Von der Drina zur Aral-Tankstelle
HERKUNFTMan kann über eine Flüchtlingsbiografie voller Dramatik schreiben, über das Ankomen in der Fremde voller Schmerz oder voller Wut. Sasa Stanisic hat für seinen autobiografischen Familienroman "Herkunft" ...
Man kann über eine Flüchtlingsbiografie voller Dramatik schreiben, über das Ankomen in der Fremde voller Schmerz oder voller Wut. Sasa Stanisic hat für seinen autobiografischen Familienroman "Herkunft" einen leicht ironischen Untertun und viel Wärme gefunden, mitunter leichte Distanz und Reflektion. "Herkunft", das ist die eigene Geschichte, aber auch die Geschichte eines Landes, das es nicht mehr gibt und eines Landes, das sich verändert. Eine Geschichte voll liebevoller Erinnerungen und der Liebe zu einer Großmutter, die aufgrund fortschreitender Demenz ihre Erinnernung verzerrt und vergisst. Eine Geschichte des Friedhofs in dem fast schon mytholigisch-verwunschenen Bergdorf, wo fast alle Grabsteine den eigenen Familiennamen tragen, und Heidelberg als Ort detuscher Romantik, den sich der Erzähler ebenso wie die neue Sprache und die Literatur zu eigen macht.
Im Rahmen der
vonHier- und
MeTwo-Debatten, gibt es manchen Text, der eher anklägerisch ist, Abgrenzung heraufbeschwört, bisweilen larmoyant ist. Nichts von alldem ist in "Herkunft" zu finden. Doch die Geschichte vom Ankommen in der Fremde, von der buchstäblichen Verheimatung, von der Gemeinschaft derjenigen, die sich als irgendwie anders und doch dazugehörig defininieren hat Stanisic ein Buch geschrieben, in dem wohl sowohl "Bio-Deutsche" als auch "neue Deutsche" vieles wieder erkennen dürften.Sasa Stanisic wurde in Visegrad geboren - heute Bosnien, damals Jugoslawien, das Land, an das vor allem sein Großvater Pero, ein glühender Kommunist, voller Überzeugung glaubte. Ein Teil der Familie serbisch, der andere bosnisch-muslimisch - im Vielvölkerstaat Jugolawien zumindest offiziell kein Thema. In dem Moment, in dem nationale Bewegungen das Trennende heraufbeschwören, sind solche Familien die ersten, die die Konsrquenzen spüren. So war es auch für die Familie Stanisic. Ihre Flucht endete in Deutschland, Großmutter Kristina blieb in Visegrad zurück.
Die Erinnerungen Sasas springen von der Gegenwart zwischen kleinem Sohn und der Sorge um die demente Großmutter und der Vergangenheit hin und her - die Kindheit am Ufer der Drina, die Jugend in Heidelberg, wo das Ankommen auch das Aneignen der Sprache war, als der junge Sasa , ermuntert von seinem Deutschlehrer begann, seine Gedichte auf Deutsch und nicht länger auf Serbokroatisch zu schreiben. Das Leben zwischen zwei Welten, mit Freunden aus deutschen Akademikerfamilien und den Jungs, die sich an der Aral-Tankstelle im Migrantenviertel fanden - Jugos und Türken, polnischsprachige Schlesier. Die hässlichem Seiten des neuen Landes, Fremdenhass und Vorurteile, zeigen sich in vergleichsweise harmloser Ausprägung. Der Junge aus Bosnien fasst schnell Fuß, Integration durch Sprache funktioniert.
Für die Eltern ist es schwieriger - keine Zeit zum Spracherwerb, keine Arbeit gemäß ihrer Qualifikation, am Ende die Abschiebung - sie finden ein neues Leben in Amerika, ihr Sohn erhält dank seines Studiums die Duldung. Für den Lebenslauf für die Ausländerbehörde setzt er sich mit seiner Vergangenheit auseinander...
Jeder, der neu in ein Land kommt, schleppt sein individuelles Gepäck mit sich, finder es einfacher oder schwieriger, mit der neuen Sprache, Mentalität oder Kultur zu leben. Viel hängt von den Menschen ab, die man dabei findet. Mit "Herkunft" hat Sasa Stanisic ein kluges Buch geschrieben, in dem sich sowohl diejenigen, die sich neu in ein anderes Land integrieren mussten und diejenigen, die schon länger da sind, gleichermaßen wiederfinden dürften.