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Veröffentlicht am 21.07.2024

Wiedersehen

Das Versprechen der Islandschwestern
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Nach über sechzig Jahren reist Greta wieder nach Island, um mit ihrer Schwester Helga deren neunzigsten Geburtstag zu feiern. Mit dabei sind Enkelin Pia und Urenkelin Leonie. Auf spannende Weise werden ...

Nach über sechzig Jahren reist Greta wieder nach Island, um mit ihrer Schwester Helga deren neunzigsten Geburtstag zu feiern. Mit dabei sind Enkelin Pia und Urenkelin Leonie. Auf spannende Weise werden die Ereignisse von 2017 und 1949 verknüpft und jahrzehntelanges Schweigen mit diesem Wiedersehen durchbrochen.

Ein wunderbarer Einstieg mit Szenen zum Schmunzeln begleitet den Leser im Jahre 2017 auf der Schiffsreise von Deutschland nach Island. Alsbald wechseln die Zeitebenen einander ab und man erfährt, wie es Helga und Margarete nach den Kriegsjahren ergangen ist und dass sie als Landarbeiterinnen in den Norden aufgebrochen sind. Immerhin gab es dort 1949 für alle genug zu essen und anzuziehen. Auch diesmal gelingt es Karin Lindberg wieder, die ganz spezielle Atmosphäre Islands einzufangen und die Situation zu beiden Zeitpunkten sehr authentisch zu beschreiben. „Ein Land voller Gegensätze, unberührt und voller Schafe und Pferde, windig und sanft, felsengrau und meeresblau, karg und voll saftiger Wiesen, eisig kalt und … einfach überwältigend.“ (kindle, Pos. 1738) Details zu Kulinarik und Lebensweise lassen den Leser noch tiefer eintauchen ins Geschehen, die komplizierten Namen und isländischen Ausdrücke, welche immer wieder eingestreut werden, tun ein Übriges, um für größtmögliche Authentizität zu sorgen. Sowohl die schöne Naturkulisse als auch die sorgfältig entworfenen Figuren sorgen beim Lesen für angenehme Stunden, die Handlung ist möglicherweise von wahren Begebenheiten inspiriert, zumindest könnte sich alles so ähnlich zugetragen haben.

Eine sehr schöne, bewegende Geschichte, welche aus unterhaltsamen und ernsteren Elementen besteht und somit gute Unterhaltung bietet, aber auch zum Nachdenken anregt. Ich habe diese zweiteilige Reise nach Island sehr gerne unternommen und empfehle sie auch unbedingt weiter.

Veröffentlicht am 21.07.2024

Realität

SpurenElemente
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Auf den Spuren der Realität wandeln die Krimiautorin Franziska Franz und der Rechtsmediziner Marcel Verhoff. Historische Kriminalfälle werden in deren Podcast aufgearbeitet und hier für ein Buchformat ...

Auf den Spuren der Realität wandeln die Krimiautorin Franziska Franz und der Rechtsmediziner Marcel Verhoff. Historische Kriminalfälle werden in deren Podcast aufgearbeitet und hier für ein Buchformat angepasst.

Neun historische Tathergänge werden detailliert vorgestellt und in einzelnen Abschnitten rekonstruiert und beleuchtet. In einem ersten Schritt geht es um eine sachliche Darstellung der Fakten: wer ist das Opfer, was ist passiert? Darauf folgen Einblicke in die Rechtsmedizin: was erzählt die Leiche, in welchem Zustand ist sie aufgefunden worden, was kann man aus den Gegebenheiten schließen? Und zuletzt kommen Menschen zu Wort, die als Tatzeugen Interessantes beisteuern können oder Sachverständige, welche einen Blick auf das große Ganze werfen. Mitunter wird aber auch den Blickwinkel des Täters eingenommen und aus dessen Sicht berichtet. In ruhiger Art und Weise werden durchaus brutale Verbrechen erörtert, die Wahl des Zusammenschnitts ist gut gelungen, sodass der Blick in die Abgründe der Menschheit vielfältig und abwechslungsreich ist. Zudem erfährt der Leser genau, welche Vorgehensweise am Tatort die jeweils richtige ist und warum, welche Unterschiede man trifft zwischen Würgen, Drosseln und Hängen, was passiert, wenn ein Mensch aus nächster Nähe angeschossen bzw. erschossen wird und vieles mehr. Franz und Verhoff sind Meister ihres Metiers und schaffen es daher spielend, nackte Tatsachen informativ und auch für Laien gut verständlich zusammenzustellen.

Von getöteten Prostituierten über brutale Hammermörder geht es zu spannenden Tatortuntersuchungen und mumifizierten Leichen, Motivsuche und Analyse von Blutspuren kommen nicht zu kurz. Alles in allem ein interessanter Überblick über die Vorgehensweise von Ermittlern und Rechtsmedizinern und die kriminellen Energien von zuvorkommenden und hilfsbereiten Nachbarn. Leider die harte Realität, aber gerade deswegen sehr empfehlenswert.

Veröffentlicht am 18.07.2024

Zwei Sommer auf Island

Der Sommer der Islandtöchter
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Hannah entschließt sich im Sommer 2018, mit ihrem dreijährigen Sohn Max ein Sabbatical auf Island zu verbringen, weit weg von Lüneburg, das sie nur noch mit einer gescheiterten Ehe verbindet und mit einem ...

Hannah entschließt sich im Sommer 2018, mit ihrem dreijährigen Sohn Max ein Sabbatical auf Island zu verbringen, weit weg von Lüneburg, das sie nur noch mit einer gescheiterten Ehe verbindet und mit einem schmerzlichen Karriereende.

Vierzig Jahre zuvor, im Sommer 1978, reist Monika mit ihren Eltern zu einer befreundeten isländischen Familie, während ihr Verlobter in Deutschland bleibt, um seine Karriere voranzutreiben. Auf der Insel lernt sie einen sympathischen Fabrikarbeiter kennen, der aber ohne Frage weit unter ihrem Stand ist.

Abwechselnd erzählt Karin Lindberg auf zwei Zeitebenen diese beiden schönen Geschichten, weckt Neugierde darauf, zu erfahren, was tatsächlich bei Monikas Islandaufenthalt geschehen ist und welchen Zusammenhang es womöglich mit der Jetztzeit geben könnte. Fein charakterisierte Figuren begegnen dem Leser, allerdings fällt es besonders Hannah schwer, ihre Gefühle zuzulassen. Sie muss noch lernen, weniger auf ihren Kopf und mehr auf ihren Bauch zu hören. Ob sie das schaffen kann, verrät der Lauf der Handlung, welche anfangs ein wenig vor sich hinplätschert, aber dann von Kapitel zu Kapitel besser und emotionaler wird. Gut gefällt mir der isländische, sehr freundschaftliche Lebensstil, die raue Landschaft des Nordens kommt allerdings für Kenner von Karin Lindberg diesmal ein wenig zu kurz.

Ein sehr angenehm dahinfließender Schreibstil begleitet den Leser auf zwei Reisen nach Island. Die Geschichten rund um Hannah und Monika sind diesmal eher einfach, aber durchaus unterhaltsam und lesenswert.

Veröffentlicht am 17.07.2024

Jana

Gallwitz (eBook)
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Jana Gallwitz reicht um ihren Ruhestand ein und freut sich auf gemeinsame Aktivitäten mit ihrem Mann Hartmut, nachdem sie sich in den letzten Jahren oft nur am Wochenende gesehen haben. Inzwischen hat ...

Jana Gallwitz reicht um ihren Ruhestand ein und freut sich auf gemeinsame Aktivitäten mit ihrem Mann Hartmut, nachdem sie sich in den letzten Jahren oft nur am Wochenende gesehen haben. Inzwischen hat Hartmut sich jedoch verändert, steckt voller Hass und Engstirnigkeit, zuletzt hat er sich sogar - ohne mit Jana darüber zu sprechen - einer rechten Partei angeschlossen.

„Ein hochaktueller, gesellschaftlich brisanter Roman über die Selbstradikalisierung eines Mannes, politischer Brandstifter und das Ende einer Ehe.“ Dieser Satz hat meine Neugierde geweckt, voller Vorfreude beginne ich zu lesen und begleite Jana durch die Stadt.

Leider findet sich im Klappenext aber kein Hinweis darauf, dass man nach wenigen Momenten in eine Corona-Diskussion geworfen wird mit FFP2/FFP3-Masken, einer Covid-Krankenstation und einem Aufschrei in Richtung Covid-Impfskeptiker. „Als naives Versuchskaninchen hast du mich beschimpft, weil ich mich impfen ließ.“ (kindle, Pos. 97). Ich bin verwundert, ja fast ein wenig verärgert, lese dennoch interessiert weiter. Nach dem Prolog scheint es in die richtige Richtung zu gehen, Hartmuts Kindheit wird mit lebendigen Worten rekapituliert, könnte ja genau hier der Grundstein für Hartmuts aktuellen Sinneswandel liegen. Während dieser als Teil 1 gekennzeichnete Abschnitt also durchwegs spannend und glaubwürdig dargestellt wird, wechselt die Handlung alsdann zu einem zweiten Teil, in welchem Janas früherer Lehrer Karl Niemetz eine zentrale Rolle einnimmt. Unwesentliche Details wie Autoreifen von O bis O (von Ostern bis Oktober) (kindle, Pos. 2126) werden aufgegriffen, die Handlung wird zunehmend zäher. Quer durch alle Kapitel ziehen sich böse Blicke auf jene, die für den „verdammten Brexit“ (kindle, Pos. 666) gestimmt haben, den Klimawandel als „Märchen“ (kindle, Pos. 729) bezeichnen und an „Covidiotentreffen“ (kindle, Pos. 972) teilnehmen. Es geht um (Covid)Abstandsregeln und PCR-Tests, Integration von Flüchtlingen und politische Korrektheit, die Suche nach der Ursache für Hartmuts Gesinnungsänderung rückt mehr und mehr in den Hintergrund, ich erkenne den roten Faden nicht mehr und schon gar nicht die Botschaft, welche dieses Buch mir mitgeben möchte.

„Ich glaube, das Outing hat eine therapeutische Wirkung. Seit ich es dir erzählt habe, fühle ich mich erleichtert.“ (kindle, Pos. 1180) Diese Aussage weckt in mir das Gefühl, dass sich die Autorin etwas von der Seele schreiben wollte, eine Lebenskrise aufarbeiten möchte. Leider hat mich dieser Roman nicht angesprochen, haben mich die Figuren nicht emotional berührt, viel eher bin ich auch nach der Lektüre noch darüber enttäuscht, dass nicht Jana und Hartmut im Zentrum stehen, sondern immer wieder die SARS-CoV-2-Pandemie. Lange genug haben entsprechende Maßnahmen unser Leben bestimmt, jetzt auch noch einen Roman darüber zu lesen, war nicht mein Plan. Hier hat – aus meiner Sicht – die Kurzinformation zum Buch versagt. 2 Sterne für Hartmuts Kindheit.

Veröffentlicht am 14.07.2024

Steinige Wege

Das Mädchen im Nordwind
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Ein Work & Travel-Arrangement führt die gelernte Tischlerin Sofie nach Island, da ihr Arbeitsplatz in Hamburg nicht mehr existiert und auch privat nicht mehr alles „rund“ läuft. Wie es der Zufall so will, ...

Ein Work & Travel-Arrangement führt die gelernte Tischlerin Sofie nach Island, da ihr Arbeitsplatz in Hamburg nicht mehr existiert und auch privat nicht mehr alles „rund“ läuft. Wie es der Zufall so will, fällt ihr ein Päckchen mit Notizen in die Hände, in dem sie sogleich neugierig zu lesen beginnt: die Zeilen scheinen sehr privat zu sein und ins Deutschland im Jahre 1936 zurückzuschweifen.

Aha, typisches Konzept, denke ich mir zu Beginn, aber was auf den ersten Blick eine ganz durchschnittliche Geschichte werden dürfte, entpuppt sich immer mehr zu einer sehr berührenden Zeit- und Länderreise. Eng ineinander verflochten präsentieren sich Sofies Arbeits- und Urlaubsleben auf der nordländischen Insel und die immer bedrohlicheren Bedingungen für die jüdische Kaufmannsfamilie Rosenberg Ende der 1930er-Jahre im deutschen Lüneburg.

Der Spannungsbogen beginnt eher flach, nimmt jedoch von Kapitel zu Kapitel stetig zu und lässt den Leser schließlich mit Tränen in den Augen zurück. Voller Gefühl schildert Autorin Karin Lindberg die einzelnen Ereignisse und man spürt förmlich, wie viel Herzblut in jede Szene geflossen ist. Detailgetreue Schilderungen lassen jede Zeit, heute wie damals, so plastisch und greifbar werden, so lebendig, als wäre man selbst mitten drin in einer Achterbahn aus höchstem Glücksgefühl und tiefgreifendsten Problemen. Beide Hauptfiguren – Luise und Sofie – sind als starke Frauen konzipiert, die ihren Weg gehen, auch wenn er steinig ist und von Schmerzen erfüllt.

Wunderbar fügen sich die karge isländische Landschaft und die ganz im Gegensatz dazu stehende Herzlichkeit in die Handlung der Jetzt-Geschichte ein und auch im „Damals“ kann man diesen Familienzusammenhalt erahnen, selbst wenn Luise das anders erlebt hat. Die Vertrautheit der Autorin mit Kultur und Lebensweise Islands spricht aus jedem einzelnen Satz und vermittelt dadurch größtmögliche Authentizität, die keine theoretische Recherche wettmachen könnte. Und genau das lässt dieses Buch zu einer Geschichte werden, die so viel sehr Persönliches von Sofie preisgibt, ins Innerste blicken lässt und schließlich auch durch Luise eine Erinnerung wach werden lässt, ein Denkmal setzt für unzählige grausame Schicksale im Deutschen Reich.

Nur auf den ersten Seiten harmlos daherkommende Lektüre, steckt unglaublich viel Emotion in diesem traurigen und zugleich Mut machenden Roman, der noch lange in meinen Gedanken nachhallen wird.