Profilbild von evaczyk

evaczyk

Lesejury Star
offline

evaczyk ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit evaczyk über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.07.2024

Ein Noir-Klassiker

Wer findet das Opfer
0

Das Cover von "Wer das Opfer findet" von Ross MacDonald erinnert an die Bilder von Ed Hopper und auch inhaltlich verkörpert dieser Detektivroman die Ära der Ära der Noir-Klassiker. MacDonald starb 1983, ...

Das Cover von "Wer das Opfer findet" von Ross MacDonald erinnert an die Bilder von Ed Hopper und auch inhaltlich verkörpert dieser Detektivroman die Ära der Ära der Noir-Klassiker. MacDonald starb 1983, das Buch spielt irgendwann in den 50-ern, das spiegelt sich auch der Beschreibung der Welt in einer kalifornischen Kleinstadt wieder. Wie heißt es doch so schön, als "Männer noch Männer waren"? Frauen haben jedenfalls vor allem schön zu sein und wahlweise die Rolle der Mutter und Ehefrau oder des Flittchens auszufüllen.

Beim Visualisieren des Textes habe ich geradezu Humphrey Bogart und die junge Lauren Bacall vor Augen, in den Chandler-Verfilmungen der "Schwarzen Serie". Und auch sprachlich erinnert MacDonald an den Stil von Raymond Chandler, wenn er seinen Privatdetektiv Lew Chandler erzählen lässt - einerseits lakonisch-abgeklärt, andererseits mit bildhaften Formulierungen, die sofort Kopfkino in Gang setzen und nachhallen, die poetisch wirken wie etwa der Satz: "Das Licht der nackten Glühbirne an der Decke fiel auf seinen Kopf wie der grelle Schein der Einsamkeit". Oder: "Sie bewegten sich mit dem dumpfen Automatismus verlorener Seelen, die in den Minen der Hölle schuften."

Lew Archer kennt die Tiefen und Untiefen der Gesellschaft. Auf dem Highway findet er einen "Anhalter aus der Hölle", einen angeschossenen, sterbenden Mann. Das nächstgelegene Gebäude ist ein Motel, dessen Besitzer wenig hilfreich ist, aber immerhin einen Krankenwagen holt. Als Zeuge bleibt Archer zunächst in der Stadt Las Cruces, wird als Fremder, der den Sterbenden gefunden hat, zunächst von manchem als Verdächtiger behandelt.

Der Tote, so stellt sich heraus, war Lastwagenfahrer und mit einer wertvollen Alkoholladung unterwegs, die für den Motelbesitzer bestimmt war. Doch nun sind Lastwagen und Ladung verschwunden und es gibt nur einen Toten. Archer ermittelt, zunächst im Auftrag des Spediteurs, aber auch aus eigenem Interesse, weil ihn die schöne, unglückliche Frau des Motelbesitzers fasziniert und er das Gefühl hat, niemand in Las Cruces sagt ihm die volle Wahrheit. In der Kleinstadt werden Geheimnisse gewahrt, und Archer will ihnen auf die Spur kommen. Schöne, zerstörte Frauen, Männer mit Gewalt und gut gehüteten Geheimnissen kreuzen Archers Weg bis zu einem Showdown, der auch die auf den ersten Blick heile Welt von Las Cruces zerstören wird.

Wer Noir-Kriminalromane schätzt, wird sich wie ich über die Wiederbelebung dieser klassischen Detektiv-Story freuen. Und allein wegen der Sprache lohnt sich das Lesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.07.2024

Frankfurt Krimi zwischen Luxus und Alt-Linken

Der goldene Tod
0

"Der goldene Tod" von Florian Wacker ist bereits der zweite Krimi um die Frankfurter Staatsanwältin Greta Vogelsang, die sich mit der Aufklärung von Umweltkriminalität befasst. Diesmal allerdings hat ...

"Der goldene Tod" von Florian Wacker ist bereits der zweite Krimi um die Frankfurter Staatsanwältin Greta Vogelsang, die sich mit der Aufklärung von Umweltkriminalität befasst. Diesmal allerdings hat sie mit zwei Fällen zu tun, die auch einen persönlichen Touch haben: Ihr Ex-Lover sucht sie auf, um ihr brisante Informationen zu geben und wird wenig später ermordet im Sperrmüll hinter einem besetzten Haus gefunden. Und ihr Chef beauftragt sie und einen weiteren Kollegen mit heimlichen Ermittlungen gegen einen früheren Studienkollegen, mittlerweile Oberstaatsanwalt und als Anklagevertretet ein Kollege bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft.

Damit steckt schon mal eine ordentliche Portion Frankfurter Realität in dem Roman, denn der Fall des Oberstaatsanwalts erinnerte einschließlich der Umstände, nur in einem anderen Ressort, an einen tatsächlichen Fall bei der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft, der die Justizszene Frankfurts vor ein paar Jahren erschüttert hat. Und auch sonst, die Szene der Alt-Linken, die sich seit 1968 ideologisch kaum verändert haben, lebt in Frankfurt weiter, allen Bankern zum Trotz. Und Sperrmüll? Als alte Gallus-Bewohnerin kann ich nur sagen: Ja, haben wir reichlich. Normalerweise allerdings ohne Leichen.

Auch sonst enthält "Der goldene Tod" viel Lokalkolorit, bis hin zur reiche Leute-Szene im Hochtaunuskreis mit seiner hohen Millionärsdichte. Denn nach der Auswertung des USB-Sticks, den ihr der Tote hinterlassen hat, wächst bei Greta Vogelsang der Verdacht, dass illegales Bushmeat eine Rolle spielen könnte. Bei dem ermittelnden Kommissar kann sie sich damit zunächst nicht durchsetzen, klingt Menschenhandel doch nach einem viel überzeugenderem Motiv für den Mord an dem investigativem Journalisten. Auch die Zollfahndung lässt zweifelt, doch die Staatsanwältin ist hartnäckig.

"Der goldene Tod" verschafft den Leser*innen mehr Informationen, als sie die Ermittler zunächst haben, verrät aber nicht alles. Insofern bleibt Suspense bis zum Ende gewahrt. Anders als im klassischen Polizeikrimi steht hier die Arbeit der Staatsanwaltschaft im Vordergrund, die schließlich Herrin des Ermittlungsverfahrens ist. Ich empfand das Buch als realitätsnah geschrieben und recht nah dran am auch bürokratischen Alltag der Ermittler.

Auch das Private spielt eine Rolle - Gretas Sorgen angesichts der dementen Mutter und des mit der Betreuung überlasteten Vaters, ihre zwiespältige Haltung zur eigenen Rolle, war doch auch sie in der linken Szene zu Hause und entschloss sich dann, das System von innen heraus verändern zu wollen. Das macht Vogelsang zu einer Protagonistin mit Ecken und Kanten und einem eigenen moralischen Kompass. Dass sie sich nicht so ganz von den Idealen ihrer Jugend getrennt hat, machen auch ihre beiden Katzen deutlich: Die heißen nämlich Marx und Engels.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.07.2024

Undercover im Bayou

Weg vom Schuss
0

Mit schrägen Charakteren und überdrehtem Plot erinnert "Weg vom Schuss" von Jana deLeon ein bißchen an die Romane von Carl Hiaasen. Es gibt darin zwar weniger Kritik an Umweltzerstörung und sie spielen ...

Mit schrägen Charakteren und überdrehtem Plot erinnert "Weg vom Schuss" von Jana deLeon ein bißchen an die Romane von Carl Hiaasen. Es gibt darin zwar weniger Kritik an Umweltzerstörung und sie spielen nicht in den Everglades von Florida, sondern in den Bayous von Luisiana, aber Alligatoren und Waschbären gibt es auch dort.

Dabei hätte sich Fortune, CIA-Agentin und erfahren in allen möglichen Techniken des Tötens, nie vorstellen können, dass es sie einmal in ein verschlafenes Südstaatenstädtchen namens Sinful verschlagen könnte, und dann auch noch als angebliche Nichte ihres Chefs. Da ein Waffenhändler aus dem Nahen Osten jedoch einen Hit auf sie angeordnet hat und es peinlicherweise bei der CIA einen Maulwurf zu geben scheint, muss Fortune vorgeben, eine Ex-Schönheitskönigin und Bibliothekarin zu sein, dabei kann sie weder mit Büchern noch mit Mode viel anfangen.

Als Sandra-Sue soll sie angeblich das Haus ihrer verstorbenen Tante inventarisieren, vor allem aber weit weg sein von allen Gegenden, in denen Auftragsmörder nach ihr suchen könnten. Und das dürfte in Sinful nicht der Fall sein, denn trotz des sündigen Namens ist das Städtchen fromm: Sonntags Kirchgang, die Frauen stricken und backen Kuchen, in die Kneipen außerhalb des Ortes gehen nur die Männer. Aufregung gibt es höchstens nach dem Kirchgang zwischen Baptisten und Katholiken bei Wettlauf um die begrenzen Bananenpuddingvorräte in Francine´s Diner.

Kurzum, Fortune ist sicher, dass sie vielleicht nicht ermordet wird, sich aber zu Tode langweilen dürfte. Dass es dann ganz anders kommt, liegt zum einen an zwei alten Damen, die einige bemerkenswerte Talente haben und eine eigene Agenda zu verfolgen scheinen. Und zum anderen an dem Knochen, den der altersschwache Hund Bones, der ebenfalls zum Erbe von Sandra-Sues Tante gehört, ausgebuddelt hat. Ein Menschenknochen, wie Fortune auf Anhieb erkennt, auch in leicht angekautem Zustand.

Damit wird Fortune in die Ermittlungen der alten Damen hineingezogen, denn die Knochen dürften einem vor fünf Jahren verschwundenen Ekelpaket namens Harvey gehören. Hauptverdächtig ist natürlich die Ehefrau - und die ist eine Freundin der alten Ladies und plötzlich verschwunden. Klar, dass die die Ermittlungen nicht dem örtlichen Deputy überlassen wollen!

Dank der Seniorinnen gerät Fortune in allerhand haarsträubende Situationen, macht unfreiwillig Bekanntschaft mit Sumpfwasser, Dobermännern und Harveys unsympathischen Cousin Melvin. Von wegen also, weit weg vom Schuss! Nicht nur scheint in der überalterten Südstaatenkleinstadt jeder eine Waffe zu haben, trotz sonntäglichem Kirchgang gibt es ein ziemliches Gewaltpotenzial. Blutig geht es in diesem Cozy dennoch nicht zu, vielmehr stellt die Autorin genüsslich Agentenroman-Klischees auf den Kopf. Das Buch ist eher ein Angriff auf die Lachmuskeln und sollte nicht zu ernst genommen werden. Spaß hatte ich beim Lesen jedenfalls reichlich.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.07.2024

Saudade und steile Hügel

Gebrauchsanweisung für Lissabon
0

Das schöne an den Reisebänden "Gebrauchsanweisung für..." ist, dass sie weniger klassische Reiseführer als vielmehr persönliche Bekenntnisse, Erzählungen, Geschichten sind und ebensoviel über die Beziehung ...

Das schöne an den Reisebänden "Gebrauchsanweisung für..." ist, dass sie weniger klassische Reiseführer als vielmehr persönliche Bekenntnisse, Erzählungen, Geschichten sind und ebensoviel über die Beziehung des Autors oder einer Autorin zu einer Stadt erzählen wie über die Sehenswürdigkeiten. Als Vorbereitung zu einem Besuch lassen sie sich lesen, viel mehr aber, um die Zeit zum nächsten Besuch in einer Stadt oder einem Land, das man selbst ins Herz geschlossen hat, zu überbrücken. "Gebrauchsanweisung für Lissabon" von Martin Zinggl bildet da keine Ausnahme.

Zinggl schildert das, wofür Lissabon berühmt ist: Fado, Pasteis de nata, die hügeligen Altstadtviertel. Er verbindet das aber stets mit Episoden und Menschen, die dem Ganzen noch zusätzlich Leben einhauchen. Nach 19 Jahren von Besuchen in Lissabon beobachtet er auch die Veränderungen: erst der verfallene Charme, dann die zunehmende Entdeckung durch den Tourismus, Overtourism, Gentrifizierung, Hipstergizierung. Die Ein-Tages-Invasion von Kreuzfahrttouristen und die Verwandlung historischer Stadtviertel in Airbnb-Hochburgen, in denen sich die Einwohner nicht mehr die Miete leisten können.

Auch da Umland von Lissabon findet einen Platz in diesem Buch, seien es die Wälder von Sintra oder die Strände rund um die portugiesische Hauptstadt mit ihren Buchten und Wellen, die so viele Surfer anziehen. Und zwischen aller Kommerzialisierung ist sie doch noch gelegentlich zu finden, die saudade, dieses melancholische Lebensgefühl der Stadt mit ihren steilen Kopfsteinstraßen, Treppen und miradouros, mit ihrem wunderbaren Licht und einem Charme, der -noch - an versteckten Orten der Vereinnahmung durch den Massentourismus trotzt.

Für mich weckt dieses Buch jedenfalls Erinnerungen an die "Stadt des Lichts" und der blau-weißen Fliesen, die bis zum nächsten eigenen Besuch Lissabon-Feeling wecken.

Veröffentlicht am 30.06.2024

Altersweise, aber nicht altersmilde

Altern
0

Elke Heidenreich ist 81. Da weiß man, die verbleibende Lebenszeit ist begrenzt. Eigentlich weiß man das auch irgendwann nach dem 40. oder 50. Geburtstag - es ist weniger übrig, als hinter uns liegt. In ...

Elke Heidenreich ist 81. Da weiß man, die verbleibende Lebenszeit ist begrenzt. Eigentlich weiß man das auch irgendwann nach dem 40. oder 50. Geburtstag - es ist weniger übrig, als hinter uns liegt. In ihrem Buch "Altern" setzt sich Heidenreich mit dem Altwerden, dem Altsein, dem Selbstgefühl und dem Blick der Gesellschaft auf "die Alten" auseinander. Da sie sich jahrzehntelang mit Büchern und Lesen befasst hat, greift sie auch hier zur Literatur, findet Tröstliches, Kritisches, Diskussionswürdiges.

Es ist ein kluges Buch geworden - altersweise, aber nicht altersmilde. Mit kritischem Blick und mancher Spitze hat die Autorin all die Jahre gelebt, da will sie jenseits der 80 nicht die liebe, pflegeleichte Alte werden. Sie hat keine Angst, anzuecken, wenn sie sich dem Zeitgeist verweigert und auch Thesen äußert, die durchaus kontrovers sein können.

"Altern" ist ein sehr persönliches Buch. Und es regt an, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, gerade wenn man eben keine 30 oder 40 mehr ist, wenn die Zeit im Berufsleben absehbar in die letzte Runde geht, wenn Kinder aus dem Haus und Eltern gestorben sind. Es ist durchaus tröstlich - es ist keineswegs alles vorbei. Und es beschönigt nicht: Die Einschränkungen, die Grenzen, sie kommen. Wie auch die Einschläge von Verlust, wenn Freunde aus der gleichen Generation sterben. Wenn der Verlust dieser Freunde zu Einsamkeit führen kann. Überhaupt, die Einsamkeit - "Altern" macht deutlich, wie wichtig ein funktionierendes soziales Netzwerk ist.

Heidenreich ist ehrlich: Das lebenswerte, erfüllende Leben im Alter ist stark abhängig von Gesundheit und der finanziellen Ausstattung. Alt, arm und krank zu sein - das ist ein himmelweiter Unterschied zu ihrem aktiven Leben, in dem Arbeit weiter eine wichtige Rolle spielt. Sie zieht Vergleiche zu dem Altern ihrer Mutter - und sie setzt sich mit Sterben und Tod auseinander, unprätentiös, nichts beschönigend aber auch nicht bereit, sich von Ängsten beherrschen lassen. Heitere Gelassenheit und Akzeptanz des Unumgänglichen, so könnte man die Haltung beschreiben. Mit 80, so versichert sie, ist vieles vielleicht nicht mehr möglich, doch die Lust am Leben muss noch nicht vorbei sein - und gewinnt angesichts des Wissens um seine Endlichkeit nur noch mehr Tiefe.