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Veröffentlicht am 27.12.2021

Tour de Force durch die Erdzeitalter

Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens
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4,6 Milliarden Jahre Erdgeschichte komprimiert auf gerade mal gut 300 Seiten - da hat der langjährige "Nature" Chefredakteur Henry Gee in der Tat "Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens" aufgeschrieben, ...

4,6 Milliarden Jahre Erdgeschichte komprimiert auf gerade mal gut 300 Seiten - da hat der langjährige "Nature" Chefredakteur Henry Gee in der Tat "Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens" aufgeschrieben, aus der ersichtlich wird, dass der Homo Sapiens, also unsere Spezies, letztlich nur eine winzige Fußnote in der Geschichte des Planeten ist. Mit der Mischung aus unterhaltsam und aufklärerisch, einem Ton leichten Understatements ist dieses Sachbuch im besten Sinne sehr britisch. Man kann sich geradezu die hochgezogene Augenbrauc des Autors vorstellen, während er Betrachtungen über die faszinierenden Wesen anstellt, die die Erde einst bevölkert haben und immer noch Nachfahren haben, die auf der Erde leben - nur, wie lange noch?

Die Karriere aller Lebewesen ende mit dem Aussterben, zitiert Gee in seinem Nachwort den britischen Politiker Enoch Powell. Und Homo Sapiens werde dabei keine Ausnahme sein. Das liegt nicht nur allein an den Zerstörungen, die die Menschen gerade in den letzten Jahren und Jahrzehnten angerichtet haben, sondern in der Natur des Planeten und des Universums. Die Massensterben, die die Erde schon erlebt hat, sind das beste Beispiel. Fast schon tröstlich, dass bei allen negativen Beiträgen unserer Spezies die befürchtete sixth extinction danach nicht allein auf menschliches Fehlbetragen zurückgeht, sondern eben auch in der Natur der Dinge liegt, dem Wechsel von Warm und Kaltzeiten.

Ein Paläontologe wie Gee blickt anders auf Zeiträume als andere Menschen, er denkt in Zeitreihen, die mehrere Millionen Jahre umfassen. Da stellt sich vielleicht eine gewisse Gelassenheit an, schließlich ist alles relativ, wenn Magmablasen und giftige Gase, Asteroiden und Riesentsunamis das Leben schon ein paarmal fast vollständig von der Erde gefegt haben. Dass Leben trotzdem entsteht und immer wieder entstanden ist, von winzigen Organismen bis hin zu hochkomplexen Arten, zeigt Gee in diesem Buch, dem die Faszination anzumerken ist, die auch der Autor angesichts der Vielfalt des Lebens lange vor unseer Zeit spürt.

Schade, dass es außer den schematischen Karten der Erdzeitalter keine Illustrationen gibt, die diese Vielfalt auch optisch verdeutlichen, obwohl die für ein Sachbuch durchaus bildhafte Schreibweise doch die Vorstellungskraft anregt. Wer als Kind mit Dinosauriern auf du und du war, ist hier klar im Vorteil. Der Anspruch, das zeigt schon der Titel, ist nicht, das endgültige Buch über die Geschichte des Lebens auf der Erde zu schreiben, sondern einen Abriss in für Laien verständlicher Form zu geben und eine Einordnung zu versuchen.

Und genau das ist sehr gut gelungen - mit ein paar Anekdoten, Fußnoten, die den interessierten Leser bei weiterem Eindringen in die Materie unterstützen und einer gewisen Leichtigkeit des Seins in dem Wissen, dass irgendwann einmal die Zeit für unsere Art ebenso abgelaufen sein wird wie für die Dinosaurier. Doch für Gee ist das kein Grund, Trübsal zu blasen (wir werden das ohnehin nicht erleben). Dum vivimus vivamus, sagten schon die alten Römer. Ganz ähnlich muntert Gee seine Leser mit den letztzen Worten seines Buchs auf: "Deshalb verzagt nicht. Noch dreht sich unsere Erde, und das Leben dauert an."

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Veröffentlicht am 20.12.2021

Monumental

Stalingrad
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Monumental - das ist Wassili Grossmans Roman, man könnte auch sagen Epos, gleich in mehrfacher Hinsicht. Mit einem Umfang von fast 1300 Seiten hat das Buch nicht gerade Standard-Format. Mit seinem verzweigten ...

Monumental - das ist Wassili Grossmans Roman, man könnte auch sagen Epos, gleich in mehrfacher Hinsicht. Mit einem Umfang von fast 1300 Seiten hat das Buch nicht gerade Standard-Format. Mit seinem verzweigten Figurendickicht steht Grossman zum anderen ganz in der Tradition der klassischen russischen Literatur mit ihrem vielfältigen Personal. Und dann ist da natürlich noch das Thema selbst, der Kampf um Stalingrad, für Deutsche wie für Russen gleichermaßen traumatisch angesichts der ungeheuren Menschenverluste, ein Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs.

Monumental ist aber auch die Schreibweise, die wie eine literarische Umsetzung der Historienmalerei eines Jan Matejko wirkt und zugleich stark geprägt ist von der Sprache und dem Klima der Entstehung des Romans, der erstmals 1952 veröffentlicht wurde. Stalin lebte noch, und entsprechend zurückhaltend werden die Verhaftungs- und Säuberungswellem der vorangegangenen Jahre angedeutet.

Beipielhaft für die vielen vom Krieg betroffenen Menschen ist die Familie Schaposchnikow und ihr Umfeld, Zivilisten wie Militärangehörige. Das Bangen um Angehörige, der Glaube an den Sieg über den Faschismus, die Härten des Alltags in der Belagerung, die Flucht der Menschen aus den eroberten Gebieten, all das wird teils im reportageartigen Stil, teils in den Erzählungen der Figuren geschildert. Dabei schwankt die Darstellung zwischen Heldenpathos und unverschnörkeltem Bericht über die Grausamkeiten des Kriegs und den Fatalismus von Menschen, denen klar ist, dass sie aller Wahrscheinlichkeit dem Tod geweihnt sind.

Manches ist mir hier zu bombastisch. Ein Beispiel:

"Ehrfurcht einflößend hallte die erste Salve der Batterie über die Wolga. Das war keine gewöhnliche Artilleriesalve, und ringsum erstarrte alles, horchte auf; die russische Erde, der riesige Himmel und der blaue Fluss nahmen den Geschützdonner auf, vervielfachten ihn in einem vielstimmigen Echo. Steppe, Himmel und Wolga, so schien es, legten ihre Seele in dieses Echo, es grollte feierlich und breit wie der Donner, erfüllt von Trauer und finsterem Zorn...

Doch dann findet Grossman Worte über die von Vernichtung bedrohte Stadt, die in wenigen, wie skizzierten Sätzen, die Schrecklichkeit des Krieges ausdrücken:

"Im Rauch, Staub und Flammen, begleitet von einem Krachen, das Himmel, Wasser und Erde erschütterte, ging die große Stadt zugurnde. Es war ein entsetzliches Bild, aber noch entsetzlicher war der brechende Blick eines sechsjährigen Menschen, den ein Eisenträger zerquetscht hatte. Es gibt Kräfte, die gewaltige Städte aus der Asche heben können, aber keine Kraft der Welt kann das Augenlid, kann die leichten Wimpern eines toten Kindes anheben."

Episch ist "Stalingrad" auch deshalb, weil Grossman die Kriegserlebnisse quer durch alle Gesellschaftsschichte beschreibt, in den Kommandostäben und den Schützengräben gleichermaßen schildert. Grossman wusste, wovon er schrieb, als Kriegsbericherstatter für die sowjetische Armeezeitung war er selbst an der Front, berichtete über den Kampf um Stalingrad.

Die Soldaten der Roten Armee, die er porträtierte, waren stolz auf ihre Rolle in seinen Artikeln, heißt es im Vorwort. Grossman war embedded, so würde man es heute wohl nennen und auch wenn manche Passage aus meiner heutigen Sichtweise vor Pathos trieft - war es womöglich seinerzeit auch ein Versuch, dem massenhaften Sterben einen Sinn zu geben? Dass es nicht nur Selbstaufopferung und Siegeswillen war, der die Soldaten prägte, wird nicht verschwiegen. Gleich mehrfach drohen Offiziere und Kommandeure, Rückzug werde mit dem Tod bestraft.

Wird "Stalingrad" den reichlich erhaltenen Vorschusslorbeeren gerecht? Ein enormes Unterfangen ist dieses Buch allemal. Es gibt atemberaubende, eindrückliche Szenen und Dialoge - und andere, die schwülstig und längst nicht mehr zeitgemäß wirken. Beeindruckend ist der Roman dennoch.

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Veröffentlicht am 11.12.2021

Zwischen Emanzipation und Liebe

Fräulein Gold. Die Stunde der Frauen
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Bereits zum vierten Mal lässt Anne Stern ihre Leserinnen (beziehungweise in diesem Fall: Hörerinnen) an der Geschichte der Berline Hebamme Hulda Gold im Berlin der 1920-er Jahre teilhaben. War Hulda in ...

Bereits zum vierten Mal lässt Anne Stern ihre Leserinnen (beziehungweise in diesem Fall: Hörerinnen) an der Geschichte der Berline Hebamme Hulda Gold im Berlin der 1920-er Jahre teilhaben. War Hulda in den Vorgängerbänden vor allem auch kriminalistisch unterwegs, konzentriert sich "Die Stunde der Frauen" vor allem auf die Lebenswelten von Frauen der damaligen Zeit zwischen Aufbruch und Beschränkungen.

Hulda lernt schon durch ihren Beruf die ganz unterschiedlichen Lebenswelten der Frauen kennen, wenn sie in den Mietskasernen der Arbeiterstadtteile ebenso wie in gutbürgerlichen Vierteln gebärende Frauen betreut. Mittlerweile ist sie aber nicht mehr, wie in den Vorgängerbänden, freiberuflich tätig, sondern als leitende Hebamme in der Frauenklinik Berlin-Mitte tätig. Doch auch hier gilt: Die Ärzte halten sich meist für etwas Besseres, und auch die Art und Weise, wie Wöchnerinnen bevormundet werden und neue Methoden einer sanfteren Geburt verächtlich abgewunken werden, ärgert die resolute Hulda, die sich mit kleinen Schritten hartnäckig für eine Verbesserung einsetzt.

Nicht allen kann Hulda in der Klinik helfen - das gilt ganz besonders für ungewollt schwangere Frauen, die angesichts der strengen gesetzlichen Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch alleingelassen werden und sich wohl oder übel einer "Engelsmacherin" anvertrauen müssen, oft mit Gefahr für das eigene Leben.

Mit mittlerweile 30 Jahren gilt Hulda zu ihrer Zeit als "spätes Mädchen" und sie spürt ihre biologische Uhr ticken. Ein Kinderwunsch ist durchaus da, mit dem jungen Arzt Johann Wenckow gibt es auch einen Mann in ihrem Leben, der sie nur zu gerne heiraten möchte - doch noch zögert Hulda. Zum einen fühlt sie sich von Johanns wohlhabender Familie nicht akzeptiert, zum anderen hängt ihr Herz immer noch an dem Ex-Polizisten Karl, der nun als Privatdetektiv arbeitet.

Und dann ist da noch die Frage ihrer beruflichen Zukunft: Ein Lebens nur als Hausfrau und Mutter kann und will sich Hulda nicht vorstellen. Als verheiratete Frau bräuchte sie die Erlaubnis ihres Ehemanns, einen Beruf ausüben zu dürfen. Doch selbst wenn Johann sich ihren Wünschen nicht entgegenstellt - würde die Klinik sie als verheiratete Frau in ihrer Position belassen?

Auch wenn Hulda auch in diesem Band ein wenig ermittelt, stehen doch ihre privaten Hoffnungen und Nöte, aber auch die Situation und Rollenbilder der Frauen ihrer Zeit im Mittelpunkt. Wer einen historichen Krimi erwartet hat, ist womöglich ein wenig enttäuscht.

Aber wie kann man von einem Hörbuch enttäuscht sein, wenn die großartige Anna Thalbach die Sprecherin ist? Sie zieht wieder einmal alle stimmlichen Register, mal berlinernd, mal hochdeutsch, gibt Aristokraten, Bohemiens und Berliner Gören gleichermaßen ihre Stimme und setzt ähnlich erfolgreich wie in den vorangegangenen Bänden Kopfkino in Gang. Eigentlich sind Frauenschmöker nicht mein Lieblingsgenre, aber die Hulda-Gold-Hörbücher sind für mich schon wegen der wunderbaren Sprecherin ein "Muß".

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Veröffentlicht am 09.12.2021

Unglücklich sind hier alle

Was wir verschweigen
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Aus dem berühmten Anfangssatz von "Anna Karenina" wissen wir, dass jede unglückliche Familie auf ihre eigene Art unglücklich ist. In Arttu Tuominens Kriminalroman "Was wir verschweigen" gilt das für so ...

Aus dem berühmten Anfangssatz von "Anna Karenina" wissen wir, dass jede unglückliche Familie auf ihre eigene Art unglücklich ist. In Arttu Tuominens Kriminalroman "Was wir verschweigen" gilt das für so ziemlich jede einzelne Romanfigur. Hier hat jeder seinen Packen Unglück durchs Leben zu schleppen, Geheimnisse und dunkle Erinnerungen, die er oder sie verschweigt. Einen Teil dieser Geheimnisse deckt Tuominen in seinem Roman auf und setzt dabei mehr auf psychologische Spannung und Einblicke in gequälte Persönlichkeiten als auf Gewalttaten und Action.

Der Fall, zu dem die Ermittler des finnischen Pori gerufen werden, scheint ziemlich klar: In einer abgelegenen Wochenendhütte fand ein Gelage statt. Ein Mitglied der Festgesellschaft liegt plötzlich tot am Boden, mit mehrerer Messerstichen im Rücken. Die Zeugen haben im Vollrausch nichts mitbekommen. Ein Mann, ebenfalls volltrunken, wird mit blutiger Kleidung im Wald gefunden. Fall gelöst?

Als Jari Paloviita, kommissarischer Leiter des Polizeireviers, am Morgen danach von seinen Kollegen über den Fall informiert wird, wird es allerdings kompliziert. Denn Antti Mielonen, der dringend tatverdächtige Mann, obdachloser Alkoholiker mit mehreren Vorstrafen, war Paloviitas bester Kindheitsfreund. Und auch der Tote ist kein Unbekannter, er mobbte Jari und verprügelte ihn.

Paloviitas Mitarbeiter wundern sich über das Interesse, dass ihr Chef an dem scheinbaren Routinefall nimmt und dass er ihre Erkenntnisse hinterfragt, auch als die vermutliche Tatwaffe gefunden wird - nicht zuletzt, weil Paloviitas früherer Partner Oksman hinter seinem Rücken eine große Suchaktion mit Tauchern, Spürhund und jedem mobilisierbaren Polizisten anleiert. Oksman, der unter Zwangsstörungen leidet und ein übergenauer Einzelgänger ist, fängt mit eigenen Nachforschungen an und stellt fest: Täter und Opfer kannten sich aus der Grundschulzeit und auch Paloviita war in der gleichen Schulklasse wie die beiden.

Während Misstrauen die Stimmung immer mehr vergiftet, führt eine zweite Erzählebene in die Vergangenheit des Jahre 1991zu dem 13-jährigen Jari und seinem Freund Antti. Obwohl sie aus völlig unterschiedlichen sozialen Milieus stammen - Jari ein behüteter Junge, dessen Vater Architekt ist, Antti in schwierigen sozialen Verhältnissen mit trinkenden Eltern und einem gewalttätigen Vater - verstehen sie sich bestens. Jaris kleine Schwester Tiina, die unter dem Down-Syndrom leidet, himmel Antti an. Doch die weitgehend unbeschwerte Kindheit mit Fahrradtouren und Angelausflügen wird in diesem Sommer tragisch enden, die Freunde werden sich aus den Augen verlieren. Hat die ewige Freundschaft, die sie sich einst geschworen hatten, auch unter den veränderten Umständen Bestand?

Tuominen schafft es, den Spannungsbogen auf beiden Erzählebenen konsequent zu halten und mit immer neuen kleinen Informationsstückchen weitere Puzzleteile hinzuzufügen, die zum großen Bild beitragen. Dabei gibt es immer wieder cliffhanger-Situationen und Wendungen in der Erzählung. Zwischen dem scheinbar unendlichen letzten Kindheitssommer und dem passenderweise frostig-dunklen Winter, in dem die Protagonisten der Gegenwart leben entfalten sich die Möglichhkeiten und verpassten Chancen, die abgebrannten Brücken und die Gründe für das Schweigen über all die Jahre hinweg.

"Was wir verschweigen" ist kein Kriminalroman einfacher Antworten, sondern stimmt nachdenklich. Vieles von dem, was zwischen den Zeilen geschieht, befasst sich mit Werten und Loyalitäten, vielleicht auch mit dem Sinn des Lebens. Die düster-melancholiche Note passt zu den langen nordischen Wintern. Kein Wunder, dass Tuominen für diese komplexe Geschichte mehrfach ausgezeichnet wurde.

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Veröffentlicht am 05.12.2021

Affäre mit Familienanschluss

Hitze
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Edie stolpert nach abgebrochenem Kunststudium eher orientierungs- und antriebslos durchs Leben. In ihrem Assistenzjob in einem Verlag fühlt sie sich als Alibi-Schwarze, entwickelt aber auch keinen Ehrgeiz, ...

Edie stolpert nach abgebrochenem Kunststudium eher orientierungs- und antriebslos durchs Leben. In ihrem Assistenzjob in einem Verlag fühlt sie sich als Alibi-Schwarze, entwickelt aber auch keinen Ehrgeiz, Stereotype zu widerlegen - im Gegenteil - dass sie während der Arbeitszeit ihre Energie auf Sex-Chats konzentriert, ist wenig karrierefördernd. Die bedeutungslosen Affären am Arbeitsplatz dürften auch ein Ausdruck ihres schwach ausgeprägten Selbstbewusstseins sein. Die Ich-Etzählerin in Raven Leilanis Roman "Hitze" ist eine junge Frau, die man einfach mal durchschütteln möchte mit dem Ruf: "Hör auf, dem Leben und allen anderen die Schuld an deinen Problemen zu geben!"

Denn Edie ist weder dumm noch unfähig, scheint aber jeglichen Ehrgeiz aufgegeben oder nie entwickelt zu haben - und die Beziehungen, in denen sie nur Objekt ist, sind da fast schon eine self fulfilling prophecy. Mit Eric, so hofft sie, könnte es anders sein. Er ist weiß, verheiratet, doppelt so alt wie sie und führt nach eigenen Angaben eine offene Ehe. Und wenn es um Intimität geht, scheint sie ihn mehr zu wollen als umgekehrt, jedenfalls lernt Edie Eric wesentlich besser kennen als ihre üblichen one night stands, ehe sie das erste Mal Sex haben.

Edie entwickelt eine gewisse Besessenheit, mehr über Eric und sein Leben herauszufinden - was schließlich zu einer Begegnung mit Rebecca, der Ehefrau Erics führt. Als Edie dann auch noch Job und Wohnung verliert, nehmen die Dinge eine unerwartete Wendung - sie kommt im Gästezimmer der Familie unter.

Eine Affäre mit Familienanschluss? Eine Bezugsperson für Akila, die schwarze Adoptivtochter des Paares, die nach verschiedenen Pflegefamilien ambivalent auf Edie reagiert - auf der einen Seite ist hier eine Frau, die ihr etwa im Umgang mit ihrem Haar, an dem Rebecca völlig scheitert, helfen kann. Auf der anderen Seite ist Edie durch die Beziehung zu Eric eine Bedrohung der relativen Stabilität, die Akila gefunden hat. Und dann ist da noch die Herausforderung, als Schwarze Frau in weißer Vorort-Umgebung zu leben, Alltagsrassismus zu begegnen und Erfahrngen zu teilen, die Eric und Rebecca einfach nie gemacht haben.

Mit Edies Leben im Gästezimmer nimmt das Buch eine neue, interessantere Wendung - denn das Verhältnis sowohl zu Rebecca als auch zu Akila ist wesentlich komplexer und für mich spannender als die Beziehung zu Eric, der sich nicht zuletzt aufgrund seines Alkoholkonsums als Enttäuschung für die Frauen in seinem Leben erweist. Die unsentimentale Selbstanalyse, die genaue Studie des Lebens in Suburbia und die unerwarteten Ausbrüche daraus sind die Höhepunkte dieses Romans, der für Edie auch ein Stück Selbstfindung ist.

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