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Das Geheimnis von Zimmer 622"Das Geheimnis von Zimmer 622" war mein erster Dicker, weshalb ich zwar unvoreingenommen, aber doch auch mit gewissen Befürchtungen was die Qualität desselben betrifft, an die Lektüre des Romans herangegangen ...
"Das Geheimnis von Zimmer 622" war mein erster Dicker, weshalb ich zwar unvoreingenommen, aber doch auch mit gewissen Befürchtungen was die Qualität desselben betrifft, an die Lektüre des Romans herangegangen bin. Dickers Bücher werden von euphorisch bis unterirdisch schlecht sehr unterschiedlich rezipiert, der Autor ist mittlerweile berühmt-berüchtigt für seine Spannungsromane.
Der Roman besteht aus mehreren Erzählschichten, könnte man sagen. Ummantelt wird er von einer Autofiktion bzw. einer Rahmenhandlung, in der der tatsächliche Autor, also Joël Dicker, den vorliegenden Roman schreibt bzw. dafür recherchiert. Diesmal ist also Dicker selbst eine literarische Figur in seinem eigenen Buch.
Die Handlung des eigentlichen Romans, in dem es um das "Geheimnis von Zimmer 622" geht, ist im Schweizer Bankenmilieu angesiedelt. Die Haupt-Handlungsorte sind Genf, wo die Privatbank Ebezner ihren Sitz hat und Verbier, der Nobelskiort in den Alpen, wo sich das Luxushotel befindet, in dem das Verbrechen verübt wird. Die Handlung hier auch nur ansatzweise wiedergeben zu wollen, erscheint mir unmöglich und auch redundant. Der/die potenzielle LeserIn sollte sich aber darüber bewusst sein, dass er/sie in die Handlung eintritt wie in einen Zirkus skurriler Figuren, ein Varieté der unwahrscheinlichsten Lebensgeschichten und grotesken Handlungselemente, die einerseits an eine südamerikanische Telenovela, andererseits an einen (schlechten) Spionagethriller erinnern. Und das ist eigentlich der Pluspunkt des Romans, denn wer gerne Bücher liest, die sich selbst aufs Korn nehmen, ist hier gerade richtig. Wer freilich authentische Charaktere mit Tiefgang in einer stringent verlaufenden Geschichte sucht, ist hier mehr als Fehl am Platz.
Aufgebläht ist dieses Buch, voller Belanglosigkeiten und Wiederholungen. Die Enthüllung der Frage, wer eigentlich umgebracht wurde, erfolgt erst nach ca. zwei Dritteln der Handlung. Der Leser hat bis dahin die Lebensgeschichte aller Beteiligten minutiös vorgekaut bekommen.
Der Kern und die Idee an sich hätten ja spannend werden können, aber Dicker versucht sich immer selbst zu übertrumpfen und scheitert hier auf dem schmalen Grat, der zwischen anspruchsvoller Unterhaltung und niveauloser Trivialität verläuft. Die Dialoge aus der Haupthandlung scheinen zum größten Teil einer Schmierenkomödie oder schlechten Vorabendserie nachempfunden. Die Handlungselemente und Plot-Twists stehen der Dialogregie allerdings an Unglaubwürdigkeit in nichts nach.
Das einzige, was etwas Niveau hat, ist die Hommage Dickers an seinen (1926 geborenen) Verleger Bernard de Fallois, der im Jahr der Rahmenhandlung, 2018, verstarb. Passenderweise geht es auch im Roman selbst oft um das spezielle Verhältnis zwischen (Ersatz-)Vätern und ihren Söhnen. Dicker stellt indirekt die Frage, ob Wahlverwandtschaft nicht vielleicht die bessere Verwandtschaft ist.
Das Ende trieft von einer trivial-banalen Kitschigkeit, das selbst die schlechteste Soapopera der Welt nicht besser hätte hinbekommen können. Leider nur 2,5 Sterne.