Humorvoll, aber ergreifend erzählt!
Morgen ist leider auch noch ein TagKlappentext:
"Ziemlich unkreative Diagnose", sage ich nach der obligatorischen Schweigeminute und wische mir eine letzte Träne von der Wange. "Irgendwie hatte ich mir da was Ausgefallenes erhofft. Ich ...
Klappentext:
"Ziemlich unkreative Diagnose", sage ich nach der obligatorischen Schweigeminute und wische mir eine letzte Träne von der Wange. "Irgendwie hatte ich mir da was Ausgefallenes erhofft. Ich meine, wenn ich schon was haben muss, dann doch nicht so eine Wald-und-Wiesen-Erkrankung." "Ja", meint mein Therapeut, "tut mir leid, dass Sie da nichts Besonderes sind. Das ist natürlich hochgradig tragisch."
Depressionen also, denke ich. Wo hab ich mir so was wohl eingefangen? Wird man verrückt geboren? Oder gibt es irgendwas auf dieser Welt, was mich verrückt gemacht hat? Ist verrückt eigentlich das richtige Wort, oder diskriminiere ich mich da gerade selbst? Ich beschließe, das Wort zu googeln, aber mein Laptop fährt nicht hoch. Ich schätze, der ist jetzt solidarisch auch depressiv. Keine Energie, um aufzuwachen. Die Problematik kommt mir bekannt vor. Laptops schließt man einfach irgendwo an - aber bei Menschen geht das nicht. Die sitzen dann da mit ihren leeren Akkus, so wie ich. Kraftlos. Und jedes Ladegerät eine verfickte Einzelanfertigung mit superspeziellem Adapter, den es nur einmal gibt auf der Welt. Ich bin das einzige iPhone 5 in einer Welt voller Android-Telefone. Was allen hilft, passt nicht in meine Anschlüsse.
Solang ich nicht zum Arzt gehe - bin ich gesund. Was für ein behinderter Scheiß. Und ich darf das sagen, bin ja selbst behindert. Nicht so offensichtlich, nicht körperlich. Aber die Fähigkeit, alles und jeden erst einmal grundsätzlich als hoffnungslos und gegen einen selbst gerichtet zu begreifen - das würd ich schon eine krasse Behinderung nennen, die das Leben massiv einschränkt. Einen speziellen Parkplatz bekommst du dafür trotzdem nicht. Witzig, oder? Ich sag ja: behindert. (Seite 62)
"Wir müssen erst mal miteinander klarkommen." Es klatscht. Der Satz ist eine Ohrfeige für uns beide, und zwar eine, die uns so richtig auf den Arsch fegt. "Du meinst, wir sollen so was wie Freunde werden?" "Ich geh da jetzt nicht rein und frag nach", sage ich und deute auf die Tür, hinter der der Verstand verschwunden ist. (Seite 234/235)
Autor und Sprecher:
Tobi Katze, geboren 1981, schreibt Kurzgeschichten, Essays, Gedichte und Drehbücher. Er tritt seit mehr als zehn Jahren auf Poetry Slams und Lesebühnen auf. 2007 gewann er den LesArt-Preis der jungen Literatur und 2014 den Bielefelder Kabarettpreis. Im Januar 2014 startete er auf stern.de seinen Blog «Das Gegenteil von traurig» über Leben und Arbeit mit Depressionen.
Bewertung:
Ich habe das Buch während eines spontanen Trips im Buchladen entdeckt. Der Titel und Klappentext hat mich sofort mit dem Humor und Charme eingenommen. Im Buch habe ich mit der Geschichte angefangen, als eHörbuch habe ich jetzt auf meinem Laptop zu Ende gehört.
"Herr Katze. Ich rate Ihnen ganz, ganz dringend dazu, es jetzt endlich mal mit Antidepressiva zu versuchen", hat mein Therapeut gesagt. "Das ist jetzt definitiv angesagt." "Cool, dann liege ich ja voll im Trend." "Sie wissen, was ich meine." "Ja, aber so klingt es erträglicher." "Und mit dem Alkohol ist dann auch Schluss. Wir haben darüber gesprochen. Mehrmals." "Und ich habe Ihnen nie zugehört. Ich weiß. Alkohol, blabla, schlecht, blabla, Problemlösungsstrategie, blabla, Suchtgefahr. Mal ernsthaft - würden Sie sich da zuhören?" (Seite 144)
Das Cover wie auch der Titel stehlen sich gegenseitig die Show und drücken den Charme und Humor des Autors aus. Ein Leser kann da nicht einfach uninteressiert vorbeigehen. Vor allem der knallrosa Titel fällt heftig auf und schreit nach Aufmerksamkeit. Auch dieser hat wohl Depressionen. Der Autor hat sogar ein Inhaltsverzeichnis ins Buch gesetzt.
Schon vom ersten Satz an (den Klappentext mal rausgenommen) fiel mir der Humor vom Autor ins Auge. Er hat eine blumige Art - wie man so schön sagt - seine Erlebnisse mit den Depressionen zu beschreiben. Dabei behält er stets die Balance zwischen Sarkasmus und Ernsthaftigkeit, die das Schwere der vorkommenden Situationen leichter lesen lässt. Ich kann ihn mir als besten Kumpel sehr gut vorstellen, der immer einen flotten Spruch und Witz im Stübchen hat. Er beschreibt verschiedene Auswirkungen der Depressionen nicht nur mit Humor, sondern gibt bildhafte Beispiele, das es dem Leser ermöglicht, sich die Situationen und Gefühle lebhaft vorzustellen.
"Stell dir mal einen Rollstuhlfahrer vor. Der kann auch nicht einfach aufstehen und rumlaufen, nur weil andere das können." "Aber möchtest du dich wirklich mit einem Querschnittsgelähmten vergleichen? Ich meine, der hat ja was, was Richtiges. Der KANN wirklich nicht aufstehen." "Und weil das bei mir vom Kopf kommt, ist das nichts Richtiges? ... ich hab `ne Wollen-Lähmung. Ich bin manchmal einfach nicht in der Lage, ganz wirklich aufstehen zu wollen. Auch wenn ich das natürlich will, genau wie der Rollstuhlfahrer, aber uns beiden fehlt etwas dafür. Dem einen Kontrolle über seine Beine, dem anderen Kontrolle über sein Wollen. Und fürs Aufstehen - da brauchst du beides." "Witzig, wa? Voll verrückt, was es so gibt." "Ich bin nur verrückt", feixe ich. "Kein Grund, hier gleich den Verstand zu verlieren." (Seite 168/169)
Der Autor erzählt im Buch von seinen zahlreichen Selbstgesprächen bzw. den Gesprächen mit unterschiedlichen Dingen wie Wäscheberg, seinen Medikamenten oder der Depression selber, die seiner Meinung nach ein richtiger Miesepeter ist. Sich selbst bezeichnet der Autor als Arschloch und benutzt auch hin und wieder dieses oder andere Wörter wie "Fuck". Er entwickelt richtige Dialoge, die ich sehr gut nachvollziehen konnte und mich zum Schmunzeln gebracht haben. Mir scheint, genau dieses Zusammenspiel bezweckt Herr Katze damit.
"Mann, bist du ein Arschloch", unterbricht mich meine Depression. "Ja, natürlich bin ich eine Arschloch, aber vor allem zu mir selbst, verstehste? Weil ich mir konstant einrede, dass ich nichts anderes verdient habe außer beschissenem Weingummi, das ich zum Kotzen finde. Und ich hab auch keinen Bock mehr, jeden Tag extra dafür einkaufen zu gehen, nur damit ich mir selbst etwas ganz Schlechtes tun kann." "Das machst du aber wirklich gut, dir Schlechtes tun", wirft meine Depression dazwischen. "Also, Kompliment." (Seite 235)
Die Gespräche mit dem Therapeuten sind nicht weniger humorvoll beschrieben, doch auch hier lässt sich der ernst der Lage sehr gut rauslesen. Wie ein Gericht, das mit einer Prise Salz gewürzt ist. Der Therapeut kommt auf mich sehr ungewöhnlich und nicht A-Typisch rüber. Er nimmt den Humor seines Patienten an und lässt sich darauf ein. Ebenso holt er Herr Katze auf den Boden der Realität zurück, wenn dieser zu hoch in einem Sarkasmus und teilweise Zynismus schwebt. Die Beziehung zwischen den Beiden kommt mir sehr leicht und unkompliziert vor. Hier lässt der Autor einen mit seinen Beschreibungen deutlich seine Zerrissenheit zwischen "Mir fehlt doch nichts" und "Ich bin total gestört" spüren. Was mir hier etwas abhanden ging, war das Wieso/Warum/Weshalb. Was hat den Autor überhaupt veranlasst, zu einem Psychologen zu gehen? Ich habe das nicht verstanden. Vielleicht habe ich das überhört und überlesen (beim Buch).
"Warum gehst du überhaupt zum Psychologen?" "Na, weil ich Depressionen hab." "Das hat der dir eingeredet." "Eigentlich versucht er sogar, mir die auszureden." " Und klappt das?" "Geht so. Wird aber." "Ja, ist doch super. Dann ist für mich alles geklärt. Na, für mich ist das in Ordnung, hab ich beschlossen." "Das ist aber lieb. Hab ich deinen Segen oder was?" "Na, also mit dem Therapeuten. Wenn du unbedingt Depressionen haben musst." "Ist jetzt nicht, als hätte ich da `ne Wahl, oder?" (Vater und Sohn, Seite 166)
Hin und wieder kann man von den Begegnungen mit seinen Freunden lesen und welche Gedanken und Gefühle er dabei mitbringt. Das ermöglicht einen Einblick in einem weiteren Lebensbereich des Autors. Diese vielen unterschiedlichen Bereiche sind sehr wichtig, um den ganzen Ausmaß seiner Gefühls- und Gedankenwelt zu verstehen. Die Treffen mit der Familie sind ein weiterer Aspekt und weitgehend komplizierter. Das konnte ich auch sehr gut nachverfolgen.
"Ich habe mir selbst immer wieder beigebracht, dass es total normal ist, Aufwand zu betreiben, damit es mir scheiße geht. Welcher normale Mensch macht das denn bitte?" (Seite 236)
Bei dem Gespräch mit deiner Familie über seine Erkrankung bin ich etwas zwiegespalten; einerseits kann ich nachvollziehen, dass seine Eltern als Außenstehende dieser Krankheit es schwer einordnen können und dadurch nicht richtig ernst nehmen. Gerade die ältere Generation ist damit einfach überfordert. Meine Großeltern hatten teilweise zwar auch Depressionen und PTBS, aber die andere Hälfte wusste überhaupt nicht, was solche Krankheiten sind. Meine Stiefoma musste ich vor einigen Jahren aufklären, weil sie mich fragte, was das denn sei. Gut, sie ist vom Charakter eine naive Frau, aber sie ist mit ihrem Unverständnis für die Psyche ja nicht alleine. Die heutige Generationen wachsen mit diesen Erkrankungen bereits auf - entweder, weil sie selbst betroffen sind oder weil sie Menschen mit Erkrankungen kennen oder sogar beides. Nicht nur, weil wir heute viel mehr darüber sprechen und berichten, auch weil sich die Gesellschaft und die Arbeitswelt massiv verändert hat.
Auf der anderen Seite habe ich mich über die Eltern des Autors sehr geärgert über das wenige Mitgefühl und die hohlen Phrasen, die sie über ihn ergießen. Ich kann aus eigener Erfahrung berichten, dass solche Konfrontationen alles schlimmer macht. Das ist wie die Erde auf dem Sarg, wo Derjenige ja sowieso nicht mehr aufstehen kann ... Das hat mich sehr mitgenommen. Ich bewundere den Autor hier für seine endlose Geduld und seine Toleranz. Ich weiß nicht, was ich in diesem Moment getan oder gesagt hätte ... da spielt das gegenwärtige Gefühlserleben eine wichtige Rolle. Wenn ich sowieso schon nahe des Zusammenbruchs bin, kann das der letzte Tropfen eines vollen Glases sein.
"Also. Mutter. Vater. Ich gehe seit einiger Zeit zu einem Therapeuten. Einem Psychotherapeuten. Weil ich Depressionen habe." "Depressionen", sagt sie. "Junge. Ich bin auch manchmal traurig. Aber ich mache da keine große Sache drum." "Ich glaube, ich weiß, was los ist. Der Junge hat einfach ein bisschen Angst, was er nach seinem Studium machen soll. Hatte ich auch." "Liebe Eltern, ich habe Depressionen, das ist kein simples Traurigsein oder ein Ruf nach Aufmerksamkeit, sondern schlicht eine Krankheit und vor allem eine Tatsache, mit der wir hier jetzt alle mal klarkommen müssen." (Seite 164)
Der Autor spricht das Hörbuch selbst voll, was nochmal einen ganz anderen Einblick für mich zuließ. Dadurch fühlte ich mich ihm viel näher, als bloß das Buch zu lesen. Seine Stimme zu hören, lies mich manchmal glauben, er säße nicht weit von mir entfernt und erzählt mir seine Geschichte. Auch die Ich-Erzählung im Buch übermittelt ganz viel Gefühl und nimmt einen mit auf die depressive Reise. Ich war voll drin und habe mich an vielen Stellen wiedergefunden und von einem meiner Kumpanen verstanden gefühlt.
"Jeder guten Sache in meinem Leben hast du dich in den Weg gestellt, und ich habe wie ein Blöder geschoben, weil ich nicht aufgeben wollte. Aber du bist immer stärker gewesen. Fuck, du hattest mich so weit, dass ich gedacht habe, du beschützt mich, indem du mich davon abhältst, irgendetwas zu tun, was mich eine Weile glücklich macht. Weil es ja schiefgehen könnte." "Na ja", sagt die Depression etwas kleinlaut, "aber du weißt schon, dass genau das eben mein Ding ist, oder?" (Seite 236)
Fazit:
Diagnose: Depression.
Behandlung: Mit Humor.
Nun, das Buch/Hörbuch bleibt am Ende offen. Es gibt kein Friede, Freude, wieder Gesund. Der Autor fängt zum Ende hin an, sich mit seiner Depression ernsthaft auseinander zu setzen und versucht sie, in sein Leben zu integrieren. Das gefällt mir sehr gut, da er nicht "geheilt" ist, weil es das in der Psyche nicht gibt. Eine Depression lässt sich nicht heilen. Selbst dann nicht, wenn sie dabei mitmachen möchte. Man kann sie lediglich eindämmen, zurückschrauben, auf Kurs halten. Genauso wenig wie man einen Alkoholiker heilen kann. Er kann zum trockenen Alkoholiker werden, sowie ein Depressiver eine depressivfreie Phase haben kann. Ein Rückfall ist jedoch jederzeit möglich. Mit seinem Buchende hat der Autor dies wundervoll realistisch wiedergegeben. Zwischen den Zeilen.
Das Buch wie das Hörbuch nimmt einen mit auf die abenteuerliche Achterbahn der Gedanken und Gefühle, die Depressionen in einem auslösen. Der schmale Grat zwischen Grund und Abgrund ist ein Ping-Pong-Spiel, das der Autor mit viel Gefühl und Charme erzählt. Jugendliche wie auch Erwachsene bekommen hier einen Einblick in diese Welt voller Widersprüche. Durch den locker-leichten Erzählstil, vermittelt die Geschichte besonders Jugendlichen den Ausdruck dieser Erkrankung. Betroffene können hier Zustimmung und Trost finden, Nicht-Betroffene kann es ein hilfreicher Ratgeber für den Umgang mit Erkrankten sein.
Die Hoffnung des Buches besteht darin, dass die Menschen, die es lesen, mehr Verständnis und Mitgefühl entwickeln. Davon fehlt es nämlich noch reichlich in unserer Gesellschaft. Ein unheimlich wichtiges Werk!
Den ganzen Tag im Bett zu liegen, weil mich der Frust darüber, im Bett zu liegen, am Aufstehen hindert, ist eine perfide Endlosschleife von geradezu weltironischen Ausmaßen. Man merkt, ich denke stets positiv. Andere Stärken habe ich an mir noch nicht entdecken können. (Seite 10)