Nebulös
BelohnungssystemJulia erhält nach einigen Probearbeiten die Stelle als Köchin in einem gehobenen Lokal, verliebt sich in den dortigen Chef, der fast doppelt so alt ist wie sie. Ihr Ex-Freund Nick kann sich als Werbetexter ...
Julia erhält nach einigen Probearbeiten die Stelle als Köchin in einem gehobenen Lokal, verliebt sich in den dortigen Chef, der fast doppelt so alt ist wie sie. Ihr Ex-Freund Nick kann sich als Werbetexter nicht so recht etablieren und zieht mit 27 wieder zu seinen Eltern. Das Leben und Lieben der Millennials aus unterschiedlichen Perspektiven.
Als Erstes ins Auge fällt das stilisierte Symbol, das sich bei Internetrecherchen im Kreis dreht und hier jeder einzelnen Geschichte vorangestellt ist. Anders als bei der online-Suche, findet man hier weniger oft Erwartetes und Hilfreiches. Jem Calders Schreibstil ist sehr gewöhnungsbedürftig, wirft dem Leser teils umständlich formulierte, in sich verstrickte Satzkonstruktionen hin, dafür sind Kapitel, oder eher Abschnitte, oft auf extreme Kürze reduziert. Anfangs lernt man Julia kennen, eine junge, engagierte Köchin, die ihren Platz sucht, aber keine eigene Identität aufbaut, sondern ihre Vorgängerin nachahmt. Mit Ellery, ihrem Chef, beginnt sie eine unverbindliche Affäre, die aber ebenso wie alles andere in diesem Buch, nicht tiefgründig und nicht von Dauer ist. In weiteren kurzen Geschichten geht es um andere Figuren, Julia taucht als Nebenrolle wieder auf. Das Leben spielt sich ab auf Partys, mit verschwommenen, trotzdem abstoßenden Bettszenen und Drogenkonsumenten, die später an die Glaswand einer Busstation kotzen. Oder in tristen Büros, wo man nur noch Zeit absitzt und wartet. Hoffnungslos.
Ist das das Bild der jungen Menschen von heute, welches Jem Calder hier zeichnet? Identität und soziales Leben in Abhängigkeit von Internet und schnell veränderbaren Einblicken über digitale Plattformen, algorithmusgesteuerte Dating-Apps? Belohnungssystem folgt keiner Handlung im klassischen Sinn, einen gewissen roten Faden über zwischenmenschliche Beziehungen und die (Un)Möglichkeit, individuelle Handlungen zu setzten, scheint es aber doch zu geben. Trennt oder verbindet die virtuelle Welt?
Sämtliche Figuren in diesen aneinandergereihten Episoden bleiben ebenso verwaschen wie das bunte Gesicht am Titelbild. Nebulöse Zeilen, rasch wechselnde Szenen, oftmals gekürzt auf Momentaufnahmen, so präsentiert sich dieses Buch, welches mich leider in keiner Weise ansprechen kann. Für mich war das Lesen nicht „nice“, sondern eher anstrengend. Immer wieder neugierig auf Neues, gehöre ich wohl doch nicht zur Zielgruppe dieses Experiments, welches hier geboten wird, nämlich „neue Namen und Themen zumuten“, wie es Claassen wichtig ist (Quelle: amazon). Auch wenn ich diesmal noch nicht so recht weiß, was ich mit dem Gelesenen anfangen soll, so ist es trotz allem wichtig, dass jede Art von Literatur einen Platz findet und in ihrer Vielfalt präsentiert wird. Bestimmt wird auch „Belohnungssystem“ begeisterte Leser finden!