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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.09.2017

Der Weg in die Freiheit ist kein leichter

Der Weg der Wünsche
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Und noch ein Flüchtlingsbuch, allerdings aus einer Zeit, in der Flüchtlinge aus dem Osten noch eher selten waren. Es ist 1980, Ungarn hat eine autoritäre kommunistische Regierung, die durch die Sowjetunion ...

Und noch ein Flüchtlingsbuch, allerdings aus einer Zeit, in der Flüchtlinge aus dem Osten noch eher selten waren. Es ist 1980, Ungarn hat eine autoritäre kommunistische Regierung, die durch die Sowjetunion gesteuert wird, wobei im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten Polen, Tschechoslowakei usw. in vielen Bereichen eine gewisse Liberalität Einzug gehalten hat. Doch Ungarinnen und Ungarn, die sich weigern, Mitglied der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei zu werden und/oder nicht mit deren Meinung übereinstimmen, haben es schwer in ihrem Leben. Sie und ihre Familien müssen sich mit schlechten Wohnverhältnissen zufriedengeben, werden im Berufsleben benachteiligt und laufen Gefahr, überall drangsaliert zu werden. Teréz und Károly halten dies nicht mehr aus, vor allem Teréz will dieses Land, das sie trotz allem liebt, mit ihrem Mann und den beiden Kindern verlassen. Im Sommer ist es soweit: Offiziell brechen sie zum Plattensee auf, um dort Ferien zu machen. Doch ihre Fahrt geht weiter: nach Jugoslawien, um von dort die Grenze nach Italien zu überqueren und weiter nach Deutschland zu fahren.
Für Jemanden, der sein Leben lang ein Heim hatte, ist es schwer nachvollziehbar, was es bedeutet, auf der Flucht zu sein. Am Beispiel der Familie Kallay schildert Akos Doma überzeugend, welche Hoffnungen, aber auch wieviel Druck und und Angst dieser Exodus mit sich bringt. Die Freude auf ein Leben in Freiheit und ohne Bespitzelung; auf eine gerechte Behandlung ohne Furcht vor Wilkür. Aber auch die Last des untätigen Wartens auf die erlösenden Papiere; die zunehmende Besorgnis was werden soll, wenn die Papiere nicht kommen. Das Paar Kallay mag bemerkenswert naiv wirken in ihrem Glauben an das Gelingen ihrer Flucht, doch ihre jeweiligen Vergangenheiten, die als Erinnerungen oder Erzählungen immer wieder in die laufende Geschichte eingeschoben sind, machen klar, dass es keine Naivität ist, die sie so hoffnungsvoll sein lässt. Beide haben sich den Optimismus und die innere Überzeugung an das Gute im Menschen und im Leben bewahrt, sodass sie trotz ungeahnter Schwierigkeiten im gelobten Westen, weitermachen. Ungeachtet diverser Rückschläge und obwohl der Schluss des Buches das Ende der Reise offen lässt, bin ich mir sicher: Es wird gelingen; ihre Reise und ihr Ankommen in einem neuen Leben.
Ein schönes Buch, doch ein bisschen wundert es mich schon, dass es auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2015 zu finden ist. Aber da habe ich mich ja schon ein paar Mal gewundert

Veröffentlicht am 26.09.2017

Wer schweigt, bleibt einsam

Fremde Seele, dunkler Wald
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Zwei Brüder aus einem kleinen Dorf, der ältere hat es bereits vor einigen Jahren hinter sich gelassen, während der halb so alte 15jährige praktisch im Alleingang den Hof bewirtschaftet. Der Vater ist ständig ...

Zwei Brüder aus einem kleinen Dorf, der ältere hat es bereits vor einigen Jahren hinter sich gelassen, während der halb so alte 15jährige praktisch im Alleingang den Hof bewirtschaftet. Der Vater ist ständig unterwegs auf der Suche nach neuen lukrativen Geschäften, um seine Geldsorgen zu beenden. Stattdessen verkleinert sich der Hof jedoch nach jedem neuen Versuch, Hektar um Hektar. Und Jakob, dem Jüngeren, bleibt nichts Anderes, als zuzuschauen.
Es ist ein ungemein trostloses Buch, das dem Landleben nichts Positives abgewinnt, zumindest was das Zwischenmenschliche anbelangt. Was die Menschen dort leisten müssen, ist harte Arbeit, die immer schlechter entlohnt wird. Höfe werden verkleinert, verkauft, Landwirte müssen aufgeben, das Leben scheint perspektivlos. Miteinander reden ist den Menschen dort nicht gegeben; wenn man redet, dann eher übereinander, ansonsten schweigt man sich an. Es gibt kein Gemeinschaftsgefühl füreinander, weder bei den Brüdern noch bei den anderen Personen in diesem Buch. Trotz Ehe und Freundschaften sind die Menschen einsam, eine gewisse Zusammengehörigkeit gibt es nur in einer außerkirchlichen Gruppe. Alexander und Jakob brauchen eine geraume Zeit, bis sie erkennen was ihnen fehlt und sie die Eigeninitiative ergreifen. Doch für Andere gibt es keine Rettung mehr.
Alexander gelingt es durch den Besuch einer weiterführenden Schule (worum er sich selbst kümmern musste) dieser Einsamkeit zu entfliehen und landet nach einigen Umwegen bei der Bundeswehr. Und Jakob tritt fast exakt in die Fußspuren seines großen Bruders, ohne sich dessen jedoch bewusst zu sein, sodass zumindest zum Ende hin sich für beide so etwas wie ein Lichtblick zeigt.
Doch warum sollte man so etwas lesen, was einem vermutlich keine allzu guten Gefühle bereitet, eher im Gegenteil? Weil Reinhard Kaiser-Mühlecker eine wunderbare Sprache sein Eigen nennt. Es sind weniger einzelne Sätze, die herausragen, sodass sie das Zitieren wert sind, sondern die Beschreibungen der Gefühle und Gedanken seiner Protagonisten, die so echt sind, dass ich mir sicher bin, manche davon sehr gut zu kennen Wie Jakob in bestimmten Situationen ein unbändiger Zorn packt, den er jedoch nicht artikulieren kann und will. Wie Mutmaßungen und Interpretationen über andere Menschen angestellt werden, die durch ein Gespräch einfach klargestellt werden könnten. Wie Vermutungen fast Menschen zerstören, ohne dass diese sich wehren können. Es sind Situationen, die vermutlich jede/r kennt und wo ich mich immer wieder dabei erwischte, dass ich vor mich hinmurmelte: 'Jetzt redet doch miteinander!' Eine Aufforderung, die auch im wirklichen Leben beherzigt werden sollte

Veröffentlicht am 02.07.2017

Eine Sommerfrische am Meer

Wellen
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Vor über 100 Jahren ist dieses Buch das erste Mal erschienen, aber in vielem liest es sich auch wie ein Bild unserer Zeit und wirkt hochaktuell.
Generalin Palikow hat für ihre Familie einen Sommerurlaub ...

Vor über 100 Jahren ist dieses Buch das erste Mal erschienen, aber in vielem liest es sich auch wie ein Bild unserer Zeit und wirkt hochaktuell.
Generalin Palikow hat für ihre Familie einen Sommerurlaub organisiert - und selbstverständlich sind alle gekommen: ihre Tochter Bella mit ihrem Ehemann Baron Buttlär, deren Kinder Lolo, Nini und Wedig ebenso wie Lolos Bräutigam Hilmar. Ein Haus direkt am Meer wurde gemietet, nur wenige kleine Fischerhäuser befinden sich in der Umgebung. Doch in einem davon logiert das Ehepaar Grill, das 'berühmtberüchtigt' ist. Denn Doralice Grill, eine wunderschöne junge Frau, war zuvor mit dem Grafen Köhne verheiratet und verließ ihn für den Maler Grill - welch ein Skandal! Insbesondere Bella ist darüber verstimmt, eine solche Person in unmittelbarer Nachbarschaft zu wissen, was nicht zuletzt daran liegt, dass sie um die Schwäche ihres Ehemannes Bescheid weiß - schöne Frauen.
Etwas altertümlich klingt die Sprache, aber Eduard von Keyserling beschreibt sehr bildhaft und ausdrucksvoll den Strand mit der ihn umgebenden Landschaft sowie die daran angrenzende See; seine Begeisterung über die Schönheit der Natur und die Kraft des Meeres waren für mich durch seine Worte hindurch regelrecht spürbar. Doch noch bestechender empfand ich seine Darstellung der Personen, die in ihrer Gesamtheit beinahe schon eine Welt für sich darstellten: Auf der einen Seite die adlige Familie, deren jüngere Generationen gegen die Einhaltung der überkommenen Konventionen, für die die Generalin steht, rebellieren. Und auf der anderen Seite der Maler Grill sowie die Fischer, die scheinbar ohne Zwänge ihr Leben leben dürfen wie sie wollen. Dazwischen steht Doralice, die es zwar wagte, die Welt dieser Zwänge zu verlassen, sich aber trotzdem immer wieder nach dem Komfort dieses Lebens sehnt und sich in ihrer neuen Welt noch immer nicht heimisch fühlt. Sie ist eine Ausgestossene ebenso wie der Geheimrat Knospelius (der ebenfalls dort in einem Fischerhaus residiert), der zwar eine geachtete Stelle in der Reichsbank innehat, aber aufgrund seiner Missbildung dennoch nicht dazu gehört.
Es ist überdeutlich, dass von Keyserling diesem ländlichen Adel nicht viel Sympathie entgegenbrachte, was vermutlich aus ähnlichen Erfahrungen resultierte wie sie der Geheimrat erfahren musste. Vieles ist mit einer derart spitzen Feder geschrieben, dass das Buch bei seinem ersten Erscheinen in bestimmten Kreisen vermutlich nicht gelesen wurde. Oder falls doch, nur, um sich aufzuregen Beispielsweise die Beschreibung von Bella: 'Aufgebraucht von Mutterschaft und Hausfrauentum war sie sich ihres Rechtes bewußt, kränklich zu sein und nicht mehr viel auf ihr Äußeres zu geben.' Oder als die Generalin ihrer Tochter das Wesen der Männer erklärt: 'Es ist immer dieselbe Geschichte, wenn ihr heiratet, wollt ihr hübsche Männer haben, aber ein hübscher Mann konserviert sich länger als unserein, der bringt keine Kinder zur Welt, der schont sich mehr ...' und 'Die Ehe, meine Liebe, ..., ist vielleicht sehr heilig, aber unsere Männer sind es nicht.' Es gibt viele solcher kleiner Bösartigkeiten, sehr zur Freude der heute Lesenden, vermute ich. Darüber hinaus hatte der Autor ebenso einen überaus guten Blick für diverse andere gesellschaftliche Probleme, die auch heute noch aktuell sind.
Ein schönes, witziges und nachdenklich machendes Buch, das in Manchem wohl seiner Zeit voraus war.

Veröffentlicht am 19.06.2017

Der zweite gelungene Band der Reihe

Eden
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Beinahe nahtlos macht 'Eden' dort weiter, wo 'Hades' endete: Nach der erfolgreichen Jagd auf den Serienmörder Jason, der kurz zuvor auch Frank Bennetts Geliebte ermordet hatte, ist Frank in ein tiefes ...

Beinahe nahtlos macht 'Eden' dort weiter, wo 'Hades' endete: Nach der erfolgreichen Jagd auf den Serienmörder Jason, der kurz zuvor auch Frank Bennetts Geliebte ermordet hatte, ist Frank in ein tiefes Loch gestürzt, das er mit Alkohol und Tabletten zu füllen versucht. Eden, seine Partnerin, reißt ihn gnadenlos heraus, denn ein, nein, eigentlich zwei neue Fälle stehen an. Zum einen benötigt Hades, der Vater von Eden, die inoffizielle Hilfe von Frank. Zum anderen sind drei junge Mädchen verschwunden, die alle kurz zuvor auf der Farm von Jackie waren. Eden wird dort undercover eingeschleust und von einer Minute auf die andere ist Franks volle Aufmerksamkeit notwendig.
Wie auch beim ersten Teil gibt es mehrere Erzählstränge. Während aus Edens Sicht der Fortgang ihrer Undercover-Ermittlungen geschildert wird, ermittelt Frank neben der Überwachung von Edens Einsatz auch für Hades, der wissen möchte, was aus seiner Jugendliebe Sunday geworden ist. Denn deren Neffe ist davon überzeugt, dass Hades für den Tod seiner Tante verantwortlich ist und will Antworten. Antworten, was wirklich passiert ist. Im dritten Erzählstrang wird Hades Lebensweg geschildert bis zum Zeitpunkt von Sundays Verschwinden.
Die Spannung ist dieses Mal deutlich verhaltener, obwohl die zu klärenden Fälle im Gegensatz zum ersten Band tatsächlich erst kurz vor dem Ende mit wirklichen Überraschungen aufwarten können. Vielleicht weil es keine weiteren Verbrechen gibt bzw. das Ganze weit in der Vergangenheit liegt, entwickelt sich die Geschichte mehr zu einem Psychogramm des Ermittlers sowie einer Gruppe von Personen, die fern am Rande der Gesellschaft leben. Insbesondere Letzteres liest sich schrecklich, wenn sich Menschen schlimmer als Tiere verhalten: wie sie im Dreck hausen, bis zur Besinnungslosigkeit besaufen und zudröhnen, aus Freude Menschen und Tiere quälen und vielleicht noch Schlimmeres.
‚Eden‘ ist zwar weniger spannend als Band 1, aber dennoch fesselnd. Band 3 werde ich also auch noch lesen

Veröffentlicht am 31.05.2017

Wenn das Ich sich verliert ...

Du hättest gehen sollen
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Ein kleiner Kurzurlaub soll es für das junge Ehepaar mit ihrem Kind sein, ein paar Tage in den Bergen in einem einsam gelegenen Haus. Der Vater schreibt an einem neuen Drehbuch und wie selbstverständlich ...

Ein kleiner Kurzurlaub soll es für das junge Ehepaar mit ihrem Kind sein, ein paar Tage in den Bergen in einem einsam gelegenen Haus. Der Vater schreibt an einem neuen Drehbuch und wie selbstverständlich hält er auch Alles fest, was sich während ihres Aufenthaltes ereignet. Die Streitereien zwischen ihm und seiner Frau, die Versöhnungen, die Beschäftigung mit dem Kind, seine Träume undundund. Eigentlich ganz alltäglich, doch es liegt ein seltsamer Missklang über den Dreien, der sich mit jedem Tag, jeder Stunde verstärkt.
Das Seltsame, das Mysteriöse schleicht sich ganz allmählich ein, es ist nicht greifbar, es sind kleine Geschehnisse, die bei wiederholtem Nachdenken sich wohl auch rational erklären lassen. Aber vielleicht auch nicht ... Doch sobald das Ungewisse zu stark wird, treten reale Ereignisse in den Vordergrund, die die Aufmerksamkeit beanspruchen und alles Andere verblassen lassen; doch nicht für lange.
Es sind nur 86 Seiten, doch wenn man sich voll und ganz auf die Geschichte einlässt, sie liest, als wäre man selbst der Schreibende, beginnt einen das Unheimliche nach und nach selbst zu ergreifen. Ein tolles Stück Gruselliteratur, das die volle Sternezahl verdient hätte, wenn, ja wenn der Preis nicht wäre. So viel Geld für so ein kleines Büchlein finde ich schlicht unverschämt - dafür gibt es Abzug.