Ermittlungen zwischen Tellerfleisch und Salon
Der falsche PreußeWilhelm Freiherr von Gryszynski ist Hauptmann der Reserve aus Preußen, vor allem aber Kriminalist bei der Königlich Bayerischen Polizei. Den anfänglichen Kulturschock hat der Ermittler von Stand prächtig ...
Wilhelm Freiherr von Gryszynski ist Hauptmann der Reserve aus Preußen, vor allem aber Kriminalist bei der Königlich Bayerischen Polizei. Den anfänglichen Kulturschock hat der Ermittler von Stand prächtig überwunden. Dazu dürfte beigetragen haben, dass die eher barocke und sinnenfreudige Lebensweise seiner neuen Heimat ihm mehr zusagt als das von Pflicht und Disziplin geprägte Leben in der Heimat. Insbesondere die kulinarischen Genüsse haben es Gryszynski angetan. Ehefrau Sophie ist mit allem zufrieden, solange sie nur ausreichend Bücher um sich hat und der kleine Sohn Fritz ist viel zu jung, um etwas von den Unterschieden zwischen Preußen und Bayern zu ahnen.
Nicht nur wegen seiner adeligen und obendrein preußischen Herkunft ist der Titelheld von Uta Seeburgs historischem Kriminalroman "Der falsche Preuße" eine ungewöhnliche Erscheinung bei der Münchner Polizei im Jahr 1894. Gryszynski ist nämlich Kriminalist und damit Vertreter einer damals noch jungen Wissenschaft. Seinen Tatortkoffer konnte er bislang nicht öffnen, bis dann doch endlich ein kecker Münchner Bub namens Schoasch eine männliche Leiche in den Maximiliansauen findet, der nicht nur das mit einer Schrothilfe weggeschossene Gesicht fehlt, sondern die zudem in einem exotischen Federnumhang steckt. Und nicht nur das: Am Tatort werden Fußspuren gefunden, die verdächtig nach Elefanten aussehen. Wie kann das alles zusammenpassen?
Der Tote wird als Bierbeschauer identifiziert, die Suche nach dem Täter allerdings bleibt schwierig. Zumindest in Sachen Federumhang stößt Gryszynski auf eine vielversprechende Spur: So ein Umhang wurde bei der Einweihungsparty in der Villa des neureichen Industriellen Lemke gesehen, Lemkes Frau trug ihn als Vögelchen im "goldenen Käfig". An Lemke, der ebenso charmant wie größenwahnsinnig zu sein scheint, hat auch der preußische Gesandte in München lebhaftes Interesse und stößt Gryszynski in einen Loyalitätskonflikt. Denn neben seinen offiziellen Ermittlungen soll er für die Preußen gewissermaßen spionieren, um herauszufinden, ob Lemke, der einst eine Eisenbahnstrecke in Deutsch-Ostafrika baute, eine Expeditionskarte so manipulierte, dass 30 Teilnehmer einer Forschungsexpedition auf der Suche nach blauen Diamanten elend umkamen....
Der Reiz von "Der falsche Preuße" liegt zum einen in dem preußisch-bayrischen Kulturkonflikt, der miunter auch stereotypenlastig daherkommt, zum anderen in den exzentrischen Figuren, die den Roman bevölkern, angefangen von Gryszynskis Assistenten bis hin zu dem zu allerlei Marotten neigenden Lemke. Gryszynski ist dabei ein wenig martialischer und immer zum Essen aufgelegter Ermittler, der bei Tellerfleisch und Kren auf Inspiration sucht und des öfteren seine Dienstwaffe vergisst - was angesichts seiner bescheidenen Schießkünste aber ohnehin schon fast egal ist.
Die Spannung bleibt zwischen all den historischen Details, kulinarischen Vertiefungen und skurrilen Gestalten mitunter auf der Strecke, ohnehin handelt es sich hier eher um einen bajuwarischen Cozy aus dem 19. Jahrhundert. Unterhaltsam mit einem sympatisch-verfressenen Titelhelden ist "der falsche Preuße" allemal.