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Veröffentlicht am 22.03.2023

Eine große Liebe

Melody
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Der Jurist Tom, Langzeitstudent und gewissermaßen ehemals gutistuiert und privilegiert, ist nach dem Selbstmord seines überschuldeten Vaters plötzlich darauf angewiesen, seinen Leebnsunterhalt zu verdienen. ...

Der Jurist Tom, Langzeitstudent und gewissermaßen ehemals gutistuiert und privilegiert, ist nach dem Selbstmord seines überschuldeten Vaters plötzlich darauf angewiesen, seinen Leebnsunterhalt zu verdienen. Wie gut, dass er trotz des angepeilten nächsten Bar Exams in den USA schon zwei Studienabschlüsse vorweisen kann. Die Härten des Arbeitslebens werden in seinem ersten Broterwerb jedenfalls so abgefedert, dass der Protagonist in Martin Suters Roman "Melody" wenig Grund zur Klage hat: Nationalrat Peter Stotz beauftragt ihn für ein üppges Gehalt nicht nur mit der Abwicklung seines Nachlasses. Auch Kost und Logis sind inbegriffen - in einer herrschaftlichen Villa am Zürichberg und dank der Kochkunst der sizialianischen Köchin Mariella ein tägliches Geschmacksfeuerwerk.

Stotz erweist sich als Arbeitgeber, der angenehm im Umgang ist. Schnell merkt Tom, dass der alte Mann, dem die Ärzte nur noch maximal ein Jahr lang geben, in seiner Villa einen regelrechten Schrein einer jungen schönen Frau errichtet hat. Melody, die Verlobte, die kurz vor der geplanten Hochzeit mit dem deutlich älteren Stotz spurlos verschwand. Seitdem hat er sie immer wieder gesucht.

Eine große Liebe, eine goße Hoffnung, vielleicht aber auch eine große Lüge und Täuschung? Tom lauscht den Erzählungen, hört unterschiedliche Deutungen, wird zunehmend selbst in den Bann gezogen dieser einen, intensiven Liebe im Leben des Nationalrats.

Ist Melody entführt worden, etwa einem Ehrenmord zum Opfer gefallen?`Ihre marokkanische Familie, die sie bereits für eine arrangierte Ehe verlobt hatte, war gegen die Verbindung mit Stotz gewesen. Ist sie geflohen? Hat sie einen anderen kennengelernt? Entspricht das, was Stotz erzählt, überhaupt der Wahrheit?

Zwischen eleganter Plauderei bei vielen alten Armagnacs und schweren Rotweinen macht sich nicht nur Tom, sondern auch der Leser Gedanken, was von dem Erzählen der Wahrheit entspricht, was vielleicht Wunschdenken oder Lebenslüge ist. Die Suche nach Melody hat über die Lebenszeit von Stotz hinaus Bestand und erfährt immer wieder neue Wendungen.

Eine Liebesgeschichte in großbürgerlichem Ambiente voll eleganter Leichtigkeit mit überraschendem Ausklang.

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Veröffentlicht am 22.03.2023

Von Liebe, Leid und Tod

Die schöne Müllerin
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Ein interessanter Ansatz, den Stefan Weiller für sein Hörbuch "Die schöne Müllerin" gewählt hat: Er kombiniert den Liederzyklus von Franz Schubert mit Texten, kurzen Geschichten über Liebende und Leidende, ...

Ein interessanter Ansatz, den Stefan Weiller für sein Hörbuch "Die schöne Müllerin" gewählt hat: Er kombiniert den Liederzyklus von Franz Schubert mit Texten, kurzen Geschichten über Liebende und Leidende, Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen oder Außenseiter sind. Der melancholische Ton der Musik der Romantik wird von Geschichten ohne Happy End oder große Hoffnung gespiegelt. Eine eigenwillige und gelungene Kombination, zu der auch die Sprecherinnen und Sprecher Birgitta Assheuer, Dagmar Manzel und Jens Harzer beitragen. Das könnte leicht in Sentimentalität oder Kitsch abgleiten - tut es aber nicht.

Mit nicht einmal zweistündiger Dauer ein ausgesprochen kurzes Hörbuch, das ich mir dennoch nur in kleinen Portionen - ein, zwei Geschichten am Stück - angehört habe. Dann ist es perfekt für die "blaue Stunde" ohne übermäßig depressiv zu wirken.

Wer ein Schubert-Konzert erwartet, ist hier fehl am Platz, auch wenn die unaufdringliche Klaviermusik die Texte einfühlsam begleitet und unterstreicht. Die Geschichten von Flucht, Selbstmordgedanken, Transphobie oder Obdachlosigkeit haben mit dem Liederzyklus der schönen Müllerin letztlich nur das Grundthema Liebe, Leid und Tod gemeinsam, stehen aber auch ganz wunderbar für sich.

Veröffentlicht am 20.03.2023

Zerrissene Familie, zerrissenes Land

Hier ist alles sicher
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Es hat Wochen gedauert, bis die Belgierin Lydia auf die Nachricht ihres Stiefsohns Immanuel reagiert hat, den sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Damals verließ ihr Lebensgefährte Joachim die ...

Es hat Wochen gedauert, bis die Belgierin Lydia auf die Nachricht ihres Stiefsohns Immanuel reagiert hat, den sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Damals verließ ihr Lebensgefährte Joachim die Kinderärztin, nahm den 13-Jährigen mit, für den Lydia die einzige Mutter war, die er je kannte: Edyth, seine biologische Mutter, war bei der Geburt gestorben.

Es war nicht das übliche Beziehungsende von zwei Menschen, die sich auseiandergelebt haben. um das es in Anneleen van Offels Debütroman "Hier ist alles sicher" geht: Lydia und Joachim verwendeten als gemeinsame Sprache Englisch - und das ist eigentlich schon der erste Hinweis, dass der aus Polen stammende Jonathan in Belgien eigentlich gar nicht heimisch werden wollte. Denn Jonathan, der von der eigenen Familiengeschichte nur Bruchstücke kennt, entdeckt seine jüdischen Wurzeln. Der sechsjährige Imanuell muss auf einmal Kippa tragen und zum Thora-Unterricht. Bis Joachim eben beschließt, dass nur Israel seine Heimat sein kann - ohne Lydia. Die hatte den Gedanken, in den nahen Osten zu ziehen, schon mit Blick auf die damalige Intifada zurückgewiesen - viel zu unsicher, dort ein Kind aufzuziehen.

Als Lydia Immanuels Ruf folgt, ist alles schon zu spät. Der Sohn, der einzige, den sie je haben wird, ist tot, Selbstmord. Zuletzt lebte er schwer heroinabhängig auf der Straße. Lydia muss Abschied nehmen, doch das kann sie auch nach der Beerdigung nicht. Überall sucht sie Immauels Spuren, glaubt einen Riss zu sehen, der sowohl für die zerrissene Familie wie auch für das zerrissene Land stehen kann.

Wie alle jungen Israelis war Immanuel beim Militär, diente in einer Einheit in Hebron, in den besetzten Gebieten. Es ist ein Gedanke, der Lydia entsetzt. Sie identifiziert sich mit den Palästinensern, fragt sich, ob Immanuel sich zu Taten hinreißen ließ, die sie verurteilt. Über Gespräche mit seiner Ex-Freundin und seinen ehemaligen Kameraden versucht sie, sich dem toten Sohn wieder anzunähern, die Leerstellen auszufüllen, auch die Leerstellen im eigenen Leben. Auf einer der Touren, die ins Westjordanland führen und die ausländischen Besuchern angeboten werden, versucht sie sich vorzustellen, wie das Armeeleben Immanuels aussah.

Der Zeitpunkt von Lydias Reise und dem Auseinanderbrechen der Familie bleibt dabei offen. Angesichts der verschiedenen Intifadas der vergangenen Jahre kann nur gerätselt werden, ebenso wie über die Motive Joachims, nach Belgien zu gehen. Die verschiedenen Wellen jüdischer Emigration aus Polen im Zusammenhang mit Pogromen und antisemitischen "Säuberungen" hatten schließlich allesamt während des Kommunismus stattgefunden.

Van Offel hat für ihr Buch mehrere Reisen nach Israel unternommen, doch das Land bleibt vage, beschränkt auf den Blick auf die Armee und die Besatzungs- und Siedlungspolitik. Dass die israelische Gesellschaft und ihr Blick auf den Nahostkonflikt eine viel größere Bandbreite hat, bleibt ebenso unerwähnt wie der israelische Alltag, den Lydia mit ihrem Tunnelblick nicht zur Kenntnis zu nehmen scheint. Auch das religiöse Erwachen Jonathans und die Auseinandersetzung mit Antisemitismus in Europa bleibt merkwürdig blass.

So ist dieses Buch stark - in meinen Augen zu stark - auf Lydia und ihr Innenleben beschränkt. Eine weitere Erzählperspektive aus der Sicht Immanuels lässt ebenfalls vieles offen. Warum hat er nicht auf Lydia gewartet? Was hat seine Entscheidungen ausgelöst? Ein interessantes Debüt, dem mehr Dimensionen aber nicht geschadet hätten.

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Veröffentlicht am 20.03.2023

Justizkrimi um Immobilienspekulation

Die letzte Lügnerin
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Mit ihrem ersten Berliner Justizkrimi um den Rechtsmediziner Justus Jarmer und den Strafverteidiger Rocco Eberhardt haben mich Florian Schwiecker und Michael Tsokos seinerzeit voll überzeugt - da war ich ...

Mit ihrem ersten Berliner Justizkrimi um den Rechtsmediziner Justus Jarmer und den Strafverteidiger Rocco Eberhardt haben mich Florian Schwiecker und Michael Tsokos seinerzeit voll überzeugt - da war ich auch gespannt auf den zweiten Fall der beiden, "Die letzte Lügnerin".

Auch hier ist wieder klar erkennbar, dass viel praktische Erfahrung mit den Vorgängen an Gerichten, der Arbeitsweise der Justiz und das spezifische Know-How der Rechtsmedizin vorhanden ist. Auch wenn ich vermute, dass Schwiecker vielleicht schon ein paar Jahrr lang nicht mehr vor Gericht agiert hat, denn manche Dialoge zwischen der Vorsitzenden Richterin und den Prozessbeteiligten verlaufen denn doch eine Ecke sperriger und hochformeller, als ich das aus Strafprozessen kenne. Aber vielleicht ist der Umgangston in Berlin auch ein bißchen anders - das preußische Erbe eben.

Mit dem Thema Mieterhöhungen, Wohnungskrise, Spekulationen auf dem Immobilienmarkt und Profitstreben, das zur Verdrängung von Klein- und auch Normalverdiener aus vielen Stadtteilen führt, haben die Autoren ein brandaktuelles Thema gefunden.

Als Rocco Eberhardt den über einen Skandal gestürzten ehemaligen Berliner Bausenator Möller in einem Totschlagsprozess verteidigt, sieht er sich in einem Konflikt. Dass sein Mandant ein totaler Unsympath ist - das ist ihm aus der beruflichen Praxis nicht unvertraut. Doch was hat sein Vater mit dem Ex-Senator zu tun - und ist er womöglich in illegale Geschäfte verwickelt? Das ohnehin schwierige Verhältnis des Anwalts zu seinem Vater erlebt eine weitere Belastungsprobe.

Doch so sehr der Anwalt gelegentlich von seinem Mandanten genervt ist - sein Instinkt sagt ihm, dass der Mann unschuldig ist. Als Leser weiß man da schon ein bißchen mehr, denn immer wieder wird auch die Erzählperspektive des oder der Unbekannten mit dem socia Media-Namen "Mieter38" eingenommen, Offenbar ein Strippenzieher mit hoher krimineller Energie. Doch wie alles zusammenhängt, erschließt sich erst im letzten Viertel des Buches.

Mein größter Kritikpunkt ist denn auch, dass die Autoren wirklich sehr lange brauchen, die verchiedenen Fäden zusammenzuführen. Da ist dann so manches redundant, etwa wenn der schwelende Vater-Sohn-Konflikt ein weiteres Mal ausgwalzt wird. Das hätte auch schneller und stringenter gehen können.

Dennoch ein interesssant konstruierter Plot. Ich habe das Buch gerne gelesen, hoffe aber doch, dass der nächste Fall ein bißchen schneller an Tempo gewinnt.

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Veröffentlicht am 19.03.2023

Das Erbe der Walfänger

Zur See
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Über Jahrhunderte lang verlief das Leben nach einer klaren Ordnung: Die Männer fuhren hinaus auf die See, auf Walfang, waren monatelang weg oder kamen gar nicht mehr zurück. Die Frauen warteten, zogen ...

Über Jahrhunderte lang verlief das Leben nach einer klaren Ordnung: Die Männer fuhren hinaus auf die See, auf Walfang, waren monatelang weg oder kamen gar nicht mehr zurück. Die Frauen warteten, zogen die Kinder groß, lebten mit der Angst und der Hoffung, ob das Schiff samt Ernährer sicher in den Hafen wieder einlaufen würde. Zäune aus den Knochen von Walen künden von der stolzen Vergangenheit - doch inzwischen sind sie beliebte Fotomotive für Touristen. Die Nachfahren der Walfänger sind zu einer Dienstleistungsgesellschaft geworden. Und weil alte Kapitänshäuschen oder überhaupt jegliche Immobilie als Zweit- und Ferienwohnsitz gefragt ist, wird Wohnraum für viele Inselbewohner unbezahlbar.

In ihrem Roman "Zur See" beschreibt Dörte Hansen an Hand der alteingesessenen Familie Hansen diese Inselgesellschaft im Umbruch. Lakonisch, unaufgeregt, beobachtend und leicht distanziert ist der Schreibstil und so spricht auch Nina Hoss als Sprecherin der Hörbuchfassung. Angenehm zu hören, ohne dahinzuplätschern.

Rykmer Sander scheint gleichsam für den Niedergang zu stehen - ein Kapitän, dann wegen seines Alkoholismus, immer weiter absteigend. Nun fährt er Touristen auf der Fähre, und Urnen und Angehörige zur Seebestattung. Das ist irgendwie hochsymbolisch. Seine Schwester Eske, eine Altenpflegerin, pflegt die alte Generation der Insulaner in ihren letzten Jahren und Monaten. Wenn sie Fahrzeuge mit fremden Kennzeichen sieht, drängt sie sie an den Straßenrand, hetzt sie gewissermaßen, um ihrem Unwillen gegen den Tourismus einen Ausdruck zu geben. Einst mussten die Inselkinder in der Saison im Verborgenen leben, um die Fremden in ihrem Urlaub nicht zu stören. Das ist nun die kleine Rache. Der jüngste Bruder, der mit Treibholzskulpturen gutes Geld macht, scheint der golden boy der Insel zu sein. Doch ein happy end wird es nicht geben.

Der Inselpastor wiederum ist eine Art Zwitterwesen - vor langen Jahren auf die Insel gekommen, hat es gewissermaßen zwei Gemeinden zu betreuen: Die Urlauber und die Einheimischen, die Sommergemeinde und die im Rest des Jahres. So ist er wie ein Mittler zwischen den Welten, aber auch der Erklärer für die Leser.

Die Sehnsucht nach dem Meer zieht die Fremden auf die Insel, ohne dass sie wirklich Zugang zur Gemeinschaft finden oder den Weg dorthin suchen. Und das Verhältnis der Insulaner zur See, die Nahrung gibt und Leben nimmt, war von jeher ambivalent.

Schon der Mangel an Dialogen legt den Fokus auf Beschreibung von Landschaften, Stimungen, Gedakengängen. Das Kopfkino wird in Gang gesetzt mit Meeresrauschen, Wind und weitem Himmel, weckt die Sehnsucht nach dem Meer verbunden mit dem Wissen, dass der Zugang begrenzt ist. Hansen erzählt unaufgeregt, ruhig, dem langsamen Tempo auf der Insel angepasst. Die alte Heimat der Walfänger ist hier gleichzeitig ein Sehnsuchtsort und eine Utopie, in der die Vergangenheit nur noch Fassade ist.

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