Letzte Sause am Kilimanjaro
Das kann uns keiner nehmenMit "Das kann uns keiner nehmen" hat Mattias Politycki eine Mischung aus Afrikaroman und Geschichte einer Männerfreundschaft angesichts von Krankheit und Tod geschrieben. Dabei sind offenbar zumindest ...
Mit "Das kann uns keiner nehmen" hat Mattias Politycki eine Mischung aus Afrikaroman und Geschichte einer Männerfreundschaft angesichts von Krankheit und Tod geschrieben. Dabei sind offenbar zumindest teilweise eigene Erfahrungen mit Reisen und Bergsteigen in Afrika eingeflossen. Herausgekommen ist eine Art "Knocking on Heaven´s Door" am Gipfel des Kilimanjaro. Wer Probleme mit bayrischem Dialekt hat, könnte hier ein getrübtes Lesevergnühen haben.
Hans will es noch einmal wissen, als er mit Anfang 60 den Kilimanjaro besteigt, den höchsten Berg Afrikas. Es ist nicht nur das Unternehmen eines Mannes, der sich mit der Bergbesteigung und einer Nacht im Krater des Vulkans dem Alter entgegenstemmen will. Es ist auch eine Konfrontation mit einer gescheiterten Liebe, einer ersten Reise nach Afrika, die nur schlechte Erinnerungen und diffuse Ängste hinterlassen hat.
Doch dann, als er der Höhenkrankheit getrotzt und den Gipfel bezwungen hat, muss er erkennen, dass es mit der einsamen Nacht da oben auf dem Dach Afrikas nichts wird: Im Krater hat bereits ein anderer Bergsteiger mit seinem Team Lager aufgeschlagen. Ausgerechnet ein derber, polternder Typ, den der zurückhaltende Hanseat Hans erst einmal ziemlich widerlich findet. Ein Macho mit grobem Humor, ohne jede politische Korrektheit, aber auch geradeheraus und herzlich.
Eine erschreckende Nacht in einem Schneesturm sorgt dennoch für eine erste Annäherung. Trotzdem überrascht es Hans, als er sich nach dem Abstieg nicht auf den Weg zur geplanten Serengeti-Safari macht, sondern zusammen mit Tscharli, der sich gerne selbst als "Big Simba" bezeichnet, an die tansanische Küste reist, nach Dar-es-Salaam und Sansibar. Denn Tscharli ist todkrank, und auf seiner letzten Reise will er es noch einmal krachen lassen - und das nicht allein.
Nur langsam kommt Hans zu einer Annäherung an den lauten Bajuwaren, der ihm so peinlich ist, dessen Auftreten er als undiskutabel beschreibt - und den er mittlerweile bestaunt, "als wäre er nicht mein Reisegefährte, sondern die schräge Hauptfigur eines ohnehin schrägen Stückes". Die Reise ist für ihn gleich doppelt eine Herausforderung - zum einen wegen des ungleichen Begleiters, zum anderen hat noch er noch eine Rechnung mit Afrika offen und will sie vor seinem Abflug begleichen.
Denn Hans hat eine tiefsitzende Angst vor dem Kontinent, vor Gewalt und Konflikten, eine Vergangenheit, die zunächst nur angedeutet ist. Er legt zwar Wert auf politisch korrekten Umgang mit den Afrikanern und hält den derben Tscharli für einen Rassisten - doch anders als Hans liebt dieser Afrika, hat in verschiedenen Ländern des Kontinents als Bauleiter gearbeitet und sah irgendwann keinen Grund mehr, nach Deutschland zurückzukehren.
Die entgegenkommenden jungen Frauen, etwa in seinem sich als Puff entpuppendem Lieblingshotel in Dar-Es-Salaam dürften daran nicht ganz unschuldig sein. Aber auch die Fahrer, der Tourguide, die Kellnerinnen, die Tscharlie unabhängig von dem erhofften Trinkgeld ins Herz geschlossen haben, sind Teil dieser Afrika-Liebe. Ja, er ist ein alter weißer Mann, der auf pidgin-Englisch radebrecht - aber irgendwie begegnet er trotz unkorrektem Vokabular den Afrikanern mit echter Wärme und mehr auf Augenhöhe als der politisch bewusste Hans, der sich stets kolonialer Vergangenheit und sonstiger Verfehlungen von Europäern in Afrika bewusst ist.
Ganz allmählich lernt Hans, Afrika durch Tscharlies Augen zu sehen, seine Farben und Gerüche, den Humor und die Herzlichkeit der Menschen, aber auch das sich Durchmauscheln, die große und kleine Korruption, die Straßenkriminalität, mit der man eben irgendwie leben muss.
"Die rote Erde, die Dornenbüsche, das karge Grasland, der Rauchfaden eines Feuers am Hang, ein kreisender Vogelschwarm am Himmel, ein Holzhüttendorf mit Mangobäumen an der Straße, von ferne Taubengurren, Hühnergackern, ein laut geführtes Gespräch, dessen Worte lediglich aus Vokalen bestanden, das offene Draufloslachen die große Verlorenheit danach. Ja, deshalb war ich gekommen, ich erinnerte mich. Und dazu der Geruch der roten Erde, des brennenden Holzes, irgendwelcher schwerer Blüten, vermischt mit den trockenen Anhauch der Savanne."
Bei Sätzen wie diesen beschreibt Politycki nicht das Safari-Afrika mit den "big five" und den exklusiven Lodges und Camps, die für viele Afrikatouristen Urlaubsträume verkörpern, sondern das Afrika, das jenseits der Nationalparks entlang der Straßen zu sehen ist, die kleinen Marktstädtchen, die Frauen mit Holzbündeln oder Wasserkanistern, die Hirten mit ihren Herden. Aber auch das Gassengewirr von Stone Town, das Vielvölkergemisch an der Küste des Indischen Ozeans lässt Politycki zwischen den Buchseiten aufleben, ganz jenseits der Kitschbilder von dramatischen Sonnenuntergängen über Dornakazien. Das Afrika dieses Buchs ist weniger spektakulär und entspricht mehr dem Alltag, Da kommt es dann auch schon mal zu Einschätzungen wie:
"Das ist Afrika - Alles voller Staub und immer eine Flasche Bier in Reichweite."
Reichlich Bier fließt jedenfalls auch zwischen den Buchseiten, wenn die beiden ungleichen Männer einander von der jeweiligen großen, unglücklichen Liebe ihres Lebens erzählen und sich irgendwann betrunken in den Armen liegen.