Fast jeder Freund des Genre Young Adult hat ihren Namen schon einmal gehört: Colleen Hoover, die mit ihrem unfassbaren Talent, krass emotionale, mega spannende und ultra poetische Stories in die Welt zu setzen, zu meinen absoluten Lieblingsautoren gehört. Von ihr habe ich bis jetzt fast alles gelesen und geliebt, natürlich war es keine Frage, dass ich ihr auch ihren neusten auch unbedingt lesen wollte. Doch anders als ich erwartet habe, wartete hier keine leidenschaftliche Liebesgeschichte auf mich, sondern viel mehr eine absurde aber berührende Dramödie über eine verkorkste Familie, die Entwicklung einer verlorenen Protagonistin und ihr langsamer Heilungsprozess. Mal was anderes aber definitiv ein echter Hoover!
Auch das Cover ist wieder im typischen "Colleen Hoover meets dtv Verlag Style" gehalten. Das bedeutet weißer Hintergrund, dezentes Motiv, Titel in Lila unter dem großen Namen der Autorin. Ich denke, dass splitternde Herz passt ganz gut und auch so hat das Cover definitiv Wiedererkennungswert und passt zu ihren anderen Publikationen aber dennoch finde ich es viel weniger eindringlich und nicht so aussagekräftig wie das Original (siehe rechts). Auch in der Kategorie "Titel" verliert die deutsche Ausgabe leider um Längen. Während das Original kurz, knapp und eindringlich gleichzeitig einen häufig auftauchenden Wortwitz aufgreift und den Namen der Protagonistin enthält und somit auf mehreren Ebenen zu verstehen ist, scheint der deutsche wahllos, platt und lange nicht so passend. Hier hätte es sich definitiv gelohnt, am Originaltitel festzuhalten!
Sehr gut gefallen hat mir an der Gestaltung jedoch, dass immer wieder die in der Handlung vorkommenden Bilder, die Sagan für Merit zeichnet auch wirklich abgebildet sind. Ich finde es eine riesige Bereicherung, das Kunstwerk gleich selbst sehen zu können, sowie das bei "Love and Confess" auch der Fall war. Die sieben Bilder, die eigentlich Brandon Adams gezeichnet hat, sind allesamt wunderschön und total gestört - und passen damit wunderbar in diese Geschichte, die sich von diesen beiden extremen Adjektiven auch gut beschreiben lässt.
Erster Satz: "Ich besitze eine beeindruckende Sammlung von Pokalen, die ich alle nicht gewonnen habe.“
Merit Voss liebt alles, was seltsam ist: ihre Angewohnheit, fremde Pokale zu sammeln, dem zweieinhalbmetergroßen Jesus in ihrem Wohnzimmer neue Kostüme anzuziehen und … den Typen mit den seltsamen Tattoos, den sie in einem Antiquitätenladen trifft und der sie gleich bei der ersten Begegnung küsst. Doch obwohl ihre Familie das seltsamste an ihrem Leben ist, kann sie die absolut nicht leiden. Denn neben ihrem kleinen Halbbruder Moby, ihrer Zwillingsschwester Honor (die gerne Beziehungen mit todkranken Jungs anfängt) ihrem großen Bruder Utah (der einen geordneten Tagesablauf über alles stellt und jeden Tag die Leuchttafel vor ihrem Haus mit einer neuen Weisheit bestückt) und ihrem Vater, dem Gebrauchtwagenhändler Barnaby wohnen noch ein bisexueller Stiefonkel (der gerne einen Kilt trägt) ihre Mutter Victoria (die sich seit einem Unfall und der Trennung von Barnaby im Keller versteckt) und Barnabys neue Frau Victoria 2 bei ihr Zuhause. Kein Wunder, dass Merit diese schräge, streitsüchtige und wackelige Ansammlung an Menschen nicht besonders leiden kann, die mit ihr zusammen in der umgebauten Kirche einer mikroskopisch kleinen Gemeinde in Texas lebt. Doch als dann auch noch Sagan, also der Typ, in den sie sich im Antiquariat mit einem Blick verliebt hat in ein Zimmer des "Voss Dollar" einzieht und der Freund ihrer Zwillingsschwester Honor zu sein scheint, reicht es ihr - sie kann die ewige Gleichgültigkeit und das Schweigen nicht mehr ertragen und offenbart alle Geheimnisse, die sie die letzten Jahre gehütet hat. Das Ergebnis ist viel Schmerz, Chaos, Wut … aber auch die Hoffnung auf einen Neuanfang.
"An die Bewohner des Voss Dollars, dieser Brief ist an euch alle gerichtet. (...) Ich schreibe diesen Brief, weil ich eine Riesenwut in mir habe, die dringend rausmuss. (…) Ich bin wütend, weil ihr alle Geheimnisse voreinander habt und keiner den Mund aufmacht. Aber jetzt reicht es mir. Ich weigere mich, eure Geheimnisse auch nur noch eine Sekunde länger für mich zu behalten. (…) Okay. Womit fange ich an? …"
Colleen Hoover nimmt uns sofort mit in das Leben von Merit, schildert uns recht ausführlich ihren Alltag, ihre Probleme und lässt uns so am verkorksten Familienleben im Voss Dollar teilhaben. Es ist jedoch von Anfang an klar, dass die "Queen of Hearts" es hier ein wenig anders angeht und weniger auf überquellende Liebe sondern mehr auf das verrückte Leben eines Teenagers und dessen Irrungen und Wirrungen setzt. Besonders die Dynamik an Beziehungen innerhalb der Familie wird besonders hervorgehoben - die mit Sagan ist da nur eine Facette von vielen und steht nicht im Vordergrund. Stattdessen geht es hier vielmehr um den richtige Blickwinkel, dunkle Geheimnisse, Streiten Versöhnung und Verzeihen und anstatt von Liebe stehen eher Gefühle wie Wut, Einsamkeit, Zerrissenheit, Eifersucht und auch bleierne Gleichgültigkeit im Vordergrund. Auch wenn hier viele schwere Themen wie Depression, Suizid und sexuelle Orientierung verpackt werden, ist diese Geschichte keineswegs herunterziehend. Mit einer ordentlichen Portion Humor aber vor allem mit total bunten, absurden und witzigen Ideen wird der Geschichte das Erdrückende genommen und den ein oder anderen freien Lacher heraufgefordert, auch wenn eine unterschwellige Traurigkeit spürbar ist und dem Roman die tänzelnde, spielerische Leichtigkeit seiner Vorgängerromane fehlt. Etwas schade fand ich auch, dass neben dem Titel auch viele Witze eher schlecht übersetzt worden sind und so zum Beispiel "Käsus Christus" (im Original "Cheeses Christ") oder Sagans Grusel-Gutenachtgeschichte "Die Perspektive des Königs" nicht die Wirkung entfalten können, die das Original vielleicht hätte vermitteln können.
"Dad: Bitte bring den Jesus wieder in seinen Normalzustand und verbrenn diesen blöden Käsehut, sobald du heute von der Schule nach Hause kommst." Ich weiß, dass er das nett meint und bloß versucht, witzig zu sein. Aber ich kann nicht über seine Witze lachen, wenn er noch nicht mal merkt, dass ich seit Wochen nicht mehr in der Schule war. Es ist, als hätte ich gar keine Eltern mehr. Meine Mutter lebt in einem Keller und mein Vater in seiner eigenen Welt. In dieser Familie interessiert sich keiner füreinander."
Tiefschürfend, brutal ehrlich und unkonventionell lässt sie hier ihre Protagonisten aufeinander los und schafft es, zwischen all dem Chaos, Schmerz und dem Durcheinander der Gefühle eine klare Aussage durchschimmern zu lassen: die Wichtigkeit von gegenseitiger Verständigung und die Notwendigkeit, die Dinge auch mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wie gewohnt spielt die Autorin dabei nur so mit Worten. Nicht nur die vielen immer wiederkehrenden Sprüche, die die Charaktere als Insider austauschen. Nein, sie findet in jeder Situation genau die richtigen Formulierungen, um nur so mit unseren Emotionen zu spielen und kennt dabei kein Tabu, wenn es darum geht, uns Leser zu quälen. Dieses Buch hat mich weinen lassen, lachen, mitfühlen, mich dazu gebracht zu schmunzeln, die Nase rümpfen und ein paar Mal auch dazu, es kurz wegzulegen. Doch vor allem hat es mich berührt und einfach mitgerissen!!! Colleen Hoover besitzt einfach das Talent aus wenigen Worten die größten Gefühle heraus zu locken und so eigentlich aus dem Nichts ein riesiges Gefühlschaos und Drama zu erschaffen.
"Ich finde es komplett daneben, wenn Leute einem erzählen wollen, dass man nicht wütend oder traurig sein darf, weil es anderen auf der Welt gibt, denen es viel schlechter geht. Das ist Bullshit. Deine Gefühle müssen ernst genommen werden, Merit. Sie sind berechtigt. Gefühle sind immer einzigartig."
Ganz anders geht sie diesmal auch an ihre Protagonisten ran. Anders als die meisten Protagonistinnen des Genres ist Merit keineswegs eine Hauptperson, die man einfach so ins Herz schließt - zumindest nicht am Anfang. Sie ist schwierig, launisch, frech, direkt und strapaziert die Nerven ihrer Familie und die der Leser mit ihrer Spontanität und ihrer Angewohnheit bei ein bisschen Schwierigkeiten immer in den "Giftmodus" zu schalten. Was hinter ihren Verhaltensmustern steckt wird immer wieder in kleinen Portionen enthüllt. Bis wir sie dann besser verstehen können, sie mit ihrer Verletzlichkeit ins Herz schließen und gebannt ihren wundervollen und schmerzhaften Prozess der Heilung verfolgen können, dauert es eine ganze Weile.
"Schau ihn dir an. Willst du mir allen Ernstes sagen, dass du dich nicht in ihn verliebt hast?" Ich seufze. Zu sagen, dass ich mich verliebt hätte, wäre noch untertrieben. Richtiger ist, dass ich ihm verfallen bin. Mit Haut und Haaren. Ohnmächtig ausgeliefert."
Sagan ist als Love Interest keineswegs der zweite Hauptcharakter sondern eigentlich mehr einer der wichtigen Nebenprotagonisten, der Merit in ihrer Entwicklung zur Seite steht und sie unterstützt. Mit seiner sanften, kreativen und einfühlsamen Art ist er leicht zu mögen - andere Personen wie zum Beispiel Merits verrückter Stiefonkel Luck, ihre ätzend-perfekte Stiefschwester Honor oder der große Bruder Utah, mit dem sie noch ein dunkles Geheimnis verbindet, sind jedoch viel spanender, als er. Das macht jedoch absolut nichts - denn diese Geschichte hat viel mehr in sich als dass es eine Liebesgeschichte brauchen würde, die mehr ist als süße Beigabe.
Am Ende - das viel knapper, offener und klarer strukturiert ist, als andere Bücher des Genres, die gerne zu übertriebenen Happy Ends neigen, in denen alle heiraten, Kinder bekommen und unwiderruflich bis an ihr Lebensende glücklich sind - bleibt das erfrischende Gefühl, ein Buch gelesen zu haben, das wunderbar anders ist und aufzeigt, was die Autorin bislang vor uns versteckt hat. Das Gefühl, auf jede Menge ungenutztes Potential des Genres gestoßen zu sein, das in Zukunft vielleicht öfter die überquellende Leidenschaft zurückschraubt und Platz für ein paar subtilere Töne lässt.
"Wir sitzen eine ganze Weile so da, ohne uns loszulassen, und ich frage mich, wie es dazu kommen konnte, dass Offenheit und ein liebevoller Umgang in der Familie Voss so viele Jahre lang verpönt waren, obwohl beides ziemlich viel für sich hat. Kann es sein, dass wir alle darauf gewartet haben, dass di anderen den ersten Schritt tun, und deshalb keiner je den Anfang gemacht hat? Vielleicht ist das ja in vielen Familien so, in denen es nicht ganz rundläuft. Das wahre Problem sind nicht die Konflikte, sondern dass keiner den Mut hat, den ersten Schritt zu tun und offen darüber zu sprechen."
Fazit:
Eine absurde aber berührende Dramödie über eine verkorkste Familie, die Entwicklung einer verlorenen Protagonistin und ihr langsamer Heilungsprozess. Tiefschürfend, brutal ehrlich, kunterbunt und unkonventionell - Mal was anderes aber definitiv ein echter Hoover!