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Veröffentlicht am 11.08.2024

Zwischen den Kulturen

Der Großcousin
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In Djafaris 3. Roman kehren wir zurück in die Familie Hamidzadeh. Abbe, der älteste Sohn, ist ein erfolgreicher Frankfurter Unternehmer, der auf internationaler Bühne in der Entwicklungshilfe agiert. Die ...

In Djafaris 3. Roman kehren wir zurück in die Familie Hamidzadeh. Abbe, der älteste Sohn, ist ein erfolgreicher Frankfurter Unternehmer, der auf internationaler Bühne in der Entwicklungshilfe agiert. Die wenige Zeit, die ihm bleibt, verbringt er mit seiner Frau Maria oder bei seinem dementen Vater im Seniorenheim – er scheint seine einzige und letzte Verbindung zu seinen persischen Wurzeln zu sein. Bis sein Großcousin Reza aus dem Iran vor der Tür steht, der in Deutschland Fuß fassen will. Zunächst scheint er weniger Hilfe zu brauchen, als Abbe vermutet hatte. Doch dann taucht Reza immer wieder auf, bitte ihn um Geld, weil er in Schwierigkeiten steckt, will aber nie so recht mit der Sprache rausrücken. Abbe, der es gewohnt ist, Probleme effizient zu lösen, verzweifelt fast an Rezas Undurchsichtigkeit und erfährt nur häppchenweise von dessen wirklichen Beweggründen, sein Heimatland zu verlassen. Abbes firmeninterne Probleme werden zweitrangig, als ihm klar wird, wie wenig er eigentlich von den Schwierigkeiten seines ihm fremdgewordenen Herkunftslandes weiß. Und schon gar nichts von den prekären Lebensumständen der jungen Generation.

Es ist das Jahr 2015, die brisante Flüchtlingspolitik ist allgegenwärtig, aber die Geschichte selbst spielt sich im alltäglichen Miteinander ab. Es sind die zwischenmenschlichen Momente, die Djafari mit zärtlichen, feinen Linien zu zeichnen weiß. Abbe, der eigentlich in »typisch deutscher Manier« agiert, ja den sogar die umständlichen persischen Höflichkeitsfloskeln eher verärgern, weil er lieber schnell auf den Punkt kommen will. Doch Abbe lässt nicht locker und allmählich versteht er, dass der heutige Iran gerade für junge Leute eine Vielzahl von Problemen bereithält, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, die permanente Überwachung durch das Mullah-Regime, das nicht Halt davor macht, das Liebesleben Unverheirateter zu auszuspionieren.

In Djafaris Geschichte prallen Kulturen aufeinander, Korruption in den Entwicklungsländern, Alltags- und Zukunftsprobleme im Iran, die Flüchtlingskrise in Deutschland und mittendrin zwei Menschen, die sich verständigen müssen – der eine hat seine Wurzeln verloren, der andere versucht, Wurzeln zu schlagen. Ein interessanter, spannender, wendungsreicher Roman, den Djafari in gewohnt leisen Tönen erzählt.

Allerdings bleibt er für mich hinter seinem Vorgänger »Mahtab« zurück. Die eigentliche Geschichte um Reza setzt erst sehr spät ein, so dass ich lange nicht wusste, wo das Buch eigentlich hin will. Im Erzählstrang um Abbes Entwicklungsarbeit werden einige Handlungsstränge aufgemacht, die Spannung versprechen, am Ende teilweise ungelöst bleiben oder mit nur wenigen Sätzen abgetan werden. Auch bleiben mir die Charaktere diesmal unnahbar, einige etwas hölzernen Aktionen wirkten auf mich konstruiert und unglaubwürdig. Leider gar nicht überzeugt hat mich auch das übereilte, zu kurze Ende. Schade, ich hatte mir nach »Mahtab« sehr viel von dem Buch versprochen, das leider nur zum Teil erfüllt wurde. Aber bei aller Kritik bleibt es ein lesenswertes, hochaktuelles Buch, das Verständnis weckt für das Miteinander verschiedener Kulturkreise.

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Veröffentlicht am 07.08.2024

Psychogramm eines charmanten Mörders

Ripley
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»Gerechtigkeit und Moral langweilen mich«, sagte einmal Patricia Highsmith.

Und das zeigt sie in ihrem 1955 erschienenen Suspense-Roman, indem sie das Krimigenre aufbricht, nicht von der Jagd nach dem ...

»Gerechtigkeit und Moral langweilen mich«, sagte einmal Patricia Highsmith.

Und das zeigt sie in ihrem 1955 erschienenen Suspense-Roman, indem sie das Krimigenre aufbricht, nicht von der Jagd nach dem Mörder schreibt, sondern den Täter selbst zum Helden ihrer Geschichte macht, der durch geschicktes Agieren und viel Fantasie mit seinem Verbrechen davonkommt. Für den wir sogar Sympathie empfinden und somit zum mitfiebernden Komplizen werden.

Tom Ripley, der sich mit kleinen Gaunereien durchschlägt, wird von einem reichen Reeder angeheuert, seinen Sohn Dickie, der in Italien lebt, zur Heimkehr zu bewegen. In dem malerischen Küstenort angekommen, ist Tom von Dickies sorgenlosen, vom Vater finanzierten Bohemeleben fasziniert. Als sein Auftrag zu scheitern droht, bringt er Dickie um, nimmt dessen Identität an und lebt ein Doppelleben.

Doch wer ist dieser Ripley? Was aber genau fesselt uns Leser auch 70 Jahre später noch an dieser zwiespältigen Figur?

Es ist die tiefe Charakterisierung, die im Laufe der Geschichte immer mehr an Kontur gewinnt. Ripleys Ängste und Hoffnungen, seine Enttäuschungen, seine Empathie, seine Verletzungen, die Highsmith meisterhaft und nachvollziehbar zeigt, die auf uns so glaubhaft wirken. Er verliert früh seine Eltern, wächst bei einer wenig liebevollen Tante auf, von deren spärlicher finanzieller Zuwendung er abhängig ist, sein Traum, Schauspieler zu werden, platzt und am unteren Rand der Gesellschaft bleibt ihm nicht anderes übrig, als den Reichen zuzusehen, wie sie ihr Leben genießen. Er fühlt sich vom Leben betrogen und ist der festen Meinung, dass ihm auch ein Stück von dem Kuchen zusteht. Niemand wird als kaltblütiges Monster geboren, es ist Ripleys latente Wut auf die Chancenlosigkeit der amerikanischen Gesellschaft der frühen 50er Jahre, die ihn letztlich zu einen Lügner, einem triumphierenden Mörder ohne Gewissensbisse werden lässt.

Dank seiner schauspielerischen Leistung laviert er sich immer wieder überzeugend aus brenzlichen Situationen. Je weiter die Geschichte fortschreitet, beobachten wir, wie Ripley sich verändert. Zwar erscheint er nach außen souverän, doch wird zunehmend labiler, die Angst, aufzufliegen, wächst und setzt ihn zunehmend unter Druck. Auch wenn sich Ripley darüber amüsiert, dass der Schwindel auffliegen könnte, und sich an dem Risiko berauscht.
Bei Lesen fiebert man zwar mit, wie er es wohl ein weiteres Mal schafft, seinen Verfolgern zu entkommen, doch versteht auch allmählich seinen inneren Zwiespalt, nur um am Ende einzusehen, dass er im wahrsten Sinne des Wortes schwer zu fassen ist.

Ein beeindruckendes Psychogramm eines charmanten, manipulativen, narzisstischen Mörders, das von einer schnellen Handlung lebt und zeigt, dass es keine starren Grenzen zwischen Gut und Böse gibt. Eine Geschichte, die bis heute nichts an ihrer Faszination eingebüßt hat, mehrfach ausgezeichnet und verfilmt wurde.

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Veröffentlicht am 26.07.2024

Der mühsame Weg zum Erfolg

Die Geschichten in uns
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»Es war alles ein Chaos, nichts passte zusammen, und nichts davon konnte ich artikulieren, eine auf stumm geschaltete Seele. Jahrelang trieb ich in meiner Wortlosigkeit und hatte keine Ahnung, ob ich mich ...

»Es war alles ein Chaos, nichts passte zusammen, und nichts davon konnte ich artikulieren, eine auf stumm geschaltete Seele. Jahrelang trieb ich in meiner Wortlosigkeit und hatte keine Ahnung, ob ich mich dabei auf das Ufer zubewegte oder mich von mir selbst entfernte.« S.35

Wenn man Wells’ Bücher »Vom Ende der Einsamkeit« und »Hard Land« gelesen hat, fragt an sich unweigerlich, wie er es schafft, so tiefe Gefühle in einem zu wecken, sich so verstanden zu fühlen, einen so tief zu berühren. Diese Fragen (von Teilnehmerinnen eines Seminars und Lesungen) legte den Grundstein für Wells’ neues Buch, in dem er uns seinen Weg des Schreibens nachzeichnet. Mit einer gewissen Distanz, jedoch mit dem ihm ganz eigenen Humor, beginnt er mit einer »Bleistiftskizze« seiner Kindheit. Ungewöhnlich persönliche Einblicke, des sonst so scheuen Autors. Er schreibt über seine bipolare Mutter, ihre Aufenthalte in der Psychiatrie, die Trennung seiner Eltern, das Chaos zu Hause, seine Kindheit in verschiedenen Heimen – »Ein Kind, das im Grunde nicht stattfindet«. Bücher werden sein Rettungsanker, seine Flucht, hier fühlt er sich verstanden, aufgefangen. Nach enttäuschender Schullektüre wird es Irvings »Das Hotel New Hampshire« sein, das in Wells den Wunsch weckt, Schriftsteller zu werden – auch wenn ihm sein Lehrer mangelndes Talent bescheinigt. Er schreibt von seinem jugendlichen ungebrochenen Glauben an seine eigene Genialität, die einsamen Jahre in Berlin, der tiefen Verzweiflung, wenn es mal wieder nur Absagen für sein Manuskript gab. Aber auch seine unbändige Freude, als plötzlich Menschen an ihn glaubten und er zum ersten Mal durch die grüne Tür des Diogenes Verlags ging.

Im 2. Teil geht es um die Entstehung von Romanen, vom ersten Funken bis zur kräftezehrenden Überarbeitung. Er spricht über Figuren, Dialoge, Tempo, Szenen u.v.m. Dabei ist es keinesfalls ein trockener Schreibratgeber mit der Garantieformel für den nächsten Bestseller, es ist eine Sammlung eigener Erfahrungen, Zitate aus Büchern anderer Autorinnen. Er arbeitet mit Beispielen, die helfen, das Theoretische dahinter zu verstehen, öffnet seine Werkzeugkiste für uns und erklärt anhand von zwei frühen Manuskriptstellen aus den o.g. Romanen, wie man an die Überarbeitung gehen kann.

Wells zeigt, dass der Weg bis zum gefeierten Ausnahmeautor und mehrfachen Preisträger mühsam und steinig war. Gepflastert mit Enttäuschung und Absagen – und doch ist er ihn gegangen. Für mich verbindet sich nach diesem Buch der Autor mit seinen wiederkehrenden Themen – Einsamkeit und Sehnsucht, es wird deutlich, wie sehr ihn seine Kindheit geprägt hat und wie lange er gebraucht hat, Worte dafür zu finden. Ich kann auch verstehen, dass er heute, mit 40 Jahren, mit dem hadert, was er als 20-Jähriger geschrieben hat, dass es der wachsende Abstand zu den Ereignissen ist, der ihn eine andere Perspektive finden lässt und er sich allmählich selbst näher kommt. Immer wieder scheint der bescheidene, selbstkritische Mensch durch, den er so gern hinter seinem leichten Ton und seinem einnehmenden Lächeln versteckt.

»Schmerz ist eine kräftige Tinte, doch oft muss sie erst erkalten.« S.317

Fazit: Nun ich bin froh, dass Wells seine schriftstellerische Pause mit einem Sachbuch durchbrochen hat. Bin dankbar für seine ehrlichen, tiefen Einblicke in seine verletzte Seele, aus der heraus so großartige Romane entstanden sind. Bin dankbar für seine zahlreichen Literaturtipps (von denen ich einige gelesen habe, andere es auf meine Wunschliste geschafft haben), für seine motivierenden Worte (es sind unzählige Post-Its im Buch). Bin dankbar für seine Erfahrungen des Scheiterns, die er so offenherzig mit uns teilt, denn die sind es doch letztlich, die zeigen, dass man mit seinem eigenen Zweifeln und Verletzungen nicht allein auf der Welt ist.
Ein Buch, das zeigt, was Literatur alles vermag, egal, ob man nun selbst zum Stift greifen will oder nicht.

»Es gibt kein Ende der Einsamkeit, sie ist in den Stoff unserer Seele gewebt und gehört zu uns. Man kann nur den Umgang mit ihr ändern. Auch das Schreiben hat kein Happy End, es kann das Loch im Inneren nicht auffüllen, ein Schritt in der fiktiven Welt ersetzt nicht den Schritt in der Wirklichkeit. Man führt seine Figuren einem logischen Ende und einer reifen Erkenntnis zu, lässt sie Bindungsängste, Verletzungen und andere Hürden überwinden, während man als Mensch weiter durch sein Leben stolpert und den Weg sucht.« S.100

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Veröffentlicht am 16.07.2024

Die Schrecken der illegalen Migration aus der Sicht eines Kindes

Solito
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»Dieses Buch ist für alle, die die Grenze überquert haben, die es versucht haben, die es jetzt im Augenblick tun und weiter versuchen werden.« S.472

7 Wochen war Javier Zamora auf der Flucht von El Salvador ...

»Dieses Buch ist für alle, die die Grenze überquert haben, die es versucht haben, die es jetzt im Augenblick tun und weiter versuchen werden.« S.472

7 Wochen war Javier Zamora auf der Flucht von El Salvador in die USA und das ist seine wahre Geschichte. 7 Wochen, in denen seine Familie nicht wusste, wo er sich befand und ob die Flucht gelingen würde. Javier war damals 9 Jahre alt und ganz allein – solito.

Javier wächst bei seinen Großeltern auf, nachdem seine Eltern vor dem von der USA finanzierten Bürgerkrieg nach »La USA« geflüchtet sind. So oft es geht, telefoniert er mit ihnen. Er vermisst sie schrecklich, doch nun endlich soll er nachkommen.
Sein Großvater begleitet ihn noch bis Guatemala, wo man Javier und den anderen beibringt, wie sie sich auf der Flucht zu verhalten haben, bevor sie sich mit dem Kojoten (Schlepper) auf eine ungewisse Reise machen. Es soll eine Odyssee werden, die sie mit einem Boot nach Mexiko bringt, wo sie aus Bussen gezerrt werden, wo sie als »pinches migantes« (verdammte Migranten) beschimpft werden, auf LKWs wie Vieh verfrachtet werden und zum Schluss unter unglaublichen Strapazen die Sonora-Wüste zu Fuß durchqueren müssen.
Erzählt wird aus der Sicht des 9-jährigen Javiers, dass es mir an manchen Stellen fast das Herz zerrissen hat. Nur zögerlich fasst er Vertrauen zu den anderen Erwachsenen, immer bedacht, nicht aufzufallen, die mexikanischen Wörter richtig auszusprechen, seine wenigen Klamotten zu waschen. Doch mit der Zeit werden sie zu seiner Ersatzfamilie, die ihn trösten und unterstützen. Hitze, Kälte, das ewige Warten – oft über Wochen, das allein ist schon unvorstellbar, doch Zamora holt uns immer wieder in die Gefühlswelt des Jungen zurück, dessen Blick das große Ganze nicht zu erfassen vermag, dessen Gedanken darum kreisen, dass er nachts im Raum mit den anderen nicht pupst und ihn niemand nackt unter der Dusche sieht; der Angst hat, dass eine Toilette ihn ins Meer spült; der sich Sorgen macht, weil er seine Schuhe nicht zubinden kann.

Immer wieder rufe ich mir ins Gedächtnis, dass dies hier eine wahre Geschichte ist – die eines Kindes. Und genau das hebt das Buch aus allen anderen Fluchtgeschichten heraus, die ich seit letztem Jahr gelesen habe. Immer wieder hören wir in den Nachrichten von unbegleiteten Minderjährigen, doch was es wirklich bedeutet, sich allein als Kind Schleppern auszusetzen, Fremden anzuvertrauen, ein Gewehr auf sich gerichtet zu sehen, Menschen verschwinden zu sehen, wird mir erst durch dieses Buch so richtig bewusst. 20 Jahre hat Zamora sich kaum erinnert, Therapien gemacht, um seine traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten, um sie in diesem Buch niederschreiben zu können. Ein Buch, das einen fordert beim Lesen, denn da wo ich als Erwachsene die drohende Gefahr sehe, hält Javier sich mit seiner unbekümmerten, kindlichen Zuversicht tapfer über Wasser, wächst über sich heraus und überlebt schier Unmögliches. Diese kindliche Unschuld, verpackt in zärtliche Worte, hat mich oft schlucken lassen, stellenweise habe ich mit den Tränen gekämpft.
Es ist ein Buch über die Menschlichkeit und des Zusammenhalts, das unseren Blick auf die einzelnen Schicksale hinter den oft gesichtslosen Flüchtlingsströmen lenken soll und die unzähligen Kinder, egal von wo auf der Welt sie ihre Flucht antreten.
Und gleichzeitig ist es eine Anklage gegen geldgierige Schlepper, den rigorosen Umgang der US-Amerikaner mit den Migranten und nicht zuletzt mit der desaströsen Flüchtlingspolitik weltweit. Dann frage ich mich, wie viele dieser Bücher müssen noch geschrieben werden, dass dieses unsägliche Leid aufhört, dass Menschen nicht mehr gezwungen sind, wegen Krieg, Armut oder den Auswirkungen des Klimawandels ihre Heimat zu verlassen.

Noch ein Wort zu den vielen spanischen Begriffen im Text, die anschließend in einem Glossar übersetzt sind. Ich muss zugeben, es war anfangs mühsam. Aber irgendwann habe ich mich in Javiers Lage versetzt, ein Junge, dessen Spanisch sich von dem in den anderen Ländern unterscheidet, der kein Wort Englisch spricht, dessen Angst, etwas falsch auszusprechen größer ist, als nicht bei seinen Eltern anzukommen. Ab da habe ich sie gespürt, die Hilflosigkeit angesichts der sprachlichen Barrieren. Wo die unterschiedlichen Begriffe für »Strohhalm« ausreichen, um eine ganze Gruppe Migranten auffliegen zu lassen.
Ein wirklich eindringliches Buch, dem auch der Humor nicht fehlt, das ich gern weiterempfehle.

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Veröffentlicht am 16.07.2024

Die Schattenseite Kaliforniens Lew Archer 5

Wer findet das Opfer
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Vor ungefähr 10 Jahren bin ich auf einem Bücherflohmarkt über die schönen alten schwarz-gelben Diogenesausgaben von Ross Macdonald gestolpert und hab sie alle verschlungen. Vor allem seine Lew-Archer-Krimis. ...

Vor ungefähr 10 Jahren bin ich auf einem Bücherflohmarkt über die schönen alten schwarz-gelben Diogenesausgaben von Ross Macdonald gestolpert und hab sie alle verschlungen. Vor allem seine Lew-Archer-Krimis. Nun wurden einige bei Diogenes neu übersetzt und wie ich feststellte, hat mir Band fünf tatsächlich gefehlt. Wer Macdonald liest, sollte wissen, dass der Originaltitel »Find a Victim«, (1954) bereits unter »Opfer gesucht« und »Anderer Leute Leichen« erschien.

»Er war der gruseligste Tramper, den ich je mitgenommen habe.«

Eigentlich ist Archer unterwegs nach Sacramento, als er im staubigen Nirgendwo der kalifornischen Wüste einen angeschossenen, blutüberströmten Mann am Straßenrand findet und mitnimmt. Nach ewigen Kilometern stößt er auf ein Motel und dessen feindseligen Besitzer Kerrigan, dem das Opfer kein Unbekannter zu sein scheint. Tony Aquista verstirbt kurz darauf im Krankenhaus und verzögert Archers Weiterreise.
Las Cruces ist ein Ort, wo jeder mit jedem verbandelt ist und eine Menge zu verbergen hat. Archer findet heraus, dass Aquista einen Lastwagen voller Hochprozentigem gefahren hat, doch der Truck ist verschwunden. Seine Suche führt ihn unter anderem zu einem alten Bankraub, ner Menge Korruption, und natürlich zu einer weiteren Leiche.
Es geht hart zu in den 50ern, Frauen werden geschlagen und vergewaltigt und auch Archer muss sich (ausführlich in einer fast filmisch dargestellten 2 Seiten langen Szene) ordentlich prügeln. Doch er folgt seinem Instinkt und lässt sich von niemanden mundtot machen.

Hier fliegen ordentlich die Fäuste und auch ein paar Kugeln. Dass es so gewalttätig zugeht, war mir gar nicht mehr in Erinnerung. Die Männer sind wenig sympathisch, die Frauen schwach und in ihrer Rolle als Gattin gefangen. Im Gegensatz zu manch anderen Büchern aus der Reihe fehlen mir hier die starken und toughen Frauenfiguren, für die Archer nicht nur eine Schwäche hat, sondern für die er auch immer Partei ergreift.

Doch genau das ist es, was Macdonalds Kimis widerspiegeln, die Korruption des gar nicht so sonnigen Kaliforniens, in dem die Männer ihre Überlegenheit oft mit roher Gewalt demonstrieren, dysfunktionale Familien, deren Konflikten Archer auf den Grund geht.
Ich denke, es ist nicht Macdonalds bester Krimi, aber durchaus lesenswert, wenn man die alten Detektivromane mag. Mit Archer hat er eine Figur geschaffen, die Chandlers Philip Marlowe nachempfunden und doch anders ist. Auch wenn wir privat so gut wie nichts über ihn erfahren, beweist er, dass er einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit hat und sich dafür einsetzt, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Auch wenn das heißt, ordentlich was einzustecken. Was wiederum typisch für das damalige Krimigenre war. Zum Glück entwickelt sich Archer in den Folgebänden weiter.

Dashiell Hammett, Raymond Chandler und Macdonald werden von den Kritikern gern als „Heiligen Dreifaltigkeit“ des Hardboiled-Krimis bezeichnet. Wer also die beiden anderen mag, sollte sich die Lew Archer Reihe nicht entgehen lassen. Ich für meinen Teil bin nun komplett durch Macdonalds Werk durch.
Unterm Strich war es wieder ein rasantes Leseerlebnis, das mich gut unterhalten hat.

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