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Veröffentlicht am 09.10.2017

Gelungenes Debüt

Ginny Moon hat einen Plan
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Ginny Moon ist ein ganz besonderes Mädchen, denn sie ist Autistin und sieht die Welt in ihren eigenen Farben. Alles muss für sie nach Regeln erfolgen, sonst gerät ihre Welt aus den Fugen. Seit sie 9 Jahre ...

Ginny Moon ist ein ganz besonderes Mädchen, denn sie ist Autistin und sieht die Welt in ihren eigenen Farben. Alles muss für sie nach Regeln erfolgen, sonst gerät ihre Welt aus den Fugen. Seit sie 9 Jahre alt ist, lebt sie bei verschiedenen Adoptiveltern. Ihre jetzigen Adoptiveltern scheinen ein echter Glücksgriff zu sein, doch als diese ein eigenes Baby bekommen, verändert sich das Verhältnis zu ihrer Adoptivtochter. Ginny's Welt gerät unfreiwillig in Schieflage: ihr leiblicher Vater taucht eines Tages auf und Ginny selbst will unbedingt ihre leibliche Mutter finden und nimmt dafür sogar eine Entführung in Kauf.

Mit "Ginny Moon hat einen Plan" hat Benjamin Ludwig sein Debüt geliefert und gleichzeitig einen wirklichen Glücksgriff gemacht. Denn aus meiner Sicht ist ihm hier wirklich ein sehr authentischer und auch einfühlsamer Roman über das Leben der 14-jährigen autistischen Ginny gelungen. Ginny ist ein ganz besonderer Mensch und das wird bereits auf den ersten Seiten dieses 380 Seiten starken Buchs sehr deutlich. Anfangs fiel es mir etwas schwer mich in die Schreibweise hinein zu finden. Aber der Roman wurde bewusst aus der Perspektive einer Autistin geschrieben und das macht ihn für mich sehr authentisch und daher in manchen Punkten vielleicht auch schwer begreifbar. Als Hauptcharakter war mir Ginny von Anfang an sehr sympathisch, wenn auch in ihren Gedankengängen etwas gewöhnungsbedürftig. Man versteht anfangs nicht, warum sie unbedingt zu ihrer leiblichen Mutter, die sie vernachlässigt und misshandelt hat, zurückkehren will. Doch dann versteht man zunehmend, dass Ginny auf ihre Art sehr einfühlsam ist und es ihr nur schwer fällt, ihre Umgebung das begreiflich zu machen. Insofern ist der Roman auch gleichzeitig eine Geschichte, die berührt und gleichzeitig aufrütteln möchte. Aber auch verzweifelt werden lässt, aufgrund der Bemühungen von Ginny ihrer Adoptivfamilie zu "entkommen". Mich als Leser hat sie zum Nachdenken gebracht, wie wir als Gesellschaft selbst mit Behinderten umgehen und hat mir zumindest ansatzweise zu verstehen gegeben, wie Autisten die Welt um sich herum wahrnehmen. Ein Fazit: Eine absolut lesenswerte Geschichte einer Autistin. Und ohne Zweifel ein sehr einfühlsamer und gleichzeitiger aufrüttelnder Roman, der ohne gehobenen moralischen Zeigefinger auskommt.

Veröffentlicht am 24.09.2017

Neshovs 4.0 - wo bitte geht's zum Familienhof?

Sonntags in Trondheim
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Norwegens bekannteste Familie ist zurück: Die Neshovs. Nach der Erfolgstrilogie von Anne B. Radge "Das Lügenhaus" folgt nun die unerwartete Fortsetzung. Die Familie hat sich mittlerweile auseinander gelebt, ...

Norwegens bekannteste Familie ist zurück: Die Neshovs. Nach der Erfolgstrilogie von Anne B. Radge "Das Lügenhaus" folgt nun die unerwartete Fortsetzung. Die Familie hat sich mittlerweile auseinander gelebt, nachdem vor Jahren die Erbin des Hofes Torunn die Familie Hals über Kopf verließ, um mit einem Schlittenhunde-Züchter glücklich zu werden. Opa Neshov lebt in einem Altersheim, fühlt sich dort pudelwohl und will unter keinen Umständen auf den Hof zurückkehren. Sein Sohn Margido besucht ihn ab und zu, führt aber ansonsten ein wenig spektakuläres Leben als Einzelgänger und Bestattungsunternehmer. Sein Bruder Erlend lebt inzwischen in Kopenhagen und hat mit seinem Lebensgefährten inzwischen eine Patchwork-Familie mit 3 Kindern gegründet. Viel Spektakuläres hat das Leben der Neshovs nicht zu bieten, bis Torunn eines Tages den Wert von Familie wiederentdeckt und auf den Hof als Erbin zurückkehrt.

Die Serie "Das Lügenhaus" ist eine von Norwegens Bestellerserien gewesen. Und so war ich persönlich sehr neugierig auf den vierten Teil der Erfolgsgeschichte. Das Cover versprach schon eine humorvolle und unterhaltsame Geschichte, obwohl der Titel "Sonntags in Trondheim" sich mir nicht auf Anhieb erschloss. Die Klappengestaltung, besonders die Kurzbiografien der Familienmitglieder und der Stammbaum, waren für mich als "Späteinsteiger" sehr hilfreich. Denn so haben sich die Familienverhältnisse für mich gut erschlossen und die Hintergründe wurden nachvollziehbar. Wie bei vielen Serien muss man durchaus die Trilogie gelesen haben, um so manche Handlung und auch das Gesagte zu verstehen. Das erleichterte nicht immer sofort den Lesefluss, obwohl ich das Buch sprachlich, erzählerisch sehr gut und locker geschrieben finde. Alle Charaktere fand ich auf Anhieb sympathisch. Torunn als Hauptfigur sticht sofort heraus und macht in ihrer Entwicklung die größten Sprünge, von einer mittlerweile frustrierten Frau in den 40igern, die in ihrer Beziehung zu einem Schlittenhundezüchter zunehmend von einer jungen Frau ersetzt wird. Bis hin zu einer selbstbewussten Frau, die ihr Leben in die Hand nimmt und sich ihrer Vergangenheit, sowie ihrer familiären Pflicht, den Hof der Neshovs zu übernehmen, stellt. Dahingegen wirken die Handlungsstränge von Margido und seinem Bruder Erlend komplett gegensätzlich. Erlend führt ein turbolentes Leben als Familienvater, der große Angst vor der Verantwortung hat und der erst lernt, den Wert von Familie wirklich zu schätzen. Und Margido, der in einem eintönigen Leben gefangene Bestattungsunternehmer, dem aber Verantwortung und Familie über alles geht. Im Kern geht es um den Wert von Familie und die Verantwortung füreinander. Obwohl wunderbar geschrieben, kann das Buch mich nicht wirklich überzeugen und bleibt für mich über weite Strecken eher "blass". Die Handlungen laufen überwiegend nebeneinander her und weisen nicht wirklich Highlights oder besondere Spannungsmomente auf. So ist es für eingefleischte "Lügenhaus"-Fans ein schönes Wiedersehen mit Norwegens sonderbarster Familie. Für mich war es eher ein unterhaltsamer, aber dennoch meist farbloser Familienroman.
Mein Fazit: Gut geschriebene, unterhaltsame Familiengeschichte, mit wenig Highlights.

Veröffentlicht am 24.09.2017

Familiengeheimnisse oder die Reise zu den eigenen Wurzeln

Slawa und seine Frauen
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Felix Stephan berichtet in diesem autobiographischen Debütroman über die Geschichte seiner eigenen Familie(zusammenführung). Seine Großmutter hat als junge Frau in Leningrad studiert und sich dort in den ...

Felix Stephan berichtet in diesem autobiographischen Debütroman über die Geschichte seiner eigenen Familie(zusammenführung). Seine Großmutter hat als junge Frau in Leningrad studiert und sich dort in den Ukrainer Slawa Fahlbusch verliebt. Die Liebesgeschichte hatte kein Happy-End. Aber Felix Großmutter bekam eine Tochter, die ohne ihren Vater in der ehemaligen DDR aufwächst und erst als Jugendliche erfährt, wer ihr Vater ist. Mit 51 unternimmt sie mit ihrem Sohn Felix eine Reise in die Ukraine, um die Familie ihres Vaters kennen zu lernen, der inzwischen verstorben ist. Es wird eine interessante Begegnung verschiedener Kultur(kreise) und auch eine Reise in die Vergangenheit, bei der der Autor erfährt, wer sein Großvater war, aber auch dass seine Familie alles daran setzt, Slawa nur im besten Licht erscheinen zu lassen.
Was in der Leseprobe wie ein echt interessanter, humorvoller Roman erschien, konnte leider weder meinen Geschmack treffen, noch hat es meine Erwartungen erfüllt. Der Autor hat einen sehr guten sprachlichen Stil. Die Covergestaltung hätte mich neugierig gemacht und auf eine sehr humoristische Verarbeitung der DDR- bzw. Ostblock-Vergangenheit der Familie des Autors hoffen lassen. Die Gegensätzlichkeit beider "Kulturkreise" gelingt dem Autor schon ziemlich gut. Aber leider gelingt es ihm nicht, aus der doch sehr interessanten Familienkonstellation - Vater ist ukrainischer Jude, seine Familie lebt noch in der Ukraine und der Halbbruder der Mutter lebt in Israel - einen wirklich spannenden Familienroman zu machen. Die Geschichte "dümpelt" über weite Strecken nur so dahin, als Felix, seine Freundin aus Paris und seine Mutter, mehrmals die Familie in der Ukraine besuchen und so immer tiefer in die Geschichte um Slawa eintauchen. Slawa selbst bleibt für mich sehr unpersönlich und taucht nur in den Erzählungen von überlebenden Bekannten und Familienangehörigen auf. Der Autor lässt sogar durchblicken, dass er das Gefühl hat, seinen Großvater nie ganz greifen zu können, da nie klar war, ob die Bekannten Slawa so schildern, wie er wirklich war oder wie er von seinen überlebenen Nachkommen gern wahrgenommen werden möchte. Und so bleibt für mich die klare Frage, was der Autor hier mal abgesehen von der ungewöhnlichen Geschichte einer Familienzusammenführung wirklich erzählen möchte.

Veröffentlicht am 10.09.2017

Mörderjagd im Wildgehege

Wildfutter
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Vitus Pangratz, pensionierter Kriminalkommissar, genießt seinen Ruhestand und sein neues Hobby: Er geht gern im Wildpark Blindham auf die Pirsch, um dort Wildschweine in freier Natur zu fotografieren. ...

Vitus Pangratz, pensionierter Kriminalkommissar, genießt seinen Ruhestand und sein neues Hobby: Er geht gern im Wildpark Blindham auf die Pirsch, um dort Wildschweine in freier Natur zu fotografieren. Doch eines nachts entdeckt er mitten im Gehege die angenagte Hand eines schon seit längerer Zeit vermissten Jugendfußballtrainers Marius Wild, genannt "der Tiger". Da die örtliche Polizei aus seiner Sicht vollkommen unfähig zu sein scheint, fängt Vitus selbst an, Nachforschungen zu machen. Unterstützt wird er dabei von seiner Tochter Jo (Johanna) Coleman, die als engagierte, aufstrebende Lokalreporterin, auf der Suche nach einer sensationellen Story ist. Dabei geraten beide in ein Netz von Lügen, kuriosen Affären und schon bald auf die Fährte des Mörders...
Wildfutter ist eine Kriminalgeschichte aus Rosenheim, die mit viel bayerischem Lokalkolorit daherkommt. Man spürt richtig die bayerische Urgemütlichkeit. Vitus und Jo haben mir als Hauptfiguren sehr gut gefallen. Der früh verwitwete, etwas unkonventionell ermittelnde Kommissar und seine frisch geschiedene 37-jährige Tochter sind ein tolles Gespann, die mir auf Anhieb sehr sympathisch waren. Die Vater-Tochter-Beziehung gehört zu den Hauptträgern dieses Kriminalromans, weil beide sich bei der Verbrecherjagd gegenseitig unterstützen und ihre eigenen Recherchen im Umfeld des Opfers Marius Wild unternehmen. Beide stürzen sich dabei auf ihre Weise in ein Liebesabenteuer: Jo mit einem verheirateten Mann und Vitus entdeckt den zweiten Liebesfrühling, nachdem er über viele Jahrzehnte als Wittwer alleine gelebt hatte. Grundsätzlich fand ich, dass sich die Autorin für meinen Geschmack etwas zu sehr auf die beiden Liebesabenteuer fokussiert hat. Dadurch verlor die Handlung leider etwas an Spannung. Denn man wird durchaus als Leser etwas in die Irre geführt. Glaubt man gleich zu Beginn den Täter scheinbar zu kennen, wird man bald eines Besseren belehrt und fiebert bis zum Schluss weiter. Allerdings hat mir der ganze Handlungsstrang mit den Liebesabenteuern dabei das Lesen etwas schwer gemacht und konnte mich nicht restlos begeistern. Gut recherchiert hingegen, empfand ich die Hintergründe zur Jugendfußball-Arbeit in der bayerischen Provinz und der Traum eines jeden ehrgeizigen Vaters, dass sein Sohn einmal von den Scouts des FC-Bayern Münchens entdeckt wird und dadurch finanziell einer rosigen Zukunft entgegen blickt. Dabei spart die Autorin nicht an Kritik an der Jugendarbeit, am Ehrgeiz mancher Familien, die die Kindheit ihrer Kinder opfern und sich deswegen manchmal auch verschulden, aber auch nicht an der Arbeit so manchem Sport-Elite-Internat.
Mein Fazit: "Wildfutter" ist ein bodenständiger Krimi mit bayerischem Lokalkolorit, der sich bei der Tätersuche in den verschiedenen Handlungssträngen etwas verliert.

Veröffentlicht am 12.08.2017

Die bewegende persönliche Geschichte eines großen Unglücks

Gegen alle Regeln
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Ariel Levy hat alles, was man sich nur wünschen kann. Sie ist eine äußerst erfolgreiche New Yorker Journalistin, die für außergewöhnliche recherchierte Geschichten durch die Welt reist. Sie ist emanzipiert, ...

Ariel Levy hat alles, was man sich nur wünschen kann. Sie ist eine äußerst erfolgreiche New Yorker Journalistin, die für außergewöhnliche recherchierte Geschichten durch die Welt reist. Sie ist emanzipiert, hat eine liebevolle Partnerin und wünscht sich nichts sehnlicher als ein Kind. Als dieser Traum endlich wahr wird, geschieht das Unfassbare. Als sie für eine Reportage nach Ulan Bator reist, verliert sie ihren Sohn, den sie im 5. Monat schwanger nach starken Schmerzen im Badezimmer zur Welt bringt. Dieses Ereignis hinterlässt tiefe schmerzliche Spuren im Leben von Ariel. Sie muss erkennen, dass ihre heile Welt nicht exisitiert und eine Rückkehr in das normale Frauenleben schier unmöglich scheint.

Mit diesem autobiographischen Roman verarbeitet Ariel Levy ihr eigenes zutiefst schmerzliches Trauma: den Verlust ihres ungeborenen Sohnes. Ich lese nur selten autobiographische Geschichten. Aber dieser Roman hat mich persönlich durch seine emotionale und schonungslos ehrliche Sprache berührt, ja sogar aufgewühlt. Es ist ein sehr ruhiges Buch, das durch seine klare Sprache überzeugt. Ariel berichtet über ihr Kindheit und ihr Verhältnis zu ihren Eltern. Erzählt von ihrer Liebe zu Frauen, ihre Affären, Krankheiten und ihre unglückliche Beziehung zu Lucy, einer erfolgreichen Geschäftsfrau, die sich durch ihren Alkohol-Missbrauch zunehmend Ariel entfremdet. Ariel klagt nicht an, sie verarbeitet. Man spürt auf vielen Seiten die tiefe Hoffnungslosigkeit und auch den tiefen Schmerz, gleichzeitig aber auch die Hoffnung gepaart mit Mut. Ariel hat mir persönlich viel Respekt abgewonnen, da sie trotz allem noch Stärke ausstrahlt und natürlich ihre eigene Geschichte hier für alle offen legt. Sie spart nicht an vielen Denkanstößen, und lädt dadurch zum Nachdenken ein. Sie führt uns als Leser durch ein Tal der Tränen. Manch einer wird die Geschichte vielleicht ein wenig zu emotional, vielleicht teilweise als kitschig und klischeehaft betrachten. Für mich ist es eine offene und zu Herzen gehende Geschichte, die bewegt und klare Wort für eine schonungslose Wahrheit findet.