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Veröffentlicht am 14.12.2023

Gut gemeint, aber nicht gut gemacht

Durstiges Land
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Die Idee hinter "Durstiges Land" von Susanne Goetze und Annika Joeres klang erst einmal richtig gut: In fiktiven Szenarien wird - auf der Basis des schon heute verfügbaren wissenschaftlichen Wissens - ...

Die Idee hinter "Durstiges Land" von Susanne Goetze und Annika Joeres klang erst einmal richtig gut: In fiktiven Szenarien wird - auf der Basis des schon heute verfügbaren wissenschaftlichen Wissens - in Form von Kurzgeschichten gezeigt, wie die nahe Zukunft in einem von Wassermangel geprägten Deutschland aussehen könnte. Als Dystopie beziehungsweise Utopie geht es um das worst oder best case scenario, wobei nicht die Illusion geweckt wird, als sei der Klimawandel plötzlich vom Tisch, im Gegenteil, es geht darum, das Beste aus einer zunehmend schwierigen Situation zu machen.

Eigentlich ein reizvoller Ansatz für alle, die sich mit dem Thema Klimawandelfolgen beschäftigen wollen, sich von wissenschaftlichen Abhandlungen aber überfordert fühlen oder einfach mit dem "Was wäre, wenn..." Gedanken spielen, der ja nun so ganz wissenschaftlich nicht ist. Zudem könnte so ein Buch auch Leser anziehen, die sich vielleicht noch nicht so intensiv mit dem Thema beschäftigt haben.

Dass die Wasserkrise kommt, ist keine Frage - sie ist ja schon längst da. Mehrere Hitzesommer haben die wirtschaftlichen Folgen gezeigt, wenn der Rhein nicht mehr schiffbar ist. Kommunale Verbote, den Garten zu wässern, könnten schon bald ein Luxusproblem sein angesichts sinkender Grundwasserspiegel und ihrer Folgen für das Ökosystem. Gewaltsame Konflikte um Wasser gibt es schon längst in mehreren Staaten, auch wenn dieses Szenario in Deutschland keine Rolle spielt.

Doch ach, gut gemeint ist nicht gut gemacht. Die Protagonisten der Erzählungen sind so holzschnittartig, die Rollen so schwarz-weiß verteilt, dass mich die Geschichten eher an Agit-Prop der 70-er Jahre oder ideologisierende Kinderbücher der DDR erinnern. Es macht einfach keinen Spaß zu lesen, wenn hinter jedem Satz die moralische Empörung der Autorinnen hechelt. Da habe ich geradezu Greta Thunbergs berühmtes "How dare you!" im Ohr.

Bei allem Interesse für das Thema und die auf wissenschaftlichen Arbeiten beruhenden Szenarien, welche Handlungsfelder es gibt, habe ich irgendwo in der Mitte des Buches aufgegeben, da die Geschichten einfach nicht besser wurden. Das nächste Mal greife ich doch lieber direkt zum Sachbuch, wenn ich mehr über die Zukunft einer Welt mit zunehmendem (Süß-)Wassermangel erfahren will.

Veröffentlicht am 13.12.2023

Ex-Kanzlerin ermittelt auf Ostseekreuzfahrt

Miss Merkel: Mord auf hoher See
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Egal wie man zu Angela Merkel oder zur CDU steht - die Romanreihe von David Safier um die verrentete Ex-Kanzlerin als Hobbydetektivin sind liebenswerte und unterhaltsame Cozy-Krimis mit ironischen Seitenhieben ...

Egal wie man zu Angela Merkel oder zur CDU steht - die Romanreihe von David Safier um die verrentete Ex-Kanzlerin als Hobbydetektivin sind liebenswerte und unterhaltsame Cozy-Krimis mit ironischen Seitenhieben auf die Alphamännchen der Weltpolitik, auf die Angela Merkel im Ruhestand mit abgeklärter Distanz blicken kann. Ich habe mich also gefreut als mit "Miss Merkel: Mord auf hoher See" der nunmehr dritte Band der Reihe als Buch und Hörbuch erschien. Im Fall der Hörbuch-Version insbesondere deshalb, weil Sprecherin Nana Spier so wunderbar merkeln kann und die Sprechweise der Ex-Kanzlerin perfekt drauf hat.

Wie der Titel schon verrät verlässt Angela Merkel mit der eingeschworenen Gruppe bestehend aus Ehemann Joachim, Bodyguard Mike, Bestie Marie samt Söhnchen Adrian sowie natürlich Mops Pupsi (ehemals Putin) die heimische Uckermark, um auf Kreuzfahrt zu gehen. Noch ein Klima-Faux-pas der Ex-Kanzlerin? Nein, diesmal hat sie alle ökologischen Gewissensbisse wegen des CO2-Abdrucks aus einem guten Grund hinter sich gelassen: Bei der dreitägigen Mini-Kreuzfahrt in der Ostsee (mit Bahn-Anreise) handelt es sich um eine Krimi-Kreuzfahrt mit mehreren bekannten Autoren, die auch Workshops geben.

Hier liegt denn auch das eigentliche Motiv für die Reise, denn die Ex-Kanzlerin ist im Ruhestand ein wenig gelangweilt und nicht völlig ausgelastet, nachdem es schon seit Monaten keine ungeklärten Mordfälle mehr zu lösen gab. Heimlich schreibt sie an einem Kriminalroman, doch gründlich wie Frau Merkel nun mal ist, will sie von den Besten lernen und nicht dilettantisch etwas verfassen, was womöglich gründlich daneben geht.

Anders als in der Politik verzichtet Safier bei den prominenten Autoren auf Name-Dropping, aber die Beschreibung der Autoren erinnert schon an die eine oder andere Parallele in der Verlagswelt, wobei sich da sicherlich die Ähnlichkeiten erschöpfen. Denn natürlich kann es auch in diesem Roman nicht ausbleiben, dass Leichen den Weg der Ex-Kanzlerin pflastern und sie wieder zu ermitteln beginnt. Und natürlich bleiben Komplikationen und kleine menschliche Dramen in der Nebenhandlung nicht aus.

Das Rezept Safiers ist bewährt, doch das ändert nichts daran, dass Angela Merkel zwischen Schreibblockade und Detektivarbeit einmal mehr eine Sympathieträgerin ist. Die Kosenamen Puffel und Puffeline zwischen dem Ehepaar Merkel/Sauer finde ich zwar auch im dritten Buch unnötig klamaukig und gelegentlich klingt Nana Spier arg überdramatisch, aber das sind letztlich nur kleinere Mäkeleien - hier überwiegt die Unterhaltung und ein Humor, der niemandem weh tun will. Das Ermittlerteam jedenfalls ist liebenswert-verschroben und dürfte auch künftig nicht langweilig werden.

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Veröffentlicht am 10.12.2023

Kafkaeske Heimkehr

Galgenmann
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"Galgenmann", der Debütroman von Maya Binyam, stellt nicht nur seinen Erzähler vor mancherlei Rätsel. Der namenlose Ich-Erzähler kehrt nach 25 Jahren im Exil zurück in das Land seiner Herkunft, um seinen ...

"Galgenmann", der Debütroman von Maya Binyam, stellt nicht nur seinen Erzähler vor mancherlei Rätsel. Der namenlose Ich-Erzähler kehrt nach 25 Jahren im Exil zurück in das Land seiner Herkunft, um seinen sterbenden Bruder noch einmal zu sehen. Seine Reise in die fremd gewordene Heimat wird zu einer Odyssee mit surrealen, ja kafkaesken Elementen.

Der Erzähler weiß selbst nicht so recht, wie er überhaupt ins Flugzeug gekommen ist, wer seinen Koffer gepackt hat. Er hat Vermutungen, doch wirklich sicher kann er sich überhaupt nicht sein. Überhaupt scheint sich die Wirklichkeit zu verändern, während er noch über etwas nachdenkt, wie in einer Traumlandschaft bewegt sich der Emigrant, der durchgehend eher als hilfloses Objekt der Geschehnisse wirkt.

Woher der Mann kommt und wohin er reist, das bleibt weitgehend offen. Die Beschreibungen legen nahe, dass er in den vergangenen 25 Jahren in den USA lebte und nun in Äthiopien lebt, dem Land, aus dem auch der Vater der Autorin in die USA eingewandert ist.

Wie so viele Rückkehrer aus der afrikanischen Diaspora sieht sich auch der Erzähler einer geballten Erwartungshaltung seiner Angehörigen gegenüber: Ein Cousin erwartet eine Investition in sein Haus, der Bruder hat ohnehin schon seit jeher finanzielle Wünsche geäußert, die mit den Jahren immer größer werden und im Wunsch nach einer Bürgschaft für eine Einwanderung in die USA münden.

Der Erzähler mag die Landessprache seines Herkunftslandes sprechen, doch er gilt offenbar längst als Amerikaner, als Ausländer, der sich nicht auskennt und den man hemmungslos übervorteilen kann, angefangen von Gepäckträger am Flughafen über Taxifahrer zu Bankangestellten. Doch immer wieder gibt es auch die menschlichen Begegnungen, die Erinnerungen an die Vergangenheit und ähnliche Erfahrungen wecken. So wird es eine Reise in die Vergangenheit, zu den eigenen Wurzeln, zu Menschen, die er erst auf den zweiten Blick erkennt. Dass er sich irgendwie auch zeitlich in einem Niemandsland befindet, wird durch die Tatsache bestärkt, dass Emails an die Frau und an den Bruder nicht gesendet werden können.

"Galgenmann" kulminiert in einem überraschenden Ende, das für mich so nicht absehbar war. Ein interessantes, mitunter verwirrendes Debüt.

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Veröffentlicht am 03.12.2023

Cold Case um ein vermisstes Mädchen

Reykjavík
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Bill Clinton hat es getan, Ehefrau Hillary ebenfalls - und nun auch Katrin Jakobsdottir, die isländische Ministerpräsidentin: zusammen mit einem befreundeten Schriftsteller einen Kriminalroman geschrieben. ...

Bill Clinton hat es getan, Ehefrau Hillary ebenfalls - und nun auch Katrin Jakobsdottir, die isländische Ministerpräsidentin: zusammen mit einem befreundeten Schriftsteller einen Kriminalroman geschrieben. Wobei im Fall von Jakobsdottir noch dazu kommt dass sie, im Gegensatz zu den Clintons, weiterhin amtierende Regierungschefin ist und nicht den Ruhestand zwischen Redeauftritten mit kreativem Schreiben würzt. Den Erstling "Reykjavik", der in den 1980-er Jahren während des Gipfeltreffens von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow spielt, hat Jakobsdottir mit dem befreundeten Schriftsteller Ragnar Jonasson geschrieben.

Es geht aber nicht etwa um den Kalten Krieg, sondern um einen Cold Case: Seit 30 Jahren ist die damals 15 Jahre alte Lara spurlos verschwunden. Sie arbeitete als Hausmädchen bei einem Ehepaar auf einer kleinen, nahezu menschenleeren Insel - und dann war sie plötzlich weg. Jugendliche Ausreißerin, Selbstmord oder ein Kriminalfall? Der seinerzeit unerfahrene Polizist, der den Fall untersuchte, macht sich noch Jahre später Vorwürfe, vielleicht nicht allen Hinweisen nachgegangen zu sein.

Doch es ist Valur, ein junger ehrgeiziger Reporter, der den Fall aufgreift und tatsächlich ein paar neue Hinweise erhält. Wird er der Wahrheit auf der Spur kommen nach all den Jahren - und angesichts des Schweigens derjenigen, die damals mit Lara zu tun hatten? Und wer ist die Frau, die ihm anonym eine Nachricht geschickt hat, die sich auf Laras Schicksal bezieht?

"Reykjavik" erzählt langsam, deckt ein Puzzlestück nach dem nächsten auf und schürt Zweifel, dass seinerzeit alles gesagt worden ist, was mit dem Mädchen zu tun hatte. Die Spannung wird langsam aufgebaut, hier geht es nicht um schnelle Nervenkicks, sondern um klassisches Rätseln wie in einem Agatha Christie-Roman.

Ein besonderer Reiz dieses Island-Krimis liegt für mich in dem Blick auf die 80-er Jahre, in denen Island sehr weit weg vom Rest Europas gelegen haben muss, nicht nur geografisch: Nur ein Fernsehsender, der zudem nicht rund um die Uhr berichtete, ein zweiter Radiosender, der gerade erst sein Programm aufnimmt, für moderne Musik gab es bis dahin nur AFN, den amerikanischen Militärsender. Das Buch zeichnet ein Bild eines sehr isolierten Inselstaates, in dem eigentlich fast jeder jeden kennt, wo sich zumindest die Entscheider oft seit Jahrzehnten vernetzt haben und in ihren Machtpositionen gegenseitig stützen. "Reykjavik" mag kein großer Aufreger sein, ist aber ein solider klassischer Kriminalroman mit sympathischen Protagonisten, den ich gerne gelesen habe.

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Veröffentlicht am 30.11.2023

Warten im Niemandsland

Der große Wunsch
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Murad ist kein Abenteurer, kein risk taker und auch kein junger Backpacker. Und doch ist der eher nachdenklich-reflektierte Intellektuelle und Sozialarbeiter aufgebrochen in eine Region, vor deren Besuch ...

Murad ist kein Abenteurer, kein risk taker und auch kein junger Backpacker. Und doch ist der eher nachdenklich-reflektierte Intellektuelle und Sozialarbeiter aufgebrochen in eine Region, vor deren Besuch das Auswärtige Amt auf seiner Seite warnen dürfte. Im Niemandsland an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien wartet er nach einer beschwerlichen Anreise in die kurdische Region. Die karge und doch dramatische Landschaft mit ihren steilen Bergstraßen und Dörfern, in denen die Zeit stehen geblieben scheint, müsste ihm eigentlich etwas sagen: Murads Familie stammt aus diesen Bergen, die er aus den Erzählungen des Großvaters kennt.

Doch Murad fühlt sich als Fremder und es ist keine sentimental journey, sondern die verzweifelte Mission eines Vaters, die Sherko Fatah in seinem eindringlichen Roman "Der große Wunsch" beschreibt. Murad ist auf der Suche nach einem Lebenszeichen seiner Tochter, einer Tochter, die ihm nicht nur nach der Scheidung von seiner deutschen Ex-Frau fremd geworden ist. Denn die junge Frau, die nach westlichen Werten erzogen worden ist, die sich als Jugendliche nie für den Islam zu interessieren schien, hat einen französischen Glaubenskrieger geheiratet und ist mit ihm in das IS-Kalifat gezogen.

Murad bezahlt Vermittler, die seine Tochter ausfindig machen und ihn letztlich zu ihr bringen sollen. Er will sie heimholen. Doch will sie das? Und ist die tiefverschleierte Frau, deren Bilder man ihm zeigt, seine Tochter? Selbst das Audio-Tagebuch, das man ihm zuspielt, kann seine Zweifel nicht beenden. Ist das ihre Stimme? Ist sie überzeugt von ihrem neuen Leben, zweifelt sie? Hat sie sich mitschuldig gemacht, billigt sie die Versklavung der Jesiden, die grausamen Enthauptungen, mit deren Videos der IS um Nachwuchs wirbt und seine Glaubenskrieger rühmt?

Die Ausflüge in die Region, die er in den Wochen des Wartens unternimmt, verstärken nur Murads Gefühl der Fremdheit und Isolation. Er spricht die Sprache der Menschen in den Bergtälern, zu einigen baut er nachbarschaftliche Beziehungen auf, und doch fühlt er sich wie auf dem falschen Planeten.

Fatah schildert die inneren Nöte Murads, die spröde Schönheit der Landschaft, das ruhige isolierte Leben in den Dörfern, in denen manche Geheimnisse gehütet werden, in einer ruhigen und eindringlichen Erzählweise und lüftet manche offene Frage erst ganz zum Schluss. Trotz der dramatischen Situation, in der Murad sich sieht, vermeidet er plakative Darstellungen und überzeugt dadurch nur noch mehr. "Der große Wunsch" ist ein Buch, auf das man sich einlassen und für das man sich Zeit nehmen sollte.

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