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Veröffentlicht am 09.03.2025

Das Privileg einer außergewöhnlichen Erfahrung

Hase und ich
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Die Polit-Beraterin und Autorin Chloe Dalton hat sich zur Coronazeit in ihre Scheune auf dem Land zurückgezogen. Eines Tages findet sie ein mutterloses Feldhasenjunges. Sie transportiert es schließlich ...

Die Polit-Beraterin und Autorin Chloe Dalton hat sich zur Coronazeit in ihre Scheune auf dem Land zurückgezogen. Eines Tages findet sie ein mutterloses Feldhasenjunges. Sie transportiert es schließlich vorsichtig in ihr Haus und füttert Spezialnahrung mit der Pipette. In der Folgezeit liest sie Fachliteratur, um nichts falsch zu machen. Die versucht nie, das Wildtier zu vermenschlichen oder zu zähmen, gibt ihm nicht einmal einen Namen. Ihr neuer Mitbewohner bekommt so viel Freiraum, wie er oder sie benötigt. Das Tier wächst schnell und seine Retterin schafft bald die Möglichkeit, dass Hase ungehindert kommen und gehen kann. Der Leser verfolgt mit Erstaunen, in welchem Umfang Dalton bereit ist, sich auf Hases Bedürfnisse einzustellen und ihre eigenen als zweitrangig zu betrachten.
Die Geschichte zeichnet circa drei Jahre im Leben von Dalton und Hase nach. Das Tier wird nicht nur erwachsen, sondern bekommt in der Folge auch dreimal Nachwuchs, beim zweiten Mal im Haus. Die Autorin hat sich nicht nur sehr gründlich in der Fachliteratur informiert, sondern auch Poesie und Prosa aus fernen Jahrhunderten gelesen, wie die umfangreiche Auswahlbibliographie am Ende des Buches zeigt. Ihre Erfahrungen widersprechen häufig den dort dargelegten Aussagen.
Was das Buch so besonders macht, ist Chloes Weg der Selbstfindung und veränderten Einstellung zu Natur und Tierwelt. Sie stellt ihre eigene frühere Lebensweise total in Frage und weiß nun, was ein gutes Leben ausmacht. Sie sieht, wie der Mensch den natürlichen Lebensraum der Tiere immer weiter zerstört und riesige Erntemaschinen Wildtiere töten, dass Tiere wie der Feldhase nicht nur natürliche Feinde wie Fuchs, Dachs, Wiesel und große Vögel haben. Berührend ist auch, dass Dalton angesichts der geringen Lebenserwartung der Feldhasen jetzt schon weiß, dass Hase in naher Zukunft nicht mehr da sein wird und sie über den Verlust ihrer stillen und würdevollen Gefährtin große Trauer empfinden wird. Mir hat diese herzerwärmende, zum Nachdenken anregende Geschichte sehr gut gefallen. Sie hat mich auch sprachlich vollkommen überzeugt.

Veröffentlicht am 09.03.2025

Ein mörderischer Job

Die Kammer
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Im Mittelpunkt von Will Deans Thriller “Die Kammer“ steht die Ich-Erzählerin Ellen Brooke, einzige Frau in einem Team von sechs Sättigungstauchern. Die Geschichte beginnt mit dem ersten Arbeitstag des ...

Im Mittelpunkt von Will Deans Thriller “Die Kammer“ steht die Ich-Erzählerin Ellen Brooke, einzige Frau in einem Team von sechs Sättigungstauchern. Die Geschichte beginnt mit dem ersten Arbeitstag des Teams in seinem neuen Job. Die Taucher sollen in der Nordsee auf dem Meeresgrund Bohrmaschinen und Ölleitungen warten und reparieren. Dafür steigen sie auf dem Schiff Deep Topaz in die Kammer und von da aus in ihren jeweiligen Schichten in die Taucherglocke hinab. Als Ellen nach ihrem ersten Einsatz in die Kammer zurückkehrt, liegt einer ihrer Kollegen im Sterben. Sie können ihn nicht retten. Die Arbeit in der Tiefe wird sofort abgebrochen, aber an Bord oder an Land können die Überlebenden dennoch nicht gehen. Erst müssen sie sich der tagelangen Dekompression unterziehen. Ein sofortiges Auftauchen bedeutet den Tod. So leben die Taucher auf engstem Raum in der Kammer, die so klein ist, dass sie nur die Hand ausstrecken müssen, um die anderen zu berühren. Eine Privatsphäre gibt es nicht. Sie werden ständig durch Kameras beobachtet, und das Personal auf dem Schiff hört jedes Wort. Dann gibt es weitere Tote. Die Kollegen begegnen einander zunehmend mit Misstrauen, wissen sie doch genauso wenig wie der Leser, ob einer von ihnen der Mörder ist oder ob die Bedrohung von außerhalb kommt.
Der Autor beschreibt kenntnisreich die fremde Welt des Tiefseetauchens mit ihren psychischen und physischen Belastungen. Die Taucher müssen mit Ängsten, Panikattacken und Albträumen fertigwerden und kämpfen mit diversen Traumata aus der Vergangenheit. Mir hat dieser fesselnde Locked Room Thriller sehr gut gefallen, lässt sich doch die klaustrophobische Atmosphäre in der Kammer sehr gut nachempfinden. Ein sehr empfehlenswertes Buch.

Veröffentlicht am 04.03.2025

Seltsame Frauenmorde

Die Brandung – Leichenfischer
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In Karen Kliewes Ostsee-Krimi “Die Brandung – Leichenfischer“ wird im deutsch-dänischen Grenzgebiet eine Frauenleiche gefunden, kurze Zeit später eine zweite. Beide Frauen wurden nach einem uralten Wikinger-Ritual ...

In Karen Kliewes Ostsee-Krimi “Die Brandung – Leichenfischer“ wird im deutsch-dänischen Grenzgebiet eine Frauenleiche gefunden, kurze Zeit später eine zweite. Beide Frauen wurden nach einem uralten Wikinger-Ritual mit nachgemachten Grabbeigaben bestattet. Die Gräber liegen in öffentlich zugänglichem Gebiet. Dennoch gibt es keine Zeugen für die aufwändigen Grabungsarbeiten. Die deutschen und dänischen Ermittler arbeiten zusammen, finden aber lange keine brauchbare Spur. Es gibt im Laufe der Geschichte verschiedene Verdächtige, aber es handelt sich immer wieder um falsche Fährten. Die Ermittler stehen auch deshalb stark unter Druck, weil weitere junge Frauen vermisst werden und nicht klar ist, ob sie irgendwo gefangen gehalten und dann ebenfalls ermordet werden. Ein weiteres ausgehobenes Grab hat man immerhin schon gefunden.
Die Geschichte wird mit ständig wechselnden Perspektiven an verschiedenen Orten erzählt, wobei der Leser auch wegen der kaum überschaubaren Personenvielfalt etwas den Überblick verliert. Am besten gefällt mir dabei die Figur der dänischen Archäologin Fria Svensson, die zeitweise mit dem deutschen Kommissar Ohlsen Ohlsen zusammenarbeitet. Erst eine Zeugenaussage von einem Schrottsammler, der ein Auto im Wald fotografiert hat und das von einer Kriminalpsychologin erstellte Täterprofil bringt die Ermittlungen schließlich voran. Besonders spannend fand ich diesen Krimi nicht. Die Geschichte ist etwas wirr und wirkt sehr konstruiert und realitätsfern. Warum ist der Täter/ die Täterin solche Risiken eingegangen? Besonders überzeugend wirkt auch sein/ ihr Motiv nicht.
Mich hat der Ostsee-Krimi, in dem die Ostsee weiter keine Rolle spielt, enttäuscht, und ich sehe keine Veranlassung, weitere Titel dieser Reihe zu lesen.

Veröffentlicht am 02.03.2025

Wie sieht es hinter der Fassade aus?

Ein ungezähmtes Tier
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In Dickers Roman “Ein ungezähmtes Tier“ stehen zwei Ehepaare im Mittelpunkt. Das sehr reiche, glamouröse Paar Sophie und Arpad Braun hat zwei Kinder und bewohnt ein luxuriöses Anwesen in der Nähe des Genfer ...

In Dickers Roman “Ein ungezähmtes Tier“ stehen zwei Ehepaare im Mittelpunkt. Das sehr reiche, glamouröse Paar Sophie und Arpad Braun hat zwei Kinder und bewohnt ein luxuriöses Anwesen in der Nähe des Genfer Sees, umgeben von Wald. Nicht weit von ihnen entfernt lebt der Polizist Greg Liégean mit seiner Frau Karine und den beiden Kindern in wesentlich bescheideneren Verhältnissen. Arpad und Greg kennen sich vom örtlichen Fußballclub, bei dem sie ehrenamtlich bei Veranstaltungen mitwirken. Greg ist so fasziniert von Sophie, dass er zum Stalker geworden ist und durch sein Fernglas und später mit Hilfe einer heimlich installierten Überwachungskamera intimste Momente beobachtet. Beide Paare kommen bei der Feier von Sophies 40. Geburtstag zusammen. Danach sind die beiden Frauen befreundet. Gleichzeitig bereiten in einem zweiten Handlungsstrang zwei zunächst unbekannte Einbrecher einen Einbruch in einen Genfer Juwelierladen vor, der knapp zwei Wochen nach Sophies Geburtstag stattfinden soll. Greg ist mit seiner Truppe maßgeblich daran beteiligt, den Überfall möglichst zu verhindern und die Täter auf frischer Tat zu ertappen.
Die Geschichte wird mit vielen Rückblenden in die Vergangenheit erzählt, wodurch erst allmählich die Verstrickung der Protagonisten in das aktuelle Geschehen aufgeklärt wird. Die Uhr läuft, und die Spannung steigt bis zum großen Finale. Gleichzeitig wird deutlich, dass alle zentralen Charaktere etwas zu verbergen haben: Arpad eine dubiose Vergangenheit mit Kontakten zum gesuchten Mehrfachtäter Philippe Carral, Sophie ihre lange Bekanntschaft mit diesem Mann, der bis jetzt unbescholtene Polizist Greg sein Fehlverhalten im privaten und dienstlichen Bereich, und Karine erhält lange um jeden Preis die Fassade einer guten Ehe und glücklichen Familie aufrecht.
“Ein ungezähmtes Tier“ hat Züge eines Psychothrillers und liest sich ungeheuer spannend. Mir hat auch der neue Roman des Schweizer Autors sehr gut gefallen, und ich empfehle ihn ohne Einschränkung.

Veröffentlicht am 02.03.2025

Für immer ein Dibbuk im Getriebe

Die Fletchers von Long Island
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In ihrem Roman “Die Fletchers von Long Island“ geht es um die sehr reiche jüdische Familie Fletcher auf Long Island. In den 40er Jahren hat es Zelig Fletcher mit knapper Not aus Polen auf ein Schiff und ...

In ihrem Roman “Die Fletchers von Long Island“ geht es um die sehr reiche jüdische Familie Fletcher auf Long Island. In den 40er Jahren hat es Zelig Fletcher mit knapper Not aus Polen auf ein Schiff und in die USA geschafft. Dort hat er eine Polyesterfabrik aufgebaut, die ihn reich gemacht hat und inzwischen von seinem Sohn Carl geleitet wird. Carl war verheiratet, hatte zwei Kinder – Nathan und Bernard genannt „Beamer“ – als er 1980 vor seinem Haus entführt wird. Gegen eine Lösegeldzahlung von 250.000 Dollar wird er fünf Tage später frei gelassen. Zwei der Entführer werden aufgrund von markierten Scheinen gefasst, aber den Drahtzieher findet man genauso wenig wie den Löwenanteil der gezahlten Summe.
Die Autorin beschreibt mit Hilfe eines allwissenden Erzählers, wie es für die Familie weitergeht. Carl wird nie wieder derselbe sein, und auch seine Frau Ruth und seine Kinder sind für immer traumatisiert. Bei einem solchen Trauma gib es kein Danach. Ruth verbringt den Rest ihres Lebens Leben damit, ihren Mann zu beschützen. Keines der drei Kinder – die Tochter Jenny wurde erst drei Monate nach der Entführung geboren – bekommt sein Leben in den Griff. Nathan ist ein erfolgloser Anwalt mit einer Angststörung, Beamer schreibt Drehbücher, die kein Produzent haben will und in denen es immer um Entführungen geht und bezahlt Sex-Arbeiterinnen und eine Domina, um sich erniedrigen und schmerzhaft bestrafen zu lassen, und Jenny hat viele Jahre lang keine Freunde oder auch nur nennenswerte soziale Kontakte. Sie engagiert sich schließlich bei einer Gewerkschaft, weil sie sich für den Reichtum der Familie schämt und schuldig fühlt und verschenkt ihr Geld. Sympathisch ist keiner von ihnen. So schrecklich das ist, was ihnen widerfuhr, fällt dem Leser Empathie nicht leicht.
Die Autorin zeigt, wie schwer es vor allem für die drei Kinder ist, Ziele für sich zu finden und ein erfolgreiches Leben zu führen. Bei dem vorhandenen Reichtum ist es ja auch zunächst nicht notwendig, sich irgendwelche Gedanken über die Zukunft zu machen. Außerdem gibt es in der Geschichte eine Fülle von Details zum jüdischen Leben, zu religiösen Praktiken und zu allen Arten von jüdischen Sitten und Gebräuchen. Taffy Brodesser-Akner ist ein interessanter Roman gelungen, stilistisch brillant, an dem mich lediglich die epische Breite stört.