Sehr intensiv und eindringlich
Gras unter meinen Füßen1939: Ada (wahrscheinlich 10 Jahre) wächst mit ihrem kleinen Bruder Jamie (wahrscheinlich 6) bei ihrer bösartigen Mutter in einer winzigen Wohnung nahe der Londoner Docks auf. Wegen ihres Klumpfusses kriecht ...
1939: Ada (wahrscheinlich 10 Jahre) wächst mit ihrem kleinen Bruder Jamie (wahrscheinlich 6) bei ihrer bösartigen Mutter in einer winzigen Wohnung nahe der Londoner Docks auf. Wegen ihres Klumpfusses kriecht sie durch die Wohnung und darf sie nicht verlassen. Ihre Mutter schämt sich für sie und so kann sie nur stundenlang einsam am Fenster sitzen und in die Gasse schauen. Jamie darf ja dort mit anderen Kindern spielen. Gibt sie Widerworte, wird sie in ein Ungeziefer verseuchtes, feuchtes, stinkiges Kabuff unter der Spüle gesperrt. Doch dann erzählt Jamie, dass alle Kinder die Stadt verlassen, um aufs Land gebracht zu werden, in Sicherheit vor den Bomben, da nun Krieg sei. Heimlich verlässt Ada mit Jamie das Haus, was ihr strengstens verboten ist, um zu sehen, was das Land ist. Dort sieht sie zum ersten Mal in ihrem Gras, doch niemand will diese zwei zerlumpten Kinder aufnehmen. So werden die zwei von der Vorsitzenden des Hilfsvereins bei der alleinstehenden Susan Smith untergebracht, die nie Kinder haben wollte. Es ist alles fremd, das weiche Bett, das Pony im Garten, 3 Mahlzeiten am Tag und keine Schläge. Susan besorgt Ada sofort Krüken und sie darf das Haus verlassen! Können diese 3 einsamen Seelen ihre Vergangenheit überwinden und zusammenwachsen?
Es ist berührend und erschreckend zugleich, wie Ada, die Welt „da draußen“ entdeckt und all diese Dinge und Gerüche, für die sie die Worte nicht kennt. Ihr Horizont war so begrenzt (der ihrer Mutter wohl auch) und nun gibt es so viel zu bestaunen! Auch wenn es meistens schön ist, ist sie doch so lieblos und brutal aufgewachsen, dass sie ihr Glück nicht fassen kann und schon gar nicht glauben kann, dass sie es verdient hat. Je besser es wird, desto schroffer und abweisender wird sie.
Nach und nach entdeckt Ada, was sie trotz ihres „schlimmen Fuß“ so alles kann und vor allem, was sie alles lernen kann! Dabei wird sie immer wieder von Miss Susan ermuntert, obwohl diese ja keine Kinder wollte. Dennoch schlägt sie die Kinder nie und steht ihnen bei, sofern sie es kann. Auch sie hat eine Last zu tragen, an der sie dachte, dass sie zerbrechen würde, aber nun hat sie keine Zeit dazu... Ada ist so verletzlich unter ihrem Panzer und dabei so liebenswert, wie sie stets die Verantwortung für ihren kleinen Bruder übernimmt und versucht ihn zu beschützen. Dabei ist sie trotz des Klumpfusses sehr hilfsbereit, wissbegierig und aufmerksam, so sehr, dass sie sogar zur Heldin wird... Ja, auch auf dem Land, passiert nämlich so einiges!
Birte Schnöink spricht mit ihrer warmen verletzlichen Stimme mit viel Gefühl, sehr lebendig und ausdrucksstark. Dabei passt sie sich wunderbar den jeweiligen Charakteren an, was auch ganz schön erschreckend ist, wenn sie als Mutter die Kinder drangsaliert oder anfährt. Sie ist mir mit ihrer Stimme und der sensiblen Erzählweise unter die Haut gegangen.
Das englische Original ist zurecht preisgekrönt und nun endlich auch in deutscher Übersetzung erhältlich. Es geht weniger um den zweiten Weltkrieg, als die damals abwertende Haltung der Gesellschaft und die falsche Scham, bei Menschen die anders sind. Das muss ja ein Teufelsmal sein! Diese drei, die das Schicksal zusammen geworfen hat, haben alle ihr Päckchen an Andersartigkeit zu tragen, wobei es nur bei Ada offensichtlich ist. Ich hoffe, dass auch die Fortsetzung bald bei uns und auch als Hörbuch erscheint, denn ich bin gespannt, wie es weitergeht! Ab 12 Jahren.