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Veröffentlicht am 07.07.2024

Das Mädchen mit den roten Haaren

Wir waren nur Mädchen
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Wir waren nur Mädchen beleuchtet beruhend auf wahren Personen und Begebenheiten, die Geschichte von Frauen im niederländischen Widerstand gegen die Nazibesatzung. Im Mittelpunkt Johanna, 1920 geboren, ...

Wir waren nur Mädchen beleuchtet beruhend auf wahren Personen und Begebenheiten, die Geschichte von Frauen im niederländischen Widerstand gegen die Nazibesatzung. Im Mittelpunkt Johanna, 1920 geboren, hat sie jung ihre geliebte Schwester Anni verloren, die vermeintlich mutigere und aufgewecktere der beiden Schwestern. 1941 studiert Johanna Jura um später beim Völkerbund arbeiten zu können. Hier lernt sie ihre politisch engagierten Kommilitoninnen Sonia und Philine kennen, und zum ersten Mal spürt sie wieder eine Verbindung, die sie an ihre Schwester erinnert. Dass ihre neuen Freundinnen Jüdinnen sind, führt ihr in aller Deutlichkeit vor Augen, welche Auswirkungen die NS-Politik bis in jeden Lebensbereich für diese hat. Während sie zuvor bereits in der Flüchtlingshilfe aktiv war, verschiebt sich ihr politisches Bewusstsein immer mehr hin zur Bereitschaft auch in den bewaffneten Widerstand zu gehen. So begleiten wir eine Evolution einer jungen, gut erzogenen, zurückhaltenden jungen Frau hin zu einer resoluten, mutigen Kämpferin für den Widerstand, von Johanna, zu Hanni.

Hanni erzählt ihre Geschichte aus der Ich-Perspektive. Von 1941 bis 1945 werden so zugleich alle Grausamkeiten des Naziregimes in den Niederlanden dargestellt. Der Autorin gelingt es über die Freundinnen und deren Familien, eine persönliche Ebene zu schaffen und die Geschichte erlebbar zu machen. Beeindruckt hat mich auch der Generalstreik gegen die Verfolgung von Juden 1941 in den Niederlanden.

Mit diesem Roman hat die Autorin all die mutigen Frauen im Widerstand sichtbarer gemacht und ihr Wirken authentisch porträtiert. Sehr informativ und erwähnenswert ist auch das Nachwort, in dem die Autorin weitere Einblicke in die historischen Hintergründe und die realen Protagonist*innen gibt.

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Veröffentlicht am 04.07.2024

Javier

Solito
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Solito beschreibt die Geschichte des kleinen Javiers aus El Salvador, der mit 9 Jahren bei seinen Großeltern und seiner Tante lebt und sich nichts sehnlicher wünscht als zu seinen Eltern in die USA zu ...

Solito beschreibt die Geschichte des kleinen Javiers aus El Salvador, der mit 9 Jahren bei seinen Großeltern und seiner Tante lebt und sich nichts sehnlicher wünscht als zu seinen Eltern in die USA zu kommen, die bereits die gefährliche Route in ein vermeintlich besseres Leben auf sich genommen haben. Eines Tages ist es endlich so weit, die Pläne werden konkreter und auch Javier soll (in seiner Perspektive - darf) mit einem Kojoten die gefährliche und beschwerliche Reise zu den Eltern unternehmen.

Immer wieder und nicht erst auf der Route, wie beispielsweise bereits in Javiers Schulklasse, wird deutlich, dass Javiers Geschichte kein Einzelfall ist. Die Migration mit all ihren Auswirkungen auf die Migrierenden wie die Zurückgebliebenen ist vielmehr konstitutiv für die Region. Zerrissene Familien, Kinder die bei den Großeltern leben und zum Muttertag etwas für Oma basteln, Eltern die Geschenke aus dem vermeintlichen Konsumparadies schicken, Nachbarn die verschwinden und von da an nur noch als Gruß aus den USA auftauchen. Neben den gefährlichen Migrationsrouten und dem oft harten Leben in den USA ist auch dies ein Aspekt, den Javier Zamora mit seiner Geschichte beleuchtet.

Besonders macht dieses Buch zum einen die sehr persönliche Erzählweise als wahre Geschichte des Autors, zum anderen erleben wir die Migration mit den Augen eines Kindes. Dadurch wirkt vieles unbedarfter und gleichzeitig nicht weniger eindringlich. Sprachlich liest sich die Erzählung wie ein Roman, ich musste mich immer wieder daran erinnern, dass hier der Autor seine eigene Geschichte erzählt. Gelungen war für mich die Einbindung spanischer Begriffe und Redewendungen. Mit rudimentären Sprachkenntnissen versteht man diese auch ohne die Übersetzung im Anhang und die gesamte Geschichte wirkte auf mich beim Lesen noch authentischer. Sprache und Perspektive haben mich so förmlich mit Javier Zamora mitfühlen und das Geschriebene vor Ort miterleben lassen.

Solito ist ein eindringliches, gut geschriebenes Werk, dass nicht nur die bewegende Geschichte von Javier Zamora erzählt, sondern den vielen Menschen aus Mittelamerika, die in den USA ein vermeintlich besseres Leben suchen, und in den Medien oft nur als Statistik über Migration und Grenzverletzungen, auftauchen, ein Gesicht gibt.

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Veröffentlicht am 02.07.2024

Ein ehrliches, erfrischendes Porträt einer Freundschaft und der Generation der Millenials im Irland der frühen 2010er

Die Sache mit Rachel
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Heute ist Rachel 31 Jahre alt, hochschwanger, lebt in London als Journalistin und blickt als Erzählstimme zurück auf ihr Erwachsenwerden mit Anfang 20 im irischen Cork, ihr Studium der englischen Literatur, ...

Heute ist Rachel 31 Jahre alt, hochschwanger, lebt in London als Journalistin und blickt als Erzählstimme zurück auf ihr Erwachsenwerden mit Anfang 20 im irischen Cork, ihr Studium der englischen Literatur, der Start ins Berufsleben vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Finanzkrise, prekäre Beschäftigungen, erste Liebe, und vor allem die Freundschaft zu James. Die Unsicherheiten, die jede Identitätsfindung begleiten werden in dieser Generation mit dem Eintritt ins Berufsleben in einem Europa nach der Finanzkrise potenziert, es ist die Zeit in der hochgebildeten Absolvent:innen zu oft nicht mehr als ein Call Center Job und/oder eine Reihe von Praktika bleibt, um zunächst das Überleben zu sichern und die Miete zu zahlen.

Im Rückblick auf diese Zeit arbeitet Rachel mit Anfang 20 neben der Uni in einem Buchladen. Ihr neuer Kollege James weckt sofort Rachels Interesse, es ist Faszination und Freundschaft auf den ersten Blick. Rachel ist sofort von James Ausstrahlung und Witz in den Bann gezogen. James ist fasziniert von Rachels bürgerlicher Herkunft als Zahnarzttochter, deren Eltern es seit der Krise finanziell längst nicht mehr so gut geht wie es auf den ersten Blick scheint. Bereits nach kurzer Zeit ziehen beide zusammen in eine schlecht renovierte Wohnung, werden unzertrennlich und teilen Insiderscherze als wären sie gemeinsam aufgewachsen. Die James und Rachel Show beginnt!

Gemeinsam erleben sie die Zeit des Erwachsenwerdens und der Ausbildung der eigenen Identität. So emanzipiert sich Rachel von den moralischen Vorstellungen ihrer Herkunft, James und sie erleben Geldnot und fühlen sich trotzdem cool dabei in ihrem Erfindungsreichtum, beide daten, entdecken die erste Liebe, ihre sexuelle Orientierung, sexuelle Freiheit und Befriedigung sowie auch erste Enttäuschungen. Rachel versucht in dieser Welt als Collegeabsolventin im Verlagswesen Fuß zu fassen, während James an einem Sitcom-Drehbuch inspiriert von ihrer Freundschaft schreibt. Und da sind auch noch Rachels beliebter Professor und seine sympathische junge Frau aus der Verlagsbranche die eine verhängnisvolle Rolle in Rachels als auch James Leben spielen sollen.

So entsteht ein authentisches Porträt nicht nur einer besonderen Freundschaft sondern auch der Millenial-Generation in Irland in den frühen 2010er Jahren mit all ihren Herausforderungen im Dating, der Jobsuche und der Selbstfindung ebenso wie Queerness, Umgang mit den in Irland verbotenen Abtreibungen und vielem mehr.

Nach dem ersten Hoch der innigen Freundschaft werden nach und nach auch die feinen Unterschiede zwischen Rachel, der Tochter aus dem Bürgertum und James, der keinen Collegeabschluss hat, deutlich und gerade für James spürbar. Daneben thematisiert die Autorin
um die Freundschaft von Rachel und James auch immer wieder irische Eigenheiten und Differenzen zu Briten und fasst so auch auf kultureller Ebene ein besonderes Lebensgefühl.

O'Donoghues Stil ist frech, frisch, direkt und ehrlich und fängt so die Gefühlslage von James und Rachel authentisch ein.

Mit - Die Sache mit Rachel - reiht sich Caroline O'Donoghue in die Riege junger irischer Autorinnen ein, die authentisch und klug ihre Generation porträtieren und steht damit bekannteren Autorinnen wie Sally Rooney in nichts nach.

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Veröffentlicht am 01.07.2024

Ein Roman über internalisierte weibliche Schuld und Scham

Ich stelle mich schlafend
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Yasemin ist Mitte 30 und steht in einer Hochaussiedlung vor der abgebrannten Ruine, die einmal ihr Zuhause war. Was ist passiert? Behutsam und in poetischer Sprache entwirft Deniz Ohde eine Erzählung über ...

Yasemin ist Mitte 30 und steht in einer Hochaussiedlung vor der abgebrannten Ruine, die einmal ihr Zuhause war. Was ist passiert? Behutsam und in poetischer Sprache entwirft Deniz Ohde eine Erzählung über eine Frau, die schon seit ihrer Kindheit ein bestimmtes Frauenbild internalisiert hat. Die Frau als nettes, gefälliges Wesen, das Übergriffe geschehen lässt, auch gegen die eigenen Bedürfnisse, gegen den eigenen Willen. So sieht sie es bei ihrer Mutter, so erlebt sie es bei ihrer Freundin Lydia. Doch wo bleiben in solch einem Entwurf ihre eigenen Wünsche, Träume und Bedürfnisse. Wie ist, ist überhaupt unter diesen Bedingungen eine gesunde Partnerschaft möglich? Diese Frage verhandelt Ohde mit dem Eintritt Vitos in Yasemins Leben.

Körperlichkeit, Verletzlichkeit und auch Übergriffigkeit wie sie Yasemin durch Männer erfährt spiegelt die Autorin auch immer wieder über die Skoliose Yasemins und deren Behandlung wider. Diese Parallelen und Referenzen sind sehr gelungen, wie auch die Beschreibung Yasemins Behandlung.

Phasenweise hat der Roman für mich einen echten Sog entwickelt, was ist passiert? Wie wird sich Yasemin entwickeln? Leider kann er für mich nicht vollständig an Streulicht anschließen. Sprachlich wirkten auf mich einige Bilder, gerade im ersten Drittel zu gewollt. Stark wird der Roman, wenn er innere Beweggründe und Widersprüche aufzeigt. Hier taucht die Autorin tief in die menschliche Psyche und sozialen Beziehungen ein. Doch auch in der Handlung wirkte der Roman auf mich in einigen Abschnitten zu gewollt und konstruiert, sodass sich die absolute Begeisterung leider bei mir nicht einstellen konnte.

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Veröffentlicht am 01.07.2024

Jeder Tag ist gut, um endlich das Patriarchat abzuschaffen

Heute ist ein guter Tag, das Patriarchat abzuschaffen.
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Ist nicht jeder Tag ein guter Tag das Patriarchat abzuschaffen? Und ist nicht jeder Tag, an dem wir nicht daran arbeiten, einer zu viel? Der vorliegend Essayband zeigt in sieben verschiedenen Beiträgen ...

Ist nicht jeder Tag ein guter Tag das Patriarchat abzuschaffen? Und ist nicht jeder Tag, an dem wir nicht daran arbeiten, einer zu viel? Der vorliegend Essayband zeigt in sieben verschiedenen Beiträgen auf, warum die Antwort auf beide Fragen nur Ja lauten kann.

Besonders wertvoll ist die Vielfalt der Perspektiven und Themen in den Beiträgen, von Patriarchat und Kirche aus der Sicht einer evangelischen Pfarrerin über Intersektionalität und muslimischer Feminismus bis hin zu Feminismus und Mutterschaft. Die Beiträge überzeugen durchweg mit einer sehr gelungenen Mischung aus persönlicher Erfahrung und fundierter fachlicher Einbindung.

Für mich waren die letzten drei Essays die Highlights des Bandes. Der Beitrag von Aiki Mira befasst sich mit Queer*Feminismus in einer Annäherung über Science Fiction Literatur und Pseudonyme und eröffnete für mich ein ganz neues Themenfeld mit vielen Denkanstößen. Mareike Fallwickl lenkt den Blick auf die Männer im Patriarchat und argumentiert auch aus der Perspektive und Erfahrung als Mutter eines Sohnes. Barbara Streidl stellt die Frage nach einem Wir im Feminismus und arbeitet pointiert und nuanciert, historische wie inhaltliche, Grenzen und Chancen heraus.

Der Band liefert in jeder Hinsicht und in allen Beiträgen wichtige Denkanstöße und sollte aus meiner Sicht in keinem Bücherregal fehlen - denn nur gemeinsam können wir das Patriarchat mit all seinen strukturellen Benachteiligungen überwinden!

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