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Veröffentlicht am 23.05.2023

Philosophische Abhandlung über das Übersetzen meets Sachbuch über Kolonialismus

Babel
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Das neuhochdeutsche Wort „verraten“ bedeutete ursprünglich „durch falschen Rat irreleiten“, und damit mir das keiner vorwerfen kann, sei hier vorneweg gesagt, dass das Buch wirklich gut geschrieben ist, ...

Das neuhochdeutsche Wort „verraten“ bedeutete ursprünglich „durch falschen Rat irreleiten“, und damit mir das keiner vorwerfen kann, sei hier vorneweg gesagt, dass das Buch wirklich gut geschrieben ist, mit einem schönen, bildlichen Schreibstil und vielschichtigen Charakteren. Mit dem Silberwerkt, das aus irgendeinem unerfindlichen Grund nicht im Klappentext erwähnt wird, schafft Kuang ein interessantes pseudo-wissenschaftliches Magiesystem, welches auf Sprachwissenschaft fußt.
Die Einführung in das alternative Oxford der späten 1830er und die Handlung an sich ist verständlich geschrieben. Tatsächlich ist dies einer der wenigen Romane, die zu Recht „dark academia“ genannt wird, da die Etymologie und Übersetzungstheorie einen großen Bestandteil ausmachen. Es ist definitiv keins der Bücher, die willkürlich eine Uni als setting verwenden, das Studium des Protagonisten Robin Swift ist gewissermaßen Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Allerdings wirken die Passagen, die sein Leben und seine Beziehung zu seinen Freunden während der Studienzeit erzählen seltsam gerafft. Es finden Zeitsprünge statt, aber das entschuldigt nicht, dass Vieles lediglich zusammengefasst und dem Leser zu oft die Möglichkeit des Miterlebens genommen wird. Beispielsweise hätten konkrete Szenen, in denen der Zusammenhalt und eventuell ein gemeinsames Problemlösen der vier Hauptcharakter zum Ausdruck kommt einiges dazu beigetragen, die Freundschaft glaubwürdiger und plastischer zu machen. Aus den Figuren und Figurenkonstellationen hätte man deutlich mehr herausholen können. Richtige Spannung kam für mich erst im letzten Drittel auf.
Vielleicht aber ist genau das mein Problem mit dem Roman: im Mittelpunkt stehen nicht die Figuren oder das Silberwerk sondern die Themen Imperialismus und Rassismus (mit Spuren von Feminismus). Ein Fan historischer Fantasy kommt nicht auf seine Kosten, aber eine alternative Geschichte ist es auch nicht und erst recht kein historischer Roman. Tatsächlich sind historische Sachverhalte stark vereinfacht und dadurch öfters fehlleitend verzerrt. Gleichzeitig werden bspw. rassistische Mikro- und Makroaggressionen mit nur dargestellt, sondern so ausgiebig reflektiert dass man sich fragt, ob die Autorin die Leserschaft für begriffsstutzig hält. Da hätte ich mir etwas mehr Subtilität gewünscht.

Alles in allem ein durchaus lesenswerter Genremix, der mich allerdings nicht überzeugen konnte.

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Veröffentlicht am 23.05.2023

Einblick in bürgerliche Alltagsärgernisse vor über 100 Jahren

Ein bisserl schimpfen ein bisserl räsonieren
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In „Ein bisserl schimpfen, ein bisserl räsonieren“ hat Stefan Franke eine Auswahl an Lese/Beschwerdebriefen von 1909-1915 aus einer österreichischen Zeitung, der „Wiener Hausfrau“, zusammengestellt. Die ...

In „Ein bisserl schimpfen, ein bisserl räsonieren“ hat Stefan Franke eine Auswahl an Lese/Beschwerdebriefen von 1909-1915 aus einer österreichischen Zeitung, der „Wiener Hausfrau“, zusammengestellt. Die Briefe sind in 11 thematische Kategorien eingeteilt und zeichnen sich allesamt durch eine sehr höfliche Form des Beschwerens aus. Im Mittelpunkt stehen oftmals Aspekte, die auch heute immer wieder Konflikte aufkommen lassen, von der mangelhaften Hygiene anderer Personen, fehlerzogenen Kindern (und Ehemännern), Mode bis hin zu öffentlichen Verkehrsmitteln.
Manche Klagen könnten der Gegenwart entstammen, andere hingegen offenbaren Missstände des historischen Alltags, die wir glücklicherweise hinter uns gelassen haben. Der eine oder andere Leserbrief sprüht geradezu vor Tatendrang, nicht selten werden konstruktive Vorschläge vorgestellt und argumentiert, wie ich es in heutigen Leserbriefen vermisse.
Mit Farbschnitt, geringer Größe, festem Einband und den kurzen Lese-Etappen ist das Buch ein hübscher und amüsanter Reisegefährte.
Alles in allem eine sehr kurzweilige Lektüre, perfekt zum Lesen „zwischendurch“ und durch die schöne Optik sicher auch ein gutes Geschenk.

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Veröffentlicht am 23.05.2023

Fesselnder High Fantasy Reihenauftakt – mit Drachen

Fourth Wing – Flammengeküsst
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Violet, jüngste Tochter einer berühmt-berüchtigten Generalin Sorrengail, wird entgegen ihrem lebenslangen Wunsch Schriftgelehrte zu werden dazu gezwungen, Anwärter der Drachenreiter des Basgiath War College ...

Violet, jüngste Tochter einer berühmt-berüchtigten Generalin Sorrengail, wird entgegen ihrem lebenslangen Wunsch Schriftgelehrte zu werden dazu gezwungen, Anwärter der Drachenreiter des Basgiath War College zu werden. Dort haben sich ihre zwei älteren Geschwister große Namen gemacht. Doch das Auswahlverfahren nimmt keine Rücksicht auf Familiennamen und ist bekannt potenzielle Reiter zu töten, tatsächlich wird ein quasi-sozialdarwinistisches Aussortieren der „Schwachen“ durch die anderen Bewerber gefördert – und Violet ist mit einem Fantasy-Ehlers-Danlos-Syndrom (kurz: einer Bindegewebeschwäche) zweifelsohne eine der „Schwachen“…
Mit einem tödlichen Auswahlverfahren, Drachenreitern und ein paar Aspekten, die ich hier nicht nennen kann ohne zu Spoilern verbindet "Fourth Wing – Flammengeküsst" von Rebecca Yarros ein paar evergreen-cliché mit einem angenehm lesbaren Schreibstil, einer militärisch-dystopischen Atmosphäre und der einen oder anderen Überraschung. Das Ergebnis ist ein Roman, der Leser trotz seiner Länge von der ersten bis zur letzten Seite in den Bann zieht. Dem entsprechend erfolgt der Einstieg in die Handlung schnell und mühelos, das Ende ist befriedigend genug für einen vorübergehenden Abschluss, weckt allerdings durch einen gemeinen Plottwist den dringenden Wunsch nach Band 2.
Gut gefallen hat mir, dass ein größerer Schwerpunkt auf der Entwicklung der Protagonistin statt dem Liebessubplot lag. Auch die Drachen sind was ihre artspezifischen wie auch individuellen Wesenszüge angeht spürbar ausdifferenziert. Manch einem der Nebencharaktere hätte allerdings etwas mehr Tiefe gut getan und was die erwähnte Liebesgeschichte angeht: am ehesten lässt sie sich als „awkward colleagues with bad family history to lovers“ bezeichnen und ich glaube da ist eher von Lust als Liebe zu sprechen. Der Großteil der Anziehung ist physischer Natur, hoffentlich werden die Beiden im nächsten Band Gelegenheit haben, miteinander zu sprechen und sich wirklich kennenzulernen.
Und Stichwort hübsche Äußerlichkeit: Der Roman ist wunderschön gestaltet, mit einem prächtigen Farbschnitt und goldener Schutzhülle, unter der sich ein noch ansprechenderer Buchrücken versteckt…
Alles in allem empfehle ich den Roman an alle Fantasy-Leser. Der nächste Band kann nicht schnell genug erscheinen.

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Veröffentlicht am 21.04.2023

Ein anderer Blick auf Hastings

Die Kinder des Earls
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Der ein oder anderer mag mit dem Cover, dem Teppich von Bayeux, das Thema des Romans schon auf den ersten Blick erahnen, doch „Wilhelm der Eroberer“ und „Hastings 1066“ dürften jedem bekannt sein: Wilhelm, ...

Der ein oder anderer mag mit dem Cover, dem Teppich von Bayeux, das Thema des Romans schon auf den ersten Blick erahnen, doch „Wilhelm der Eroberer“ und „Hastings 1066“ dürften jedem bekannt sein: Wilhelm, Herzog der Normandie, der sich die angelsächsische Krone erkämpfte und damit das Verhältnis von England und Frankreich in den folgenden Jahrhunderten komplizierter machte.
Hier nun legt Felicitas Dietrich einen hervorragend recherchierten Roman vor, in dem die Geschichte von Seiten der angelsächsischen „Verlierer“ von Hastings erzählt wird. Den Kern bildet die Familie des Earls Godwin von Wessex, einem der mächtigsten Männer des Angelsachsens seiner Zeit. Doch unantastbar ist seine Stellung nicht und die Schicksale seiner Kinder entwickeln sich -wenn auch immer miteinander verwoben- zutiefst unterschiedlich.
Ich würde den Roman als historischer als die meisten anderen historischen Romane bezeichnen. Ereignisse und Entwicklungen werden verständlich erklärt bzw. als Teil der Handlung erzählt, ein Personenregister und Liste von Begriffen sind als Orientierungshilfen vorhanden. Vielleicht liegt es an der Bedeutsamkeit historischer Kontexte, doch der Roman hat sich für mich nicht als Abschalt-Lektüre geeignet.
Generell bin ich kein Freund von Prologen und Epilogen, aber der Epilog hier hat mir ausgesprochen gut gefallen, er bildet einen gelungenen Abspann des Buches.
Alles in allem kann ich den Roman allen empfehlen, die sich für englische Geschichte interessieren oder eine bekannt geglaubte Geschichte aus einer anderen Perspektive erleben möchten.

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Veröffentlicht am 03.04.2023

Die Lebensgeschichte eines Gesetzlosen

Der Paria
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Der Paria gehört ohne Zweifel zu den Romanen, die nur veröffentlicht wurden, weil der Autor sich bereits einen Namen gemacht hat. Das ist nicht abwertend gemeint. Der Roman lässt sich in keine der gegenwärtigen ...

Der Paria gehört ohne Zweifel zu den Romanen, die nur veröffentlicht wurden, weil der Autor sich bereits einen Namen gemacht hat. Das ist nicht abwertend gemeint. Der Roman lässt sich in keine der gegenwärtigen Genre-Kategorien gut einordnen: kein historischer Roman, kein Fantasy-Roman. Wie in vielen Low-Fantasy Büchern ist ein Gesetzloser hier Protagonist, doch wer hier nach konkreten Fantasy-Elementen sucht, wird enttäuscht werden.
Im Rückblick berichtet Alwyn dem Lesenden seine Lebensgeschichte. In einer komplexen, vielschichtigen Welt gerät er, Waisenkind, Gesetzloser, Schreiber, in den Sog der Ereignisse um einen Thronstreit und schwehlende religiöse Konflikte. Hierbei hat mir besonders gut gefallen, dass statt dem typischen Format Religion A versus Religion B auch verschiedene innerreligiöse Strömungen eine Rolle spielen. Aber das zeichnet die diversen Fraktionen hier generell aus: sie sind keine Monolithen.
Passend dazu trifft unser Protagonist mal gute, rational Entscheidungen und mal solche, bei denen man auf Anhieb Übles ahnt. Der starke Überlebenswille des Protagonisten gerät dabei in Konflikt mit Rache und persönlichem Ehrgefühl. Auch die Nebencharaktere, sympathische wie unsympathische, sind gut ausgeformt, sind erinnerungswürdig und interessant. Eine Liste am Ende ist vorhanden, aber eigentlich nicht notwendig.
Obwohl der Spannungsbogen nicht so hoch wie bei einem Thriller verläuft, konnte mich der Roman dennoch von Anfang an fesseln. Die Handlung entwickelt sich eher langsam, durchsetzt mit einigen konkreten Actionszenen. Gewalt wird dabei explizit, wenn auch nicht ausufernd, beschrieben. Der Abschluss passt und lässt genug offene Handlungsstränge für den nächsten Band.
Alles in allem kann ich den Roman allen empfehlen, die ein Buch nicht nur schnell runterlesen möchten, sondern eine Reise suchen.

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