ohne die Bücher wäre es gar nicht auszuhalten. Lektüre: das einzig wahre Schmerzmittel, um das Leben zu ertragen, nicht wahr?"

Bevor ich schildere, was sich der Autor für dieses Büchlein ausgedacht hat, wie immer ein paar kurze Worte des Lobes zur Gestaltung. Das Cover von "Der Bücherdrache" zeigt im Großformat ein ein schuppiger Kopf, der bei genauem Hinsehen aus gemusterten braunen Büchern besteht und aus dem zwei geschlitzte Augen hervorblitzen. Davor ist ein kleiner grüner Buchling zu sehen, der etwas verloren auf einem Bücherberg steht. Mit dem großflächig gemusterten Hintergrund und dem großen gelben Titel ist es mal wieder ein typisches Zamonien-Cover, das wunderbar zu den Gestaltungen der anderen Romane passt. Hervorheben möchte ich auch wieder die Gestaltung Inneren des Buches, die wieder zahlreiche Illustrationen der Umgebung, der Flora und Fauna sowie der handelnden Figuren beinhaltet. Besonders toll sind die illustrierten Initialen der einzelnen Kapitel, sowie die Illustration des Bücherdrachens, die sich über gleich mehrere Seiten erstreckt.

"In bösen, dunklen, kalten Tümpeln
Wo alte Bücher Orm gebären
Die tief in toten Sümpfen dümpeln
Wo Bücherwürmer sich vermehren
Wo alle Fragen Antwort finden
Doch niemand seine Frage kennt
Dort soll sich jener Dämon winden
Den man den Bücherdrachen nennt“
— Ojahnn Golgo van Fontheweg

Soweit so bekannt. Was hier neu ist, sind die in die Handlung integrierten Comic-Seiten, die als erzählerisches Mittel genutzt werden, um in ein Traumgespräch zwischen unserem bekannten Zamonien-Autor Hildegunst von Mythemetz und einem Buchling Hildegunst Zwei hinein und hinaus zu leiten (Letzterer ist deswegen nach dem Lindwurm benannt, da Hildegunst Zwei sämtliche Werke von Mythenmetz auswendig aufsagen kann). Denn anders als seine anderen Geschichten spielt sich die Handlung ausschließlich auf einer Metaebene im Traum ab und es bleibt bis zum Ende offen, ob es sich um ein Produkt von Hildegunsts Fantasie oder eine tatsächliche Erzählung handelt. Doch diese Unsicherheit wird eigentlich schon im Comic durch Hildegunst für nichtig erklärt:

"Alles was wir seh´n und schau´n,
ist nur ein Traum in einem Traum.
Das schreibt Perla La Gadeon in einem seiner Gedichte.
Tja. Was ist der Unterschied zwischen einer Geschichte und einem Traum?
Beides sind nur Hirngespinste, oder?"


Egal ob Traum oder nicht - wir besuchen hier auf 192 Seiten zusammen mit dem Buchling Hildegunst Zwei die Katakomben von Buchhain und erleben ein kompakt erzähltes wie originelles Abenteuer. Zwar lebt das Buch vor allem von Dialogen zwischen den beiden Hildegunsts sowie dem Buchling und dem Bücherdrachen, dennoch passiert auf den wenigen Seiten wirklich einiges. Ausgehend von der Ledernen Grotte wandern wir durch den Kristallgarten an Insekten vorbei bis zum Ormsumpf voller Treibsandbücher, Bücherwürmer und lebender Bücher, in dem auch der Bücherdrache Nathaviel - oder je nach Legende auch Elivathan, Levanthia, Thanaviel oder Ilathevan, haust. Was als Mutprobe des jungen Buchlings beginnt, wird schnell zu einem spannenden Abenteuer, bei dem es um Leben oder Tod geht. Denn der Bücherdrache mag zwar allwissend sein, aber er ist auch riesig, gelangweilt und ziemlich hungrig...

"Wer einmal gelernt hat, in der Melancholie zu Hause zu sein, der kann es selbst in der schlechtesten aller Welten aushalten. Gute Lektüre, schwarzen Humor und gesunde, gut abgehangene Melancholie, mehr braucht man eigentlich nicht. (...) Humor ist wichtig! Es gibt eine feine Grenzlinie zwischen Schwermut und Verzweiflung. Diese Grenze, dieser hauchdünne Schutzwall, der ins vor dem Sturz ins Bodenlose, ins schreckliche Nichts bewahrt: Das ist der Humor. Und je schwärzer dieser Humor ist, desto besser funktioniert er."


Da es sich nicht um einen vollwertigen Roman, sondern eher um den Umfang einer Novelle handelt, schreitet die Handlung dabei eher geradlinig und simpel voran und gerade als es beginnt, besonders spannend zu werden, ist sie schon wieder vorbei. Als anregender Appetithappen, der die Katakomben von Buchhain zum Leben erweckt und Lust auf mehr macht, ist das Büchlein aber sehr empfehlenswert. Generell wird die faszinierende unterirdische Welt von Buchhain hier nur grob angeschnitten, sodass ich nun sehr gespannt bin auf die anderen Buchhain-Bücher allen voran "Die Stadt der träumenden Bücher". Besonders die Buchlinge haben es mir angetan, denn neben Hildegunst Zwei bringen auch der Club der "Ormlinge" bestehend aus Estrakos, Arkaneon, Eliastrotes, Eideprius, Steraphasion und Klosophes (viel Spaß beim Enträtseln der in den Namen versteckten Philosophen...) viel frischen Wind in die Geschichte.

"Wer will das schon? Nur Schriftsteller. Nur Dichter. Außer denen unterhalten sich nur Kinder und Geisteskranke in Gedanken mit Figuren, die sie sich selber ausgedacht haben. Genau das ist es, was Dichter eigentlich tun: Sie drehen durch, ganz langsam und systematisch. Satz für Satz, Seite für Seite, Kapitel für Kapitel, Buch für Buch, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Bis sie endlich aus Papier und Buchstaben ihre ganz eigene Irrenanstalt gebaut haben, in der sie alleine hausen dürfen. Wer will denn so was? Nur Bekloppte! Ich jedenfalls nicht!"

Apropos enträtseln... Fans von Wortspielen (Stichwort: "Ojahnn Golgo van Fontheweg" oder "Perla La Gadeon"), Anspielungen auf Klassikern der Literaturgeschichte und intertextuellen Köstlichkeiten, die Moers´ klassischen Humor ausmachen, werden hier wieder voll auf ihre Kosten kommen. Denn was würde sich besser eignen, um sich über Bücher, Schriftstellerei, Dichtkunst und Inspiration auszulassen als eine Geschichte über einen aus Bücher bestehenden Drachen...?


Fazit


"Der Bücherdrache" ist ein kurzweiliges, humorvoll-groteskes Abenteuer, das mit gewohntem Moers'schen Witz und viel Liebe zum Detail die Katakomben von Buchhain lebendig werden lässt und Lust auf weitere Zamonien-Abenteuer macht.