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Veröffentlicht am 05.04.2025

Ein namenloses Leiden an einem namenlosen Ort - nirgendwo und überall

Übung in Gehorsam
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Übung in Gehorsam - das ist es, was die Ich-Erzählerin in Sarah Bernsteins Roman seit ihrer frühesten Kindheit erlebt. Als jüngstes Kind unter vielen Geschwistern wird sie von kleinauf zur Befriedigung ...

Übung in Gehorsam - das ist es, was die Ich-Erzählerin in Sarah Bernsteins Roman seit ihrer frühesten Kindheit erlebt. Als jüngstes Kind unter vielen Geschwistern wird sie von kleinauf zur Befriedigung der Bedürfnisse der Älteren herangezogen, eine Abhängigkeit, die sich bis ins Erwachsenenalter zieht, als ihr Bruder sie nach dem Verlassen von Frau und Kindern, bittet bei ihm Einzuziehen, um sich um Haus und Hof zu kümmern. Natürlich kommt die Ich-Erzählerin dem nach und berichtet aus dieser Position heraus von dem neuen Leben, dass sie bei ihrem Bruder, dem Ort der Vertreibung ihrer Vorfahren vorfindet, dabei rekurriert sie auch immer wieder auf die Vergangenheit, ihre eigene und im transgenerationalen Sinne, die ihrer Vorfahren.

Während zunächst die Beziehung zum Bruder in der Erzählung dominiert, verschiebt sich der Fokus im Laufe des Reports der Ich-Erzählerin hin zu nicht weniger als der Geschichte einer jüdischen Identität, die sicher nicht zufällig als weibliche im Roman gewählt ist, in all ihrer Schwere und Traumata - die Ich-Erzählerin und ihr Erleben dabei gleichsam als Symbol für die diversen (auch transgenerationalen) Traumata und auf gesellschaftlicher Ebene der Umgang mit Schuld und Verantwortung, sowie die Persistenz von Antisemitismus bis in die Gegenwart. Die gesellschaftliche Ebene wird dabei durch die Gemeinschaft des Städtchens repräsentiert, die der Ich-Erzählerin mit Skepsis, Vorbehalten bis hin zu offener Ablehnung begegnet. Im Fokus der Erzählung dabei immer das Bestreben der Ich-Erzählerin eine Erklärung, einen Sinn und einen berechtigten Grund in der Ablehnung ihrer Person zu finden.

Der Roman wiegt obgleich der wenigen Seiten unheimlich schwer. Jedes Wort, jede Zeile und jeder Raum dazwischen füllt sich beim Lesen mit Bedeutung, die nicht immer leicht zugänglich ist, es vielleicht auch nicht immer sein soll, gerade um sie in der Varianz der Interpretation noch einmal zu vervielfachen. Die Zugänglichkeit wird zudem durch die zahlreichen, klug konstruierten und platzierten religiösen und religionsgeschichtlichen, soziologischen, philosophischen und sozialpsychologischen Verweise erschwert. Der Text lädt aus meiner Sicht so vielmehr zum Entschlüsseln, statt dem klassischen Lesen ein. Wer sich darauf einlässt, wird mit einem sprachlich ausgereiften, intelligent konstruierten Roman belohnt, der zum Nachdenken und Wiederlesen einlädt!

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Veröffentlicht am 05.04.2025

Marisa oder: eine Abrechnung mit der kapitalistischen Gegenwartsgesellschaft - bitterböse, witzig und traurig zugleich

Geht so
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Marisa ist Anfang 30 und erfolgreiche Marketingmanagerin einer Madrider Agentur. Auf den ersten Blick strahlt sie gesellschaftlichen Erfolg und Anerkennung aus. Doch was steckt hinter dieser Fassade? Genau ...

Marisa ist Anfang 30 und erfolgreiche Marketingmanagerin einer Madrider Agentur. Auf den ersten Blick strahlt sie gesellschaftlichen Erfolg und Anerkennung aus. Doch was steckt hinter dieser Fassade? Genau diesen Blick wagt Beatriz Serrano und schaut dabei mit dem Fokus auf Marisas Leben und dessen Abgründe gleichzeitig in die mal amüsanten, mal bedenklichen und zuweilen zerstörerischen Tiefen der Gegenwartsgesellschaft.

Gekonnt verbindet die Autorin in der Erzählung um Marisa profunde Kapitalismuskritik mit modernen feministischen Diskursen. Die Werbebranche, Marisas Arbeitsbereich, fungiert hier als klug gewählter Schauplatz und Inbegriff der modernen kapitalistischen Logik, in der ein vermeintlicher Bedarf nach immer mehr Gütern geweckt wird, für deren Finanzierung sich die Individuen wiederum weiter ausbeuten lassen. Doch obwohl Marisa all dies sieht und verstanden hat, steckt sie in diesem System fest, betäubt sich mit Tavor und YouTube, spielt eine perfekte Rolle der Marketingmanagerin und kann sich dabei selbst kaum ertragen, noch weniger allerdings ihr (Arbeits)umfeld, das sich von Marisa dahingehend unterscheidet, dass den meisten Kolleginnen Marisas Ironie in der Arbeitsmoral fehlt, und diese willentlich und enthusiastisch in einem Bullshitjob arbeiten und unreflektiert Job und Leben gestalten.

Beatriz Serrano zeigt so auf wie die Entfremdung von der eigenen Arbeit, in einer Gesellschaft in der Arbeit und wirtschaftlicher Erfolg über gesellschaftliche Anerkennung und Sicherheit entscheiden, zu nicht weniger als der Entfremdung von sich selbst führen kann und damit jedem Sinn dafür, was ein zufriedenes Leben tatsächlich ausmacht. Ein Pflaster für diesen Gegenwartsschmerz liefert das kapitalistische System auch in Serranos Roman direkt mit: 24h Öffnungszeiten zum Shoppen und vermeintlichen Verwöhnen, YouTube, Instagram - der Balsam und die Belohnung für das affektgesteuerte, sinnentleerte Dasein und gleichzeitig Mittel zur Reproduktion der den Schmerz auslösenden, kapitalistischen Logik - willkommen im Teufelskreis von Profit und moderner Aufmerksamkeitsökonomie! Doch was können wir daraus lernen? Wie kann dieser Kreis durchbrochen werden? Wird Marisa dies gelingen?

Der Weg und die Antwort der Autorin ist hier sicher als durchaus bewusst überspitzt dargestellt zu verstehen, und verfehlt gerade deshalb seine Wirkung nicht! Geht so ist ein Roman, der mit seinem bissigen, witzigen, bitterbösen Ton nicht nur hervorragend unterhält, sondern mit seiner klugen hintergründigen Gesellschaftskritik auch zum Nachdenken und diskutieren darüber anregt, welchen Preis unser aktuelles Gesellschaftsmodell hat und in was für einer Gesellschaft wir leben möchten! Für mich in dieser Mischung ein grandioser Gegenwartsroman und ein echtes Highlight!

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Veröffentlicht am 25.03.2025

Die Charakterstudie einer Aufsteigerin im Feuilleton

Der Einfluss der Fasane
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Hella Renata Karl ist Feuilletonchefin einer großen Zeitung und als solche vermeintlich - innerlich und äußerlich - fest etabliert und geachtet. Als ein bekannter Intendant überraschend und medienwirksam ...

Hella Renata Karl ist Feuilletonchefin einer großen Zeitung und als solche vermeintlich - innerlich und äußerlich - fest etabliert und geachtet. Als ein bekannter Intendant überraschend und medienwirksam vor dem Hintergrund der Sidney Opera Suizid begeht, bringt dies Hellas Leben in ungeahntes Wanken.

Kai Hochwerth war ein berühmter Theatermensch, umstritten, unkonventionell und trotzdem oder gerade deshalb erfolgreich. Hella ist eine Aufsteigerin, verschlossen, ehrgeizig, sie teilt mit Blick auf ihre Herkunft wenig mit dem Milieu, in dem sie sich bewegt, und hat sich äußerlich und habituell doch scheinbar perfekt an dieses angepasst, ohne sich darin zuhause zu fühlen. Eine Eigenschaft, die sie überraschenderweise mit Hochwerth, an dem sie sonst so viel abstößt, einte. In Rückblicken wird enthüllt, wie sich in der Vergangenheit zwischen Hochwerth und Hella ein seltsames Spiel aus Ähnlichkeit, Ablehnung, Achtung und Anziehung entspinnt, das auch Hella selbst kaum formulieren und fassen kann. Was ist zwischen den beiden passiert und welche Rolle spielte dies für den Suizid Hochwerths? Spielte es eine Rolle?

Der Roman liest sich flüssig. Hellas Erleben wird eindrücklich geschildert und zieht in einen echten Bann. Die Sprache war mir persönlich stellenweise jedoch etwas zu vulgär.

Der Einfluss der Fasane ist ein kluges, pointiertes Stück über Macht und Einfluss im Medienbetrieb, mediale Kampagnen im Social Media Zeitalter und gleichzeitig eine Charakterstudie zweier Aufsteiger darin. So wird der Roman auch zu einer gelungenen Erzählung über die feinen Unterschiede in Herkunft und Habitus, und der Frage von Solidarität zweier Solitäre.

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Veröffentlicht am 25.03.2025

Die Heldenhäsin

Hilda Hasenherz. Das Abenteuer auf der Adlerinsel (Hilda Hasenherz 2)
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Die Abenteuer- und Heldenhäsin Hilda Hasenherz ist zurück und steht vor einem neuen Abenteuer. Mara Mümmel, Prinz Lämpchens Mutter, ist lange verschwunden. Als plötzlich ein seltsamer Vogel im Hasen-Königreich ...

Die Abenteuer- und Heldenhäsin Hilda Hasenherz ist zurück und steht vor einem neuen Abenteuer. Mara Mümmel, Prinz Lämpchens Mutter, ist lange verschwunden. Als plötzlich ein seltsamer Vogel im Hasen-Königreich auftaucht und Prinz Lämpchen einen Brief überreicht, gibt es endlich Gewissheit, Mara wurde entführt und nun in einem Turm auf der fernen Adlerinsel festgehalten. Natürlich muss sie befreit werden und wer wäre dafür besser geeignet als die offizielle Abenteuer- und Heldenhäsin des Königreichs? Natürlich geht Hilda auch diesmal nicht allein. Mit dabei ist der ängstliche Prinz Lämpchen und ihre treuen Gefährten und Freunde aus dem Fuchswald.

Frei nach Hildas Motto - Auf einer Abenteuerreise passiert immer etwas Überraschendes - stellen sich die Freunde der Herausforderung Prinz Lämpchens Mama von der Adlerinsel zu retten. Dabei ist natürlich die Reise bereits ein Abenteuer mit vielen Gefahren und Hürden. Wie werden sie zum Meer gelangen? Wie werden sie das Meer überqueren? Und wird es ihnen gelingen Mara Mümmel aus dem Turm des Königs Håson Kleeblatt zu befreien?

Die Geschichte ist nicht nur unglaublich liebevoll erzählt, sondern auch voller lehrreicher Details. Da ist natürlich Hilda, die als Heldenhäsin ein Beispiel an Mut und Tatkraft ist, da ist die Freundschaft und Solidarität zwischen den Gefährtinnen ganz unterschiedlicher Tierart, bei der jeder seine und ihre besonderen Talente und Eigenschaften in das Abenteuer einbringt und da sind zusätzlich auch immer wieder Details zur Lebenswelt und Lebensweise der verschiedenen vorgestellten Tiere. So ist Hilda Hasenherz zweites Abenteuer nicht nur eine wundervoll erzählte, spannende Geschichte sondern ganz nebenbei auch eine Erzählung über Mut, Freundschaft und das Tierreich.

Ganz besonders gelungen sind auch wiederum die wundervollen Illustrationen, die die Reise der Freunde begleiten und lose in die Geschichte und Seiten gestreut sind. Einzig die Schriftart des Kapitelverzeichnisses finde ich nicht ganz glücklich, weil nicht gut lesbar, gewählt.

Ein tolles Kinderbuch, nicht nur zur Osterzeit, zum Selbstlesen ab ca. 9 Jahren oder Vorlesen ab ca. 4 Jahren.

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Veröffentlicht am 22.03.2025

Jedes Verbrechen hat seine Geschichte - über die Hintergründe einer Tat

Dunkle Momente
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Eva Herbergen ist Strafverteidigerin, engagiert, fachlich versiert, glücklich verheiratet mit dem Literaturprofessor Peter. Die neun Fälle von denen in diesem Roman berichtet wird, zeigen, wie ihre Arbeit, ...

Eva Herbergen ist Strafverteidigerin, engagiert, fachlich versiert, glücklich verheiratet mit dem Literaturprofessor Peter. Die neun Fälle von denen in diesem Roman berichtet wird, zeigen, wie ihre Arbeit, die vermeintliche Gewissheit von Recht und Unrecht, Wahrheit und Lüge immer wieder auf den Prüfstand stellt, ein Drahtseilakt, der Eva rückblickend, trotz bester Intentionen nicht immer gelingen mag, ihr Verhalten darin zuweilen grenzwertig und grenzüberschreitend.

Die beleuchteten Fälle sind sehr vielfältig von Wirtschaftskriminalität über Erbmorde, Vergewaltigung, Tötungen aus Eifersucht und/oder Angst. Was sie eint ist der aufmerksame Blick in die Hintergründe der Straffälle und die Biografien der Täterinnen und Täter, zuweilen ein Verschwimmen von Täter und Opfer. Dabei blickt die Autorin nicht nur in die Tiefen der menschlichen Psyche sondern auch von gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, einfach und eindeutig, so wird nach wenigen Fällen deutlich, gibt es im wahren Leben und so auch Kriminalfällen kaum.

Der Roman ist kurzweilig und gut geschrieben. Die Fälle wirken jedoch teilweise skizzenhaft, im Fokus stets die Wendung und Überraschung. So liefert der Roman trotz überraschender Entwicklungen der Fälle oft mehr (ethische) Fragen als (juristische) Antworten. Ein gelungener juristischer Roman, der zum Nachdenken über Recht und Gerechtigkeit anregt.

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