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Veröffentlicht am 13.11.2023

Traumhochzeit und Familiendrama

Nur eine Lüge – Zwei Familien, eine tödliche Verbindung
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Schuld, Trauma, entzweite Familien und eine Art Romeo und Julia-Geschichte prägen Malin Stehns Psychokrimi "Nur eine Lüge", der auf zwei Zeitebenen spielt. Einst waren Annika und Mats sowie Krister und ...

Schuld, Trauma, entzweite Familien und eine Art Romeo und Julia-Geschichte prägen Malin Stehns Psychokrimi "Nur eine Lüge", der auf zwei Zeitebenen spielt. Einst waren Annika und Mats sowie Krister und Gittan gut befreundet, die Söhne William und Erik spielen im gleichen Fußballteam. Ein schwerer Verkehrsunfall ändert alles. Erik ist nach einer Alkoholfahrt querschnittgelähmt, die Profikarriere, von der insbesondere seine Mutter Annika träumte, ist nun unmöglich. Seine jüngere Schwester Emily, die ohnehin nur wenig Beachtung von der fußballbegeisterten Mutter bekam, droht völlig hintenan zu stehen.

Acht Jahre später kommen die Familien zusammen zur Hochzeit von Emily und William, der mittlerweile ein erfolgreicher IT-Unternehmer ist. Emily hat ihre mittlerweile geschiedenen Eltern zur Hochzeit eingeladen, doch vor allem das Verhältnis zur Mutter ist schwierig: Annika ist Alkoholikerin, wirft William und dessen Familie Mordversuch und Vertuschung vor - nicht die besten Voraussetzungen für ein harmonisches Familienfest.

Die Traumhochzeit mit Promi-Gästen und Boulevardpresse endet mit einem Toten - war es ein Unfall, Selbstmord, Mord? Jeder hat eine Meinung, ganz besonders Annika, die zwischen Zimmerbar und Festsaal von einer Anschuldigung in die nächste torkelt. So hat sich Emily die Hochzeitsnacht nicht vorgestellt. Und nicht nur Annika fragt sich, ob der Todesfall mit den Ereignissen der Vergangenheit zusammenhängt. Mehr als nur eine titelgebende Lüge wird aufgedeckt in diesem Thriller um Schuld und Schweigen.

Stehn schreibt aus den wechselnden Perspektiven der Beteiligten, wobei insbesondere der Mutter-Tochter Konflikt glaubwürdig ist. Dabei schafft sie es, mit Annika eine ziemlich manische Figur zu schaffen, die nun wirklich nicht sympathisch ist, die einem aber dennoch leid tun kann mit einem verkorksten Leben, an dessen Verlauf sie selbst viel zu verantworten hat. Nach all den Lügen kommt eine ziemlich überraschende Wahrheit ans Licht. Ende offen?

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Veröffentlicht am 04.11.2023

Die Daten-Büchse der Pandora

Schwachstellen
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Technik, Sicherheit und (der Mangel an) Moral - mit "Schwachstellen" hat der israelische Autor Yishai Sarid einen verstörenden Thriller geschrieben, der den Missbrauch der (Daten-)-Technik durch staatliche ...

Technik, Sicherheit und (der Mangel an) Moral - mit "Schwachstellen" hat der israelische Autor Yishai Sarid einen verstörenden Thriller geschrieben, der den Missbrauch der (Daten-)-Technik durch staatliche Sicherheitsunternehmen und die Verstrickungen des Einzelnen zum Thema hat. Ich-Erzähler Siv ist ein begnadeter Hacker, hat schon beim Militär bei einer Spezialeinheit gedient, die Gegner durch Datenüberwachung infiltrierte, wohl auch bei gezielten Tötungen durch Handy-Überwachung und -ortung die entscheidenden Informationen lieferte. Über seine Rolle dabei und die ethischen Fragen hat er wohl damals nicht nachgedacht und tut es auch jetzt nicht, als ihn nach der Entlassung aus dem Militärdienst ein früherer Vorgesetzter für ein privates Sicherheitsunternehmen rekrutiert.

Für Siv ist dieser Job die Möglichkeit, endlich ein eigenständiges Leben zu führen: Er hat bisher bei seinen Eltern gelebt, die Situation in der Familie ist von Spannungen geprägt. Die Eltern haben Geheimnisse voreinander, Siv wird verantwortlich gemacht für ein traumatisches Erlebnis seiner Schwester in Kindertagen. Sie hat das Erlebnis nie verwunden, ist drogenabhängig in einer ständigen Abwärtsspirale. Auch sonst ist Sivs Privatleben eher von Tristesse geprägt. Er hat keine Freundin und mit seinem nerdigen Verhalten bleiben seine Versuche, bei Frauen auf Gegeninteresse zu stoßen, erfolglos.

Der Job bei seinem alten Kameraden Bulka bringt gutes Geld - endlich eine eigene Wohnung! und Respekt der Kollegen. Schnell steigt Siv auf, bekommt Spezialaufträge, reist auch ins Ausland. Die Technologie, die er mitentwickelt hat, erlaubt dem Unternehmen, sich in die Handies anderer Menschen einzuloggen, deren Daten aufzusaugen und sie in Echtzeit zu überwachen. Das Handy wird Kamera und Mikrofon, Privatsphäre gibt es nicht und dank einer heimlichen "Hintertür" kann Siv diese Technik auch für private Zwecke einsetzen.

Je weiter Siv avanciert, desto häufiger merkt er, dass die Technik, die er so beherrscht, auch von Kunden angewandt wird, die damit vielleicht schlechte Absichten verfolgen. Wer sind sie eigentlich, die Menschen, die da überwacht werden? Lange lässt sich Siv mit der Erklärung abspeisen, dass es sich um Perverse, Kriminelle, Terroristen handelt. Eine Reise allerdings offenbart staatliche Überwachung, Folter, Hinrichtung. Und dann wird die Technik plötzlich auch im eigenen Land angewandt und Siv kommt an den Punkt, an dem er nicht länger wegschauen und sich die Dinge verharmlosend schnönreden kann...

Vom Schreibstil ist "Schwachstellen" eher spröde, Siv ist kein emotionaler Erzähler, Dialoge sind selten. Das passt durchaus zu der nerdigen Hauptfigur, zu deren Stärken definitiv nicht Emapthie gehört. Alles nur eine Dystopie? Dass soziale Medien, die digitalen Endgeräte, von denen sich heutzutage kaum jemand trennen will, auch Tür und Tor für alle möglichen Lauschangroiffe öffnen, ist schließlich längst bekannt. Dass smarte Elektrogeräte, Alexa und Co. theoretisch tief in die Privatsphäre ihrer Nutzer eindringen können, ebenso. die meisten Menschen nehmen das mehr oder weniger achselzuckend in Kauf - man hat ja nichts zu verbergen. Doch wer entscheidet, was für "Späher" interessant ist oder nicht? Ab wann hört das Private auf, privat zu sein? Bloß weil vieles nicht erlaubt ist, heißt das nicht, dass es nicht auch passieren kann - das unterstreicht "Schwachstellen" mit leisem Horror. Die Daten-Büchse der Pandora ist längst offen.

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Veröffentlicht am 04.11.2023

Mordsstimmung beim Familientreffen

Die mörderischen Cunninghams. Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen (Die mörderischen Cunninghams 1)
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"Die mörderischen Cunninghams" von Benjamin Stevenson mag in Australien spielen, aber dieser Familienkrimi trieft vor britischem Humor und angelsächsischem Understatement. Mit seinen leicht exzentrischen ...

"Die mörderischen Cunninghams" von Benjamin Stevenson mag in Australien spielen, aber dieser Familienkrimi trieft vor britischem Humor und angelsächsischem Understatement. Mit seinen leicht exzentrischen Protagonisten erinnert es mich an die detektivische Altenheim Gang von Richard Osmans Donnerstags-Mordklub. Allerdings stehen die Cunninghams, so verrät Ich-Erzähler Ernest Cunningham gleich im ersten Kapitel, mehr auf dem Grundsatz: Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen. Inwieweit das zutrifft, wird dann mit Augenzwinkern und nicht ganz ohne Dramatik auf einem mordsmäßigen Familientreffen in einem eingeschneiten Skihotel ausgeführt.

Ernest, mäßig erfolgreicher Autor eines Lehrbuchs zum Verfassen von Detektivromanen, ist so etwas wie das schwarze Schaf der Cunninghams, jahrelang zeigte ihm die Familie die kalte Schulter. Schließlich hat Ernest getan, was keinem Cunningham einfallen sollte: Er hat seinen großen Bruder bei der Polizei verraten und dafür gesorgt, dass dieser jahrelang im Gefängnis saß wegen des Tod eines Mannes, den er erst überfuhr und dann obendrein erwürgte, nachdem er Ernest überredet hatte, die angebliche Leiche zu entsorgen. Wie gut, dass Stiefpapa Carlos, ein mit allen Wassern gewaschener Anwalt, die Mordanklage gerade noch abschmettern konnte!

Dennoch, die Familie hat Ernie nicht verziehen. Zur Homecoming Party seines Bruders darf er dann aber doch erscheinen. Zur Stunde der Abrechnung? Doch noch ehe der sich dem Familientreffen anschließt, wird eine Leiche im Schnee gefunden. Ernest fragt sich: Hat jemand aus der Sippschaft damit zu tun? und wird nicht jeder Ermittler, der sich durch den Schnee kämpft, genau dies annehmen, weil die Cunninghams eben die Cunninghams sind?

Es wird nicht die einzige Leiche bleiben und Ernest muss immer wieder die goldenen Regeln des klassischen britischen Kriminalromans zitieren, während er als allwissender Erzähler die Ereignisse sowohl beschreibt wie kommentiert. Komplizierte Beziehungen innerhalb des Familienverbands, Eifersüchteleien, jede Menge Geheimnisse - Stevenson hat offensichtlich Spaß daran, seinen Lesern so manchen "red herring" vorzuwerfen und Hinweise zu streuen, die wichtig sein können oder eben einmal mehr in die Irre führen.

Klassische Zutaten wie bei Hitchcock oder Agatha Christie - das isolierte Hotel, das plötzlich von der Außenwelt abgeschnitten ist - werden hier mit Humor und einem Hauch Exzentrik gewürzt. Insgesamt ein sehr unterhaltsamer Kriminalroman mit einer mörderisch komplizierten Familie.

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Veröffentlicht am 30.10.2023

Mörderische Zugfahrt

Mord im Christmas Express
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Mit dem Titel "Mord im Christmas Express" hat Alexandra Benedict gleich das Thema und die Messlatte ihres Weihnachtskrimis hoch angesetzt. Denn wer denkt da nicht gleich an die britische Krimi-Queen Agatha ...

Mit dem Titel "Mord im Christmas Express" hat Alexandra Benedict gleich das Thema und die Messlatte ihres Weihnachtskrimis hoch angesetzt. Denn wer denkt da nicht gleich an die britische Krimi-Queen Agatha Christie und den "Mord im Orient-Express", der Meisterdetektiv vor solche Herausforderungen stellt? Und der obendrein in gleich zwei Verfilmungen als hochkarätig besetztes spannendes Kammerspiel beeindruckte. Da werden jedenfalls gleich Assoziationen und Erwartungen geweckt.

Die Herausforderungen, vor denen Benedicts Protagonistin Roz steht, sind nicht nur dem Fall geschuldet. Denn eigentlich ist die Polizistin frisch pensioniert. Farewell, Metropolitan Police, hello Ruhestand mit gerade mal 59 Jahren, dafür aber voller Vorfreude auf das Enkelkind, das schon bald geboren werden soll. Ein wenig hofft Roz, dass der neue kleine Mensch auch hilft, das Verhältnis zu ihrer Tochter zu entspannen. Die kam bei der alleinerziehenden Mutter häufig zu kurz, ganz abgesehen von einer traumatischen Vergewaltigung während der Schwangerschaft, die Roz emotional lange lähmte.

Doch nicht allein, dass die Wehen vorzeitig einsetzen und Mutter und Baby um ihr Leben kämpfen müssen. Ausgerechnet in dem Moment, wo Roz sich so dringend gebraucht fühlt, entgleist der Nachtzug nach Fort William im Schneesturm. Roz bleiben nur hektische, besorgte Telefonate mit ihrer Tochter und deren Partnerin.

Und dann ist da natürlich noch der titelgebende Mord... zumindest aber ein verdächtiger Todesfall, als eine junge Influencerin tot in ihrem Abteil gefunden wird. Es bleibt nicht der einzige Todesfall und die Tatsache, dass in einer anderen Erzählperspektive eine Person namens "Killa" über ihre Mission nachdenkt, lässt dann noch den letzten Leser ahnen, dass es noch die eine oder andere Leiche geben wird, ehe die verschneiten Gleise freigeräumt werden.

Allerdings: Das Bemühen der Autorin, ein möglichst diverses Ensemble in ihrem Roman unterzubringen und Misogynie und Gewalt gegen Frauen in verschiedenen Formen zu thematisieren, ging hier auf Kosten glaubwürdiger Charaktere. Die meisten Romanfiguren bleiben flach und schablonenhaft, selbst Roz bleibt merkwürdig blass. Dabei finde ich es ja eigentlich gut, dass die Autorin auf Diversität und verschiedene sexuelle Identitäten setzt. Doch wenn dabei das Gefühl aufkommt, dass hier eine Liste abgehakt werden soll? Mein Eindruck war, dass Benedict hier viel wollte, vielleicht zu viel - das ging dann auf Kosten von Stringenz und Spannung. Aber immerhin: Sapiosexuell war mir bisher kein Begriff. Wieder was gelernt.

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Veröffentlicht am 29.10.2023

Bittersüße Weihnachtsgeschichte

Kein guter Mann
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Mit "Kein guter Mann" hat Andreas Izquierdo einen bittersüßen Weihnachtsroman geschrieben, der Liebhaber von happy ends verstören dürfte. Gleichwohl passt die melancholische Note. Der Buchtitel geht allerdings ...

Mit "Kein guter Mann" hat Andreas Izquierdo einen bittersüßen Weihnachtsroman geschrieben, der Liebhaber von happy ends verstören dürfte. Gleichwohl passt die melancholische Note. Der Buchtitel geht allerdings ein wenig unfair mit Titelfigur Walther um, spiegelt er doch nur den äußeren Blick auf ihn wider.

Tatsächlich erscheint der 60 Jahre alte Briefträger zunächst einmal wenig liebenswert: miesepetrig, überkorrekt, seine Fehden mit Kollegen, Vorgesetzten, Kunden pflegend. Ein einsamer, freud- und freundloser Mann, dem das Leben, wie sich bald zeigen wird, übel mitgespielt hat. Gleich mehrfach hat Walther die für ihn wichtigsten Menschen verloren. Nun ist seine Tochter die einzige, die noch an Kontakt mit ihm bemüht ist.

Als Walther zum Christkindel-Postamt abgeordnet wird, ist das eigentlich eine Strafversetzung. Doch einer der Briefe rüttelt Walther auf: der zehnjährige Ben will kein neues Handy, er benötigt Lebenshilfe - und beschwert sich, als "Gott" bzw Walther eine recht beliebige Antwort schickt. Walther beginnt einen Briefwechsel mit dem einsamen Jungen, der sich nach Freunden sehnt und dessen alleinerziehende Mutter schwer depressiv ist.

Mit seinen Versuchen, Bens Probleme zu lösen, schafft Walther noch ein paar zusätzliche Verwicklungen. Die Brieffreundschaft, die er vor seiner Vorgesetzten geheim halten muss, bricht ein wenig den Panzer auf, den Walther in den vergangenen Jahren entwickelt hat, um die Außenwelt auf Distanz zu halten. In Rückblenden wird erzählt, wie es zur großen Entfremdung von der Familie kam, welche Träume Walther eigentlich hatte und welche Schuldgefühle ihn seit Jahrzehnten begleiten.

Ist ein Neuanfang möglich? Wie verhärtet sind die verletzten Gefühle und Vorwürfe der Vergangenheit? Bekommt Walther eine zweite Chance? Izquierdo schafft es, die Handlung nicht in Weihnachtskitsch abgleiten zu lassen. Der brummige Walther darf sich bewähren, doch Glück ist etwas Trügerisches. Und nicht jedes Weihnachtsmärchen endet mit "und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage".

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