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Veröffentlicht am 28.10.2024

Spannender Genre-Mix, der leider nicht ganz aufgeht

Sisters in Blood - Der Schwur
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„Sisters in Blood – Der Schwur“ von Genevieve Gornichec, erschienen 2024 bei Bastei Lübbe, ist zunächst einmal auf jeden Fall eines der schönsten Bücher, die ich je in den Händen hielt, was für eine tolle ...

„Sisters in Blood – Der Schwur“ von Genevieve Gornichec, erschienen 2024 bei Bastei Lübbe, ist zunächst einmal auf jeden Fall eines der schönsten Bücher, die ich je in den Händen hielt, was für eine tolle Gestaltung! Ein wunderschönes Cover geht nahtlos über in einen ebenso genialen Farbschnitt, ich habe mich jedes Mal gefreut, wenn ich das Buch zum Lesen in die Hand nehmen konnte.

Die Handlung spielt in der Wikingerzeit und befasst sich dort aber eben nicht mit den starken Männern, sondern vielmehr mit drei starken Frauen, Gunny, Oddny und Signy, drei Schwurschwestern, die auseinandergerissen werden und auf der Suche nach einander vielleicht auch sich selbst finden. Dabei begegnen sie als Widersacherinnen viel Magie und so einigen Hexen, finden Partner und verlieren sie wieder, kommen zueinander, um doch wieder auf die Reise zu gehen. Ein großartiges Thema!

Das Buch liest sich für gut, die vielen Informationen über die Wikingerzeit fließen wie nebenbei ein, der Härtegrad ist gut gewählt, es wird deutlich, was für eine karge und brutale Zeit das war bis hin zur Sklaverei und üblen Beutezügen, aber es ist auch nicht übertrieben blutrünstig oder auf Effekt geschrieben. Wir erleben eine mehrfache From-Enemy-To-Lover Konstellation, auch Romance kommt also noch in den Genremix hinein, so dass wir letztlich eine irgendwie historisch-romantische Fantasy vor uns haben, die auch vor Themen des 21. Jahrhunderts keinen Halt macht. Streckenweise hat das Buch Pageturner-Qualität und ist kaum aus der Hand zu legen – in anderen Abschnitten allerdings zieht sich die Handlung doch etwas, was leider dazu führt, dass zu Ende hin im Gegenzug sehr schnell geschrieben wird und ein Hauptstrang der Handlung leider komplett geopfert wird, was mich persönlich sehr enttäuscht hat. Spannend fand ich, wie die negativen Aspekte der Wikingerzeit angesprochen werden, die Traumatisierung, die aus den Raubzügen und Schlachten auch bei den ausführenden Wikingern hervorgeht und das Schweigen, das entsteht. Das habe ich so noch nirgendwo gelesen, ist aber ganz sicher realistisch, finde ich gut, das zu beleuchten. Auch stark, wie im Roman einerseits Frauensolidarität ganz oft gezeigt wird, andererseits aber auch deutlich gemacht wird, dass es auch da große Revierkämpfe gibt.
Was für mich leider nicht aufging, waren viele Gedanken und Formulierungen, die klar ins 21. Jahrhundert gehören, was den Reflektionsgrad angeht, mit dem die Menschen im Roman all dies verfertigen. Die Autorin bringt queere Thematik mit ins Buch – was ich gut und legitim finde, denn queere Menschen gab es natürlich schon immer, sie gehören zur Lebensrealität in allen Zeiten. Grundsätzlich also super, Queerness in ein Buch über die Wikingerzeit einzubringen. Aber sämtliche Gespräche und Konfliktlösungen waren so eindeutig im Denken des 21. Jahrhunderts verhaftet, dass sich hier für mich leider der Zeithorizont komplett gesprengt hat.
Das schnell geschriebene Ende führt zu weiteren Inkongruenzen, die Auflösung des Geschehens ist ein etwas zu großes Wunder und noch dazu wird hier sämtliche Logik außer Acht gelassen – wer als lesende Person noch einmal ein paar Kapitel zurückblättert, wird sicher feststellen, dass hier Dinge einfach nicht zusammengehen.

So bin ich insgesamt leider etwas enttäuscht von diesem Buch, das stark anfängt, sich aber dann immer weiter von seinem Ursprung entfernt (und auch die isländische Saga maximal noch als Folie benutzt). Ich hatte auch deutlich weniger Magie erwartet, das Ausmaß hat mich dann doch überrascht. So kann ich mich leider wegen des letzten Drittels und der doch sehr starken Ausreißer ins 21. Jahrhundert nur zu 3,5 Sternen durchringen, der gewählte Genre-Mix ist für mich hier noch nicht fertig gedacht und leider nicht sauber durchgestaltet. Dennoch ist das Buch grundsätzlich eine Lesereise wert – und vielleicht ist ja der wahrscheinlich folgende zweite Band (das Ende deutet eine Fortsetzung an) dann einen Schritt weiter, ich würde es mir wünschen!


Ein großes Dankeschön an lesejury.de und Bastei Lübbe für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 26.10.2024

Packend und eiskalt

Blutbuße
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„Blutbuße“, der neue Polarkreis-Krimi von Viveca Sten, erschienen 2024 bei dtv, ist ein packender Krimi in gewohnter Sten-Qualität, der keine Wünsche offenlässt.

Die Ermittler:innen Hannah Ahlander und ...


„Blutbuße“, der neue Polarkreis-Krimi von Viveca Sten, erschienen 2024 bei dtv, ist ein packender Krimi in gewohnter Sten-Qualität, der keine Wünsche offenlässt.

Die Ermittler:innen Hannah Ahlander und Daniel Lindskog werden in einen komplexen Fall geworfen: Die von der örtlichen Bevölkerung kritisch betrachtete Charlotte Wretlind kommt durch einen brutalen Mord ums Leben, kurz bevor der Kick-Off zu einem großen Hotelprojekt vonstatten gehen kann. Wurde sie deshalb aus dem Verkehr gezogen?

Die Handlung spielt in Åre, einem beliebten Skiort im Norden Schwedens, nahe der Grenze zu Norwegen. Während die Ermittlungen voranschreiten, erfahren wir Lesenden viel über die private Situation der Ermittelnden und tauchen immer tiefer auch in ihr Leben ab. Sten legt viele verschiedene Spuren und hält die Spannung so bis zum überraschenden Schluss hoch. Die Figuren sind gut gezeichnet und auch wenn sich unter ihnen Stereotype finden, so überwiegen Charaktere, die in die Tiefe gehen. Es gibt viele Wendungen und schnell finden sich auch Spuren, die in die Vergangenheit führen, so dass der Fall immer vertrackter wird. Die Vergangenheit findet sich auch als weitere Zeitebene im Buch wieder, was formal gut konstruiert ist.

Sten schreibt flüssig und klar, sie scheut nicht vor Brutalität zurück, ohne jedoch zu sehr ins Detail gehen zu müssen, sie bettet Lokalkolorit in einem guten Maß ein, vor allem auch die Schilderung der Hotelatmosphäre gelingt grandios. Spannend insbesondere auch, wie sehr die Ermittler:innen selbst mit Druck und psychischen Problemen zu kämpfen haben, was natürlich Folgen für den Fall hat. Und auch wenn dieser Krimi vielleicht ein paar Seiten kürzer hätte sein können, bin ich doch gerne durch die Handlung gefolgt und wurde von der Auflösung überrascht. Also auf jeden Fall eine Leseempfehlung – und Vorfreude auf Band 4 der Reihe.

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Veröffentlicht am 24.10.2024

Beeindruckend ungewöhnlich

Im Morgenlicht
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„Im Morgenlicht“ von Téa Obreht, erschienen 2024 bei Rowohlt Berlin, ist ein ausnehmend ungewöhnlicher Roman, der sehr schwer zu beschreiben ist, aber unbedingt gelesen werden sollte.

Die junge Sil kommt ...

„Im Morgenlicht“ von Téa Obreht, erschienen 2024 bei Rowohlt Berlin, ist ein ausnehmend ungewöhnlicher Roman, der sehr schwer zu beschreiben ist, aber unbedingt gelesen werden sollte.

Die junge Sil kommt gemeinsam mit ihrer Mutter in Island City an, einer dystopischen Stadt inmitten eines Unlandes, in dem es scheinbar zu einer Reihung von Katastrophen gekommen ist, weshalb große Teile überschwemmt und unbewohnbar sind, weshalb viele Menschen umgesiedelt werden müssen. Sil landet mit ihrer Mutter bei ihrer Tante Ena in einem Hochhaus, das den Namen „Morgenlicht“ trägt. Sil, die nur wenig über ihre eigene Vergangenheit weiß und von ihrer Mutter streng verordnet bekommt, nicht über die Vergangenheit zu sprechen, mäandert im Morgenlicht durch die Räume und schlägt die Zeit tot, denn für ein wirkliches Ankommen fehlt ihr eine Perspektive.

Die Familiengeschichte von Sil deckt sich nur langsam und in dünnen Schichten auf, es gibt viele Rätsel und letztlich folgen wir dem, was Sil herausfindet, wodurch man schnell eine gute Verbindung zu ihr empfindet. Das World Building gelingt elegant, Island City füllt sich mit immer mehr Details, je weiter die Handlung voranschreitet und auch wenn es keine Klarheit gibt, was genau die Katastrophe erzeugt hat, kommen immer mehr Versatzstücke ans Licht, Dürre, Erdrutsch, Krieg... Die Figuren tragen alle ein Geheimnis, so dass jede einzige sehr spannend ist. Die Sprache ist einfach toll, es sind einzigartige Wortschöpfungen und Kombinationen dabei, und Obreht zeigt sich als Meisterin der Atmosphäre. Je weiter die Handlung fortschreitet, desto mehr ziehen Mystik und vielleicht auch Magie in das rätselhafte Geschehen ein und immer mehr Geschichten in der Geschichte, die jedoch alle ihren Sinn haben – und zunehmend auch eine schwelende Bedrohung. Bis zum Schluss lässt sich nicht entscheiden, ob wir uns in einer Fantasy bewege oder in der phantastischen Wahrnehmung eines Kindes, das Phantasie und Überhöhung als Coping-Mechanismus für Leid benutzt.

Obreht webt viele zeitgeschichtliche Bezüge in ihr Buch ein, ohne sie explizit zu machen, die Balkankriege, die Täter des 3. Reiches, Flucht und Migration, Umweltkatastrophen, die Frage nach der Bedeutung von Herkunft, um nur ein paar zu nennen, aber all das geschieht ganz unterschwellig im Untergrund der Haupthandlung. Hier ist alles geboten, Fiktion, Märchen und Dystopie, alles sehr gut miteinander verknüpft, absolut spannend auf einem sprachlich hohen Niveau geschrieben und zu keiner Zeit langweilig. Der ungewöhnliche Genre-Mix funktioniert ausgezeichnet und wird von durchweg starken Charakteren getragen. Ein wirklich besonderes Buch, das alte Mythen mit einer düsteren Zukunft verknüpft. Kleine Abzüge gibt es dennoch, denn Obreht entscheidet sich, wie so viele Autor:innen in letzter Zeit, für ein offenes Ende, das viele Stränge nicht vollendet oder erklärt. Das fand ich in diesem Fall leider sehr schade, denn gerne hätte ich noch mehr erfahren über diese Welt und ihren Weg ins Chaos und über die Frage, was nun wirklich geschah und was nur die Phantasie eines Kindes ist. Darum kann ich nicht die volle Sternenzahl an den Himmel werfen – ganz sicher aber leuchtet das Morgenlicht auch so stark genug, um unbedingt gelesen zu werden, denn, um den Kreis zum Anfang zu schließen: Dieses Buch ist einzigartig ungewöhnlich und muss erlebt werden.

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Veröffentlicht am 20.10.2024

Romantisierend und leider langatmig

Die Mitford Schwestern
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„Die Mitford-Schwestern“, der neue Roman in der „Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Reihe“ von Marie Benedict, erschienen 2024 bei Kiepenheuer und Witsch, kann leider mit dem ein oder anderen ...

„Die Mitford-Schwestern“, der neue Roman in der „Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Reihe“ von Marie Benedict, erschienen 2024 bei Kiepenheuer und Witsch, kann leider mit dem ein oder anderen Vorgängerband nicht mithalten.

Die Handlung beschäftigt sich mit den Mitford-Schwestern, die eigentlich gar nicht SO unbekannt sind und für mich auch ein bisschen aus der Reihe der starken Frauen tanzen, denn auch wenn sie Einfluss hatten, haben sie in dem Sinne die Weltgeschichte vielleicht auch doch nicht ganz so sehr beeinflusst, wie die anderen Frauen der Reihe. Genauer fokussiert der Band auf Diana, Nancy und Unity Mitford, andere Mitglieder des Mitford-Clans tauchen eher nur am Rande auf. Laut Umschlagstext stehen im Mittelpunkt des Romans „die tapferen Bemühungen der Schriftstellerin Nancy Mitford, die Nazis daran zu hindern, Großbritannien einzunehmen“ – aber weit gefehlt, diesen Vibe bringt das Buch leider wirklich nicht mit.

Der Roman startet mit sehr vielen Namen, Menschen und Beziehungen, die ich nicht so schnell sortiert bekam – dass die Schwestern die Angewohnheit haben, jedem Menschen auch noch einen Spitznamen zu verpassen, war dabei auch nicht gerade hilfreich. Hier wäre ein Stammbaum oder schlicht eine Personenliste sehr hilfreich gewesen. Das Zeitflair des Großbritanniens der 30er/40er Jahre ist gut atmosphärisch gegriffen, nicht zu viel, aber das Notwendige wird geschildert. Bei der Figurengestaltung ist interessant, wie die Männer alle nicht gerade Sympathieträger sind – ist das der weibliche Blick? Die Charaktere werden halbwegs sauber gezeichnet, es fehlt aber durchweg eine Tiefendimension, auch wenn wir teilweise langen inneren Monologen folgen dürfen, so sind diese oft nicht erhellend. Die Grundkonstruktion des Romans, wir folgen in immer sehr kurzen Kapiteln, bei denen der Blickwinkel zwischen Nancy, Unity und Diana wechselt, dabei sind Nancys Kapitel aus der Ich-Perspektive geschrieben, während die anderen Figuren aus einer personalen Erzählperspektive berichtet werden, erschwert eine Identifikation und ein tiefes Eintauchen zusätzlich, auch wenn die Idee nachvollziehbar ist. Leider verpasst Benedict die Chance, sich intensiv mit einer vierten Mitford-Schwester, Jessica Mitford, zu beschäftigen, die einen guten Kontrapunkt zu den ersten drei hätte bilden können und auch der politischen Thematik mehr Dimension verliehen hätte.

Nach einem schwungvollen Beginn plätschert der Roman eher vor sich hin und kreist endlos um die immergleichen Ereignisse und Gedankengänge. Es mag an meiner deutschen Leseperspektive liegen: Für eine Amerikanerin ist die Faszination für den Faschismus vielleicht faszinierend – für eine deutsche lesende Person wäre hier der Blick auf die Gegenbewegung und Spionage wahrscheinlich deutlich interessanter gewesen.

Was wirklich problematisch ist, ist, dass Benedict Fakten verändert und leider sowohl Adolf Hitler als auch den Faschismus romantisiert und im letzten Kapitel sogar das Denken und Handeln der Faschistinnen Unity und Diana relativiert. Das kommt regelmäßig vor – und beides erfährt im Nachwort keinerlei Einordnung oder Erläuterung. Dieser Vorgang ist für mich unverständlich und auch unverantwortlich, gerade auch, wenn ich mir vorstelle, dass dieses Buch auch im amerikanischen Raum gelesen wird, wo das Wissen über den Faschismus in Europa eh ein sehr begrenztes ist. Hitler als freundlichen höflichen Mann zu zeichnen, mit dem mensch angenehm Tee trinken und über Wagneropern parlieren kann – das mag ein Aspekt sein, der aber nicht ohne die vielen anderen Aspekte seiner Persönlichkeit in den Raum gestellt werden darf. Diese kommen deutlich zu wenig vor, wie die ganze Geschichte des Faschismus im Konkreten viel zu wenig geschildert wird. Wenn man schon (wie auch immer das geographisch möglich sein soll) von der Oper in München aus auf das KZ Dachau schauen kann – dann sollte vielleicht auch dargestellt werden, was dort geschah. Es wäre leicht gewesen, auch diese Perspektive zu integrieren.

Die angekündigte Heldin des Romans, Nancy, bleibt über weite Strecken sehr handlungsarm und verlagert ihre politische Energie wenn überhaupt ins Schreiben - auch hier verstehe ich nicht, dass Benedict nicht zumindest Zitate von Nancy Mitfords Schaffen in den Roman integriert hat. Stattdessen überlässt sie den Faschismusschwärmerinnen weitestgehend den Raum. Dabei wird auch die Sprache immer schwülstiger: "Eine einzelne Träne entschlüpft ihrem eisernen Willen" – zwischendurch fühlte ich mich fast in einem Arztroman vom Kiosk angekommen.

Hier hatte ich mir ein ganz anderes Buch erhofft. „Wie privat das politische doch letzten Endes ist…“ wird am Ende des Buches gesagt. Das stimmt! Wurde aber leider in der Dimension in diesem Roman verpasst.

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Veröffentlicht am 13.10.2024

Hervorragende Protestanalyse trifft unglaubwürdige Figurenkonstruktion

Tage mit Milena
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„Tage mit Milena“, der neue Roman von Katrin Burseg, erschienen 2024 bei Heyne, hat mich leider sehr zwiespältig zurückgelassen.

Thematisch dreht sich der Roman um wichtige Themen: Den Klimawandel und ...

„Tage mit Milena“, der neue Roman von Katrin Burseg, erschienen 2024 bei Heyne, hat mich leider sehr zwiespältig zurückgelassen.

Thematisch dreht sich der Roman um wichtige Themen: Den Klimawandel und die Klimaproteste respektive deren Radikalisierung sowie in einer Vergangenheitsschau der Geschichte der Proteste um die Hamburger Hafenstraßenbesetzung – und somit der Frage nach Radikalisierung und deren Folgen generell. Erzählt wird das anhand der sich entwickelnden Beziehung zwischen Annika, einer inzwischen bürgerlich-links in Lübeck lebenden Frau mittleren Alters, die durch die Bekanntschaft mit Luzie, einer gerade noch 17jährigen Klimaprotestlerin, an ihre Vergangenheit in der Hafenstraße und die Ereignisse der damaligen Zeit, die sie bis heute prägen, erinnert wird.

Das klingt auf der Oberfläche gut und spannend – und was den thematischen Teil angeht, ist das auch so. Die vielen geballten Informationen über Klimawandel und -proteste waren mir persönlich etwas zu üppig und referatsartig hineingestopft, das mag aber daran liegen, dass ich intensives Vorwissen habe. Der Teil, der die Hafenstraßenzeit aufgreift, ist sehr gelungen, ich glaube, vielen Menschen fehlt das tiefe Wissen darüber und Bruseg zeigt gekonnt die Parallelen in Protest und Radikalisierung auf, das habe ich so auch noch nirgends gelesen. Auch hier war mir persönlich die Ballung innerhalb des Handlungsstranges zu viel, da hätte etwas Luft gutgetan, aber die grundsätzliche Idee, wie Bruseg diese Inhalte formal in das Geschehen einbettet, ist sehr geschickt.

Womit ich aber leider durch das ganze Buch hindurch nicht warm geworden bin, sind die Charaktere, ihre nicht plausiblen Handlungen und übertriebene Zeichnung und die vielen Leerstellen für ihr Handeln, die sich für mich einfach nicht erklären. Was dazu geführt hat, dass die Hauptperson Annika mich geradezu aggressiv gemacht hat mit ihrem kindischen Verhalten, das sich durchweg nur um sich selbst dreht. Ich habe lange keine so durchweg übergriffige und ehrlich gesagt schon psychopathische Figur gelesen – und aus meiner eigenen Beziehung zu Teenagern kann ich nur sagen: Da würde jede:r Teenie ganz schnell das Weite suchen. Im Roman geschieht aber das Gegenteil, klar, sonst gäbe es keine Geschichte, aber ich konnte daran leider zu keinem Zeitpunkt glauben.

Das Buch ist durchweg gut geschrieben, da gibt es gar nichts zu meckern, der Inhalt ist super, da wo es um das Schreiben von Historie und Chronik geht, auch sehr ausführlich und genau recherchiert. Alles, was die Figuren betrifft, ist für mich leider klischiert und nicht glaubwürdig / wenn es glaubwürdig sein soll, dann fehlt mir hier der Mut zur Konsequenz. Das Leben sieht da meistens schon genauer hin und hat weniger Wattebäusche bereitgestellt. In der Leserunde, in der ich dieses Buch gelesen habe, gab es aber auch viele begeisterte Stimmen. Also selbst herausfinden – auch wenn ich mich aufgrund des Zwiespalts nur bei 3 Sternen einreihen kann!

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