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Veröffentlicht am 22.06.2020

Achtsamer Umgang mit mörderischem inneren Kind

Das Kind in mir will achtsam morden
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Auf dem Weg zu (Selbst-) Erkenntnis und Achtsamkeit ist Rechtsanwalt Björn Diemel zweifellos schon deutlich vorangeschritten seit Kasten Dusses Roman „Achtsam morden“: Er hat sich von einer Arbeit getrennt, ...

Auf dem Weg zu (Selbst-) Erkenntnis und Achtsamkeit ist Rechtsanwalt Björn Diemel zweifellos schon deutlich vorangeschritten seit Kasten Dusses Roman „Achtsam morden“: Er hat sich von einer Arbeit getrennt, die ihn nur unglücklich machte, hat mit der räumlichen Trennung von seiner Noch-Ehefrau auch private Konflikte entschärft und kann sich darauf konzentrieren, ein Super-Papa für Töchterchen Emily zu sein. Na gut, zwei Mafia-Clans muss er auch noch führen, ebenso einen Kindergarten. Und dann wäre da noch der Mafiosi im Keller. Immerhin: Im Gegensatz zu früheren Zeiten keine Leiche. Björn will nicht mehr töten. So achtsam ist er immerhin.

Doch ach, es kann der Beste nicht im Frieden leben, wenn es dem verwundeten inneren Kind nicht gefällt. Das kleine, schrille Stimmchen im Ohr, das unbeabsichtigt zum jähen Ableben eines unsympatischen Kellners auf einer Almhütte führt. Doch die Störgeräusche in Björns Unterbewusstsein hören nicht auf.

Kein Zweifel, er muss mal wieder zu seinem persönlichen Guru, Achtsamkeitscoach Joschka Breitner. Und wieder gewinnt er eine Erkenntnis: Sein gegenwärtiges Leiden reflektiert das Leiden seines inneren Kindes. Die ganzheitliche Selbstoptimierung muss auf das innere Kind ausgedehnt werden. Wenn das innere Kind wieder Vertrauen gefasst hat und ausgeglichen ist, kann auch Björns Leben wieder in ruhigeren Bahnen verlaufen. Doch bis dahin ist es ein langer Weg. Denn das innere Kind möchte lustvoll Gewalt zelebrieren, wo Björn dem Morden abgeschworen hat.

Immerhin, die Suche nach den Schuldigen dauert nicht lange: Es waren Björns verständnislose Eltern, die ihn beziehungsweise das innere Kind von verkorkst haben. Niemals soll Emily diese Erfahrung machen müssen! Autor Karsten Dusse setzt die inneren Dialoge des Anwalts mit seinem kindlichen Selbst in dem Hörbuch „Das Kind in mir will achtsam morden“ höchstpersönlich in Szene und muss sich dabei hinter Profi-Sprechern keineswegs verstecken. So sanft reflektierend, so einsichtig und sensibel lässt er die Hörer*innen an Björns Gedankenwelt teilhaben, dass man bei dem Mann glatt ein Achtsamkeitsseminar buchen möchte.

Dabei steht Anwalt Björn unter Stress, ganz gewaltigem Stress sogar. Ausgerechnet in der Woche, in der er das Vertrauen seines inneren Kindes gewinnen soll, wird er erpresst. Ein Unbekannter fordert den Kopf von Boris, den Mafioso im Keller – wortwörtlich. Die Elternvertreter des Kindergartens wollen den Keller besichtigen, um die Planungen für den ersten klimaneutralen Kindergarten voranzutreiben. Und als Björn für eine Elternvertreterin Gefühle entwickelt, reagiert Noch-Ehefrau Katharina eifersüchtig: Sie will Björn zwar offenbar nicht zurück haben, aber andere sollen ihn auch nicht kriegen.

Nach einem Erfolg noch einmal einen zweiten dranzuhängen, ist bekanntlich nicht leicht. Doch mit „Das Kind in mir will achtsam morden“ schafft Karsten Dusse das souverän. Überdreht und unterhaltsam, mit einer ordentlichen Prise schwarzen Humors, aber auch allerlei Achtsamkeits-Einsichten ist dieses Hörbuch ein Angriff auf die Lachmuskeln. In stressigen Zeiten wärmstens zu empfehlen.

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Veröffentlicht am 22.06.2020

Dramatisches Frauenschicksal über Generationen

Die verlorene Frau
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Frauenfiguren mit einem Leben voller Drama, eine Handlung, die Zeitebenen verwebt und die Vergangenheit die Puzzlestücke für die Rätsel der Gegenwart liefert – das prägt auch das neue Buch „Die verlorene ...

Frauenfiguren mit einem Leben voller Drama, eine Handlung, die Zeitebenen verwebt und die Vergangenheit die Puzzlestücke für die Rätsel der Gegenwart liefert – das prägt auch das neue Buch „Die verlorene Frau“ von Emily Gunnis. In ihrem Debütroman „Haus der Verlassenen“ ging es um das Schicksal unfreiwillig schwangerer junger Frauen in den 1960-er Jahren, diesmal ziehen sich Trauma, Gewalt und psychische Störungen durch die Generationen.

Am Anfang lernt der Leser die 13-Jährige Rebecca kennen, die im Jahr 1960 in einem Polizeirevier in einem englischen Küstenort vernommen wird. Dabei ist das Mädchen schwer traumatisiert, denn seine Eltern sind durch eine Gewalttat ums Leben gekommen. Der Vater, ein psychisch angeschlagener und gewalttätiger Kriegsveteran, hat offenbar die Mutter getötet und dann Selbstmord begangen. Oder sollte der benachbarte Farmer seine Frau im Spiel gehabt haben?

Der unsensible Polizist, der das verstörte Mädchen bedrängt, verfolgt sie in ihren Gedanken, als sie Jahre später Mutter einer Tochter wird. Während einer postnatalen Psychose glaubt sie, den Polizisten wieder zu sehen. Um ihre Tochter Jessie kann sie sich zunächst gar nicht kümmern, besonders, da sie als junge Ärztin schon früh die Verantwortung für das Kind an ein Kindermädchen abgeben muss und Jessie nach dem Scheitern der Ehe beim Vater bleibt.

Doch nun ist Jessie selbst schwanger und reagiert nach einer schweren Geburt mit Wahnvorstellungen. Überzeugt, man wolle ihr schaden und ihr Kind töten, flieht sie mit dem Neugeborenen aus der Klinik. Die Zeit drängt, denn der Säugling leidet an einer Infektion und braucht dringend medizinische Versorgung. Jessies Halbschwester, die Journalistin Iris, nutzt ihre beruflichen Kontakte, um sich der Suche nach Jessie anzuschließen. Wiederholt sich die Geschichte? Können die Gräben innerhalb einer disfunktionalen Familie überwunden und verschüttete Wahrheiten ans Licht geholt werden?

Gunnis verknüpft Spannung, Familiendrama und eine düstere Atmosphäre familiärer Gewalt und psychischer Krankheiten mit einem Gesellschaftsporträt einer Klassengesellschaft, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch funktionierte und in der Frauen der Willkür ihrer Ehemänner ausgeliefert waren. Dabei schafft sie es, anspruchsvolle Themen in einem spannenden Unterhaltungsroman unterzubringen und ein Dümpeln in seichten Lesegewässern zu vermeiden. Auch wenn das Buch im Mai erschienen ist - am besten passt die Lektüre zu einem düster-nebeligen Spätherbsttag!

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Veröffentlicht am 14.06.2020

Memoiren einer Aktivistin

#BlackLivesMatter
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Es wäre schön, wenn Patrisse Khan-Cullors zusammen mit der Journalistin Asha Bandele in ihrer Autobiografie Rückschau auf ihr Lebenswerk halten und zufrieden Bianz ziehen könte. Das Buch der Aktivistin ...

Es wäre schön, wenn Patrisse Khan-Cullors zusammen mit der Journalistin Asha Bandele in ihrer Autobiografie Rückschau auf ihr Lebenswerk halten und zufrieden Bianz ziehen könte. Das Buch der Aktivistin ist in deutscher Fassung bereits vor zwei Jahren erschienen und sein Thema hat leider nichts an Aktualität eingebüßt. Denn Khan-Cullors ist eine der Gründerinnen der Kampagne

BlackLivesMatter.

Als sie mit der Arbeit begann, war es der Schock über den Tod des 17 Jahre alten Trayvon Martin und nur wenige Monate später des 18-Jährigen Michael Brown in Ferguson. Die Männer, die sie töteten - ein "Neigborhood Watch-Angehöriger im Fall von Trayvon Martin, ein weißer Polizist im Fall von Michael Brown - gingen straffrei aus. Beide Fälle machten weltweit Schlagzahlen, brachten dem Thema institutionalisierter Rassismus breite Aufmerksamkeit.

Die Bürgerrechtsbewegung hatte schon seit Jahren thematisiert: Afroamerikaner und andere Minderheiten sind überproportional unter den Insassen von US-Gefängnissen vertreten, werden im Vergleich zu Weißen oft härter bestraft. Nun zeigte sich: Es kann genügen, ein schwarzer Mann in der "falschen" Umgebung oder Situation zu sein, um in Lebensgefahr zu geraten. Und der völlig sinnlose Tod dieser Männer hatte, zumindest juristisch, keine Konsequenzen.

BlackLivesMatter behandelt diese gesellschaftlichen Hintergründe nicht so ausführlich-analytisch, wie es mir persönlich lieb gewesen wäre, aber es handelt sich ja auch um eine Biografie, zeigt insofern den ganz persönlichen Blickwinkel von Patrisse Khan-Cullors, ihre Kindheit in einer von mexikanischen Einwanderern geprägten Nachbarschaft in Los Angeles, die Erfahrung von Armut und Marginalisierung, die Erfahrung mit Polizeiwillkür, die ihre älteren Brüder bereits in Teenagerjahren machten. Auch Patrisse wurde als zwölfjährige festgenommen. Allerdings hatte sie Marihuana geraucht, wie es an ihrer high school in einem wohlhabenden weißen Viertel gang und gäbe war.

Insgesamt hatte Patrisse Khan-Cullors im Vergleich zu anderen Kindern ihrer von den Behörden vernachlässigten Nachbarschaft allerdings trotz der Armut der Familie in mancher Hinsicht viel Glück: Zum einen das Stipendium für die "weiße" junior high school, in der es viele Möglichkeiten gab, sich kreativ zu entfalten, dann eine weiterführende Schule, die ebenfalls ein breites künstlerisches Programm und ein sehr tolerantes Umfeld hatte - um so wichtiger, als Patrisse mit 16 Jahren ihr Coming-Out als queere Person hatte. Ihre spätere Organisation ist denn auch nicht allein vom Kampf gegen Rassismus, sondern auch gegen Homo- und Transphobie sowie für Feminismus geprägt.

Khan-Cullors, die seit ihren Schulzeiten als Vollzeit-Aktivistin (oder Organisatorin, wie sie es nennt) gearbeitet hat, sieht in den Organisatoren die Speerspitze für Veränderung. Da schleicht sich allerdings mitunter einiges an selbstgerechtem Pathos ein. Und, wie könnte es anders sein, die Kritik an den "etablierten Medien", die heutzutage generell als Sündenbock herhalten dürfen.

#BlackLivesMatter offenbart aber auch Wut und Verletzlichkeit, bettet die Familiengeschichte in den "Drogenkrieg" der Reagan-Ära oder den Umgang mit Gefängnisinsassen oder psychisch Kranken in der privaten "Gefängnisindustrie" der USA ein. Lesenswert, auch wenn hier nur die Perspektive einer "Blase" der afroamerikanischen Community - urban, queer, gebildet, aktivistisch - dargestellt wird.

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Veröffentlicht am 14.06.2020

Das Schweigen brechen

Nein
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Mutig, schmerzhaft und teilweise quälend ist «Nein». Die Erzählung einer Frau, deren Leben sich nach einer Vergewaltigung dramatisch ändert - und des Täters, der immer noch glaubt, sie habe es doch nicht ...

Mutig, schmerzhaft und teilweise quälend ist «Nein». Die Erzählung einer Frau, deren Leben sich nach einer Vergewaltigung dramatisch ändert - und des Täters, der immer noch glaubt, sie habe es doch nicht anders gewollt.

Mit «Nein» hat die amerikanische Schriftstellerin und Filmproduzentin Winnie M. Li einen wichtigen Beitrag zur «#MeToo»-Debatte um sexuelle Gewalt geleistet. Mit ihrem Roman über Vivian, eine Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln, die in einem Park von Belfast von einem 15-Jährigen brutal vergewaltigt wird, dürfte sie auch ein persönliches Trauma aufgearbeitet haben. Denn auch Li wurde wie ihr literarisches Alter Ego in Belfast vergewaltigt, auch in ihrem Fall war der Täter ein 15-Jähriger aus der irischen Traveller Community.
Schon wenige Wochen nach der eigenen Vergewaltigung sei der Gedanke zu dem Buch entstanden, schreibt Li in dem Nachwort. Damit entschloss sie sich zu Offenheit, wo viele Opfer einer Vergewaltigung häufig schweigen, manchmal für Jahre oder gar Jahrzehnte - als ob das Schweigen die Tat irgendwann einmal aus der Erinnerung drängen könnte.
Li erspart sich und dem Leser nichts - die Angst, die Panik, die Erniedrigung, Schmerz und Brutalität, blanken Überlebensinstinkt und das tiefe Loch, in das Vivian, ein aktive, reiselustige und aufgeschlossene Frau, nach der Vergewaltigung fällt. Plötzlich ist sie nur noch ein Schatten ihrer selbst, verkriecht sich in ihrem Schlafzimmer, leidet unter Übelkeit und Panikattacken. Und trotzdem nimmt sie es auf sich, im Prozess gegen ihren Vergewaltiger auszusagen, im Gerichtssaal ihm in die Augen zu sehen und ihm zu zeigen: Bei allen Tränen - sie hat überlebt.
Das Besondere an «Nein»: Li schreibt aus zwei Perspektiven, aus der Sicht Vivians und aus der Sicht des Täters, Johnny. Der Jugendliche, der Frauen bevorzugt als «Schlampen» tituliert und bis zuletzt betont, Vivian habe freiwillig mit ihm Sex gehabt. Die 39 Verletzungen, die bei der medizinischen Untersuchung dokumentiert wurden, seien eben darauf zurück zu führen, dass sie es «hart» wollte.
Mit einem prügelnden Vater und einem kriminellen älteren Bruder in einem Wohnwagen lebend, ist Johnny klar einer der Verlierer der Gesellschaft, hat ein hartes Leben. Die Reaktionen der Nachbarn auf dem Wohnwagenplatz machen aber deutlich: Nichts rechtfertigt sein Verbrechen. Auch Li betont, sie wolle keinerseits zur Pauschalisierung der Traveller beitragen.
Wie lange hat die Tat gedauert? Vielleicht eine halbe Stunde, schätzt Vivian in ihrer Aussage vor Gericht. Doch das war eine halbe Stunde, die ihr Leben radikal veränderte und noch Jahre nachwirkt. Der Prozess, allen voran die Vernehmung durch den Verteidiger Johnnys, reißt die vorsichtig verheilenden Wunden wieder auf. «Müssen wir Frauen wirklich all diese Erniedrigungen über uns ergehen lassen, damit uns Gerechtigkeit widerfährt?» fragt Vivian sich.
An einer anderen Stelle heißt es: «Wie oft muss sie dieses Spießrutenlaufen noch über sich ergehen lassen? Um Gerechtigkeit zu erfahren, wird sie sich öffentlich so lange entblößen müssen, bis nichts mehr von ihr übrig ist.»
Das Urteil kann nur eine gewisse Erleichterung verschaffen: Der Täter kann vorerst weder Vivian, noch anderen Frauen gefährlich werden. Dass er Einsicht zeigt, sich zu seiner Verantwortung bekennt und tatsächlich ändern kann - das scheint fraglich. Vivian wiederum fällt es trotz des Urteils schwer, daran zu glauben, dass ihr Leben irgendwann einmal wieder so sein wird wie früher.
Vielleicht war das Schreiben des Buches ein Ventil für Li. Ganz bestimmt ist es ein wichtiger Beitrag für Frauen, die nach einer Vergewaltigung selber den Weg zum Weiterleben suchen, aber auch für ihre Freundinnen, Schwestern, Mütter, die sich fragen, wie sie am besten Unterstützung leisten können. Zu wünschen wäre, dass dieses Buch aber auch den Weg zu Männern findet die das «Nein» einer Frau bisher nicht ernst nehmen wollten.

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Veröffentlicht am 14.06.2020

Der männliche und der weibliche Blick - Jugend im Kiez

Im Bauch der Königin
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Sie wolle nicht unter dem Label Migrationsliteratur gesehen werden, sagte Karosh Taha in einem Interview. Denn als zwar im nordirakischen Kurdistan geborene, aber im Ruhrgebiet aufgewachsene Schriftstellerin ...

Sie wolle nicht unter dem Label Migrationsliteratur gesehen werden, sagte Karosh Taha in einem Interview. Denn als zwar im nordirakischen Kurdistan geborene, aber im Ruhrgebiet aufgewachsene Schriftstellerin schreibe sie auf Deutsch, spreche Deutsch weitaus besser als Kurdisch. Das hat sie mit ihrer Romanfigur Amal in "Im Bauch der Königin" gemeinsam.

Mit dem Leben zwischen zwei Kulturen, der Migrationserfahrung der Eltern hat aber auch die zweite Generation zu tun, aus deren Sicht das Aufwachsen in einem Kiez irgendwo im Ruhrgebiet geschildert wird. Da haben einige der Freunde und Nachbarn eben noch nicht den deutschen Pass, sondern nur die Duldung, leben mit der Ungewissheit. Da gibt es eben immer noch Werte, die die Community prägen und unterscheiden, Dinge, die der "Alman" in der Clique ungestraft sagen kann, die bei einem Türken oder Kurden tabu wären. Ähnlich wie die "neuen deutschen Medienmacher" gibt es eben auch die neuen deutschen Literaten, die mit ihren ganz unterschiedlichen Erfahren die heutige diverse Gesellschaft beschreiben.

Taha tut das aus einer interessanten Doppelperspektive, indem sie ihre Geschichte über die gleichen Protagonisten aus der weiblichen und aus der männlichen Perspektive erzählt, aus der Sicht von Amal und Raffiq. Amal ist ein Mädchen, das auffällt, das aneckt, wild und mitunter aggressiv. Tomboy, würde man anderswo sagen, ihre Lehrer und Mutter bezeichnen sie als "Mogli-Mädchen". Amal ist ein Vater-Mädchen, bei ihrem Vater fühlt sie sich verstanden. Um so schlimmer für sie, als der Vater die Familie verlässt, um nach Kurdistan zurückzukehren - obwohl seine Frau schwanger ist. Er, dessen Architekturstudium in Deutschland nicht anerkannt wurde, möchte wieder jemand sein.

Auch Raffiqs Vater ist Architekt, auch er will nach Kurdistan zurück, aber mit seiner Familie. Und hier ist es Raffiq, der Abiturient, der keinesfalls zurück in die fremde Heimat seiner Eltern will, deren Sprache er nur mangelhaft beherrscht. "Weil ich in Kurdistan das bin, was du in Deutschland bist!", schleudert er dem Vater bei einem Streit entgegen.

Kurdistan ist sowohl Sehnsuchtsort als auch Kontrapunkt. Amals Mutter, eine Frau, die nie etwas mit Religion am Hut hatte, beginnt das Kopftuch zu tragen und sich konservativ zu kleiden, als ihr Mann ausgezogen ist. Nicht aus Überzeugung, sondern um Begehrlichkeiten abzuwehren, sie könne als alleinstehende Frau nun leicht zu haben sein. Ironischerweise fangen nun die Frauen der Nachbarschaft an, sie um Rat in religiösen Fragen zu fragen, so dass sie tatsächlich beginnt, sich mit dem Koran auseinander zu setzen. Sie wollte ihrer Tochter ersparen, die Einschränkungen zu erfahren, die für eine junge Frau in der alten Heimat gelten - Einschränkungen, die Amal erlebt, als sie als Abiturientin nach Kurdistan reist, um den Vater und seine neue Familie kennenzulernen.

Sowohl Amal als auch Raffiq kreisen in ihren Erzählungen um Younes und seine alleinerziehende Mutter Shahira, die wegen ihres freizügigen Lebensstils und ihrer kurzen Röcke als "Hure" verschrieen ist. Gleichzeitig ist sie der Typ Löwnmutter, der die Nachbarn zur Rede stellt, wenn deren Kinder - auch Amal - Younes verprügelt haben. Das war allerdings, bevor Younes ein kräftiger junger Mann wird, der beste im Boxclub.

"Im Bauch der Königin" ist Coming of Age-Roman, schildert Fremdheits- und Diasporaerfahrung, auch wenn das Beziehungsgeflecht der jungen Protagonisten auch abgelöst von ihrem kurdischen Hintergrund etwas Universelles hat. Im Vergleich bleibt die "männliche" Sicht allerdings deutlich blasser, es sind Amal und Shahira, die dem Leser besonders prägnant vor Augen stehen und die die klarsten Konturen haben. Amal und Raffiq schildern wiederholt die gleichen Ereignisse, das aber ganz unterschiedlich. Dieser geteilte Blick auf eine Jugend im Kiez macht nur einen der Reize in Tahas Buch aus. "Im Bauch der Königin" besticht durch klare Beobachtungsgabe, durch Witz und Wärme und ist zugleich eine glaubwürdige Charakterstudie junger Menschen.

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