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Veröffentlicht am 21.03.2021

Gedächtnis verrutscht

Stay away from Gretchen
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»›Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten‹, soll August Bebel gesagt haben. Ich wünsche Ihnen eine geruhsame Nacht.« Auf diesen Spruch wartet die 84-jährige ...

»›Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten‹, soll August Bebel gesagt haben. Ich wünsche Ihnen eine geruhsame Nacht.« Auf diesen Spruch wartet die 84-jährige Greta jeden Abend vor dem Fernseher, zum Abschluss der Nachrichten, die Tom, ihr Junge, moderiert. Greta wohnt allein in einer Wohnung mit einhundertsechzig Quadratmetern. Ihr Mann ist schon seit 18 Jahren verstorben. Wann hatte sie ihren Sohn zum letzten Mal persönlich gesehen, er wohnt doch nur wenige Kilometer von ihr entfernt? Sie ruft ihn an, bemerkt dabei gar nicht, dass sie nur auf Band spricht.

Ich habe tatsächlich die Luft angehalten, als sich die alte Dame ins Auto setzt und nach Irrwegen auf der Autobahn landet, wo sie hilflos hinter ihrem Steuer sitzt. Vier Stunden ist sie unterwegs bevor sie mit leerem Tank liegenbleibt und aufgegriffen wird. Sie ist völlig verwirrt. Dringender Verdacht auf Demenz, sagt der Arzt im Krankenhaus zu Thomas

So startet die Geschichte in der Gegenwart. Doch es gibt auch noch Gretas Geschichte in der Vergangenheit und die beginnt mit dem 1. September 1939, als der Schuldirektor verkündet: "Jetzt ist Krieg!" und endet im Juli 1953. Und diese Geschichte ist über allen Maßen spannend, berührend, grausam, menschlich und unmenschlich zugleich.

Greta verbringt ihre Kindheit in Ostpreußen, als der Vater in den Krieg muss. Ihr wird als Kind die Nazi-Propaganda eingepflanzt und so verehrt sie, wie so viele, diesen Adolf Hitler. Dann gilt ihr Vater in Russland als verschollen und die Familie befindet sich auf der Flucht vor der anrückenden russischen Armee. Unvorstellbar, was Greta und ihrer Familie widerfahren ist. Auch als Flüchtlinge sind sie nirgend willkommen. Ich kann mich jetzt umso besser in die Flüchtlinge versetzen, die in der heutigen Zeit aus Kriegsgebieten nach Deutschland kommen. Auch sie sind von vielen hier nicht erwünscht und auch das faschistische Gedankengut ist bereits wieder in vielen Köpfen vorhanden.

In Heidelberg lernt sie die schwarzen GI Robert Cooper kennen. Hier lesen wir von Rassismus der Gis in den eigenen Reihen. Die schwarzen Soldaten dürfen zwar in den Krieg ziehen und ihr Vaterland verteidigen, sind jedoch weniger Wert als ein weißer Soldat. Ich möchte hier nicht zu viel von der Geschichte verraten. Mich haben gerade dieser Rassismus und die Mischlingsproblematik stark betroffen gemacht.

Von all dem hatte Thomas nichts gewusst. Seine Mutter hat nie davon gesprochen. Allmählich bekommt er eine Ahnung vom Leben seiner Mutter
Tja, und nun zum Hauptprotagonisten. Ich mochte Thomas anfangs überhaupt nicht. Er wurde mir zunehmend unsympathischer. Er ist ein typischer Vertreter der Generation „Ellbogen“, für die nur ein Höher/Größer/Weiter/Schneller zählt. Ich fand es seine arrogante Art, besonders seiner Ersatzassistentin Jenny gegenüber, abscheulich. Allerdings gewinnt er im Laufe der Geschichte, und je mehr er über seine Mutter erfährt, an Menschlichkeit. Gretchen mochte ich. Sie weiß, dass was nicht mit ihr stimmt und das macht ihr Angst. Sie versucht es zu vertuschen. Interessant ist, dass sie, trotz Demenz, noch in der Lage ist Kreuzworträtsel zu lösen. „Das Gedächtnis verrutscht im Alter“, sagt Greta. In ihren jungen Jahren hat Greta mehr aushalten müssen, als man sich vorstellen kann. Ich hielt beim Lesen oft die Luft an.

Der Schreibstil der Autorin ist gut lesbar und voller Dramatik. Susanne Abel lässt den Leser in eine andere Zeit eintauchen. Man fühlt sich mitten im Geschehen. Ich habe mitgelebt und gelitten. Die Charaktere sind lebensecht.

Fazit: Ein grandioser gut recherchierter Debütroman, der mich jede Sekunde fesseln konnte.

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Veröffentlicht am 19.03.2021

Voll witziger Comicroman!

Das ungeheimste Tagebuch der Welt!, Band 1: Wie mein bescheuerter Bruder Klassensprecher in meiner Klasse wurde … (Comic-Roman aus zwei Perspektiven für Kinder ab 10 Jahren)
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Karline und Paul sind Geschwister einer Patchwork-Family. Als Paul in der Schule hängenbleibt, kommt er in Karlines Klasse und wird zu allem Übel auch noch Klassensprecher. Kein Wunder das Karline voll ...

Karline und Paul sind Geschwister einer Patchwork-Family. Als Paul in der Schule hängenbleibt, kommt er in Karlines Klasse und wird zu allem Übel auch noch Klassensprecher. Kein Wunder das Karline voll genervt ist.

Karline bekommt Pauls Tagebuch sprich TABU zufällig in die Hände und lässt es sich nicht nehmen, ausgiebig darin zu lesen. Paul will ein berühmter DJ werden. Einfach lächerlich, der Typ. Auch Karlines Tagebuch kommen wir zu lesen und erfahren so was in den beiden vorgeht.

Und gerade das ist voll cool, wie meine Enkelin sagt, dass der Leser beide Perspektiven kennenlernen darf. Text und Illustrationen sind super gelungen. Es macht auch als Erwachsener Freude im Buch zu blättern und zu lesen.

Wer Gregs Tagebuch mag wird auch „Das geheimste Tagebuch der Welt“ mögen. Mir hat es Spaß gemacht und meine Enkeltochter liebt es. Wir freuen uns schon auf den zweiten Band!

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Veröffentlicht am 19.03.2021

Kopf oder Zahl?

Du kannst kein Zufall sein
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Joshs gutdurchdachter Heiratsantrag in der Silvesternacht im berühmten Riesenrad London Eye endet in einem Desaster. Jade, seine Angebetete lehnt den Antrag ab. Ja, sie ist verliebt… aber nicht in Josh, ...


Joshs gutdurchdachter Heiratsantrag in der Silvesternacht im berühmten Riesenrad London Eye endet in einem Desaster. Jade, seine Angebetete lehnt den Antrag ab. Ja, sie ist verliebt… aber nicht in Josh, sie liebt einen anderen. Josh verliert damit nicht nur die Freundin, auch der Job und die Wohnung sind dahin. So zieht er peinlicherweise wieder bei seinen Eltern ein. Hinzu kommt, Josh zweifelt an sich und glaubt, nicht fähig zu sein, richtige Entscheidungen zu treffen. So kommt er auf die fixe Idee, zumindest ein Jahr lang, jede Entscheidung mit dem Wurf einer Münze dem Zufall zu überlassen. Dann begegnet Josh beim London-Marathon dieser ganz besonderen Frau, leider verliert er sie auch gleich wieder aus den Augen. Klar, macht er sich auf die Suche.

Ich kann mir nicht helfen, von diesem Debütroman hatte ich mir ehrlich gesagt mehr versprochen. Die Handlung war für meinen Geschmack viel zu schwerfällig um Humor aufkommen zu lassen. Der Erzählstil des Autors konnte mich nicht packen. Die erste Szene im London Eye war weder lustig noch konnte sie mich berühren. Ich konnte nicht mitfühlen, mit dem armen Kerl. Ich empfand mich nur als außenstehenden Beobachter. Auch die umfunktionierte Verlobungsparty plätschert ohne Spuren zu hinterlassen dahin. Es gelang mir nicht, zu Josh, dem Hauptprotagonisten eine gefühlsmäßige Nähe herzustellen. Auch die anderen Protagonisten empfand ich als schwach. Schade!

Unterhaltsame Lektüre liest sich normalerweise flott weg, man möchte wissen, wie geht es weiter und kann das Buch kaum aus der Hand legen. Und sie entlockt einem zumindest ab und zu ein Schmunzeln. All das habe ich bei diesem Roman vermisst.

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Veröffentlicht am 15.03.2021

Krass, bunt, aber …zu viel

Mädchen, Frau etc. - Booker Prize 2019
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Ich muss gestehen, mit dem Einstieg in dieses Buch hatte ich Schwierigkeiten. Ich dachte schon: „Auweia, nicht mein Fall.“ Nach ca. 30 Seiten hatte ich mich jedoch festgelesen und fand die Geschichten ...


Ich muss gestehen, mit dem Einstieg in dieses Buch hatte ich Schwierigkeiten. Ich dachte schon: „Auweia, nicht mein Fall.“ Nach ca. 30 Seiten hatte ich mich jedoch festgelesen und fand die Geschichten der Frauen total interessant und packend.

Die Schreibweise, mit den fehlenden Satzzeichen ist tatsächlich etwas gewöhnungsbedürftig. Aber auch dies empfindet man nach einigen Seiten nicht mehr als störend. Der Inhalt fesselt, ja er ist sogar extrem spannend. Selbstbewusste, starke Frauen erkämpfen sich ihren persönlichen Weg. Es ist faszinierend, aus den einzelnen Perspektiven in eine für mich fremde Welt einzutauchen.

Jede einzelne Frau hat etwas, was mich ungemein anspricht. Da ist Ama, anarchistische, lesbische Feministin, Jazz, ihre Tochter, Carol und ihre Mutter Bummi, Shirley, die Lehrerin und noch viele andere beeindruckende Frauen.

Spannend fand ich Dominiques Geschichte, die in einer toxischen lesbischen Beziehung zu der Voodooqueen Nzinga gefangen ist. Nzinga, ihre angebliche Seelenverwandte, vereinnahmt sie, bewacht sie eifersüchtig, bestimmt ihr Leben und wird am Ende sogar gewalttätig.

Leider erschlägt einem gerade diese Vielfalt an Frauen und Schicksalen im Laufe der Geschichte vollends. Die Autorin hat einfach zu viel in diesen Roman gepackt. So spannend ich die Lebenswege der einzelnen Protagonistinnen auch finde, irgendwann wird es einem einfach zu viel. Es ist wie mit einer leckeren Torte, das erste Stück schmeckt himmlisch, das zweite ist noch immer gut, aber spätestens beim dritten Stück, bekommt man es über. Genauso erging es mir mit diesem Buch.

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Veröffentlicht am 14.03.2021

Geht unter die Haut

Das achte Kind
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Der Autor und Journalist Alem Grabovac verarbeitet in „Das achte Kind“ fiktiv seine Familiengeschichte in einer ehrlichen und zu tiefst berührenden Geschichte, die sich allerdings als harter Tobak herausstellt.

Die ...

Der Autor und Journalist Alem Grabovac verarbeitet in „Das achte Kind“ fiktiv seine Familiengeschichte in einer ehrlichen und zu tiefst berührenden Geschichte, die sich allerdings als harter Tobak herausstellt.

Die Geschichte beginnt in den siebziger Jahren. Die Mutter Smilja wächst in extremst ärmlichen Verhältnissen in Kroatien auf. Sie lernt den Bosnier Emir kennen und lieben. Sie kommen beide mit großen Hoffnungen als Gastarbeiter nach Deutschland und finden auch schnell eine Arbeit. Doch während der Mutter fleißig und zuverlässig ist, ist der Vater ein verantwortungsloser Tunichtgut. Er treibt sich lieber in Kneipen rum. Als Alem 1974 geboren wird, ist es Smilja klar, dass sie nicht zuhause bei ihrem Baby bleiben kann, und auf Emir ist kein Verlass. Sie findet schließlich eine deutsche Pflegefamilie bei der Alem, während der Woche, als achtes Kind aufwachsen kann. Es zerreißt ihr das Herz, aber es ist letztendlich die beste Entscheidung für das Kind. Emir entwickelt sich zum Kleinganoven. Als ihm in Deutschland der Boden zu heiß wird, irgendwelche Typen sind hinter ihm her, setzt er sich in seine Heimat ab und landet später im berüchtigten Gefängnis Goli Otok in Jugoslawien. Smilja findet einen neuen Partner. Doch auch Dusan ist ein gewalttätiger Säufer, bei dem Alem, der die Wochenenden bei seiner Mutter verbringt, nichts zu lachen hat. Alem wächst auf in den Glauben, dass sein Vater bei einem Arbeitsunfall ums Leben kam.

Mich hat die Geschichte gepackt. Scheinbar emotionslos erzählt der Autor von Alem. Der schlichte und schnörkelloser Schreibstil wirkte umso drastischer. Der Roman ist in drei Bücher unterteilt. Im ersten geht es um die Mutter Smilja, das zweite ist Alem gewidmet und im letzten Buch geht es um Emir.

Von allem Protagonisten hat konnte die Pflegemutter mein Herz erreichen. Sie hat sich für Alem eingesetzt und ihn in ihre Familie aufgenommen wie ein eigenes Kind. Ihr Mann hat leider meine Sympathien verloren, als sich nach und nach herausstellte, dass er ein alter unverbesserlicher Nazi ist, der aus der Geschichte nichts gelernt hat. Alems Mutter tat mir leid. Die mutige junge Frau aus dem ärmlichen Kroatien, schaffte es nicht sich gegen ihre Männer zu behaupten. Mit Alem selber hatte ich großes Mitleid. Ich habe mit dem kleinen Kerl sehr gelitten und fand es erstaunlich, dass er sich trotz dieser schlechten Ausgangsbedingen seinen Weg in ein gutes Leben gefunden hat.

Es geht in diesem Roman um die Problematik der Migration von Gastarbeitern in den 70iger Jahren, um nicht aufgearbeitete Geschichte, um die ewig Gestrigen, um innerfamiliäre Gewalt, nicht zuletzt um Schuld und Vergebung.

Ein Buch das unter die Haut geht. Allerdings keine leichte Lektüre.

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