Ein Noir-Klassiker
Das Cover von "Wer das Opfer findet" von Ross MacDonald erinnert an die Bilder von Ed Hopper und auch inhaltlich verkörpert dieser Detektivroman die Ära der Ära der Noir-Klassiker. MacDonald starb 1983, ...
Das Cover von "Wer das Opfer findet" von Ross MacDonald erinnert an die Bilder von Ed Hopper und auch inhaltlich verkörpert dieser Detektivroman die Ära der Ära der Noir-Klassiker. MacDonald starb 1983, das Buch spielt irgendwann in den 50-ern, das spiegelt sich auch der Beschreibung der Welt in einer kalifornischen Kleinstadt wieder. Wie heißt es doch so schön, als "Männer noch Männer waren"? Frauen haben jedenfalls vor allem schön zu sein und wahlweise die Rolle der Mutter und Ehefrau oder des Flittchens auszufüllen.
Beim Visualisieren des Textes habe ich geradezu Humphrey Bogart und die junge Lauren Bacall vor Augen, in den Chandler-Verfilmungen der "Schwarzen Serie". Und auch sprachlich erinnert MacDonald an den Stil von Raymond Chandler, wenn er seinen Privatdetektiv Lew Chandler erzählen lässt - einerseits lakonisch-abgeklärt, andererseits mit bildhaften Formulierungen, die sofort Kopfkino in Gang setzen und nachhallen, die poetisch wirken wie etwa der Satz: "Das Licht der nackten Glühbirne an der Decke fiel auf seinen Kopf wie der grelle Schein der Einsamkeit". Oder: "Sie bewegten sich mit dem dumpfen Automatismus verlorener Seelen, die in den Minen der Hölle schuften."
Lew Archer kennt die Tiefen und Untiefen der Gesellschaft. Auf dem Highway findet er einen "Anhalter aus der Hölle", einen angeschossenen, sterbenden Mann. Das nächstgelegene Gebäude ist ein Motel, dessen Besitzer wenig hilfreich ist, aber immerhin einen Krankenwagen holt. Als Zeuge bleibt Archer zunächst in der Stadt Las Cruces, wird als Fremder, der den Sterbenden gefunden hat, zunächst von manchem als Verdächtiger behandelt.
Der Tote, so stellt sich heraus, war Lastwagenfahrer und mit einer wertvollen Alkoholladung unterwegs, die für den Motelbesitzer bestimmt war. Doch nun sind Lastwagen und Ladung verschwunden und es gibt nur einen Toten. Archer ermittelt, zunächst im Auftrag des Spediteurs, aber auch aus eigenem Interesse, weil ihn die schöne, unglückliche Frau des Motelbesitzers fasziniert und er das Gefühl hat, niemand in Las Cruces sagt ihm die volle Wahrheit. In der Kleinstadt werden Geheimnisse gewahrt, und Archer will ihnen auf die Spur kommen. Schöne, zerstörte Frauen, Männer mit Gewalt und gut gehüteten Geheimnissen kreuzen Archers Weg bis zu einem Showdown, der auch die auf den ersten Blick heile Welt von Las Cruces zerstören wird.
Wer Noir-Kriminalromane schätzt, wird sich wie ich über die Wiederbelebung dieser klassischen Detektiv-Story freuen. Und allein wegen der Sprache lohnt sich das Lesen.