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Veröffentlicht am 20.09.2020

Detektiv und Schriftsteller ermitteln wieder

Mord in Highgate
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Nach “Ein perfider Plan” ist “Mord in Highgate” der zweite Band der Reihe rund um den undurchschaubaren Privatdetektiv Hawthorne und den realen Autor Anthony Horowitz. Diesmal führt die beiden ...

Nach “Ein perfider Plan” ist “Mord in Highgate” der zweite Band der Reihe rund um den undurchschaubaren Privatdetektiv Hawthorne und den realen Autor Anthony Horowitz. Diesmal führt die beiden ein Mord an einem Scheidungsanwalt, der mit einer extrem teuren Weinflasche verübt wurde, ins noble Londoner Viertel Highgate.

In seinem Roman liefert uns Horowitz nichts weniger als eine metatextuelle Poetik des Kriminalromans und einen Einblick in seinen eigenen Schaffensprozess, wenn auch verpackt in eine fiktive Geschichte. Hier wimmelt es also nur so vor Metareferenzen sowie inter- und intratextuellen Verweisen. Die "reale" Vorlage, die der Fall ihm liefert, wird dabei in seiner "Ungeeignetheit" für einen guten Krimi oft von ihm kritisiert. Zum Beispiel lässt er sich unverhohlen darüber aus, dass ihm der leitende polizeiliche Ermittler aus dem letzten Hawthorne Krimi, DI Meadows, lieber gewesen wäre als die aktuelle DI Cara Grushaw. Der "schlaue Privatdetektiv" benötige nämlich als Kontrastfigur einen "weniger schlauen Polizeibeamten" (S. 35), wie im Vorbild” Sherlock Holmes” Inspector Lestrade, auf den Horowitz verweist. Also muss sich Horowitz eingestehen, dass die Dramaturgie seiner Hawthorne-Krimis ein anderer vorgibt - nämlich Hawthorne selbst. Er bestimmt, was Horowitz erzählt, welche Szenen ins Buch kommen und was die nächsten Ermittlungsschritte sind. "True Crime" sozusagen, in der Realität des Buches, nur dass der Fall natürlich genauso fiktiv ist, wie Horowitz' andere Stories. Aber: Er tut in diesem Roman so, als wäre alles echt, dabei ist es nur Horowitz selbst (und sein berufliches wie privates Umfeld).

Hawthorne, der in diesem Band nur noch rätselhafter wirkt was seine Person und Vergangenheit betrifft, ist tatsächlich ein geistiger Erbe des legendären fiktiven Detektivs aus dem 19. Jahrhundert. Ähnlich wie dieser kann er ebenfalls aus minutiösen Beobachtungen und vermeintlichen Kleinigkeiten eine ganze Fallgeschichte rekonstruieren. Über einen Holmes-Text von Conan Doyle (“Eine Studie in Scharlachrot”) wird sogar in der “Lesegruppe” des Romans diskutiert und der auf Romanebene “reale” Fall weist außerdem Ähnlichkeiten mit der Detektivgeschichte um Holmes und Watson auf.

Horowitz gibt sich in diesem Buch einmal mehr sehr sympathisch in seiner Unzulänglichkeit als Kriminalist und nimmt sich und seine schriftstellerische Arbeit auch mal augenzwinkernd aufs Korn. Eine Verdächtige im Buch bezeichnet ihn einmal abfällig als "Unterhaltungsschriftsteller" (S. 200) - ein Prädikat, das dem erfolgreichen Bestsellerautor wohl schon so mancher in der echten Welt anhaften wollte. Innovativ ist seine Idee, sich selbst als Erzähler und Figur in die Romanwelt einzuschreiben, allemal. Gekonnt geplottet, mit vielen Wendungen und für Whodunit-Fans wunderbar rätselreich ist “Mord in Highgarte” ebenfalls.

Wie es auch im Roman selbst thematisiert wird ("Drei-Buch-Vertrag") schreibt Anthony Horowitz derzeit tatsächlich an seinem dritten "Hawthorne/Horowitz-Band". Laut einem Interview ist die Reihe sogar auf 10 Bände angelegt. Ich freue mich, denn mittlerweile begeistert mich die skurrile Zweckgemeinschaft zwischen dem grummeligen Detektiv, der kaum etwas über sich preisgibt, und dem erfolgreichen (realen) Schriftsteller sehr.

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Veröffentlicht am 16.09.2020

(Preußischer) Adel verpflichtet!

Der falsche Preuße
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Ein preußischer Polizeibeamter ermittelt in München. Was mitunter Gegenstand von (humoristischen) TV-Krimiserien ist, habe ich in einem historischen Kriminalroman so noch nicht gelesen.
Der preußische ...

Ein preußischer Polizeibeamter ermittelt in München. Was mitunter Gegenstand von (humoristischen) TV-Krimiserien ist, habe ich in einem historischen Kriminalroman so noch nicht gelesen.
Der preußische Adelige und Reserveoffizier Wilhelm von Gryszinski ist im Herbst des Jahres 1894 gerade einmal ein Jahr mit seiner Frau und dem sieben Monate alten Sohn in München, hat sich aber schon bestens in der bayerischen Metropole eingelebt. Nur die komplexen Mordfälle, wegen derer er nach München als Sonderermittler beordert wurde, lassen noch auf sich warten. Doch prompt geschieht zu Beginn der Handlung ein solcher und die - damals modernen - Ermittlungsmethoden Grsyzinskis sind nun gefragt. Wer ist der Mann, der neben dem Maximilianeum ermordet aufgefunden wurde? Der Federumhang, den er trägt und der Abdruck eines Elefantenfußes neben der Leiche lassen erstmal nicht darauf schließen, aber dieser Mordfall zieht weite Kreise, bis hinein in die Eingeweide der preußischen Diplomatie.

Mehrere Welten treffen in diesem Roman aufeinander. Einerseits die des bayerischen Zeitgeists um 1900: Gemütlichkeit, Wirtshaus, Bierbrauen, Marktfrauen, Katholizismus, um nur einige Schlagworte zu nennen. Dann die kontrastive Haltung der Berliner bzw. Preußen, die ich mit den Worten Netzwerk, Pickelhaube, Pünktlichkeit, Ordentlichkeit und Protestantismus klischeehaft bedienen möchte. Die Topographien der Nebenwelten, die in diesen Krimi hineinspielen, sind folgende: Die Münchner Arbeiterschaft (Armut, Bescheidenheit, Hütte, Handwerk, Glaube) sowie die dekadente Welt der Neureichen (Ästhetizismus, Dandytum, Überfluss, Kuriositätenkabinette, Kunstbeflissenheit).

Uta Seeburg hat einen sehr elaborierten historischen Kriminalroman geschrieben, der vor atmosphärischer Details nur so strotzt und in sich absolut stimmig konstruiert ist. Die Akkuratesse, die sie ihrem preußischen Protagonisten zuschreibt, findet sich auch in ihrem Schreibstil wieder. Gleichzeitig ist dieser Stil aber eben auch sehr bildhaft - manche ihrer Metaphern sind ein regelrechter ästhetischer Genuss.

Es geht im Roman sehr oft um die gesellschaftlichen Gepflogenheiten der damaligen Zeit, zum Beispiel was die Umgangsformen betrifft. Während die Preußen in Berlin gerne zu Abendgesellschaften und Salons einluden, traf der Münchner an sich im späten 19. Jahrhundert (vielleicht ist es bis heute so) seine "Spezl" lieber im Wirtshaus. Auch gebräuchliche Dinge der Alltagsgeschichte der damaligen Zeit sowie kulturgeschichtliches und kulinarisches Wissen bereichern die Handlung und erzeugen eine authentische historische Atmosphäre (Herrlich: Das Philosophieren über die Notwendigkeit einer Flügeltür im Salon bzw. eines zweiten Zugangs zu Räumen, das sich leitmotivisch durch den Roman zieht). Dass diese Fakten zum Großteil “der Wahrheit entsprechen”, sagt die Autorin in einer historischen Notiz am Ende des Romans. Auch geht sie auf die (wenigen) Dinge ein, die nur ihrer Phantasie entsprechen.

“Der falsche” Preuße hat mich als Münchnerin hervorragend unterhalten und ich bin sicher, dass das Buch auch Berlinern gefallen wird. Der augenzwinkernde und mitunter trockene Humor, der die kulturellen Unterschiede - aber auch Gemeinsamkeiten - von Preußen und Bayern betont, hat mir sehr gut gefallen. Umso mehr freut es mich, dass eine Reihe rund um die Hauptfigur Gryszinski geplant ist. Ich harre der Dinge, die da kommen mögen.

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Veröffentlicht am 12.09.2020

Literarischer Krimi mit “unzuverlässigem Erzähler”

Kalmann
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Der Nordosten Islands ist der Schauplatz von Joachim B. Schmidts Roman "Kalmann", genauer gesagt das kleine Dorf Raufarhöfn (609 km entfernt von Reykjavík). Dieser Landstrich der wilden Insel im Atlantik ...

Der Nordosten Islands ist der Schauplatz von Joachim B. Schmidts Roman "Kalmann", genauer gesagt das kleine Dorf Raufarhöfn (609 km entfernt von Reykjavík). Dieser Landstrich der wilden Insel im Atlantik ist geprägt von der Küste und lebt hauptsächlich von der Fischindustrie. Gelegentlich verirren sich auch ein paar wenige abenteuerlustige Touristen hierher. Landschaftlich gesehen ist die Gegend eher karg, hier wächst nicht viel heißt es im Roman, die Winter sind lang und bis weit ins Frühjahr hinein bestimmen Eis und Schnee das Landschaftsbild. In einem kalten März unserer Gegenwart - eine genaue Jahreszahl nennt uns der Erzähler nicht - spielt sich die Handlung des Romans ab.

Der titelgebende Protagonist Kalmann Óðinsson ist 33 Jahre alt und verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Jagen und Fermentieren von Grönlandhaien, die er dann als Delikatesse (“Gammelhai”) verkauft. Er wuchs in Raufarhöfn bei seinem Großvater und seiner Mutter auf, der Vater ist ein amerikanischer GI, den er nur einmal gesehen hat. Kalmann ist geistig behindert, weswegen ihm die Mutter auch in seinem fortgeschrittenen Alter noch als Vormund dient.

Kalmann ist ein sogenannter "unzuverlässiger Ich-Erzähler", der in der Literaturgeschichte eine gewisse Tradition hat. Das heißt, der Leser muss die von ihm getätigten Aussagen über die Welt, die ihm hier präsentiert wird, grundsätzlich infrage stellen. Kalmann erzählt ganz klar seine wenig komplexe, eindimensionale Sicht der Dinge. Er hinterfragt vieles nicht, seine Wahrnehmung ist schwarz oder weiß, unklare Situationen oder Ungewohntes bringen ihn völlig aus dem Konzept und kanalisieren sich mitunter in Wut. Es ist beeindruckend wie der Autor es schafft, die scheinbar simplistische Gedankenwelt Kalmanns zu imagnieren, seine "einfachen" Satzgefüge zu erschaffen, ohne dass es jemals künstlich wirkt. Ja, so könnte jemand denken, der eben "anders" denkt. "Kein Grund zur Sorge", dieser Ausdruck spult sich mantraartig in Kalmanns Kopf ab.

Trotz seiner Tätigkeit als Jäger, seiner Unberechenbarkeit und Grobschlächtigkeit hat der Autor mit Kalmann eine Figur erschaffen, die dem Leser sympathisch ist und in sich stimmig. Dennoch lässt der Erzähler den Leser bis zum Schluss im Ungewissen, wie Kalmanns Rolle innerhalb der Krimihandlung zu verorten ist. Er geriert sich - geprägt von der amerikanischen Popkultur, konsumiert durch den TV, denn Kalmann hat nach eigener Aussage noch nie ein Buch gelesen - als "Sherriff von Raufarhöfn". Beim Jagen findet er eine Blutlache, die vom verschwundenen Geschäftsmann und Hotelbesitzer Róbert McKenzie zu stammen scheint. Es ist ein anspruchsvoller literarischer Krimi, der sich hier entfaltet, mit vielen überraschenden Wendungen und einer unbestreitbar philosophischen Komponente.

Dennoch kann ich nicht die volle Punktzahl geben, denn einige Fragen bleiben am Ende leider offen und das erzählte Gerüst - so unverlässig der Erzähler auch sein mag - bröckelt an manchen stellen. Die Tiertötungsszenen sind weniger "schlimm", als ich sie erwartet habe und die erlegten Tiere wurden nicht gequält. Trotzdem gibt es einige explizite Szenen, in denen Tiere getötet werden. Für mich immer und in jedem Buch ein Minuspunkt, da kann “Kalmann” nix dafür.

Alles in allem aber hat mir der Roman aufgrund seiner unbestreitbar literarischen Qualität sehr gut gefallen. Ich möchte gerne noch mehr von diesem Autor lesen und fand es irgendwie schade, am Ende von Kalmann Abschied nehmen zu müssen.


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Veröffentlicht am 11.09.2020

Trennungstagebuch einer “Jederfrau”

Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau
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Überspitzt formuliert: Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass Frauen, die zwischen ihrem vierzigsten und fünfzigsten Lebensjahr von ihrem Mann verlassen werden - bevorzugt für eine Jüngere - sowohl ...

Überspitzt formuliert: Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass Frauen, die zwischen ihrem vierzigsten und fünfzigsten Lebensjahr von ihrem Mann verlassen werden - bevorzugt für eine Jüngere - sowohl im Leben als auch in der Literatur tragische Figuren sind. Jugendliches Aussehen und Fruchtbarkeit haben sich weitestgehend verabschiedet und sie haben die vermeintlich “besten Jahre” dem Mann geschenkt, der sie nun sitzen lässt. Niemand möchte so ein “banales” Schicksal erleiden und darüber zu lesen, ist auch irgendwie unangenehm.

Die Ich-Erzählerin Diane Delaunais aus “Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau” hat genau so ein Schicksal ereilt, denn ihr Mann Jacques hat sie nach 28 gemeinsamen Jahren, kurz vor der Silberhochzeit, für ein 30-jähriges Model verlassen. Sie sei “langweilig” geworden und er habe sich eben neu verliebt. Die 48-jährige berufstätige Mutter von drei erwachsenen Kindern ist wie vor den Kopf gestoßen. Sie erlebt alle Phasen der “Trennungstrauer” von Nicht-Wahrhaben-Wollen über unkontrollierte Emotion, Vergangenheitsverklärung bis hin zur Suche und Findung eines neuen Ichs und dem Abwerfen des alten Ballasts.

Die Geschichte spielt in einem suburbanen Setting, aber nicht etwa, wie man auf den ersten Blick aufgrund der frankophonen Namen meinen könnte, in Frankreich, sondern im französischsprachigen Teil von Kanada. Die Autorin Marie-Renée Lavoie
stammt aus Quebec. Es gibt aber für mich kaum spezifisches Lokalkolorit und landestypische Eigenheiten, also könnte die Handlung in jeder französischsprachigen Vorstadt der westlichen Welt spielen, in der es lautstarke Laubbläser und gärtnernde Nachbarn gibt. Diane Valois ist eine "Jedefrau", denn überall auf der Welt werden Frauen in ihrem Alter von ihren Männern verlassen und müssen den Neuanfang als Single im fortgeschrittenen Alter wagen.

Es wird sehr episodisch erzählt, die Kapitel sind dabei relativ kurz und haben schon durch die Kapitelüberschriften einen anekdotischen Charakter. Es ist kein akkurates Tag-für-Tag-Tagebuch, sondern enthält szenisch erzählt Begebenheiten aus dem Leben der Hauptfigur, die sich im Rahmen der Trennung von ihrem Mann ereignet haben.

Das Buch spielt mit dem Attribut “langweilig” auf augenzwinkernde Weise. Das Cover konterkariert schon mal den Titel, denn es ist mit dem offen schreienden Mund alles andere als “langweilig”. Leider hört es da aber auch schon auf, denn die Hauptfigur Diane bezeichnet sich auch selbst als langweilig und meint, sie habe ein durchschnittliches Leben gelebt. Ab und zu musste ich schmunzeln, aber laut und extrovertiert wie das Cover ist die Handlung auf keinen Fall. Diane gerät in ein paar “tragikomische” Situation, die eigentlich mehr traurig als komisch sind. Manchmal war ich sogar eher berührt von dem, was ich gelesen habe, als dass ich. Das Kapitel mit den Nachbarn zum Beispiel hat mich ergriffen. Die Szene mit dem “Hutzelmännchen” auf dem Land war dann eher eine weniger gelungene Wiederholung dieser Begegnung.

Das Gelesene war keinesfalls schlecht, allerdings weckt dieser Roman durch Marketing und Cover falsche Erwartungen. Es ist für mich am ehesten eine tragikomische Bestandsaufnahme einer verlassenen Ehefrau und nicht etwa das Tagebuch einer Bridget Jones 2.0 in der Menopause. Wer keine Schenkelklopfer und Lachanfälle erwartet, wird nicht enttäuscht werden.


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Veröffentlicht am 08.09.2020

Biopic/Filmvorlage in Romanform

Die Dirigentin
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Maria Peters, die Autorin des Romans "Die Dirigentin", fungierte bereits als Drehbuchautorin und Regisseurin des gleichnamigen Films über die Protagonistin Antonia Brico (1902-1989). Auch das Coverbild ...

Maria Peters, die Autorin des Romans "Die Dirigentin", fungierte bereits als Drehbuchautorin und Regisseurin des gleichnamigen Films über die Protagonistin Antonia Brico (1902-1989). Auch das Coverbild stammt aus diesem 2018 gedrehten Film. Dementsprechend szenisch bzw. wie ein Biopic ist auch der Roman aufgebaut. Wir erleben die Geschichte zum Großteil aus der Ich-Perspektive der Hauptfigur, was der Intimität eines Films nahekommt. Zusätzlich kommen noch die Perspektiven von Frank und Robin hinzu, zwei Männern, die in Antonias Leben eine wichtige Rolle spielen.
Im Roman begleiten wir die junge, in den USA lebende Niederländerin Antonia Brico durch Stationen ihres bewegten Lebens. Wir lernen sie als junge Frau kennen, die viele Jobs machen muss, um ihre Familie (die Adoptiv-Eltern, wie sie erfahren wird, mit denen sie in einer kleinen New Yorker Wohnung zusammenlebt) über Wasser zu halten. Ihre eigentliche Leidenschaft gilt aber der Musik. Sie spielt auf einem zusammengeflickten Klavier und träumt davon, Dirigentin zu werden. Erst als das Geheimnis um ihre Identität und ihre niederländische Mutter aufgeklärt wird, hat sie die Kraft, ihrem alten Leben zu entkommen und den Lebensweg einer Musikerin einzuschlagen.
Eine interessante Geschichte ist es allemal, wie eine Frau als Pionierin ein rein männlich dominiertes Berufsfeld für sich erobert - leider nicht ganz mit dem Erfolg, wie ihn wahrscheinlich ein männlicher Kollege ähnlichen Talents gehabt hätte. Heutzutage gibt es ja zum Glück einige Dirigentinnen von Weltniveau, die aber wohl immer noch um Anerkennung kämpfen müssen.
Die Geschichte von Antonia Brico ist es absolut wert, erzählt zu werden. Meine Kritik gilt der doch etwas oberflächlichen Erzählweise dieses Romans. Diese ist sehr sprunghaft und es wird vieles nur “erzählt” statt erzählerisch ausgearbeitet zu werden. Zum Beispiel: Kaum ist Antonia am Konservatorium in Berlin aufgenommen worden, hat sie auch schon ihren Abschluss gemacht. Auf ihre Erlebnisse, die sie dort während ihrer Studienzeit hat, wird kaum eingegangen. Auf die Perspektive von Frank hätte ich komplett verzichten können, lieber hätte ich noch mehr aus Antonias Sicht erzählt bekommen. Warum braucht man diese männliche Perspektive überhaupt, diese kitschige “Nicht-Lovestory”? Es geht schließlich um eine Frau in einem Männerberuf, ich will etwas über die Frau wissen und nichts über die Kriegserlebnisse eines privilegierten Mannes - nicht in diesem Buch. Das Thema Musik kommt auch etwas zu kurz. Was sie für Antonia bedeutet und wie sie sie wahrnimmt, wird zwar am Anfang angeschnitten, aber für meinen Geschmack zu wenig verfolgt. Es bleibt einfach alles sehr oberfläch und geht nicht in die Tiefe.
Der Roman ist leider von Elementen geprägt, die der Unterhaltungsliteratur zuzuordnen sind. Wäre nicht das Thema Dirigentin, könnte man meinen es handelt sich um einen historischen Liebesroman. Die Themen Emanzipation und Musik kommen für mich einfach zu kurz.
Dennoch ist es ein solider Roman, gefällig geschrieben und als Filmvorlage gut lesbar. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass der Film besser ist als der Roman.

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