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Veröffentlicht am 01.10.2024

Ein ungleiches Paar

Die vorletzte Frau
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Die Autorin Katja Oskamp schöpft in ihrem neuen lesenswerten Roman „Die vorletzte Frau“ autobiografisch geprägt aus ihrem eigenen Leben – ehrlich, schonungslos und intensiv beschreibt sie in fünf pointierten ...

Die Autorin Katja Oskamp schöpft in ihrem neuen lesenswerten Roman „Die vorletzte Frau“ autobiografisch geprägt aus ihrem eigenen Leben – ehrlich, schonungslos und intensiv beschreibt sie in fünf pointierten Kapiteln ihre 19 Jahre währende Liebe zu ihrem Lebensmenschen Tosch, dem berühmten, vielfach ausgezeichneten Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann.

Die Ich-Erzählerin und junge Mutter von Tochter Paula steckt in einer kaputten Ehe mit einem selbstverliebten Generalmusikdirektor, putzt sich zwanghaft die Zerrissenheit vom Leib und besucht wöchentlich eine Psychoanalytikerin, als sie im Literaturinstitut auf ihren 19 Jahre älteren Dozenten Tosch und ihre große Liebe trifft – auch er steckt in einer unglücklichen Beziehung und beide erleben ein sexuelles Erwachen, das Oskamp eindringlich schildert. Auch intellektuell inspirieren sich die beiden, tauschen sich tiefgehend über Literatur und das Schreiben aus, beschließen einen Zumutungspakt und verbringen von nun an ihr Leben mit „Sex und Text“ am Wochenende zusammen. Doch Tosch ist nicht nur wichtiger Mentor und Lektor, er ist auch freiheitsliebend, hat dominante Seiten und erkrankt später schwer an Prostatakrebs – ein noch stärkeres Ungleichgewicht entsteht, als Oskamp mehr und mehr zur Pflegerin ihres Mannes wird und sich selbst verliert.

Die Krankheit und ihre Auswirkungen auf den Alltag seziert Oskamp unbeschönigt sowie en détail und mutet ihren Leser*innen dabei viel zu – auf der anderen Seite versteht sie es auch, Humor sowie Lebensweisheit miteinzubinden und den Text flüssig-unterhaltsam zu halten. Bewegend erzählt sie von ihrem persönlichen Wendepunkt, als das pendelnde Dreieck Mutterschaft, Schreiben und Liebe langsam in sich zusammenbricht: Paula geht selbstständig ihren Weg und eine tiefe Schreibblockade taucht auf. Oskamp wird Fußpflegerin in Berlin, schreibt bittersüße Kolumnen über ihre Kundschaft und legt den Startschuss für ihren späteren erfolgreichen Roman „Marzahn, mon amour“.

Das Aufflammen und Abbrennen einer großen Liebe, eine lebensbedrohliche Krankheit mit ihren Zumutungen, der Weg einer unterwürfigen Frau zur selbstbewussten Schriftstellerin – ergreifend, selbstironisch und mit viel mutig-explizitem Klartext, der unter die Haut geht, stülpt Katja Oskamp offenherzig ihr Innerstes nach Außen und erzeugt viele intensive, lebensnahe Momente, die länger in Erinnerung bleiben.

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Veröffentlicht am 29.08.2024

Formen der Zufriedenheit

Glück
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Die Bestseller-Autorin Jackie Thomae erkundet mit ihrem neuen gelungenen Roman „Glück“ auf vielschichtige Weise die Frage, ob eine Frau auch ohne Kind ein zufriedenes, glückliches Leben führen kann. Dabei ...

Die Bestseller-Autorin Jackie Thomae erkundet mit ihrem neuen gelungenen Roman „Glück“ auf vielschichtige Weise die Frage, ob eine Frau auch ohne Kind ein zufriedenes, glückliches Leben führen kann. Dabei taucht sie tief in die Gedanken- und Gefühlswelten ihrer zwei weiblichen Protagonistinnen aus Berlin, die beide selbstbewusst im Leben stehen und dennoch mit dem tiefgreifenden Zweifel hadern, ob sie noch Kinder möchten. Kommt dieser Druck von Außen oder der inneren Stimme und was bedeutet für den Einzelnen Glück?

Marie-Claire (MC) Sturm ist Radiomoderatorin und Podcasterin, Ende Dreißig, Single und eigentlich zufrieden mit ihrem Leben – trotzdem schleicht sich immer wieder ein Schmerz in ihr Leben, der sie in kritisierenden Gedankenspiralen drängt: Möchte ich ein Kind? Anhand ihres Alltags, ihren Reflexionen und Charakteren aus ihrem Bekanntenkreis sowie ihrer Frauenärztin, die eine Pille zur längeren Fruchtbarkeit verspricht, gelingt Jackie Thomae ein eindringliches Porträt einer modernen Frau und ihrer Kinderfrage. Dabei verwebt sie noch die Biografie von Anahita Martini, einer erfolgreichen Politikerin und Familiensenatorin, die an der selben existenziellen Wegegabelung in der Mitte des Lebens steht und auf Marie-Claire trifft. Auch in ihr Leben und ihren Wünschen gibt die Autorin einen feinfühligen Einblick und spickt die beiden Lebensläufe noch mit anderen weiblichen Perspektiven aus dem näheren Umfeld.

Erfrischend, authentisch und humorvoll-scharfsinnig stellt die Autorin Frauen vor, die der biologischen tickenden Uhr gegenüberstehen und eröffnet gleichzeitig klug ein Panorama an Facetten, warum Frauen keine Kinder bekommen möchten oder eben doch – während Männern eine erheblich längere Spanne zur Reproduktionsfähigkeit zusteht. Unterhaltsam, tiefgründig und pointiert erörtert sie anhand ihrer weiblichen Figuren gesellschaftliche Normen, innere Glaubenssätze und vielschichtige Emotionen rund um die Kinderfrage. Ein lesenswerter Roman mit viel zeitgenössischen Themen, die Thomae lässig, präzise und erzählfreudig verbindet.

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Veröffentlicht am 23.07.2024

Filter der Erinnerung

Das Pfauengemälde
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Die junge Autorin Maria Bidian schickt in ihrem lesenswerten Debüt „Das Pfauengemälde“ ihre Protagonistin Ana nach Rumänien, in die Heimat ihres Vaters, um ein ehemals enteignetes Haus wieder in Familienbesitz ...

Die junge Autorin Maria Bidian schickt in ihrem lesenswerten Debüt „Das Pfauengemälde“ ihre Protagonistin Ana nach Rumänien, in die Heimat ihres Vaters, um ein ehemals enteignetes Haus wieder in Familienbesitz zu nehmen und vor allem, um bewegend ihre eigene Identität und Erinnerungen neu zusammenzusetzen.

Ana hat den plötzlichen Tod ihres Vaters Nicu vor zwei Jahren noch nicht richtig verkraftet und hat mit inneren Unruhezuständen zu kämpfen – als letztes hat er ein sagenumwobenes Pfauengemälde aus dem Familienbesitz gesucht, aber nicht gefunden. Damals hatte Ana kein Interesse ihm zu helfen, heute reist sie nach Rumänien zu ihren vielen Verwandten und sieht das Land nun mit anderen Augen durch den Filter ihrer Erinnerungen und Geschichten. Gemeinsam erledigen sie turbulente Behördengänge, durchforsten das wiedererhaltene Haus und gehen auf eine krimihafte Suche nach dem mysteriösen Gemälde. Wie das Land ist Ana hin- und hergerissen zwischen Vergangenheit und Zukunft, alten und neuen Geschichten an den Orten ihrer Kindheit und sucht noch nach ihrer Verwurzelung im Leben und nach den vielen Gesichtern ihres verstorbenen Vaters.

Humorvoll und doch mit Tiefgang und Liebe zu Details, Geschichten und Menschen ist Maria Bidian ein emotionales, unterhaltsames und flüssig geschriebenes Debüt gelungen, das splitterhaft und feinfühlig die vielen Facetten der rumänischen Geschichte zwischen der Ceauşescu-Diktatur bis zur Moderne auffängt. Dabei kreiert Bidian wundervoll-poetische Sprachbilder, die das seelische Befinden der Protagonistin sowie Land und Leute präzise einfangen und webt rumänische Dichtungen sowie Sprache in die Erzählung mit vielen liebevollen Charakteren mitein. Feinfühlig schildert Bidian die innere und äußere Reise von Ana, die packend und traurig-schön ihre eigene Geschichte und die vielen Geschichten ihrer Familie in einem gespaltenen Land neu zusammenfügt und sich ihrer Trauer stellt. Ein tolles Debüt.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Episoden eines Lebens

Mit den Jahren
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Janna Steenfatt beschreibt in ihrem zweiten Roman „Mit den Jahren” auf feinfühlig-kluge Weise die verschiedenen Lebensentwürfe und intimen Augenblicke dreier Menschen in ihren 40er-Jahren in Leipzig. Dabei ...

Janna Steenfatt beschreibt in ihrem zweiten Roman „Mit den Jahren” auf feinfühlig-kluge Weise die verschiedenen Lebensentwürfe und intimen Augenblicke dreier Menschen in ihren 40er-Jahren in Leipzig. Dabei verweben sich ihre Wege und es bildet sich eine spannende Dreier-Konstellation, bei der unterschiedlichste Ängste, Wünsche und Vorprägungen intensiv aufeinanderprallen.

Der Künstler Lukuas und die Lehrerin Eva sind seit knapp 20 Jahren ein Paar, verheiratet, haben zwei Kinder und haben sich in ihrem Leben soweit eingerichtet – trotzdem ist ihr Zusammensein von stiller Einsamkeit, unerfüllten Sehnsüchten und Unausgesprochenem belastet. Lukas verbringt neben seiner Arbeit im Atelier zu Evas Missgunst viel Zeit in seiner Lieblingskneipe und trifft dort auf die unabhängige Jette – sie ist Single, hat prekäre Arbeitsverhältnisse, möchte ein Buch schreiben und steht eigentlich auf Frauen. Es entwickelt sich eine zaghafte Affäre mit Auf und Abs, aus der jeder verändert hervorgeht und die viele reflektierende Gedankengänge in jedem der drei Protagonisten lostritt – und auch Eva wird Jette kennenlernen.

Janna Steenfatt gelingt es auf eindringliche Art, in jede ihrer drei Figuren tief einzutauchen und die facettenreiche Seelenwelt aus der jeweiligen Perspektive aufzublättern – kleine, feine, aneinandergereihte Augenblicke untermalen die Zweifel und vielschichtigen Reflexionen von Lukas, Eva und Jette, während alle mit ihrem bisherigen Leben zweifeln und sich fragen, ob ein anderes nicht besser wäre. Ausbrechen oder Bleiben? Gedanken, die bestimmt viele in ihren 40er-Jahren kennen und sich wiedererkennen werden. Dabei bleibt Steenfatt stets subtil humorvoll und keineswegs larmoyant, wenn sie die Irrungen und Wirrungen ihrer dicht ausgearbeiteten Protagonisten nachzeichnet.

Ein realitätsnaher, authentischer und lesenswerter Roman mit vielen schlauen Gedanken und eindringlichen Szenen aus dem (Beziehungs-) und (Arbeits-)Leben, das gekonnt und faszinierend mit den individuellen Lebenskonzepten jongliert.

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Veröffentlicht am 31.01.2024

Regeln der Kehilla

Die Hoffnung der Chani Kaufman
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Mit dem packenden Roman „Die Hoffnung der Chani Kaufman“ setzt Autorin Eve Harris die Geschichte von Chani in einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde fort – bewegend, authentisch und teils trotz ernsten Themen ...

Mit dem packenden Roman „Die Hoffnung der Chani Kaufman“ setzt Autorin Eve Harris die Geschichte von Chani in einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde fort – bewegend, authentisch und teils trotz ernsten Themen mit einer Brise Humor zeigt sie einen tiefen Einblick in die sehr strengen Regeln einer orthodoxen Kehilla und zeichnet ein authentisches Bild voller starker Frauen.

Chani und ihr Ehemann Baruch sind glücklich verheiratet, leben nach den Vorgaben und Traditionen ihrer jüdischen Gemeinde und Baruch möchte Rabbiner werden. Zu den von den Männern vorgegebenen Regeln gehört, dass die Frau dem Mann Kinder schenken muss und die Empfängnis muss in der „reinen Zeit“ passieren. Doch Chani hat von Spezialisten erfahren, dass ihr Eisprung noch in der unreinen Phase entsteht und das gläubige Paar steht vor einer großen Gewissensfrage. Chanis schwierige Schwiegermutter wittert schon die Chance, die Zwei auseinanderzubringen und schmiedet Intrigen.

In weiteren Erzählsträngen schildert Harris ergreifend das turbulente Leben von Rivka, ihrem Mann Chaim und den Söhnen: Rivka hat die orthodoxe Gemeinde ohne ihre Kinder verlassen, was zu großen Auswirkungen geführt hat – Chaim muss sich scheiden lassen und eine neue Frau finden, während Rivka und ihr kleinster Sohn beschimpft und bedroht werden. Der älteste Sohn Avromi schlittert währenddessen in eine tiefe Glaubenskrise, möchte das moderne Leben mit Frauen in Einklang mit den rigiden Regeln bringen und nimmt sich eine Auszeit in Tel Aviv.

Der gelungene, feinfühlige Roman glänzt durch seine emotionale Bandbreite an menschlichen Gefühlen – die Protagonisten hoffen, zweifeln, beten und manche Frauen brechen selbstbestimmt aus den starren Zwängen aus. Mit vielen jiddischen Begriffen, die im hinteren Glossarteil erläutert werden, zeichnet Harris ein tiefgreifendes, dichtes Bild vom traditionellen Leben in einer orthodoxen Glaubensgemeinschaft mit allen Höhen und Tiefen. Eine lesenswerte, flüssig geschriebene Fortsetzung, die auch ohne den ersten Teil zu kennen verständlich ist und tief in den Lesesog zieht.

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